I-00

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(Vorwort zu Band 1)
SNKBT 30: 2-5, Bohner 1934: 60-61, Nakamura 1997: 99-101

Bedenkt man es recht, so begann man zu unterschiedlichen Zeiten, die Inneren Leitfäden (naikyō 內経) [des Buddhismus] und die Äußeren Schriften (gesho 外書) [des Konfuzius][1] nach Japan zu überliefern. Alle aber gelangten über das Land Baekje[2] hier her. In der Regierungszeit des Kaisers Homuda (Ōjin)[3], der im Palast Toyoakira in Karushima [4]residierte, kamen die Äußeren Schriften; in der Regierungszeit des Kaisers Kinmei, der im Palast Kanazashi in Shikishima[5] residierte, kamen die Inneren Schriften 內典[6]. Doch war es bald so, dass jene, die die Äußeren Schriften studierten, das Gesetz Buddhas verspotteten, und dass jene, die die Inneren Schriften lasen, die Äußeren 外典 missachteten. Jene Toren glaubten nicht an strafende Vergeltung oder Belohnung (zaifuku 罪福). Die aber tiefe Einsicht hatten, studierten sowohl Äußere als auch Innere Schriften und achteten [das Gesetz von] Ursache und Wirkung (inga 因果).

[So auch] die Generationen Himmlischer Herrscher [in unserem Lande]: Einer stieg auf einen hohen Berg [sah sich um] und wurde von solchem Mitleid ergriffen, dass er aus Obsorge für das Volk selbst in einem Palast wohnte, durch dessen Dach der Regen troff.[7] Ein anderer war von Geburt an mit Weisheit begabt, konnte die Zukunft vorhersehen und zehn Anliegen gleichzeitig vernehmen, ohne ein Wort zu überhören.[8] In seinem 25. Jahr bat ihn der Tennō, die Sutren des Großen Fahrzeugs[9] zu erläutern. Seine Kommentare wurden aufgezeichnet und an künftige Generationen weiter tradiert. Wieder ein anderer schwor, demütig eine Statue Buddhas zu errichten.[10] Der Himmel folgte seinen Bitten und die Erde brachte ihm ihre Schätze dar.[11]

Auch gab es [in diesem Land] große Mönche, deren Tugend an die Zehn Stadien [des Bodhisattvas] (jūji 十地) heranreichte und deren Weg die beiden Fahrzeuge überschritt.[12] Ihre Weisheit war ein Licht, das die dunkelsten Pfade erhellt, ihre Barmherzigkeit ein Schiff, das die Ertrinkenden rettet, sie unterzogen sich den strengsten asketischen Übungen und ihre Namen waren selbst in fernen Ländern bekannt.[13] Was die Weisen der heutigen Zeit betrifft, ist es schwer, ihre Verdienste abzuschätzen.

Wenn ich, der Mönch (shamon 沙門) Kyōkai aus dem Yakushi-ji in Nara, aber nun in aller Ruhe die Leute dieser Welt[14] betrachte, so [erkenne ich viele] die niedrigen Lastern frönen:[15] Ihr Verlangen nach Profit und Reichtum ist stärker als die Anziehungskraft eines Magneten von der Größe eines Berges. Ihre Gier nach dem Anteil der anderen und ihr Geiz mit dem eigenem ist gnadenloser als der Mühlstein, wenn er das Hirsekorn zermalmt und die Kleie herauspresst. Dieser bestahl seinen Tempel und wurde dafür als Kalb wiedergeboren. Jener verspottete Dharma und Sangha und wurde dafür im hiesigen Leben bestraft. Andere aber unterwarfen sich dem Weg [des Buddha], praktizierten viele Übungen und wurden in diesem Leben belohnt. Oder sie taten Gutes in tiefem Glauben und waren ein Leben lang glücklich.

