Heikegani: Unterschied zwischen den Versionen

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''Heikegani'' 平家蟹  (''Heikeopsis japonica'' oder ''Neodorippe japonica''; auch  ''heikekani'') sind kleine Krabben (Panzer-Durchmesser ca. 2cm) mit charakteristischem Furchenmuster auf dem Rücken, welches an ein zorniges menschliches Gesicht (Gesichts-Pareidolie) erinnert. Das spezifische Aussehen inspirierte verschiedene Erklärungen innerhalb des japanischen Volksglaubens. Die heute populärste Erklärung erachtet die Krabben als Reinkarnationen der  in der [[Schlacht von Dan-no-ura]] 壇ノ浦の戦い unterlegenen Heike 平家 Krieger (auch [[Taira]]), daher der Name ''heikegani''.
  
''Heikegani'' 平家蟹  (''Heikeopsis japonica'') sind Krabben mit charakteristischem Furchenmuster auf dem Rücken, welches an ein zorniges menschliches Gesicht (Gesichts-Pareidolie) erinnert. Dies inspirierte verschiedene Erklärungen innerhalb des japanischen Volksglaubens. Die heute populärste Erklärung erachtet die Krabben als Reinkarnationen der  in der [[Schlacht von Dan-no-ura]] 壇ノ浦の戦い unterlegenen Heike 平家 Krieger (auch [[Taira]]), daher der Name ''heikegani''.
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==Geschichte der ''heikegani''==
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Vereinzelte Unterarten finden sich in ganz Japan und sogar in Korea und China, das Hauptverbreitungsgebiet liegt allerdings in der Seto-Inlandsee, zu der auch die Meerenge Dan-no-Ura (heute Shimonoseki) zählt.
  
===Frühe Erwähnungen===
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==Begriffsgeschichte==
  
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=== Konnex zu den Heike-Kriegern ===
  
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Die möglicherweise erste Erwähnung der ''heikegani'' findet sich im ''Chirizuka monogatari'' 塵塚物語, einer Geschichtensammlung, die laut Kolophon 1552 entstand. Darin ist von einem Besuch des Shōgunen [[Ashikaga|Ashikaga Yoshimitsu]] 足利義満 (1358–1408) im Tempel Amida-ji 阿弥陀寺 in Nagato 長門 (das heutige Yamaguchi) die Rede. Der Tempel wurde zu Ehren des in der Schlacht von Dan-no-ura (1185) verstorbenen Kindkaisers [[Antoku Tennō|Antoku]] errichtet. Der Abt dieses Tempels berichtet dem Shōgun, dass der Spuk der Schlacht von Dan-no-ura noch nicht zu Ende sei, man könne manchmal Kampfgeschrei hören, gerüstete Krieger mit dem Pferd aus dem Wasser springen oder rot-weiße Fahnen flattern sehen. Auch die Krabben dieser Gegend verkörperten dem Abt zufolge die Rachegeister der Heike. Diese ''heikegani'' seien bemitleidenswerte Kreaturen, die unter ihrem schlechten Karma zu leiden hätten. Schließlich erhält der Shōgun (der selbst aus der Familie der Gegner der Heike  stammt) ein Exemplar dieser Krabben.<ref> Takoshima 2012, S. 87–88.</ref>
  
Die erste Erwähnung der ''heikegani'' (oder ''heikekani'') findet sich in einem Text, der mit 1552 datiert ist. Es erzählt von einem Besuch des Shōgunen [[Ashikaga|Ashikaga Yoshimitsu]] 足利義満 im Tempel Amida-ji 阿弥陀寺 in Nagato 長門 (das heutige Yamaguchi), jenem Tempel der zu Ehren des in der Schlacht von Dan-no-ura verstorbenen Kindkaisers [[Antoku Tennō|Antoku]] errichtet wurde. Der Abt dieses Tempels berichtet dem Shōgun, dass der  „Wahn“ der Schlacht von Dan-no-ura  noch nicht zu Ende sei, man könne manchmal Kampfgeschrei hören, gerüstete Krieger mit dem Pferd aus dem Wasser springen oder rot-weiße Fahnen flattern sehen. Auch die Krabben dieser Gegend verkörperten dem Abt zufolge die Rachegeister der Gefallenen. Diese ''heikegani'' seien bemitleidenswerte Kreaturen, die unter ihrem schlechten Karma zu leiden hätten.<ref> Takoshima 2012, S. 87</ref>
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Die Legende  erklärt den Begriff ''heikegani'' also mit der Erinnerung an eine der folgenreichsten Schlachten der japanischen Geschichte, die den Untergang des Hauses Heike besiegelte. Zugleich wird die Erzählung einem Abt in den Mund gelegt, dessen Tempel unweit der historischen Stätte mit der Aufgabe betraut war, die [[Goryō|Rachegeister]] der gefallenen Krieger zu befrieden.  
  
