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Version vom 8. September 2020, 11:29 Uhr
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Religiöse Opfer·gaben begegnen einem in Japan an allen möglichen und un·mög·lichen Orten. Der Charakter dieser Opfer·gaben ist dabei betont fried·voll, Blut·opfer, wie sie beispiels·weise auf dem asia·tischen Kontinent keine Selten·heit sind, findet man im re·ligiösen Alltag Japans keine. Die Vor·stellung, dass ein Opfer mit Ent·behrung und mit Töten zu tun hat, ist nicht einmal auf der sym·bo·lischen Ebene präsent. Im Kontext der ja·pa·nischen Religion ist das Opfer daher eher als Spende (offering) zu ver·ste·hen und tat·säch·lich gibt es im Ja·panischen auch ter·mino·logisch keine klaren Unter·schiede zwischen Spende und Opfer (sonaemono [sonaemono (jap.) 供え物 Opfergabe], hōken [hōken (jap.) 奉献 Spende, Opfergabe, Widmung], kuyō [kuyō (jap.) 供養 Opfer(ritus), Spende; auch: Totenritual]). Hin·gegen könnte man eine Opfer·gabe im Ja·pa·nischen nicht mit dem gleichen Wort wie ein Mord-Opfer (giseisha) be·zeich·nen, wie im Deutschen. „Opfer“ bedeutet also nicht so sehr Schmerz und Ver·zicht, sondern eher einen po·si·tiven Bei·trag zu Ehren einer Gott·heit. In den meisten Fällen ist damit die Erwartung einer kon·kreten Ge·gen·leis·tung seitens der Gott·heit verbunden. Opfer·gaben in diesem Sinne gehören seit jeher zur Aus·übung von Religion in Japan, un·ab·hängig ob shin·tō·istisch oder bud·dhis·tisch.
Opferformen
Olivier Théreaux, 2004, über Internet Archive.
Geldspenden (saisen [saisen (jap.) 賽銭 Spende, Spendengeld]) sind heute die gän·gig·ste Form der Opfer·gabe. Die Summe kann von ein paar Yen-Münzen, die man in den saisen bako [saisen bako (jap.) 賽銭箱 Spendenbox, Kasten für Spendengeld] wirft, bis zu enormen finanz·iellen Bei·trägen zur Er·hal·tung oder Er·neuerung religiöser An·lagen reichen. Daneben gibt es eine Unzahl von symbo·li·schen Opfer·gaben, die man an religiösen Orten auf·stellen kann. Während die meisten sowohl für kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] als auch für Buddhas taug·lich sind, sind z.B. Räucher·stäb·chen, die die Flüchtig·keit des Daseins ver·an·schau·lichen, stark bud·dhis·tisch konnotiert. Das berühmte Zick·zack·papier (gohei [gohei (jap.) 御幣 Papieropfergabe, Zickzack-Papier]) ist dagegen eine symbo·lische Opfer·gabe des Shintō. Es dient häufig zu·sammen mit einem Götter·seil (shimenawa [shimenawa (jap.) 注連縄 shintōistisches „Götter-Seil“; geschlagene Taue aus Reisstroh.]) zur Kenn·zeich·nung eines sakralen Bereichs.
Nahrungsopfer
Im Unterschied zu Europa, findet man in Japan zahl·reiche religiöse Opfer·gaben in Form von Nahrung. Tier·opfer sind allerdings sehr selten, die häufigste Form des Nahrungs·opfers ist Reis. Opfer·reis wird meist zu mochi [mochi (jap.) 餅 Japanische Reiskuchen bzw. Klöße aus gestampftem Reis, die traditionell vor allem zu Neujahr (O-shōgatsu) gegessen werden.] — also zu Teig — gestampft und in eine runde, fla·den·artige Form gebracht. Man nennt dies kagamimochi [kagamimochi (jap.) 鏡餅 Speiseopfer in Form von Reiskuchen (mochi); wtl. Spiegel-Mochi], wtl. „Spiegel-mochi“. Kagami·mochi werden besonders zu Neujahr prächtig arran·giert und den kami dargebracht. Sie werden auf charakter·istischen kleinen Opfer·tischchen (sanbō [sanbō (jap.) 三宝 Drei Schätze oder Drei Juwelen, skt. triratna: Buddha, Dharma, Sangha; im Kontext des Shinto bezeichnet der Begriff ein Opfertischchen, wird in diesem Fall allerdings meist mit den Zeichen 三方 („drei Richtungen“) geschrieben.]) präsentiert.
kamachrome, flickr 2015.
