Geschichte/Kamakura/Verwuenschungen: Unterschied zwischen den Versionen

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Legenden des japanischen Mittelalters belegen, dass die magische Macht des Buddhismus in der damaligen Vorstellungswelt ein wertfreies Mittel war, das auch für Zwecke eingesetzt werden konnte, die aus heutiger Sicht der reinen Lehre des Buddhismus widersprechen. Ein eindrucksvolles Beispiel findet sich in der Legende des {{g|Heian}}-zeitlichen {{g|Tendaishuu | Tendai}}-Mönchs {{g|Raigou}}.  
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Raigō war ein Mönch aus den höchsten Adels·kreisen, der dem Kaiser ({{g|Shirakawatennou}}) mit magischen Zeremonien und Gebeten zu Diensten war, als es darum ging, einen Thron·folger in die Welt zu setzen. Im Gegen·zug sollte sein eigener Tempel (der {{g|Miidera}}), der stets unter dem Diktat des mächtigen {{glossar:Enryakuji}} auf Berg Hiei zu leiden hatte, eine eigene Ordinations·platt·form (gleich·bedeu·tend mit religions·politischer Un·ab·hängig·keit) erhalten.
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Raigō war ein Mönch aus den höchsten Adelskreisen, der dem Kaiser ({{g|Shirakawatennou}}) mit magischen Zeremonien und Gebeten zu Diensten war, als es darum ging, einen Thronfolger in die Welt zu setzen. Im Gegenzug sollte sein eigener Tempel (der {{g|Miidera}}), der stets unter dem Diktat des mächtigen {{g|Enryakuji}} auf {{g|hieizan|Berg Hiei}} zu leiden hatte, eine eigene Ordinationsplattform (gleichbedeutend mit religionspolitischer Unabhängigkeit) erhalten.
  
Die Magie zeitigte den gewünschten Erfolg und dem Kaiser wurde tatsächlich ein Sohn geboren. Rivali·sierenden Mönche des Enryaku-ji wussten aller·dings zu ver·hindern, dass Raigō seine ver·sprochene Be·loh·nung erhielt. Aus Rache hungerte sich dieser zu Tode und voll·zog dabei ein weiteres Mal magische Riten, um sich nach seinem Tod in einen Rache·geist ({{glossar:goryou}}) zu verwandeln. Als solcher nahm er die Form eine riesigen Ratte an und führte ein Heer von Art·genossen auf Berg Hiei, wo sie die Statuen und heiligen Schrif·ten des Enryaku-ji auf·fraßen. Auch der Thron·folger starb noch im kindlichen Alter — für die Zeit·genossen ohne Zweifel das Resultat von Raigōs Fluch.
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Die Magie zeitigte den gewünschten Erfolg und dem Kaiser wurde tatsächlich ein Sohn geboren. Rivalisierenden Mönche des Enryaku-ji wussten allerdings zu verhindern, dass Raigō seine versprochene Belohnung erhielt. Aus Rache hungerte sich dieser zu Tode und vollzog dabei ein weiteres Mal magische Riten, um sich nach seinem Tod in einen Rachegeist ({{g|goryou}}) zu verwandeln. Als solcher nahm er die Form eine riesigen Ratte an und führte ein Heer von Artgenossen auf Berg Hiei, wo sie die Statuen und heiligen Schriften des Enryaku-ji auffraßen. Auch der Thronfolger starb noch im kindlichen Alter — für die Zeitgenossen ohne Zweifel das Resultat von Raigōs Fluch.
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Die Geschichte des Raigō wird in den mittelalterlichen Kriegerepen {{g|Heikemonogatari}} und {{g|Taiheiki}} erzählt, sie stellte aber auch den Stoff für Dramen des {{g|Nou}}- und {{g|Kabuki}}-Theaters dar und wurde schließlich ein beliebtes Motiv der {{g|Ukiyoe}}-Künstler.
  
