Geschichte/Staatsshinto/Shinbutsu bunri: Unterschied zwischen den Versionen
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von professionellen Shintō-Priestern betreut (Maeda 2001, S. 335–36). | von professionellen Shintō-Priestern betreut (Maeda 2001, S. 335–36). | ||
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− | Auf längere Sicht gesehen herrschte in der Meiji-Zeit ein pragmatischer Geist, der allen Religionen gegenüber grundsätzlich skeptisch eingestellt war und ihren Einfluss zugunsten der Modernisierung der Gesellschaft | + | Auf längere Sicht gesehen herrschte in der Meiji-Zeit ein pragmatischer Geist, der allen Religionen gegenüber grundsätzlich skeptisch eingestellt war und ihren Einfluss zugunsten der Modernisierung der Gesellschaft zurückzudrängen suchte. Während England und Frankreich eine ähnliche Säkularisierung der Gesellschaft schon früher vollzogen hatten, zeigen sich starke Parallelen zwischen Japan und Deutschland zu dieser Zeit.<!-- |
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Die katholischen Länder Italien und Österreich waren in dieser Hinsicht Nachzügler. | Die katholischen Länder Italien und Österreich waren in dieser Hinsicht Nachzügler. | ||
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Aktuelle Version vom 9. Januar 2023, 17:47 Uhr
Unter shinbutsu bunri [shinbutsu bunri (jap.) 神仏分離 Trennung von kami und Buddhas; religionspolitische Maßnahme zur Entflechtung von buddh. Tempeln und Shintō-Schreinen; vereinzelt in der Edo-Zeit, vor allem aber für die frühe Meiji-Zeit (1868–1873) charakteristisch], wtl. die Trennung von kami und Buddhas, versteht man die Entflechtung von „shintōistischen“ und buddhistischen Lehren, Verehrungsgegenständen und Institutionen. Diese koexistierten bis zum Beginn der Moderne typischerweise in „Tempel-Schrein Komplexen“, die fast immer unter buddhistischer Oberaufsicht standen. Die heute übliche Form von Tempeln und Schreinen als autonome religiöse Körperschaften ist ein Produkt der Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit, als ihre Trennung oder Entflechtung per Gesetz angeordnet wurde. Shintō sollte dadurch als eigene Religion unabhängig vom Buddhismus praktizierbar werden. Der Buddhismus hingegen wurde von den meisten Meiji-Reformern als Teil der „althergebrachten Übel“ der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit angesehen, die es zu überwinden galt. Dies führte zu einer kurzen, aber heftigen Phase der buddhistischen Verfolgung.
Edo-Zeit, 1782–1825. Yuichi Momma, flickr, 2011.
Darüber hinaus hegten viele Reformer den Plan, Shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] zu einer Staatsreligion nach dem damaligen westlichen Muster von Kirche und Staat umzuformen. Dieses Vorhaben konnte zwar nie vollkommen realisiert werden, doch haben erst die Maßnahmen der Meiji-Zeit dazu geführt, dass Shintō und Buddhismus [bukkyō (jap.) 仏教 Lehre des Buddha, Buddhismus] heute allgemein als gegensätzliche, von einander getrennte „Religionen“ angesehen werden. In der Vormoderne verehrte man dagegen einfach zwei unterschiedliche Klassen von Gottheiten, die einem gemeinsamen System von Werten und Lehren untergeordnet waren.
Dieser Artikel bietet einen kurzen Überblick, wie es zu dieser häufig „ignorierten kulturellen Revolution“ (Grapard 1984) kam.
Shinbutsu bunri in der Edo-Zeit
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in der frühen Edo-Zeit nahm auch die Zahl der religiösen Institutionen zu. Einerseits stärkte das terauke [terauke seido (jap.) 寺請制度 System der buddhistischen Zertifikation der Rechtgläubigkeit]-System die Position der Tempel, die ja auch administrative Aufgaben, v.a. die regelmäßige behördliche Erfassung aller Einwohner, zugeteilt bekamen. Auf der anderen Seite gewannen kleine regionale Schreine als kultische Zentren der relativ autonomen Dorfgemeinschaften immer mehr an Bedeutung. Die weltlichen Autoritäten bemühten sich allerdings, die Zahl von religiösen Neugründungen einzudämmen. Die Gründe dafür lagen in erster Linie in den finanziellen Mitteln, die die Bevölkerung den Tempeln und Schreinen spendete, statt sie in Form von Steuern den Landesfürsten zukommen zu lassen. Schon im 17. Jahrhundert erließ das Shōgunat daher eine Reihe von Verordnungen, die die Errichtung neuer religiöser Stätten untersagten, meist jedoch ohne nachhaltige Wirkung.