Auch Sake [Sake (jap.) 酒 Reiswein] (Reiswein) wird gern geopfert. Zu großen Feier·tagen werden vor vielen Tempeln und Schreinen Gestelle er·richtet, auf denen die de·kora·ti·ven Fässer des gespen·deten Sakes weithin sicht·bar aus·ge·stellt sind. Große Sake·brauer·eien vereinigen auf diese Weise Werbung mit frommer Andacht.
Vorlage:Sidebox3 In einem etwas be·schei·de·nerem Rahmen werden Früchte und Blumen als Opfer·gaben ver·wendet. Neben den stan·dardi·sierten Opfer·gaben gibt es auch eine ganze Reihe individu·eller Opfer, die Leute aufgrund sehr per·sönli·cher emotionaler Bindungen an bestimmte Gott·heiten spenden. Besonders an weniger pro·mi·nenten sakralen Orten fallen Ge·tränke·dosen, Obst und Kekse ins Auge, die keines·wegs acht·los weg·gewor·fen, sondern sorg·fäl·tig arrangiert sind, um einer Gottheit, die wohl eher Mit·leid als Ehr·furcht erregt, einen Liebes·dienst zu erweisen. Die Jizō [Jizō (jap.) 地蔵 wtl. Schatzhaus/Mutterleib der Erde; skr. Kṣitigarbha; populäre Bodhisattva Figur]-Statuen für ver·storbene Kinder sind beliebte Objekte dieser spirituellen Fürsorge, die sich aber auch auf alle anderen Arten von Gott·heiten beziehen kann. Diese Praxis wirft ein inter·es·san·tes Licht auf das Konzept von Gott·heiten in Japan: Sie sind keineswegs immer überlegen, all·wissend und mächtig, sondern können auch hilfs·bedürftig und ungeschickt sein.
Auch im Rahmen häuslicher Rituale vor dem bud·dhis·tischen Hausaltar werden üblicher·weise Nahrungs·mittel für die Seelen der Ver·stor·benen dargebracht. Es spricht nichts dagegen, sie nach einer Weile selbst zu essen.
Freilassung von Tieren
Der Grund für das Fehlen von Tier·opfern in Japan dürfte im strengen Tötungsverbot des Bud·dhis·mus liegen, das ja auch die tra·di·tio·nelle, über·wiegend vege·tarische Küche Japans stark geprägt hat. Tier·opfer lassen sich in den ältesten Texten Japans zwar nach·weisen, doch wurden sie in den meisten Fällen durch die bud·dhis·tische Frei·lassung von Tieren ersetzt. Bei der·artigen Zeremonien werden ge·fan·gene Wild·tiere (meist Vögel oder Fische) in einem feierlichen Ritus frei·ge·lassen, um damit gutes Karma [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. gō 業)] zu er·wirt·schaften. Solche Frei·las·sungs·zeremonien (hōjō-e [hōjō-e (jap.) 放生会 Rituelle Freilassung von gefangenen Tieren]) werden sogar in einigen Shintō-Schreinen abgehalten.
Es gibt aller·dings ein paar Ausnahmen von der vege·tarischen Opfer·form, z.B. den Nishinomiya Jinja [Nishinomiya Jinja (jap.) 西宮神社 Ebisu Schrein in der Stadt Nishinomiya, Hyōgo-ken, bei Ōsaka] Schrein in Ōsaka, wo Fische geopfert werden, oder den Suwa Schrein, wo auch heute noch tote Wildtiere wie Hirsche oder Hasen bei bestimmten Zeremonien als Opfergaben dargebracht werden.