Die Datierung dieses Textes wird von Takoshima jedoch angezweifelt, da die fragliche Krabbenart in Texten vor dem 17. Jh. meist mit anderen Namen bezeichnet wird. Auch fehlen
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Die Geschichte findet sich in beinahe identischer Form im ''Go-Taiheiki'' 後太平記, einem Geschichtswerk aus 1677, jedoch in keinem anderen Text dazwischen.  Auch unter anderen Namen wird die Krabbe in der Region Nagato vor Mitte des 17. Jh. nicht erwähnt <ref> Takoshima 2012, S. 86, 88–89.</ref>  
Belege in anderen zeitnahen Aufzeichnungen.<ref> Takoshima 2012, S. 86</ref> Der Reisebericht ''Kyūshū no michi no ki'' aus dem Jahr 1592, in welchem Reisen nach Akamagaseki 赤間関 (heutiges Shimonoseki 下関) und sogar ein Besuch im Amida-Tempel mit extensiven Material über die Schlacht von Dan-no-ura beschreiben wird, enthält z.B. keine Erwähnung der ''heikegani''. Ähnliches gilt für einen  Reisebericht aus dem Jahr 1587.
 
  
Aufschlussreich ist auch ein Fehlen der Erwähnung von ''heikegani'', wenn diese eigentlich zu erwarten wäre. So erwähnt der Bericht ''Fusō kishō'' 扶桑記勝 über die Spezialitäten verschiedener Regionen aus dem Jahr 1677 zwar die Krabbenart ''shimamura-gani'' 島村蟹 als Spezialität der Provinz  [[Provinz Settsu|Settsu]] 摂津 (heute Ōsaka), in Nagato finden sich dagegen nur Tuschsteine (''akamasuzuri''  赤間硯). Erst in späteren Berichten werden ''heikegani'' und ''akamazuri'' zu einem stereotypen Paar, wenn es um die Provinz Nagato geht.<ref>Beispielsweise in einem Bericht von einer Reise nach Akamagaseki aus 1727 (Takoshima 2012, S. 91).</ref>
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Der Reisebericht ''Kyūshū no michi no ki'' aus dem Jahr 1592, in welchem Reisen nach Akamagaseki 赤間関 (heutiges Shimonoseki 下関) und sogar ein Besuch im Amida-Tempel mit extensivem Material über die Schlacht von Dan-no-ura beschrieben wird, enthält z.B. keine Erwähnung der ''heikegani''. Ähnliches gilt für einen Bericht aus dem Jahr 1587.
  
Die früheste gesicherte Erwähnung findet sich laut Takoshima in der Gedichtanthologie ''Kefukigusa'' 毛吹草 von Matsue Shigeyori (1603–1680) aus dem Jahr 1645. Danach kommen die ''heikegani'' immer häufiger in Reiseberichten vor. Laut einem Bericht von zwischen 1750 und 1756 getätigten Reisen, wurden die ''heikegani'' sogar verkauft.  
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Aufschlussreich ist auch das Fehlen der Erwähnung von ''heikegani'' im ''Fusō kishō'' 扶桑記勝, ein Bericht über die Spezialitäten verschiedener Regionen aus dem Jahr 1677. Hier wird zwar die Krabbenart ''shimamura-gani'' 島村蟹 als Besonderheit der Provinz  [[Provinz Settsu|Settsu]] 摂津 (heute Ōsaka) beschrieben, in Nagato finden sich dagegen nur Tuschsteine (''akamasuzuri''  赤間硯). Erst in späteren Berichten werden ''heikegani'' und ''akamazuri'' zu einem stereotypen Paar, wenn es um die Provinz Nagato geht.<ref>Beispielsweise in einem Bericht von einer Reise nach Akamagaseki aus 1727 (Takoshima 2012, S. 91).</ref>
  
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Die Datierung der ersten Textversion mit 1552 wird daher von Takoshima Sunao in Übereinstimmung mit Suzuki Akira<ref>鈴木彰 2008「平家蟹と壇ノ浦旅人たちの見聞をめぐって」説話と説話文学の会編『説話論集』第17集清文堂出版, pp.465-505.</ref> angezweifelt. Denkbar sind eine apokryphen Datierung oder eine späteren Hinzufügung der ''heikegani''-Episode. Die früheste gesicherte Erwähnung der ''heikegani'' findet sich laut Takoshima in der Gedichtanthologie ''Kefukigusa'' 毛吹草 von Matsue Shigeyori (1603–1680) aus dem Jahr 1645. <ref>Takoshima 2012, S. 89.</ref> Danach kommen die ''heikegani'' immer häufiger in Reiseberichten vor. Ab den 1750er Jahren ist sogar vom Handel mit ''heikegani'' die Rede.
  