Beeinflusst von der konfuzianischen Kritik am Buddhismus gingen einzelne Daimyō [Daimyō (jap.) 大名 Territorialfürst, Titel des Kriegeradels] einen Schritt weiter und ordneten in ihren Gebieten die systematische Zerstörung von buddhistischen Tempeln an.1 Manche versuchten auch, die administrativen Aufgaben des terauke-Systems an Schreine zu übertragen, um die Zahl der Tempel und Mönche zu reduzieren. Tokugawa Mitsukuni [Tokugawa Mitsukuni (jap.) 徳川光圀 1628–1701; Daimyō von Mito, konfuzianischer Gelehrter und Historiker] führte etwa in Mito [Mito (jap.) 水戸 Fürstentum bzw. Stadt im Nordosten der Kantō-Ebene, heute Teil von Ibaraki-ken.] (östliche Kantō Ebene) bereits im 17. Jahrhundert das Prinzip „ein Dorf, ein Schrein“ ein, während er die Zahl der Tempel drastisch reduzierte. Es gab also schon in der frühen Edo-Zeit vereinzelte religionspolitische Maßnahmen, die die „Trennung von kami und Buddhas“ und den damit einhergehenden Anti-Buddhismus der Meiji-Zeit vorwegnahmen. (S. dazu Daimyatsshintō.)
In der Praxis bewährten sich jedoch Tempel besser für administrative Zwecke, da nur wenige Schreine über eine eigene Priesterschaft (shinshoku [shinshoku (jap.) 神職 allg. Bez. für Shintō-Priester]) verfügten. Erbliche Priesterdynastien waren zwar in großen Schreinen fix verankert, doch die meisten Dorf-Schreine kamen ohne eigene religiöse Spezialisten aus.2 Zumeist verrichteten örtliche buddhistische Mönche oder yamabushi [yamabushi (jap.) 山伏 Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō] den Dienst für die kami oder Vertreter der Dorfgemeinschaft wechselten einander in religiösen Aufgaben ab. Die honji suijaku [honji suijaku (jap.) 本地垂迹 wtl. Grundform und herabgelassene Spur; Theorie der Identität von kami und Buddhas]-Konzeption, nach der kami eine Art „Manifestation“ bestimmter Buddhas darstellten, ließ derartige synkretistische Praktiken als vollkommen natürlich erscheinen.
Ende der Edo-Zeit änderte sich diese Einstellung jedoch. Die zunehmende Unzufriedenheit mit der Tokugawa [Tokugawa (jap.) 徳川 Kriegerdynastie, die während der Edo- oder Tokugawa-Zeit (1603–1867) das Amt des Militärmachthabers (Shōgun) inne hatte.]-Herrschaft schloss zumeist auch eine Kritik am Buddhismus mit ein. Nationalistische bzw. nativistische Ideologien begannen, Shintō und Buddhismus gegen einander auszuspielen. Während auf politischer Ebene das Kaiserhaus als positive Alternative zum Shōgunat aufgebaut wurde, sollte auf religiöser Ebene der Shintō den Buddhismus ersetzen. Besonders die Schule des kokugaku [kokugaku (jap.) 国学 „Lehre des Landes“, Nationale Schule, Nativismus; in der Edo-Zeit entstandene Gelehrtentradition, die ihren Fokus auf das nationale Erbe Japans richtete]-Gelehrten Hirata Atsutane [Hirata Atsutane (jap.) 平田篤胤 1776–1843; kokugaku-Gelehrter] lancierte die Idee einer „Restauration des alten Shintō“ (fukko shintō [fukko shintō (jap.) 復古神道 „Restauration des antiken Shintō“; Restaurations-Shintō]).
