Exzerpt:Matsumae 1983

Aus Kamigraphie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Seiten-Infobox
Themengruppe Exzerpte
Behandeltes Werk
Takeshi Matsumae 1983
„The myth of the descent of the heavenly grandson.“ Asian Folklore Studies 42/2 (1983), S. 159-179. (Exzerpt.)

Der Autor

Matsumae Takeshi 松前健 (1922-2002) war Literaturwissenschaftler, Religionswissenschaftler und einer der wichtigsten Mythenforscher Japans. Matsumae wurde im heutigen Korea (Colla-nam-do) geboren und übersiedelte mit seiner Familie 1935 nach Tōkyō. Er begann 1946 an der Kokugakuin Universität sein Studium der Volkskunde beim „Altmeister“ Orikuchi Shinobu. Matsumae war unter anderem Lehrbeauftrager an der Tenri Daigaku, Ritsumei Daigaku und an der Nara Daigaku. Sein größter wissenschaftlicher Erfolg, der mit dem Anesaki Masaharu Preis ausgezeichnet wurde, ist sein Werk Neue Japanische Mythenforschung (Nihon shinwa no shin-kenkyū 日本神話の新研究 (1960).[1]

Inhalt

Himmelsabstieg der Begleiter Ninigis

Matsumae greift in seiner Beschreibung des Mythos die unterschiedlichen Versionen aus Kojiki, Nihon shoki, Engi-shiki und Kogo shūi auf, und versucht die Entstehung und historischen Zusammenhänge des Mythos zu entschlüsseln. Er distanziert sich klar von der „Reitervölker Hypothese“[2] Okas und Matsumuras, welche auch den Tenson Kōrin einer Einführung durch Eroberer zuschreiben. Vielmehr geht er von der These aus, wonach der Mythos Verbindungen zum Niiname-sai (dem Vorgänger des Daijō-sai) aufweist, Teile des Mythos möglicherweise durch eine Lokaltradition in Kyūshū entstanden sind bzw. von friedlichen koreanischen Einwanderern aus Paekche überliefert wurden (S.159-160). Diese Annahmen führt Matsumae in folgenden Kapiteln genauer aus


Der koreanische Einfluss

Matsumae nimmt an, dass die Thematik des Himmelsabstiegs von koreanischen Mythen entlehnt wurde. Um diese These zu untermauern, führt er einige koreanische Mythen an, vor allem aus dem Samguk yusa („Legenden der Drei Reiche“, 13. Jh.). Diese Mythen haben nicht nur das Motiv des Abstiegs gemein, sondern auch die „Landung“ auf einem Berg und die Verbindung mit eigenen Formen von Sonnensymbolik. So etwa der Mythos um das Kalla-Königreich – hier wurde von den Göttern eine Schachtel mit goldenen Eiern auf eine Bergspitze gebracht, wo sich die Eier bei Anwesenheit zahlreicher Zuschauer, unter gleißendem Licht öffneten und 6 Prinzen hervorbrachten.

Matsumae geht hierbei davon aus, dass die koreanischen Einflüsse den Mythos erst später veränderten und eine Art „Urform“ des Mythos besteht. Diese „Urform“ sei laut Matsumae eine Version des Mythos im Nihon shoki, in der nur Takami-musubi und Ninigi als Kleinkind vorkommen. In dieser Version steigt Ninigi allein hinab, hat keine Throninsignien und Gefährten bei sich, und wird nur von Takami-musubi mit dem madoko-ofusama bedeckt. Die eigentlich charakteristischen Elemente des Mythos im Kojiki — die drei Throninsignien, also der Herrschaftsauftrag durch Amaterasu und die Begleiter des Ninigi — sind laut Matsumae einer späteren Weiterentwicklung des Mythos zuzuschreiben. Besonders die Tatsache, dass die Begleiter des Ninigi im Kojiki auch jene Gottheiten sind, die hauptsächlich im Mythos um Amaterasus Verschwinden in der Felsenhöhle vorkommen, deutet für Matsumae auf die spätere Erweiterung des Mythos hin (S. 161-164).