Wie der Schatten der Gestalt folgt, werden Gutes und Schlechtes mit Freude und Leid vergolten, gleich dem Echo, das im Tale widerhallt.[16] Die solches sehen und hören, mögen zunächst staunen, vergessen es aber genau so rasch wieder.[17] Wer fehlgegangen ist, erzittert vor Furcht, doch bald verfällt er wieder der Faulheit[18]. Würde sich [die Konsequenz] von Gutem und Schlechtem aber gar nicht zeigen, wie sollten wir da Krummes gerade biegen,[19] wie entscheiden zwischen Für und Wider 是非? Hätten wir keine Demonstration der Vergeltung von Ursache und Wirkung, wie sollten wir unsere schlechten Gedanken abstreifen und den Weg des Guten einschlagen?

Vor langer Zeit verfasste man im Reich der Han die Berichte der unsichtbaren Vergeltung und im Großen Tang Reich die Berichte von den Wundern [des Sutras] der Höchsten Einsicht.[20] Wieso sollten wir diese Berichte aus fremden Ländern hochachten, ohne die Wunder im eigenen Land ehrfurchtsvoll zur Kenntnis zu nehmen? Nachdem ich selbst Zeuge [solcher Wunder] wurde, kann ich nicht mehr müßig bleiben. Ich habe alles reiflicher überlegt und kann nun nicht länger schweigen. Und so schrieb ich das wenige, das ich vernommen hatte, auf und nannte es „Berichte von den Wundern der sichtbaren Vergeltung guter und schlechter Taten im Lande Japan“.[21] In drei Bänden übergebe ich es der Nachwelt. Ich, Kyōkai, aber bin nicht mit Weisheit begabt, sondern träg von Verstand und schwer von Begriff. Mein Wissen gleicht einem Frosch im Brunnen[22] und irrt richtungslos umher. Den Kunstwerken der Meister füge ich plumpes Schnitzwerk hinzu. Ich fürchte, ihr Herz erkaltet und ihre Hand erleidet Schaden. [Mein Werk] ist wie ein Kieselstein neben [der Jade aus] den Bergen von Kunlun. Die mündlichen Erzählungen [die ich vernahm] sind ungenau, vieles ist vergessen und ausgelassen worden. Beseelt von dem Wunsch Gutes zu tun, vermag ich vielleicht nicht mehr als [einen Meister der] Flöte vorzutäuschen.[23] Mögen zukünftige Generationen meiner nicht spotten. Und mögen die, welche von diesen Wundern hören, nicht den falschen, sondern den richtigen Weg einschlagen, das Böse unterlassen und gute Taten üben!