In einzelnen Daimyaten kam es daher in der Bakumatsu [bakumatsu (jap.) 幕末 Ende des Tokugawa-Shōgunats, 1853–1867; wtl. Ende der Zeltregierung (bakufu)]-Zeit (19. Jh.) zur Wiederaufnahme der shinbutsu bunri Politik der frühen Edo-Zeit. Interessanterweise deckte sich diese Entwicklung mit dem Aufkommen der sonnō jōi [sonnō jōi (jap.) 尊王攘夷 „Ehrt den Kaiser, verjagt die Barbaren“; anti-westlicher Slogan des 19. Jh.s (Zitat aus den Frühling- und Herbstannalen des Konfuzius)]-Ideologie. Xenophobie, Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels]-Loyalismus und Anti-Buddhismus bildeten also eine ideologische Einheit. Auf all diesen Gebieten stellte Mito auch im 19. Jahrhundert einen Brennpunkt dar. Hier nahm Tokugawa Nariaki [Tokugawa Nariaki (jap.) 徳川斉昭 1800–1860; Daimyō von Mito; Staatsmann; Vertreter der sonnō jōi-Ideologie] die „Ein Schrein, ein Dorf“ Politik seines Vorfahren wieder auf. Doch auch in Satsuma [Satsuma (jap.) 薩摩 alte Provinz im Süden der Insel Kyūshū, in der Edo-Zeit Fürstentum (Daimyat), das sich weitgehend mit der heutigen Präfektur Kagoshima deckte.] (Kyūshū) trennte man Schreine und Tempel, um in der Folge die Zahl der buddhistischen Tempel zu reduzieren. Schließlich gab es 1867 in Tsuwano [Tsuwano (jap.) 津和野 Fürstentum bzw. Stadt im Westen der Hauptinsel Honshū, heute Teil von Shimane-ken.] eine radikale Trennung von Tempeln und Schreinen nach dem Muster der Mito Region. Tsuwano lag neben dem mächtigen Chōshū [Chōshū (jap.) 長州 auch Nagato; alte Provinz im Westen von Japans Hauptinsel Honshū, heute Teil von Yamaguchi-ken.], einem Big Player der Restaurationsbewegung, und teilte dessen gegen das Shōgunat gerichtete Politik. Dies mag der Grund dafür sein, dass der Daimyō von Tsuwano, Kamei Koremi [Kamei Koremi (jap.) 亀井茲監 1825–1885; Daimyō von Tsuwano; nach 1868 führende Ämter in der Administration von Shintō Schreinen], und sein Vasall Fukuba Bisei [Fukuba Bisei (jap.) 福羽美静 1831–1907; Gelehrter und Vasall des Daimyō von Tsuwano; nach 1868 führende Ämter in der Administration von Shintō Schreinen; Universitätsgründer] zu Beginn der Meiji-Zeit dazu auserkoren wurden, die Trennung von Tempeln und Schreinen auch auf nationaler Ebene durchzusetzen.
Shinbutsu bunri in der Meiji-Zeit
Formell erhielten Kamei und Fukuba die führenden Posten in einer Institution, die zunächst in Anlehnung an antike Vorbilder als „Götteramt“, Jingi-kan [Jingi-kan (jap.) 神祇官 Götteramt, wtl. Amt für Götter des Himmels und der Erde], bezeichnet wurde. Das Götteramt war für kurze Zeit sogar das höchste Regierungsorgan im jungen Meiji-Staat und begann im April 1868, unmittelbar nach der Unterzeichnung des 5-Artikel-Eids [Gokajō no go-seimon (jap.) 五箇条の御誓文 „5-Artikel-Eid“; erste Grundsatzerklärung der Meiji-Regierung; 6. April 1868], seine Arbeit. Es verlautbarte zwischen April und Oktober 1868 eine Reihe von Verordnungen, die unter der Bezeichnung shinbutsu bunri no rei [shinbutsu bunri no rei (jap.) 神仏分離令 Verordnungen zur Trennung von kami-[Schreinen] und Buddha-[Tempeln] (ab 1868)] zusammengefasst werden und eine ähnliche Trennung von buddhistischen und shintōistischen Institutionen anordneten wie zuvor in Mito, Satsuma und Tsuwano. Im besonderen richteten sich die Verordnungen gegen buddhistische Titel für kami (etwa gongen [gongen (jap.) 権現 wtl. „vorläufige Erscheinung“ (vgl. gon); buddh. Titel für kami] oder Bodhisattva [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)]), buddhistische Statuen als Schreinheiligtümer (shintai [shintai (jap.) 神体 heiliges Objekt eines Shintō-Schreins; wtl. „Gottkörper“]) und buddhistische Gebäude wie Pagoden auf Schreinareal. Inbesondere die metallenen Tempelglocken sollten eingeschmolzen und für militärische Zwecke nutzbar gemacht werden. Auch sahen sie die Laisierung von Mönchen vor, die in Schreinen Dienst taten.