 
== Rituale im Krieg ==
 
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Auch weniger literarische Texte belegen, dass bud·dhis·tische Magie keines·wegs auf fromme Zwecke be·schränkt war. Ein mittel·alter·licher Ritual·text der {{glossar:Shingonshuu|Shingon}} Schule erklärt, wie die Form eines Altars mit dem Anlass des Ritus in Ver·bin·dung steht, und verrät dabei, dass unter anderem auch Ver·wün·schungen (von Feinden, gegen die man Krieg führte oder gegen die man einen Krieg plante) den Zweck von Ritualen darstellten:
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Auch weniger literarische Texte belegen, dass buddhistische Magie keineswegs auf fromme Zwecke beschränkt war. Ein mittelalterlicher Ritualtext der {{g|Shingonshuu|Shingon}}-Schule erklärt, wie die Form eines Altars mit dem Anlass des Ritus in Verbindung steht, und verrät dabei, dass unter anderem auch Verwünschungen (von Feinden, gegen die man Krieg führte oder gegen die man einen Krieg plante) den Zweck von Ritualen darstellten:
 
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Ein ringförmiger Altar wird gebraucht um Katastrophen zu verhindern; ein längliches Rechteck um Wohlstand und Langes Leben zu erhöhen; ein lotos-förmiger Altar dient für Liebe und Respekt; ein dreieckiger Altar dient für '''Verwünschungen''' [...]
  
 
Wenn '''Verwünschungen''' durchgeführt werden, muss der dreieckige Altar auf jeder Seite mit dem Bild einer Rüstung bemalt werden.  
 
Wenn '''Verwünschungen''' durchgeführt werden, muss der dreieckige Altar auf jeder Seite mit dem Bild einer Rüstung bemalt werden.  
 
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Aktuelle Version vom 6. Januar 2023, 16:30 Uhr

Rituelle Verwünschungen

Legenden des japanischen Mittelalters belegen, dass die magische Macht des Buddhismus in der damaligen Vorstellungswelt ein wertfreies Mittel war, das auch für Zwecke eingesetzt werden konnte, die aus heutiger Sicht der reinen Lehre des Buddhismus widersprechen. Ein eindrucksvolles Beispiel findet sich in der Legende des Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-zeitlichen Tendai [Tendai-shū (jap.) 天台宗 Tendai-Schule, chin. Tiantai]-Mönchs Raigō [Raigō (jap.) 頼豪 1002–1084; Tendai-Mönch des Mii-dera; Protagonist einer schaurigen Legende].

Raigōs Rache

Raigo ginko.jpg
1 Raigō bereitet seine Rache vor
Vor einem esoterischen goma-Altar, eine vajra-Glocke in der Hand, bereitet Raigō seine Rache vor.
Werk von Adachi Ginko. Meiji-Zeit, 1896. Bildquelle: ukiyo-e, (Artelino).
Raigō vor einem esoterischen goma [goma (jap.) 護摩 buddh. Feuerritus, skt. Homa]-Altar, eine vajra [vajra (skt.) वज्र „Donnerkeil“, Ritualinstrument und Symbol des tantristischen/esoterischen Buddhismus (jap. kongō 金剛)]-Glocke in der Hand. Holzblockdruck von Adachi Ginko, 1896.

Raigō war ein Mönch aus den höchsten Adelskreisen, der dem Kaiser (Shirakawa Tennō [Shirakawa Tennō (jap.) 白河天皇 1053–1129; 72. Kaiser von Japan; (r. 1073–1087); übte ab 1087 als Ex-Kaiser im geistlichen Stand (daijō hōō) reale Macht aus und begründete damit die Regierung der Klosterkaiser (insei)]) mit magischen Zeremonien und Gebeten zu Diensten war, als es darum ging, einen Thronfolger in die Welt zu setzen. Im Gegenzug sollte sein eigener Tempel (der Mii-dera [Mii-dera (jap.) 三井寺 Tendai-Tempel am Biwa-See in Shiga-ken; wtl. Drei-Quellen-Tempel]), der stets unter dem Diktat des mächtigen Enryaku-ji [Enryaku-ji (jap.) 延暦寺 Haupttempel des Hiei Klosterbergs] auf Berg Hiei [Hiei-zan (jap.) 比叡山 Klosterberg Hiei bei Kyōto, traditionelles Zentrum des Tendai Buddhismus] zu leiden hatte, eine eigene Ordinationsplattform (gleichbedeutend mit religionspolitischer Unabhängigkeit) erhalten.