Der Mythos und das Daijō-sai

In diesem Kapitel geht Matsumae besonders auf die dualistische Bedeutung der Figur des Ninigi ein. Einerseits ist er „ein Kind der Sonne“, also ein Träger der göttlichen Erblinie die von der Sonnengöttin ausgeht, andererseits deutet sein Name (in direkter Übersetzung: „Üppige Reisähren“) auf eine Verbindung zu Reisgottheiten hin. Viele Details des Mythos weisen auf einen Zusammenhang mit Reisgottheiten und vor allem Glaubenspraktiken und Riten rund um die Verehrung des Reises hin. Bedeutendstes Ritual zur Verehrung des Reisgottes, bzw. des Reises an sich ist das Daijō-sai.

Matsumae weist auf einige wichtige Ausführungen des Mythos, die eine Beziehung zu eben diesem Ritual aufweisen hin: Wichtiges Beispiel als eines unter vielen ist die Umhüllung Ninigis mit der „alles umhüllenden Decke“ makura-ofusama. Sowohl der Topos der Abschirmung findet sich im Daijō-sai wieder, als auch die „alles umhüllende Decke“, die im Niiname-sai bzw. im Daijō-sai in der Mitte des Zeremonienraumes ausgelegt wird. Diese Decke symbolisiert eine Art „Wiedergeburt“ bzw. „Auferstehung“ des Herrschenden. Zudem ist die Namensgebung des Berges auffallend, auf den Ninigi letztendlich hinabsteigt: „Takachiho“ bedeutet nichts anderes als „Ausgereifte üppige Reisähren“ und deutet somit auf eine Symbolik des Reisfeldes als eine Art „Hort“ der Gottheit hin. Matsumae begreift den Tenson Kōrin also als Ritualmythos des Daijō-sai (S.164-166).

Der Mythos und lokale Mythentraditionen auf Süd-Kyūshū

Matsumae suggeriert, dass Teile des Mythos auf die Mythentraditionen der Hayato (Hayahito), eines Nara-zeitlichen, in Süd-Kyūshū ansässigen Stammes, zurückgehen. Insbesondere die Namensgebung der Orte im Mythos deutet auf eine Beeinflussung durch die Hayato hin, zudem der auf den Abstieg des Himmelsenkels folgende Mythenkreis um Berg- und Meerglückprinz (S.166-168).

Die Dualität der Herrschenden

Da die Versionen des Mythos im Kojiki und Nihongi unterschiedliche „Hauptpersonen“ aufweisen, wurden diese in der Forschungsgeschichte rund um den Mythos mit den unterschiedlichen Entstehungsmöglichkeiten verbunden. Einerseits besteht der Mythenkomplex um Amaterasu und Ninigi bzw. Oshihomimi, andererseits jener um Takami-musubi alias Takagi und Ninigi.

Matsumae diskutiert anhand dieser Dualität der Herrscherpersonen die Entstehung des Mythos – also die Frage nach der Validität der „Reitervölkerhypothese“ von Egami Namio und Oka Masao. Da Matsumae den Mythos als „Vorlage“ für mit dem Daijō-sai zusammenhängende Riten ansieht, weist er zuallererst auf die Tatsache hin, dass Amaterasu im Daijō-sai erst ab der Heian-Zeit (784-1185) eine Rolle spielte. Zuvor war lediglich Takami-musubi als Gottheit der Fruchtbarkeit vertreten, bzw. auch acht andere Gottheiten, die im Zuge des Daijō-sai verehrt wurden. Nach Matsumae kann man davon ausgehen, dass die Aristokratie der späten Nara-Zeit (710-784) den Glauben an eine superiore Sonnengottheit aus Korea übernahm und - im Zuge der Etablierung des Kultes in Ise - in den Mythos einfließen ließ. Damit widerlegt Matsumae zwar Oka und Egamis These von einer koreanischen Eroberung zu Beginn der Kofun-Zeit (300-710), spricht sich jedoch wie auch schon zuvor für die friedvolle Beeinflussung durch koreanisches Mythenmaterial aus.