Wertvolle Opfergaben
Aus der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit (794–1185) gibt es sehr genaue Listen von Opfer·gaben, die den großen Schreinen durch den Hof·staat des Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels] bei re·gel·mäßi·gen großen Zere·monien dar·gebracht werden sollten. An pro·minenter Stelle werden dabei immer Stoffe genannt. Da Stoffe einst eine Art Zah·lungs·mit·tel dar·stellten, kann man aus diesen Berichten schließen, dass Opfer schon damals im Grunde den Unter·halt von religiösen Ins·ti·tu·tio·nen sichern halfen. Opfer dar·bringen bedeutet in Japan also in den sel·ten·sten Fällen wert·volle Dinge zu Ehren der Gott·heit vernichten, sondern eher wert·volle Dinge zur Unter·stützung des Gottes-Dienstes zu spenden. Als Gegen·leistung werden auf dem Tempel- oder Schrein·areal häufig sichtbare Hin·weise auf die Spender auf·ge·stellt. Stein·laternen (tōrō [tōrō (jap.) 灯篭 Laterne, meist Stein oder Metall]) oder Schrein·tore (torii [torii (jap.) 鳥居 Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami]) sind beliebte Gegen·stände, auf denen die Namen subs·tan·tieller Spender für alle Welt sichtbar aus·gestellt sind. Die Laternen des Kasuga Schreins [Kasuga Taisha (jap.) 春日大社 Kasuga Schrein, Nara; ehemals Ahnenschrein der Fujiwara] in Nara oder die torii des Fushimi Inari Schreins [Fushimi Inari Taisha (jap.) 伏見稲荷大社 Großschrein der Gottheit Inari in Fushimi, im Süden Kyōtos] in Kyōto sind dank der zahl·reichen Unter·stützer dieser Schreine zu riesigen Gesamt·kunst·werken zu·sam·men·ge·wachsen. Obwohl die Form der jeweiligen Spenden·objekte stan·dar·di·siert ist, trägt jedes einzelne eine andere Auf·schrift und ist insofern wiederum ein·zig·artig. Am häufigsten kommt diese Form von kollek·tiven Opfer-Kunst·werken in Form von Votiv·bildern (ema [ema (jap.) 絵馬 Votivbild; wtl. Bild-Pferd]) zum Ausdruck.
Ema: Pferdebilder, auch ohne Pferde
Vorlage:Sidebox3 Wie bereits erwähnt, werden Tiere im re·ligiösen Kontext Japans üblicher·weise nicht getötet, al·ler·dings gibt es sehr wohl Tiere als Opfer oder Spende, die entweder frei·ge·lassen oder auf dem Schrein·gelände gehalten werden. In alter Zeit sah man besonders weiße Tiere als religiös be·deu·tungs·voll1 an und hielt sie in religiösen Kult·stätten fest. Weiße Pferde zählten zur obersten Kategorie solcher Opfer·gaben. Obwohl sich dieser Brauch ver·einzelt bis heute gehalten hat, ging man mit der Zeit dazu über, statt lebendiger Pferde Statuen und Bilder dar·zu·bringen.
Werk von Kanō Sanraku (1559–1635). Frühe Edo-Zeit, 1614. Hideyoshi to Kyōto. Toyokuni jinja shahōde [Austellungskatalog], Kyōto: Toyokuni Jinja, 1998.
Onizuka Kentarō, 2001.
Bildquelle: unbekannt.
In vielen Schreinen und Tempeln findet man heute noch die „Hallen der Bild-Pferde“ (ema-dō, ema-den) mit präch·tigen Gemälden. Obwohl der Name ema [ema (jap.) 絵馬 Votivbild; wtl. Bild-Pferd] (wtl. „Bild-Pferd“) bei·be·halten wurde, findet man auch ganz andere Motive als Pferde dar·gestellt. Schließ·lich wurden diese bild·lichen Opfer·gaben immer kleiner. Heute versteht man unter ema kleine Holz·täfel·chen mit vor·ge·druckten Bildern, die man bei fast jedem Schrein oder Tempel erwerben kann. Kein Opfer ohne bestimmten Zweck: Dem ja·pa·nischen Ver·ständ·nis von Religion wider·spricht es keines·wegs, ema-Täfelchen mit ganz konkreten, durchaus ego·is·ti·schen Bitten zu be·schriften, um sie dann als kleine Opfer·gabe darzubringen (s. Sidepage).
Blut- und Selbstopfer im alten Japan
Vorlage:Sidebox3 Trotz des friedlichen Charakters ja·panischer Opfer·gaben, sind Blut- und Selbst·opfer in Japan keines·wegs unbe·kannt — man denke nur an die Tradition des seppuku [seppuku (jap.) 切腹 ritueller Selbstmord durch Bauchschnitt; „Harakiri“] (harakiri), beispiels·weise um als Vasall seinem Herrn in den Tod zu folgen, oder an die kamikaze [kamikaze (jap.) 神風 Götterwind; urspr. ein poetischer Beinamen der Provinz Ise, wird der Begriff seit den Mongolenangriffen des 13. Jh.s mit göttlichem Schutz im Krieg assoziiert und daher auch mit den Selbstmord-Piloten des 2. Weltkriegs in Verbindung gebracht]-Selbst·mord Piloten. Ent·spre·chende Rollen·vor·bilder finden sich auch zahl·reich in japani·schen Krieger·epen.
