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+ | Seine düsteren Prophezeihungen im Zusammenhang mit der Endzeit des {{s|Dharma}} sah Nichiren durch die [[Geschichte/Shinto_Mittelalter/Kamikaze|Angriffe der Mongolen]] auf Japan (1274 und 1281) bestätigt und versuchte die Autoritäten des {{g|kamakura}}-Shōgunats davon zu überzeugen, dass nur seine Gebete die endgültige Niederlage Japans verhindern könnten. Diese Einmischung in politische Angelegenheiten wurde ihm als Anmaßung ausgelegt. Während einzelne Lokalfürsten Nichiren förderten, stellte er für die {{g|houjou}}, die Regenten des {{g|Shougun}}, einen gefährlichen Unruhestifter dar. Es wurde sogar ein Todesurteil gegen ihn verhängt, das erst in letzter Minute in Verbannung umgewandelt wurde. Wie andere politische Oppositionelle vor und nach ihm verbrachte er einige Jahre auf der Insel {{g|sado}} (1271–1274). | ||
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+ | Obwohl politisch-militärisch entmachtet, blieb der Anspruch, sich keinen „unreinen Ungläubigen“ unterordnen zu wollen, weitgehend aufrecht. Damit waren nicht nur religiöse Gegner, sondern auch weltliche Herrscher und potentielle Gönner gemeint. Man wollte von ihnen weder Gaben empfangen, noch irgendwelche religiösen Dienstleistungen für sie verrichten, sofern sie neben dem Lotos-Sutra noch andere Lehren als maßgeblich erachteten (sprich, mit anderen buddhistischen Schulen in Beziehung standen). Dieser Grundsatz wurde als {{g|fujufuse}}, „nichts nehmen, nichts geben“ bezeichnet. Er führte dazu, dass sich noch Anfang der {{g|edo}}-Zeit viele Nichiren-Kleriker beharrlich weigerten, an staatlich organisierten Zeremonien mit Mönchen anderer Schulrichtungen teilzunehmen. Dies wurde wiederum von den {{g|tokugawa}} als nicht hinzunehmende Insubordination aufgefasst und zunehmend mit Exil oder gar Hinrichtung bestraft. Der Nichiren-Buddhismus spaltete sich daraufhin in eine Fraktion von kompromissbereiten Mönchen, und eine anfänglich größere Fraktion, die am ''fujufuse''-Prinzip auch um den Preis des eigenen Lebens festhalten wollte. Diese sogenannte {{g|fujufuseha}} wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts immer stärker kriminalisiert und schließlich systematisch verfolgt. Ähnlich wie die Christen, gingen einige ''fujufuse''-Gruppen in den Untergrund, während die Mehrheit der Nichirenisten sich zumindest äußerlich den ihnen aufgezwungenen Kompromissen beugte. | ||
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+ | In der neuen Metropole Edo stellte er nach der Jōdo-shū die zweitstärkste Gruppe dar. Der Nichiren-Tempel auf Berg {{gb|Minobusan|Minobu}}, wo der Heilige begraben liegt, wurde zu einem der populärsten Pilgerzentren in Edo.<ref>{{zitiert|Dolce 2023}}.</ref> Wie die Illustrationen auf dieser Seite zeigen, war Nichiren auch für die Meister des {{g|ukiyoe}} Farbholzschnitts eine wichtige religiöse Figur. | ||
− | + | Die Tendenz zur politischen Polarisierung blieb allerdings weiter Teil von Nichirens geistigem Erbe. Im zwanzigsten Jahrhundert ging aus dem Nichiren Buddhismus unter anderem die {{g|Nichirenshoushuu}} hervor, deren Laienorganisation, die {{g|soukagakkai}}, sich nach dem Zweiten Weltkrieg zur erfolgreichsten Neureligion Japans emporarbeitete. Die {{g|koumeitou}}, Japans erfolgreichste religiöse politische Partei, ist wiederum aus Sōka Gakkai hervorgegangen (s.a. Sidepage [[Geschichte/Neue_Religionen/Soka Gakkai | Sōka Gakkai]]). Alle drei Gruppierungen zählen zum konservativen Spektrum der japanischen Gesellschaft. | |