Schließlich heißt es in einem populären Schwank aus dem Jahr 1798, dass sich die männlichen Krieger der Taira in ''heikegani'',  die Frauen hingegen in ''heikigani'' verwandelt hätten – ein Wortspiel mit dem Begriff ''heiki'' 平気, „gleichgültig“.  Damit ist der Begriff ''heikegani'' für die Zeit um 1800 als weitgehend bekannt einzustufen.<ref> Takoshima 2012, S. 100</ref>
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Schließlich heißt es in einem parodistischen Werk aus dem Jahr 1798 (''Bakemono Yamato honsō'' 化物和本草), dass sich die männlichen Krieger der Taira in ''heikegani'',  die Frauen hingegen in ''heikigani'' verwandelt hätten – ein Wortspiel mit den Begriffen Heike 平家, „Taira-Klan“, und ''heiki'' 平気, „gleichgültig“.  Damit ist der Begriff ''heikegani'' für die Zeit um 1800 als allgemein bekannt einzustufen.<ref> Takoshima 2012, S. 100</ref>
  
Das Aufkommen des Namens ''heikegani'' und des damit verbundenen Glaubens wäre somit mit großer Wahrscheinlichkeit in der ersten Hälfte des  17. Jahrhunderts anzusiedeln<ref>Takoshima 2012, S. 89–90</ref> und hat sich im Laufe der Edo-Zeit landesweit durchgesetzt.  
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Das Aufkommen des Namens ''heikegani'' und des damit verbundenen Glaubens wäre also laut Takoshima und Suzuki in der ersten Hälfte des  17. Jahrhunderts anzusiedeln<ref>Takoshima 2012, S. 89–90</ref> und hat sich im Laufe der Edo-Zeit landesweit durchgesetzt.
  
== Alternative Bezeichnungen ==
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=== Alternative Bezeichnungen ===
 
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Im Werk ''Tōji rokuchō'' 謄氏六帖 aus 1706, in dem Tiernamen in Kanji sowie Furigana aufgeführt wurden, werden die ''heikegani'' mit den Zeichen 鬼面蟹 (''kimen-gani'' „Dämonengesichtskrabbe“) geschrieben, aber als ''heikegani'' glossiert. Dazu findet sich die Anmerkung, dass die Schreibung ''kimen-gani'' einem chinesischen Werk aus 1511, dem 野記 von 祝允明, 1460–1527, entnommen sei.<ref>Takoshima 2012, S. 91.</ref>
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Ebenfalls im  17. Jahrhundert finden sich auch alternative Bezeichnungen wie ''takebun-gani'' 武文蟹 oder ''shimamura-gani''. ''Takebun-gani'' sind auf der Insel Awaji 淡路 (Hyōgo) belegt.<ref> Takoshima 2012, S. 92–93</ref> Der Name leitet sich von Hata no Takebun 秦武文 ab, einem Krieger, der im Genkō-Krieg (1331–1333) fiel und sich in eine Krabbe verwandelt haben soll. ''Shimamura-gani'' nehmen auf Shimamura Takanori 島村 貴則 Bezug, einen Krieger, der 1531 fiel. Weitere Bezeichnungen sind Osada-kani 長田蟹 (nach einer Begebenheit aus dem Genpei-Krieg, 1181–1185) oder Kiyotsune-kani (nach Taira no Kiyotsune, der sich selbst ertränkte).<ref>Takoshima 2012, S. 85.</ref> Die Namensgebungen gehorchen alle einem ähnlichen Muster, wonach tragische Helden, die zu Rachegeistern wurden, in Krabbengestalt fortleben. Die entsprechenden Legenden scheinen sich jedoch lange nach den jeweiligen Vorfällen herausgebildet zu haben. Ihre schriftliche Niederlegung im 17. Jh. steht möglicherweise mit der zu dieser Zeit aufkommenden prototouristischen Reklame für regionale Besonderheiten in Zusammenhang.  
 
 
In älteren japanischen Werken finden sich auch Namen wie ''takebun-gani'' 武文蟹 oder ''shimamura-gani'' auf. ''Takebun-gani'' sind auf der Insel Awaji 淡路 (Hyōgo) belegt.<ref> Takoshima 2012, S. 92–93</ref> Der Name leitet sich von Hata no Takebun 秦武文, ein Krieger der im Genkō-Krieg (1331–1333) fiel und sich in eine Krabbe verwandelt haben soll.  
 