Die Magie zeitigte den gewünschten Erfolg und dem Kaiser wurde tatsächlich ein Sohn geboren. Rivalisierenden Mönche des Enryaku-ji wussten allerdings zu verhindern, dass Raigō seine versprochene Belohnung erhielt. Aus Rache hungerte sich dieser zu Tode und vollzog dabei ein weiteres Mal magische Riten, um sich nach seinem Tod in einen Rachegeist (goryō [goryō (jap.) 御霊 „erhabener“ [Rache]Geist]) zu verwandeln. Als solcher nahm er die Form eine riesigen Ratte an und führte ein Heer von Artgenossen auf Berg Hiei, wo sie die Statuen und heiligen Schriften des Enryaku-ji auffraßen. Auch der Thronfolger starb noch im kindlichen Alter — für die Zeitgenossen ohne Zweifel das Resultat von Raigōs Fluch.

Kuniyoshi raigo.jpg
2
Der Mönch Raigō vernichtet aus Enttäuschung über ein gebrochenes Versprechen wertvolle Sutrenrollen und widersetzt sich allen Versuchen der Beschwichtigung durch den Gelehrten Ōe no Masafusa.
Werk von Utagawa (1798–1861). 19.Jh. The Kuniyoshi Project.
Raigo.jpg
3
Der Mönch Raigō verwandelt sich aus Rache nach seinem Tod in eine riesige Ratte.
Werk von Tsukioka Yoshitoshi. Meji-Zeit, 1891. Japan Print Gallery.
Raigō widersetzt sich allen Versuchen der Beschwichtigung und verwandelt sich schließlich in eine riesige Ratte.

Die Geschichte des Raigō wird in den mittelalterlichen Kriegerepen Heike monogatari [Heike monogatari (jap.) 平家物語 „Geschichte der Heike [= Taira]“; mittelalterliches Kriegerepos] und Taiheiki [Taiheiki (jap.) 太平記 Historisches Epos aus dem späten 14. Jh., behandelt den Konflikt zwischen Nördlichem und Südlichem Kaiserhof] erzählt, sie stellte aber auch den Stoff für Dramen des [ (jap.) traditionelles jap. Theater mit charakterstischem Tanz, Gesang und Masken; entwickelte sich im 14. Jh. aus dem volkstümlichen dengaku (Feld- oder Bauern-Theater) und avancierte zur repräsentativen Theaterform der Kriegerelite (bushi)]- und Kabuki [Kabuki (jap.) 歌舞伎 „Gesang- und Tanzkunst“; Anfang des 17. Jh. aus Musik, Schauspiel und Tanz entwickeltes Theater-Genre]-Theaters dar und wurde schließlich ein beliebtes Motiv der ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit]-Künstler.

Rituale im Krieg

Auch weniger literarische Texte belegen, dass buddhistische Magie keineswegs auf fromme Zwecke beschränkt war. Ein mittelalterlicher Ritualtext der Shingon [Shingon-shū (jap.) 真言宗 Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan]-Schule erklärt, wie die Form eines Altars mit dem Anlass des Ritus in Verbindung steht, und verrät dabei, dass unter anderem auch Verwünschungen (von Feinden, gegen die man Krieg führte oder gegen die man einen Krieg plante) den Zweck von Ritualen darstellten:

Ein ringförmiger Altar wird gebraucht um Katastrophen zu verhindern; ein längliches Rechteck um Wohlstand und Langes Leben zu erhöhen; ein lotos-förmiger Altar dient für Liebe und Respekt; ein dreieckiger Altar dient für Verwünschungen [...]