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+ | Wie diese Beispiele zeigen, treten Gruppierungen mit dezidiert politischen Zielsetzungen innerhalb der Nichiren Schule häufiger auf als anderswo im japanischen Buddhismus. Dies liegt zweifellos an den prononcierten politischen Statements in Nichirens Schriften, die auch in seiner Märtyrerbiographie noch deutlich zutage treten. Heute wird der politische Nichirenismus vor allem mit konservativen und nationalistischen Positionen assoziiert, doch gibt es darunter natürlich auch moderate Fraktionen wie die {{g|nichirenshuu}}, die sich weder in ihren Zielen noch in ihrem äußeren Erscheinungsbild stark vom japanischen Mainstream Buddhismus unterscheiden. Schließlich findet man Anhänger Nichirens auch unter linken politischen Gruppierungen. Die sozialreformerischen Ideen Nichirens sind im kulturellen Gedächtnis Japans daher keinesfalls ganz verloren gegangen. | ||
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* [http://www2s.biglobe.ne.jp/%7Eshibuken/Nichiren/index.htm A Life Story of Nichiren Daishonin] (en.)<br/>Nichirens Biografie in modernen Bildern. | * [http://www2s.biglobe.ne.jp/%7Eshibuken/Nichiren/index.htm A Life Story of Nichiren Daishonin] (en.)<br/>Nichirens Biografie in modernen Bildern. | ||
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Aktuelle Version vom 15. August 2024, 18:45 Uhr
Werk von Hasegawa Tōhaku (1539–1610). 16. Jh. Wikimedia Commons.
Der Nichiren Buddhismus ist nach seinem Begründer Nichiren [Nichiren (jap.) 日蓮 1222–1282; Begründer des Nichiren Buddhismus] (1222–1282) benannt, taucht in älteren Quellen aber auch unter dem Namen Lotos-Schule (Hokke-shū [Hokke-shū (jap.) 法華宗 Andere Bez. des Nichiren Buddhismus]) auf. Nichirens Lehre ist strukturell mit den Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū [Jōdo-shū (jap.) 浄土宗 Schule des Amida-Buddhismus]) vergleichbar. Allerdings steht nicht Amida [Amida (jap.) 阿弥陀 Buddha Amitabha; Hauptbuddha der Schulen des Reinen Landes (Jōdo-shū bzw. Jōdo Shinshū)] im Zentrum des Glaubens, sondern Shaka Nyorai [Shaka Nyorai (jap.) 釈迦如来 jap. Name des historischen Buddha, Shakyamuni], der historische Buddha [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] bzw. das Lotos-Sutra [Hoke-kyō (jap.) 法華経 Lotos Sutra; skt. Saddharma pundarika sutra; jap. auch Hokkekyō oder Myōhō renge kyō; zählt zu den einflussreichsten Texten des Mahayana-Buddhismus, älteste Fassungen dürften im ersten Jh. v.u.Z. entstanden sein.]. Dies entspricht der orthodoxen Position der Tendai [Tendai-shū (jap.) 天台宗 Tendai-Schule, chin. Tiantai]-Lehre, als deren konsequenten Vertreter Nichiren sich selbst ansah. Tatsächlich vereinfachte er jedoch die religiöse Praxis des Tendai Buddhismus nach dem Muster der Amidisten: So wie diese glauben, durch die Anrufung Amidas (nenbutsu [nenbutsu (jap.) 念仏 Anrufung des Namens von Buddha Amida, Gebetsformel der Amida-Anhänger]) bereits von diesem errettet zu werden, vertritt Nichiren die Auffassung, das bloße Rezitieren des Titels des Lotos-Sutra (in der Formel namu myōhō renge kyō [namu myōhō renge kyō (jap.) 南無妙法蓮華経 „Lobpreis dem Lotos Sutra“; Gebetsformel des Nichiren Buddhismus]) genüge, um alle Vorzüge dieses Sutra auf sich herab zu rufen. Als Vorstufe des Nirvana [Nirvāṇa (skt.) निर्वाण „Erloschen, ausgelöscht“, Ort der Erlösung von allem Leid, absolutes Jenseits (jap. Nehan 涅槃)] gibt es auch im Nichiren-Glauben ein Reines Land (Ryōzen Jōdo [Ryōzen Jōdo (jap.) 霊山浄土 Reines Land im Nichiren Buddhismus; Ryōzen, wtl. mystischer Berg, stellt einen Anspielung auf den Geierberg (auch: Ryōjū-sen 霊鷲山, Berg des mystischen Geiers) dar, wo Buddha u.a. das Lotos Sutra vorgetragen haben soll (s.a. Juhō-sen, Grdhrakuta)]). Und wie der Amidismus rechtfertigt auch Nichiren seine Vereinfachung der Tendai-Lehre mit dem mappō [mappō (jap.) 末法 Endzeit des Dharma]-Gedanken, also der Idee, dass sich die Welt bereits in der Verfallszeit des buddhistischen Dharmas [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. hō 法)] befände, in der die Botschaft des Buddha in reiner, ungefilterter Form nicht mehr verstanden werde.