  1. Die Unterscheidung „Innen = Buddhismus, Außen = Konfuzianismus bzw. alle anderen Lehren“ ist natürlich eine buddhistische Klassifikation.
  2. 百濟 jap. Kudara/Kutara. Eines der drei antiken Reiche Koreas.
  3. Ōjin gilt laut Shoku nihongi als Begründer der konfuzianischen Gelehrsamkeit in Japan (SNKBT: 5).
  4. Heute in der Präfektur Nara, Kashihara-shi
  5. Heute Nara-ken, Sakurai-shi
  6. Spielt auf die Überlieferung des Buddhismus unter Kinmei, nach Nihon shoki im Jahr 552, nach anderen Quellen im Jahr 538 an
  7. Nintoku, der Sohn Ōjins, der als Muster eines tugendhaften Herrschers gilt. Er bekam Mitleid, weil er keinen Rauch aus den Häusern seiner Untertanen aufsteigen sah und daraus auf ihre Armut schloss. Daher kürzte er alle Ausgaben für den Hof, auch die für Palastreparaturen, bis wieder Wohlstand im Land einkehrte.
  8. Anspielung auf den Prinzregenten Shōtoku Taishi.
  9. Mahayana
  10. Anspielung auf Shōmu Tennō, der den Großen Buddha von Nara errichten ließ.
  11. Ein Goldfund im Jahr 649 ermöglichte die Fertigstellung der Statue.
  12. nijō 二乘. Gemeint ist hier das „Kleine Fahrzeug“, also in etwa der Theravada Buddhismus, bestehend aus dem „Fahrzeug der Schüler“ (Shravaka-yana) und dem „Fahrzeug der [isoliert] praktizierenden Buddhas“ (Pratyekabuddha-yana). Aus Mahayana-Sicht führt der „Mittlere Weg“, der die beiden anderen überschreitet, am effizientesten zum Ziel der Erleuchtung.
  13. Möglicherweise eine Anspielung auf Gyōki, der mit einem Mönch aus Indien zusammengetroffen sein soll (SNKBT).
  14. yohito, die gewöhnlichen Menschen
  15. tohito naru okonai o konomu 好鄙行. Die Grundbedeutung von tohito ist „ländlich, provinziell“.
  16. Paraphrase eines Zitats aus dem Mahāparinirvāṇa-sūtra 大般涅槃經, SNKBT: 4, A.18
  17. 忘一卓之間, weder Zeichenbedeutung noch Lesung sind eindeutig zu klären (SNKBT: 4, A.19). Nakamura: „forget they are real happenings in the world“; Bohner: „vergessen ... des Mahles Augenblick selbst“.
  18. 漸愧之者,倏悸惕,悤起避之頃. Noch eine schwer zu entschüsselnde Stelle. Die Übersetzung orientiert sich an SNKBT: 4, A.20, Bohner und Nakamura weichen jeweils stark davon ab.
  19. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in der sog. Verfassung des Shōtoku Taishi, vgl. Religion-in-Japan, Shōtoku Taishi.
  20. jap. Myōhōki und Hannya kenki, s. Nihon ryōiki, Vorhergehende Werke
  21. Nihon-koku genpō zen'aku ryōiki 日本國現報善惡靈異記
  22. kansei no satori 坎井の識. Der volle Ausdruck lautet kansei no kaeru (Frosch im Brunnenloch) und entstammt einem Werk des chin. Philosophen Xun Zi aus dem 3. Jh. v.u.Z.
  23. 濫竽之業. Anspielung auf eine Legende aus dem Han Feizi SNKBT: 5, n. 38. Bohner übersetzt gelehrt aber irreführend, indem er auf die griechische Episode der Nymphe Syrinx Bezug nimmt (B.: 61).


Hintergrund

Ursache und Wirkung

Allgemeine Erläuterung des Karma Konzepts.

Anmerkungen

Das Vorwort ist rhetorisch sehr genau durchkomponiert und stellt einerseits die inhaltlichen Anliegen des Autors, andererseits aber auch seine Bildung deutlich heraus: Kyōkai beginnt zunächst mit einem Plädoyer für einen pluralistischen Zugang und deutet an, dass wahre Weisheit, bzw. Erkenntnis des Karma-Gesetzes buddhistischer und klassisch chinesischer Bildung bedarf. Er nennt dann als Beispiele legendäre japanische Herrscher und sagenumwobene Mönche, ohne deren Namen zu nennen, wobei die Herrscher hierarchisch — und es handelt sich hier um eine Hierarchie der Moral — über den Mönchen stehen. Schließlich schwenkt er auf das Hauptthema des Werkes ein: wie sich das Karma im Leben „gewöhnlicher“ Menschen realisiert. Er deutet kurz einige Geschichten an, weist dann auf chinesische Werke hin, die ihm als Modell dienten, und rechtfertigt sein Werk, indem er den japanischen Leser bei seinem nationlen Stolz packt: warum nicht auch den Wundern in unserem Land Beachtung schenken? Schließlich sichert er sich wortreich gegen alle möglichen Einwände ab, indem er sich selbst als unbedeutend und unwissend hinstellt, gerade in dieser Passage aber die meisten gelehrten Verweise unterbringt.

Besonders auffallend ist das ausgeprägte Geschichtsbewusstsein des Autors, wenn er z.B. auf die unterschiedlichen Zeiten der Übernahme chinesischen und buddhistischen Wissens aufmerksam macht.

Materialien


Artikel erstellt von Bernhard Scheid 14:53, 18. Okt. 2010 (CEST).