Werk von Tanaka Nagane (1849–1922). 1907. Wikimedia Commons.
Die shinbutsu bunri Verordnungen lösten landesweit eine Welle von anti-buddhistischen Ausschreitungen (haibutsu kishaku [haibutsu kishaku (jap.) 廃仏毀釈 wtl. Abschaffung von Buddha, Zerstörung von Shaka; Bezeichnung für anti-buddhistische Ausschreitungen der frühen Meiji-Zeit]) aus, die in dieser Heftigkeit möglicherweise nicht erwartet worden waren. Nicht nur Gebäude und Tempelschätze wurden zerstört, auch die Mönche selbst mussten teilweise um ihr Leben fürchten. Offenbar fanden die lange aufgestauten Ressentiments gegen die Herrschaft der Tokugawa, die den Buddhismus erfolgreich in ihre Dienste genommen hatten, ein Ventil in den Ausschreitungen gegen buddhistische Tempel. Die neue Regierung erließ daher bald auch Verordnungen, die zur Mäßigung aufriefen, doch insgesamt war ein erstes Ziel bald erreicht, nämlich die Anzahl an religiösen Institutionen im Interesse einer effizienteren Nutzung nationaler Ressourcen zu reduzieren.
Der nächste Schritt, die Etablierung des Shintō als Staatsreligion, erwies sich als wesentlich schwieriger. Man erfand für diesen Zweck die Kampagne des Großen Lernens (taikyō senpu undō [taikyō senpu undō (jap.) 大教宣布運動 Kampagne des Großen Lernens oder auch Große Indoktrinierungs-Kampagne, 1870–1884; staatl. Initiative der frühen Meiji-Zeit zur Verbreitung der Ideale des Tennō-Loyalismus]), die allerdings rasch ihre Ziele änderte, bald auch Buddhisten in ihre Reihen aufnahm und nach wenigen Jahren von den politischen Machthabern wieder fallen gelassen wurde. Das Ideal einer shintōistischen Staatsreligion lebte jedoch in nationalistischen Kreisen weiter fort und begann sich im zwanzigsten Jahrhundert erneut zu entfalten.
Neue Schrein-Identitäten
Obwohl die Religionspolitik der Meiji-Zeit sehr bald einen pragmatischen Kurs einschlug, der die Wiederbelebung alter Traditionen hinter das Ziel der technischen Modernisierung zurückstellte, wurde die Trennung von kami [kami (jap.) 神 Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] und Buddhas [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)]}} nicht widerrufen und veränderte die religiöse Landschaft Japans weiter. Es musste sich nämlich jede religiöse Anlage entscheiden, ob sie nun ein Tempel war oder ein Schrein. War der Hauptverehrungsgegenstand ein Buddha, so rechnete man die Anlage üblicherweise dem Buddhismus zu, was bedeutete, dass alle Schreine aus dem Areal entfernen werden mussten. Wurde jedoch in erster Linie eine kami-Gottheit oder eine lokale Heldenfigur verehrt, so galt die Anlage als Schrein und musste alle buddhistischen Gebäude und Paraphernalia auf dem Schreingelände beseitigen.