Nichiren als Märtyrer
Vielleicht wegen dieser grundsätzlich ähnlichen Ausgangsposition sah Nichiren in den Amidisten nicht nur seine persönlichen Gegner, er machte sie auch für alle Katastrophen der Zeit verantwortlich. Wie sein Motto „brechen und unterwerfen“ (shakubuku [shakubuku (jap.) 折伏 „brechen und unterwerfen“; Motto des Schulgrüders Nichiren]) ausdrückt, nahm er eine radikale Position gegen Andersgläubige ein und war aufgrund dieser fundamentalistischen, kompromisslosen Haltung selbst harten Repressionen ausgesetzt.
Werk von Katsushika Isai (1821–1880). Museum of Fine Arts, Boston.
Seine düsteren Prophezeihungen im Zusammenhang mit der Endzeit des Dharma [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. hō 法)] sah Nichiren durch die Angriffe der Mongolen auf Japan (1274 und 1281) bestätigt und versuchte die Autoritäten des Kamakura [Kamakura (jap.) 鎌倉 Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)]-Shōgunats davon zu überzeugen, dass nur seine Gebete die endgültige Niederlage Japans verhindern könnten. Diese Einmischung in politische Angelegenheiten wurde ihm als Anmaßung ausgelegt. Während einzelne Lokalfürsten Nichiren förderten, stellte er für die Hōjō [Hōjō (jap.) 北条 Regentenfamilie des Shōgunats von Kamakura; pol. Machthaber der Kamakura-Zeit], die Regenten des Shōgun [Shōgun (jap.) 将軍 Shōgun; Titel der Militärherrscher aus dem Kriegeradel (bushi, Samurai)], einen gefährlichen Unruhestifter dar. Es wurde sogar ein Todesurteil gegen ihn verhängt, das erst in letzter Minute in Verbannung umgewandelt wurde. Wie andere politische Oppositionelle vor und nach ihm verbrachte er einige Jahre auf der Insel Sado [Sado (jap.) 佐渡 Insel im Nordosten Japans, die von vormodernen Regierungen gern als Verbannungsort politischer Gegner genützt wurde] (1271–1274). Diese Erfahrungen führten zur gängigen (Selbst-)Darstellung Nichirens als Märtyrer, doch bot das Exil Nichiren auch eine Möglichkeit, seine Gedanken zu sammeln und wichtige Schriften zu verfassen.
Ähnlich wie Hōnen [Hōnen (jap.) 法然 1133–1212; Gründer der Jōdo-shū, der Schule vom Reinen Land] und Shinran [Shinran (jap.) 親鸞 1173–1262; Gründer der Jōdo Shin-Schule] wirkte also auch Nichiren durch seine Lehre polarisierend. Wie die Amidisten stellte er sich gegen den religiösen Mainstream seiner Zeit, der aus einer eklektischen Mischung verschiedener buddhistischer und nicht-buddhistischer Lehren bestand.
Spätere Entwicklungen
Schon kurz nach Nichirens Tod spaltete sich seine Anhängerschaft in verschiedene Untergruppen auf. Den stärksten Zulauf fand die Schule schließlich in Kyōto, wo sich um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts etwa die Hälfte der Einwohner (vor allem die Händler und Handwerker) zu ihr bekannte. Das verschaffte ihr eine ähnliche politische Macht wie der amidistischen Ikkō-shū [Ikkō-shū (jap.) 一向宗 Ikkō Sekte, eine Fraktion des Buddhismus vom Reinen Land ( Jōdo-shū)]. Im sechzehnten Jahrhundert wurden die Anhänger Nichirens allerdings zunächst durch die Kriegermönche der Tendai-Klöster, dann durch Oda Nobunaga [Oda Nobunaga (jap.) 織田信長 1534–1582, Kriegsfürst, Reichseiniger] militärisch niedergerungen.