Es gibt für Selbst·o·pfe·run·gen sogar religiöse Vorbilder, die aller·dings in heutiger Zeit kaum noch bekannt sind. Der Bud·dhis·mus selbst enthält z.B. einige Beispiele von Bodhi·sattvas, die ihr Leben opfern, z.B. die Selbstverbrennung des Yakuō.
In grauer Vor·zeit mag es neben Tier·opfern sogar Men·schen·opfer gegeben zu haben, die aber unter bud·dhis·ti·schem Einfluss zu·rück·ge·drängt wurden. Es gibt jeden·falls keine ein·deutigen Hinweise, dass irgend eine bekannte religiöse In·sti·tution in historisch gut doku·men·tierter Zeit je ein Menschen·opfer gefordert hätte. Legenden oder semi-historische Berichte zeigen allerdings auf, dass die Vorstellung von Menschen·opfern im kultur·ellen Gedächtnis ständig präsent war. Vor allem Schlangen·gott·heiten, die eine tief·sitzende Verb·indung zum Wasser haben (siehe Kap. Mythen, Imaginäre Tiere), werden als Re·zipienten von Menschen·opfern genannt. Ent·sprech·ende Bei·spiele werden auf der Essay-Seite „Essays/Opfer“ vor·gestellt.
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Die Re·gier·ungs·devise Hakuchi 白雉 („Weißer Fasan“), die die Zeit von 650 bis 672 bezeichnet, leitet sich zum Bei·spiel vom Fund eines eben·solchen Vogels her.
Internetquellen
- Votivbilder des Konpira-Schreins in Shikoku, Chindera Dai-Dōjō (jap.)
Bilder
- ^ Zeremonielles Dekor für Shintō-Riten. Abgesehen von Papier in der charakteristischen Zickzack Form sind auch Bastfäden des Papiermaulbeerbaums zu erkennen. Diese dürften die ursprüngliche Form der gohei (auch heihaku) dargestellt haben.
taima.org, (Cannabis in Japan). - ^ Sake und Bier als Opfergaben (sonaemono) am Tsurugaoka Hachiman Schrein.
Olivier Théreaux, 2004, über Internet Archive. - ^ Gestell mit Opfersake in Strohfässern (koromo) im Tsurugaoka Hachiman Schrein, Kamakura.
kamachrome, flickr 2015.
- ^ Das Votivbild (ema) wurde für den Toyokuni Schrein des Toyotomi Hideyoshi in Kyōto angefertigt.
Werk von Kanō Sanraku (1559–1635). Frühe Edo-Zeit, 1614. Hideyoshi to Kyōto. Toyokuni jinja shahōde [Austellungskatalog], Kyōto: Toyokuni Jinja, 1998. - ^ Am Kiyomizu-dera in Kyōto hinterlassen auch westliche Touristen gerne ihre Wünsche in Form von ema.
Onizuka Kentarō, 2001. - ^ Ema-Halle, wie man sie auch heute noch bei manchen großen Tempeln und Schreinen findet. Neben einigen großformatigen Bildern mit individuellen Motiven, sind kleinformatige, standardisierte Darstellungen zu sehen, einige davon mit Pferdemotiv. Diese Bilder wurden wahrscheinlich — ähnlich wie heute — direkt vor Ort gekauft und gespendet. Einige der Bilder entstanden bereits in der Edo-Zeit.
Bildquelle: unbekannt.
Glossar
- kagamimochi 鏡餅 ^ Speiseopfer in Form von Reiskuchen (mochi); wtl. Spiegel-Mochi
- mochi 餅 ^ Japanische Reiskuchen bzw. Klöße aus gestampftem Reis, die traditionell vor allem zu Neujahr (O-shōgatsu) gegessen werden.
- saisen bako 賽銭箱 ^ Spendenbox, Kasten für Spendengeld
- Suwa Taisha 諏訪大社 ^ traditionsreicher Schrein in der Präfektur Nagano