Auch Schreine stellte diese Regel vor große Probleme, da sie ja, wie erwähnt, zum Großteil von buddhistischen Mönchen betreut worden waren. Hier kam es in der Praxis zu den unglaublichsten Anpassungen und Tricks. Viele buddhistische Mönche wechselten einfach die Konfession, praktizierten aber die lokalen, nunmehr „shintōistischen“ Riten unverändert weiter fort. Erst nach und nach entstand eine Art Standard-Ritualismus für Shintō-Schreine nach dem Muster von Ise [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū], der viele regionalspezifische Schreinriten zurück drängte. Die Durchsetzung dieser Standardisierung scheint allerdings starken regionalen und periodischen Schwankungen unterlegen zu sein.3 Nach dem zweiten Weltkrieg kam es oft zu einem Revival lokaler Besonderheiten.
Beispiel Mitsumine Schrein
Bernhard Scheid, 2007.
Hirose Kazutoshi [Hirose Kazutoshi (jap.) 広瀬和俊 1931–; Oberpriester des Mitsumine Jinja Schreins westlich von Tōkyō], Oberpriester des Mitsumine [Mitsumine Jinja (jap.) 三峰神社 Schrein in den Bergen von Chichibu, westlich von Tōkyō] Schreins westlich von Tōkyō, veröffentlichte 1996 einen Bericht über seinen Schrein und dessen wechselvolle Geschichte. Mitsumine war in der Edo-Zeit ein bekanntes Zentrum des Shugendō [Shugendō (jap.) 修験道 gemischt-rel. Bergkult, Orden der yamabushi] und daher eher ein buddhistischer „Tempel“ als ein „Schrein“. Hiroses Familie kam ursprünglich aus Kyōto und wurde Ende der Edo-Zeit als yakusō [yakusō (jap.) 役僧 wtl. „Amtsmönch“; mit Verwaltungsaufgaben betreuter Mönch der Edo-Zeit] (wtl. „Amtsmönche“) in Mitsumine angestellt. Hiroses Vorfahren waren also, obwohl verheiratet, buddhistische Kleriker, während der gesamte Komplex unter der Führung eines zölibatären „Klosterherren“ (sanshu) stand. Nach dem Umsturz von 1868 wurde Mitsumine jedoch zum „Schrein“. Der Klosterherr wurde entlassen, doch die Vorfahren Hiroses wurden zu Shintō-Priestern und hielten nun alternierend mit einer weiteren ehemals buddhistischen Familie das Amt des Oberpriesters (gūji [gūji (jap.) 宮司 höherrangiger Shintō-Priester]) inne. Hirose selbst setzte diese Tradition fort. Sein Bericht erweckt nicht den Eindruck, dass dieser Etikettenwechsel viel an der Form und an der Ernsthaftigkeit änderte, mit der die Familie ihre Rituale durchführte. Offenbar wurde der erzwungene Wechsel vom Buddhismus zum Shintō als weniger belastend empfunden als die Übersiedlung von Kyōto in die gebirgige und rustikale Umgebung von Mitsumine.4
Säkularisierung und Pragmatismus
Auf längere Sicht gesehen herrschte in der Meiji-Zeit ein pragmatischer Geist, der allen Religionen gegenüber grundsätzlich skeptisch eingestellt war und ihren Einfluss zugunsten der Modernisierung der Gesellschaft zurückzudrängen suchte. Während England und Frankreich eine ähnliche Säkularisierung der Gesellschaft schon früher vollzogen hatten, zeigen sich starke Parallelen zwischen Japan und Deutschland zu dieser Zeit.5 Die scheinbare Bevorzugung des Shintō diente also zunächst lediglich als ein Mittel der Entmachtung des Buddhismus, wirkte sich aber nur auf wenige Schreine positiv aus. Die schleichende Säkularisierung ist auch am Schicksal des Götteramtes Jingi-kan [Jingi-kan (jap.) 神祇官 Götteramt, wtl. Amt für Götter des Himmels und der Erde] abzulesen, das sukzessive herabgestuft und schließlich ganz abgeschafft wurde.