Obwohl politisch-militärisch entmachtet, blieb der Anspruch, sich keinen „unreinen Ungläubigen“ unterordnen zu wollen, weitgehend aufrecht. Damit waren nicht nur religiöse Gegner, sondern auch weltliche Herrscher und potentielle Gönner gemeint. Man wollte von ihnen weder Gaben empfangen, noch irgendwelche religiösen Dienstleistungen für sie verrichten, sofern sie neben dem Lotos-Sutra noch andere Lehren als maßgeblich erachteten (sprich, mit anderen buddhistischen Schulen in Beziehung standen). Dieser Grundsatz wurde als fujufuse [fujufuse (jap.) 不受不施 wtl. „nichts nehmen, nichts geben“, d.h. weder Opfergaben empfangen, noch religiöse Dienstleistungen erfüllen; Prinzip der radikalen Abschottung von Nichiren-Anhängern gegenüber potentiellen Gönnern, die nicht den exklusiven Glauben an das Lotos Sutra teilten], „nichts nehmen, nichts geben“ bezeichnet. Er führte dazu, dass sich noch Anfang der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit viele Nichiren-Kleriker beharrlich weigerten, an staatlich organisierten Zeremonien mit Mönchen anderer Schulrichtungen teilzunehmen. Dies wurde wiederum von den Tokugawa [Tokugawa (jap.) 徳川 Kriegerdynastie, die während der Edo- oder Tokugawa-Zeit (1603–1867) das Amt des Militärmachthabers (Shōgun) inne hatte.] als nicht hinzunehmende Insubordination aufgefasst und zunehmend mit Exil oder gar Hinrichtung bestraft. Der Nichiren-Buddhismus spaltete sich daraufhin in eine Fraktion von kompromissbereiten Mönchen, und eine anfänglich größere Fraktion, die am fujufuse-Prinzip auch um den Preis des eigenen Lebens festhalten wollte. Diese sogenannte Fujufuse-ha [Fujufuse-ha (jap.) 不受不施派 Edo-zeitl. Fraktion des Nichiren Buddhismus, die Andersgläubigen „nichts nehmen und nichts geben“ (fujufuse) wollte. Ähnlich wie die japanischen Christen stand auch die Fujufuse-ha auf der Liste verbotener Religionen der Edo-Zeit.] wurde im Laufe des 17. Jahrhunderts immer stärker kriminalisiert und schließlich systematisch verfolgt. Ähnlich wie die Christen, gingen einige fujufuse-Gruppen in den Untergrund, während die Mehrheit der Nichirenisten sich zumindest äußerlich den ihnen aufgezwungenen Kompromissen beugte.
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861). Edo-Zeit. The British Museum.
Werk von Katsushika Isai. Museum of Fine Art, Boston.
Werk von Katsushika Hokusai. Edo-Zeit, 1847. Dolce 2023, S. 97, Abb. 6.7.
Damit war auch der Nichiren Buddhismus schließlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In der neuen Metropole Edo stellte er nach der Jōdo-shū die zweitstärkste Gruppe dar. Der Nichiren-Tempel auf Berg Minobu, wo der Heilige begraben liegt, wurde zu einem der populärsten Pilgerzentren in Edo.1 Wie die Illustrationen auf dieser Seite zeigen, war Nichiren auch für die Meister des ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit] Farbholzschnitts eine wichtige religiöse Figur.
Die Tendenz zur politischen Polarisierung blieb allerdings weiter Teil von Nichirens geistigem Erbe. Im zwanzigsten Jahrhundert ging aus dem Nichiren Buddhismus unter anderem die Nichiren Shōshū [Nichiren Shōshū (jap.) 日蓮正宗 wtl. „wahre Schule des Nichiren“; Untergruppe des Nichiren Buddhismus, gegr. 1912] hervor, deren Laienorganisation, die Sōka Gakkai [Sōka Gakkai (jap.) 創価学会 wtl. in etwa „Organisation zum Studium vermehrter Werte“; neu-religiöse buddhistische Laienorganisation, gegr. 1930], sich nach dem Zweiten Weltkrieg zur erfolgreichsten Neureligion Japans emporarbeitete. Die Kōmeitō [Kōmeitō (jap.) 公明党 „Partei der öffentlichen Sauberkeit“, buddhistisch orientierte politische Parlamentspartei], Japans erfolgreichste religiöse politische Partei, ist wiederum aus Sōka Gakkai hervorgegangen (s.a. Sidepage Sōka Gakkai). Alle drei Gruppierungen zählen zum konservativen Spektrum der japanischen Gesellschaft.