Wenn Verwünschungen durchgeführt werden, muss der dreieckige Altar auf jeder Seite mit dem Bild einer Rüstung bemalt werden.

Nach Conlan 2003: 170.

Verweise

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Helen Craig McCullough, The Tale of the Heike. Stanford: Stanford University Press, 1988.
Thomas Conlan, State of War: The Violent Order of Fourteen-Century Japan. Ann Arbor: University of Michigan Press, 2003.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Raigo ginko.jpg
    Vor einem esoterischen goma-Altar, eine vajra-Glocke in der Hand, bereitet Raigō seine Rache vor.
    Werk von Adachi Ginko. Meiji-Zeit, 1896. Bildquelle: ukiyo-e, (Artelino).
  2. ^ 
    Kuniyoshi raigo.jpg
    Der Mönch Raigō vernichtet aus Enttäuschung über ein gebrochenes Versprechen wertvolle Sutrenrollen und widersetzt sich allen Versuchen der Beschwichtigung durch den Gelehrten Ōe no Masafusa.
    Werk von Utagawa (1798–1861). 19.Jh. The Kuniyoshi Project.
  1. ^ 
    Raigo.jpg
    Der Mönch Raigō verwandelt sich aus Rache nach seinem Tod in eine riesige Ratte.
    Werk von Tsukioka Yoshitoshi. Meji-Zeit, 1891. Japan Print Gallery.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Enryaku-ji 延暦寺 ^ Haupttempel des Hiei Klosterbergs
  • goma 護摩 ^ buddh. Feuerritus, skt. Homa
  • goryō 御霊 ^ „erhabener“ [Rache]Geist
  • Heian 平安 ^ auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)
  • Heike monogatari 平家物語 ^ „Geschichte der Heike [= Taira]“; mittelalterliches Kriegerepos
  • Hiei-zan 比叡山 ^ Klosterberg Hiei bei Kyōto, traditionelles Zentrum des Tendai Buddhismus
  • Kabuki 歌舞伎 ^ „Gesang- und Tanzkunst“; Anfang des 17. Jh. aus Musik, Schauspiel und Tanz entwickeltes Theater-Genre
  • Mii-dera 三井寺 ^ Tendai-Tempel am Biwa-See in Shiga-ken; wtl. Drei-Quellen-Tempel
  • ^ traditionelles jap. Theater mit charakterstischem Tanz, Gesang und Masken; entwickelte sich im 14. Jh. aus dem volkstümlichen dengaku (Feld- oder Bauern-Theater) und avancierte zur repräsentativen Theaterform der Kriegerelite (bushi)
  • Raigō 頼豪 ^ 1002–1084; Tendai-Mönch des Mii-dera; Protagonist einer schaurigen Legende
  • Shingon-shū 真言宗 ^ Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan
  • Shirakawa Tennō 白河天皇 ^ 1053–1129; 72. Kaiser von Japan; (r. 1073–1087); übte ab 1087 als Ex-Kaiser im geistlichen Stand (daijō hōō) reale Macht aus und begründete damit die Regierung der Klosterkaiser (insei)
  • Taiheiki 太平記 ^ Historisches Epos aus dem späten 14. Jh., behandelt den Konflikt zwischen Nördlichem und Südlichem Kaiserhof
  • Tendai-shū 天台宗 ^ Tendai-Schule, chin. Tiantai
  • ukiyo-e 浮世絵 ^ „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit
  • vajra (skt.) वज्र ^ „Donnerkeil“, Ritualinstrument und Symbol des tantristischen/esoterischen Buddhismus (jap. kongō 金剛)