Mit dieser raschen Abkehr von einer echten Förderung des Shintō in der frühen Religionspolitik der Meiji-Zeit scheint auch eine systematische Ausschaltung der „Traditionalisten“ in den Reihen der führenden Politiker einher gegangen zu sein. Dies betraf vor allem kokugaku-Ideologen wie etwa Kamei und Fukuba. Diese wechselten von der Politik zu Wissenschaft und Pädagogik und engagierten sich im Aufbau des neuen Bildungssystems. Ihr traditionalistischer Nationalismus verlagerte sich also in die Schulen (s. Kaiserlicher Ehrziehungserlass) und wurde auf diese Weise an neue Generationen weitergegeben, die auf Gelegenheiten warteten, um ihn neuerlich in die Tat umzusetzen.
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Scheid 2003.
- ↑ In der Provinz Musashi (heute Saitama-ken und Tōkyō) wurden beispielsweise im 18. Jahrhundert nur vier Prozent der Schreine von professionellen Shintō-Priestern betreut (Maeda 2001, S. 335–36).
- ↑ Endō 2013.
- ↑ Hirose 1996.
- ↑ Die katholischen Länder Italien und Österreich waren in dieser Hinsicht Nachzügler.
Literatur
Bilder
- ^ Bei genauer Betrachtung erkennt man bei beiden Arhat-Figuren „Narben“ im Hals- und Brustbereich. Es sind Spuren der anti-buddhistischen Ausschreitungen in den ersten Jahren der Meiji-Zeit (ab 1868), in denen buddhistische Steinstatuen systematisch enthauptet wurden. Später wurden viele dieser Statuen wieder in Stand gesetzt.
Edo-Zeit, 1782–1825. Yuichi Momma, flickr, 2011. - ^ Zerstörung von Tempelglocken im Zuge anti-buddhistischer Maßnahmen (haibutsu kishaku) in Nishio-shi (Präfektur Aichi), 1871.
Werk von Tanaka Nagane (1849–1922). 1907. Wikimedia Commons.
- ^ Torii und Steinlaternen am Aufgang zum Mitsumine Schrein (jinja) in den Bergen westlich von Tōkyō. Der Schrein war bis zur Meiji-Zeit ein buddhistischer Tempel.
Bernhard Scheid, 2007.
Glossar
- Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व ^ „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)
- fukko shintō 復古神道 ^ „Restauration des antiken Shintō“; Restaurations-Shintō
- Fukuba Bisei 福羽美静 ^ 1831–1907; Gelehrter und Vasall des Daimyō von Tsuwano; nach 1868 führende Ämter in der Administration von Shintō Schreinen; Universitätsgründer
- Gokajō no go-seimon 五箇条の御誓文 ^ „5-Artikel-Eid“; erste Grundsatzerklärung der Meiji-Regierung; 6. April 1868
- haibutsu kishaku 廃仏毀釈 ^ wtl. Abschaffung von Buddha, Zerstörung von Shaka; Bezeichnung für anti-buddhistische Ausschreitungen der frühen Meiji-Zeit
- honji suijaku 本地垂迹 ^ wtl. Grundform und herabgelassene Spur; Theorie der Identität von kami und Buddhas
- Kamei Koremi 亀井茲監 ^ 1825–1885; Daimyō von Tsuwano; nach 1868 führende Ämter in der Administration von Shintō Schreinen
- Mitsumine Jinja 三峰神社 ^ Schrein in den Bergen von Chichibu, westlich von Tōkyō
- shinbutsu bunri 神仏分離 ^ Trennung von kami und Buddhas; religionspolitische Maßnahme zur Entflechtung von buddh. Tempeln und Shintō-Schreinen; vereinzelt in der Edo-Zeit, vor allem aber für die frühe Meiji-Zeit (1868–1873) charakteristisch
- shinbutsu bunri no rei 神仏分離令 ^ Verordnungen zur Trennung von kami-[Schreinen] und Buddha-[Tempeln] (ab 1868)
- taikyō senpu undō 大教宣布運動 ^ Kampagne des Großen Lernens oder auch Große Indoktrinierungs-Kampagne, 1870–1884; staatl. Initiative der frühen Meiji-Zeit zur Verbreitung der Ideale des Tennō-Loyalismus
- terauke seido 寺請制度 ^ System der buddhistischen Zertifikation der Rechtgläubigkeit