Die politische Dimension des Nichiren Buddhismus
Taishō-Zeit, 1923. Shōnan Boy.
Nichirens Lehre folgte nicht nur ähnlichen Prinzipien wie der Buddhismus vom Reinen Land, sie resultierte auch aus einer ähnlichen Hinwendung zu breiteren Bevölkerungsschichten und beinhaltete zur Zeit ihrer Entstehung eine ähnliche sozial-revolutionäre Sprengkraft. Während Hōnen und Shinran diese Sprengkraft jedoch in Schranken zu halten versuchten und sich selbst nicht zu den politischen Verhältnissen äußerten, beschritt Nichiren hier einen ganz anderen Weg, indem er aktiv in den politischen Diskurs eingriff und seine Heilslehre als Lösung aller gesellschaftlichen Probleme propagierte. In diesem Sinne bezeichne ich Nichiren als „Fundamentalisten“.
Radikaler als irgendein anderer Denker seiner Zeit forderte Nichiren, dass sich die weltlichen Mächte ganz der Autorität Buddhas unterwerfen müssten, weil nur der Buddhismus (bzw. das Lotos Sutra, Hoke-kyō [Hoke-kyō (jap.) 法華経 Lotos Sutra; skt. Saddharma pundarika sutra; jap. auch Hokkekyō oder Myōhō renge kyō; zählt zu den einflussreichsten Texten des Mahayana-Buddhismus, älteste Fassungen dürften im ersten Jh. v.u.Z. entstanden sein.]) die Normen für ein „friedliches Land“ in sich bergen würde. Derartige Überlegungen hielt er unter anderem in seiner heute bekanntesten Schrift, dem Risshō ankoku ron [Risshō ankoku ron (jap.) 立正安国論 „Thesen zur Errichtung der Wahrheit und des Friedens im Land“, pol. Traktat von Nichiren, verf. 1260] („Thesen zur Befriedung des Landes“) fest. Laut Satō Hiroo [Satō Hiroo (jap.) 佐藤弘夫 1953–; japanischer Religionshistoriker an der Universität Tōhoku, Sendai] bedeutete „friedliches Land“ bei Nichiren nicht mehr nur die ungehinderte Ausübung der Herrschaft durch den Tennō oder die politische Elite (wie dies im sogenannten „alten Buddhismus“ der Fall gewesen war), sondern enthielt die Utopie einer gesamtgesellschaftlichen Gerechtigkeit als Basis für das Gedeihen des Buddhismus.2 Herrscher, die sich der Verwirklichung einer buddhistischen Weltordnung nicht unterordneten, würden, so Nichiren, in der Hölle landen.
Nichiren's Coffeehouse.
Nichirens Theologie war daher nicht allein auf das Jenseits gerichtet, sondern enthielt eine Vision der gesellschaftlichen Veränderung. Zugleich findet man aber auch den Glauben an die Auserwähltheit und Überlegenheit Japans im Nichiren Buddhismus stark vertreten. Vor allem in der jüngeren und jüngsten Geschichte tendierten Nichiren Anhänger daher auch oft zu nationalistischen Positionen. Diese Tendenz, die auch als Nichirenismus (nichiren shugi [nichiren shugi (jap.) 日蓮主義 Nichirenismus; nationalistische Auslegung Nichiren-buddhist. Lehren; insb. Ideologie des Tanaka Chigaku]) bezeichnet wird, manifestierte sich in ihrer ausgeprägtesten Form in den Lehren von Tanaka Chigaku [Tanaka Chigaku (jap.) 田中智学 1861–1939; ausgeb. buddh. Mönch und Schriftsteller; Begründer des Nichirenismus (nichiren shugi), einer ultra-nationalistischen Auslegung des Nichiren Buddhismus] (1861–1939), der im Tennō die Verkörperung der Wahrheit des Lotos-Sutras sah.3 Tanakas Lehre passte damit perfekt in das System des Staatsshintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]. Andere Anhänger Nichirens, etwa die Gründer der Sōka Gakkai wurden zwar unter dem Staatsshintō politisch verfolgt, tendierten aber nach dem Krieg ebenfalls zu nationalistischen oder zumindest zu konservativ-autoritären Positionen.