Weitere Ausführungen zur Entstehung des Himmelsabstiegsmythos

Zu den bereits aufgezeigten Zusammenhängen führt Matsumae die enge Verbindung zwischen Tenson Kōrin und dem Mythos zu Amaterasus Verschwinden in der Felsenhöhle, sowie eine genaue Analyse der Gottheit Sarutahiko hinzu.

Da der Felsenhöhlenmythos in Ise verwurzelt ist, weist auch der Abstieg des Himmelsenkels viele damit zusammenhängende Details auf. Kurano und Mishima gehen sogar davon aus, dass beide Mythen ursprünglich nicht getrennt waren.

Das Auftreten des Sarutahiko weist auf einen anderen Zusammenhang hin, nämlich die Beeinflussung des Mythos durch Hieda no Are, den Kompilator des Kojiki. Obwohl Sarutahiko als eine Art dōsojin konzipiert wurde und damit vermutlich zuvor auch schon Einfluss auf die Abstiegsthematik hatte, war sein Auftreten als Ahnengottheit der Sarume Familie, der Hieda no Are angehörte, wichtig und der Verlauf der Geschichte wurde möglicherweise in diese Richtung beeinflusst (S. 173-174).

Kommentar

Aus der Komplexität des Artikels wird klar, dass den Theorien Matsumaes eine eingehende Auseinandersetzung mit den historischen Chroniken Japans und des damaligen Forschungsstandes zugrundeliegt. Trotzdem ergeben sich einige kritische Punkte, die aufgegriffen werden sollen.

Obwohl die Theorien des Autors leicht nachvollziehbar gestaltet wurden, wirken sie oft nur oberflächlich begründet und somit wenig haltbar. Besonders störend ist dieser Sachverhalt bei den Ausführungen zur koreanischen Beeinflussung des Mythos, die sicher relevant ist, jedoch nicht anhand des Vergleichs mit einigen wenigen koreanischen Mythen mit Sonnenverehrungsthematiken bewiesen werden kann. Möglicherweise wird Matsumae hier die Kürze des Artikels zum Verhängnis, die genauere Betrachtungen verhindert. Generell werden die Darstellungen sehr oberflächlich gehalten, was bei einer Forschungsintention, die vor allem nach dem Entstehungskontext des Mythos fragt, viele Lücken offen lässt. Ein kurzer Hinweis auf die Verbindungen des Mythos zum Ise Schrein etwa reicht hier für eine plausible Erörterung einer Mythenentstehung meines Erachtens kaum aus.

Auch für einen Überblick über die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Mythos in den Chroniken ist der Artikel zu lückenhaft, da er zwar einige Versionen des Kojiki und Nihongi aufgreift, diese jedoch wenig genau beschreibt und für ungeübte LeserInnen recht konfus wirken lässt. Der Artikel wird also leider keinem seiner Darstellungsansprüche — weder einer umfassenden Beschreibung des Mythos und seiner Versionen, noch einer umfassenden Betrachtung der Entstehungshintergründe — wirklich gerecht. Er sollte meines Erachtens eher im Sinne eines Anzeigens von Tendenzen und möglichen Überlegungen zum Mythos und seiner Entstehung gelesen werden, und weniger als eine definitive und eingehende Theorie dazu.

Dennoch sollte angemerkt werden, dass es sich bei dem Artikel um eine der wenigen nicht japanisch-sprachigen Darstellungen und Interpretationen des Tenson Kōrin handelt. Durch die Distanzierung von den Thesen Okas zeigt er zudem andere Herangehensweisen zur Thematik auf, die insbesondere auch eine Art Gegenpol zu den im deutschsprachigen Raum bekannten Betrachtungen Nelly Naumanns — die sich nicht zuletzt von Okas Theorien beeinflussen ließ — darstellt. Somit bleibt der Artikel, trotz seiner Mankos, meiner Meinung nach für eine Reflexion des Forschungsstandes zur Thematik relevant.

--Theresa Aichinger 00:50, 24. Okt. 2012 (CEST)

Anmerkungen

  1. Matsumae Takeshi 松前健. Aus Wikipedia  ウィキペディア (Wikimedia Foundation, seit 2003).
  2. zur „Reitervölker Hypothese“ siehe z.B. auch Kirkland 1981.