Wie diese Beispiele zeigen, treten Gruppierungen mit dezidiert politischen Zielsetzungen innerhalb der Nichiren Schule häufiger auf als anderswo im japanischen Buddhismus. Dies liegt zweifellos an den prononcierten politischen Statements in Nichirens Schriften, die auch in seiner Märtyrerbiographie noch deutlich zutage treten. Heute wird der politische Nichirenismus vor allem mit konservativen und nationalistischen Positionen assoziiert, doch gibt es darunter natürlich auch moderate Fraktionen wie die Nichiren-shū [Nichiren-shū (jap.) 日蓮宗 Nichiren Schule; Sammelnamen für Schulen in der Tradition Nichirens, aber auch Namen einer bestimmten Schule innerhalb des heutigen Nichiren Buddhismus; nicht zu verwechseln mit der 1912 gegr. Nichiren Shōshū], die sich weder in ihren Zielen noch in ihrem äußeren Erscheinungsbild stark vom japanischen Mainstream Buddhismus unterscheiden. Schließlich findet man Anhänger Nichirens auch unter linken politischen Gruppierungen. Die sozialreformerischen Ideen Nichirens sind im kulturellen Gedächtnis Japans daher keinesfalls ganz verloren gegangen.
Verweise
Fußnoten
Internetquellen
- A Life Story of Nichiren Daishonin (en.)
Nichirens Biografie in modernen Bildern.
Literatur
- Japanese Journal of Religious Studies 26/3–4, 1999, 307–23. (Online.) [Sondernummer des JJRS.]
Bilder
- ^ Die dynamische Kaligraphie, die auf Nichiren selbst zurückgehen soll, stellt die Silben na-mu-myō-hō-ren-ge-kyō dar, die im Nichiren Buddhismus zentrale Anrufungsformel (daimoku) des Lotos Sutras (Myōhō renge kyō [Myōhō renge kyō '"`UNIQ--nowiki-00000002-QINU`"' (jap.) 妙法蓮華経 Lotos Sutra (des Wunderbaren Dharma), skt. Saddharma-pundarīka-sūtra (jap. auch Hoke-kyō)]). Darunter die Unterschrift Nichirens.
Werk von Hasegawa Tōhaku (1539–1610). 16. Jh. Wikimedia Commons. - ^ Nichiren soll am Strand von Tatsu-no-guchi nache Kamakura exekutiert werden. Ungewöhnliche Wetterphänomene verhindern die Exekution in letzter Sekunde.
Werk von Katsushika Isai (1821–1880). Museum of Fine Arts, Boston. - ^ Diese Episode aus dem Leben Nichirens erzählt von einer großen Dürre, die Kamakura im Jahr 1271 (damals Hauptstadt) heimgesucht hatte. Die Regierung befahl den wichtigsten Tempeln, Regenbitt-Zeremonien (amagoi) durchzuführen, doch nichts half, bis endlich Nichiren auf den Plan trat. Er rezitierte (wie immer) seine schlichte „Anrufung des Lotos Sutra“ (namu myōhō renge kyō) und siehe da, der Regen kam.
Werk von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861). Edo-Zeit. The British Museum. - ^ Der Mönch Nichiren erblickt das Emblem des Lotos Sutras (daimoku) in der aufgehenden Sonne. Die Erscheinung soll sich 1253, in Nichirens 32. Lebensjahr, zugetragen haben und gilt als der Beginn von Nichirens eigener Lehrtätigkeit. Die Szene ist daher ein häufiges hagiographisches Motiv. In diesem Fall zeigen sich in der Sonne zwei Buddhas, während die sogenannten 30 Schutzgötter (sanjū banshin), die im Nichiren-Buddhismus die Tage eines Monats beschützen, eine Art shintōistische Leibgarde bilden.
Werk von Katsushika Isai. Museum of Fine Art, Boston.
- ^ Nichiren, umgeben von seinen Anhängern, zähmt die Gottheit des Berges Minobu, welche zunächst als junge Frau, schließlich aber in Form eines „siebengesichtigen Drachens“ erscheint. Die Gottheit wird dadurch zur Beschützergottheit des Nichiren-Temples auf Berg Minobu, wo Nichiren seine letzten Jahre verbrachte und auch bestattet ist. In der Edo-Zeit war der Berg ein bedeutendes Pilgerzentrum. Katsushika Hokusai erdachte unterschiedliche Möglichkeiten, den Drachen mit sieben Gesichtern zu visualisieren, hier reihen sie sich hintereinander in einer Linie auf.
Mehr dazu: Dolce, Lucia, „The Buddhist World of Hokusai: Lotus Practices and the Religious Frenzy of Urban Edo“. In: Timothy Clark (Hg.), Late Hokusai: Thought, Technique, Society, Legacy. London: The British Museum, 2023, 89–102. (Online.)
Werk von Katsushika Hokusai. Edo-Zeit, 1847. Dolce 2023, S. 97, Abb. 6.7. - ^ Moderne Darstellung Nichirens. Die Statue befindet sich an jener Stelle, wo sich dem betenden Mönch das Emblem (daimoku [daimoku '"`UNIQ--nowiki-00000000-QINU`"' (jap.) 題目 wtl. „Titel [des Lotos Sutras]“; Gebetspraxis des Nichiren Buddhismus]) des Lotos Sutras in der aufgehenden Morgensonne offenbart haben soll.
Taishō-Zeit, 1923. Shōnan Boy. - ^ Der Lobpreis des Lotos-Sutra: „namu myōhō renge kyō“ nimmt die zentrale Position dieses kalligraphischen Mandalas ein. Daneben die Namen von verschiedenen im Lotos Sutra erwähnten Gottheiten, u.a. die Vier Himmelskönige (Shi-Tennō), deren Namen in den vier Ecken zu finden sind.
Nichiren's Coffeehouse.
Glossar
- Fujufuse-ha 不受不施派 ^ Edo-zeitl. Fraktion des Nichiren Buddhismus, die Andersgläubigen „nichts nehmen und nichts geben“ (fujufuse) wollte. Ähnlich wie die japanischen Christen stand auch die Fujufuse-ha auf der Liste verbotener Religionen der Edo-Zeit.
- Hoke-kyō 法華経 ^ Lotos Sutra; skt. Saddharma pundarika sutra; jap. auch Hokkekyō oder Myōhō renge kyō; zählt zu den einflussreichsten Texten des Mahayana-Buddhismus, älteste Fassungen dürften im ersten Jh. v.u.Z. entstanden sein.
- kokka shintō 国家神道 ^ Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK
- Myōhō renge kyō 妙法蓮華経 ^ Lotos Sutra (des Wunderbaren Dharma), skt. Saddharma-pundarīka-sūtra (jap. auch Hoke-kyō)
- namu myōhō renge kyō 南無妙法蓮華経 ^ „Lobpreis dem Lotos Sutra“; Gebetsformel des Nichiren Buddhismus
- Nichiren Shōshū 日蓮正宗 ^ wtl. „wahre Schule des Nichiren“; Untergruppe des Nichiren Buddhismus, gegr. 1912
- nichiren shugi 日蓮主義 ^ Nichirenismus; nationalistische Auslegung Nichiren-buddhist. Lehren; insb. Ideologie des Tanaka Chigaku
- Nichiren-shū 日蓮宗 ^ Nichiren Schule; Sammelnamen für Schulen in der Tradition Nichirens, aber auch Namen einer bestimmten Schule innerhalb des heutigen Nichiren Buddhismus; nicht zu verwechseln mit der 1912 gegr. Nichiren Shōshū
- Oda Nobunaga 織田信長 ^ 1534–1582, Kriegsfürst, Reichseiniger
- Risshō ankoku ron 立正安国論 ^ „Thesen zur Errichtung der Wahrheit und des Friedens im Land“, pol. Traktat von Nichiren, verf. 1260
- Ryōzen Jōdo 霊山浄土 ^ Reines Land im Nichiren Buddhismus; Ryōzen, wtl. mystischer Berg, stellt einen Anspielung auf den Geierberg (auch: Ryōjū-sen 霊鷲山, Berg des mystischen Geiers) dar, wo Buddha u.a. das Lotos Sutra vorgetragen haben soll (s.a. Juhō-sen, Grdhrakuta)
- Satō Hiroo 佐藤弘夫 ^ 1953–; japanischer Religionshistoriker an der Universität Tōhoku, Sendai
- Sōka Gakkai 創価学会 ^ wtl. in etwa „Organisation zum Studium vermehrter Werte“; neu-religiöse buddhistische Laienorganisation, gegr. 1930
- Tanaka Chigaku 田中智学 ^ 1861–1939; ausgeb. buddh. Mönch und Schriftsteller; Begründer des Nichirenismus (nichiren shugi), einer ultra-nationalistischen Auslegung des Nichiren Buddhismus