  
Durch die Beschreibung des Verhaltens dieser Krabben ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass es sich um die gleiche Art wie die ''heikegani'' handelt. Die Namen weisen auf Bezüge zur Zeit des''genkō''-Krieges 元弘の乱  bzw. der späteren ''sengoku''-Zeit 戦国時 hin.  
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Im Bereich der Seto-Inlandssee 瀬戸内海 scheint es weitere Legenden zu geben, in denen Schiffbrüchige Reinkarnation als Krabben finden. Daher ist als Grundlage für die Entstehung des ''heikegani''-Glaubens vielleicht generell ein früherer Glaube zu sehen, dass Schiffbrüchige allgemein als Krabben wiedergeboren werden.<ref> Takoshima 2012, S. 106.</ref>
  
Im Bereich der Seto-Inlandssee 瀬戸内海 scheint es weitere Legenden zu geben, in denen Schiffbrüchige Reinkarnation als Krabben finden. Daher ist als Grundlage für die Entstehung des ''heikegani''-Glaubens vielleicht generell ein früherer Glaube zu sehen, dass Schiffbrüchige allgemein als Krabben wiedergeboren werden.<ref> Takoshima 2012, S. 106</ref>
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Schließlich werden ''heikegani'' auch mit alternativen Schriftzeichen geschrieben.
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Im Werk ''Tōji rokuchō'' 謄氏六帖 aus 1706, in dem Tiernamen in Kanji sowie Furigana aufgeführt wurden, werden die ''heikegani'' mit den Zeichen 鬼面蟹 (''kimen-gani'' „Dämonengesichtskrabbe“) geschrieben, aber als ''heikegani'' glossiert. Dazu findet sich die Anmerkung, dass die Schreibung ''kimen-gani'' einem chinesischen Werk aus 1511, dem 野記 von Zhu Yunming 祝允明, 1461–1527, entnommen sei.<ref>Takoshima 2012, S. 91.</ref> Gelehrte der Edo-Zeit waren sich somit der Tatsache bewusst, dass es Verwandte der Heike-Krabben auch in China geben müsse.
  
 
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Aktuelle Version vom 11. Mai 2022, 12:39 Uhr

Heikegani.jpg
heikegani-Krabbe[Abb. 1]
Seiten-Infobox
ThemengruppeGeister (inkl. Tiere und Monster)
Name heikegani 平家蟹 („Heikekrabbe“)
Herkunft Japan (Yamaguchi 山口)
Attribute, Begleiter Furchen in Form eines menschlichen Gesichts, besonders das eines Samurai
Funktion, Wirkkraft Reinkarnation der im Genpei-Krieg verstorbenen Taira
Diese Seite entstand im Kontext des Seminars Kamigraphie:Seefahrt.

Heikegani 平家蟹 (Heikeopsis japonica oder Neodorippe japonica; auch heikekani) sind kleine Krabben (Panzer-Durchmesser ca. 2cm) mit charakteristischem Furchenmuster auf dem Rücken, welches an ein zorniges menschliches Gesicht (Gesichts-Pareidolie) erinnert. Das spezifische Aussehen inspirierte verschiedene Erklärungen innerhalb des japanischen Volksglaubens. Die heute populärste Erklärung erachtet die Krabben als Reinkarnationen der in der Schlacht von Dan-no-ura 壇ノ浦の戦い unterlegenen Heike 平家 Krieger (auch Taira), daher der Name heikegani.

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Vereinzelte Unterarten finden sich in ganz Japan und sogar in Korea und China, das Hauptverbreitungsgebiet liegt allerdings in der Seto-Inlandsee, zu der auch die Meerenge Dan-no-Ura (heute Shimonoseki) zählt.

Begriffsgeschichte

Konnex zu den Heike-Kriegern

Die möglicherweise erste Erwähnung der heikegani findet sich im Chirizuka monogatari 塵塚物語, einer Geschichtensammlung, die laut Kolophon 1552 entstand. Darin ist von einem Besuch des Shōgunen Ashikaga Yoshimitsu 足利義満 (1358–1408) im Tempel Amida-ji 阿弥陀寺 in Nagato 長門 (das heutige Yamaguchi) die Rede. Der Tempel wurde zu Ehren des in der Schlacht von Dan-no-ura (1185) verstorbenen Kindkaisers Antoku errichtet. Der Abt dieses Tempels berichtet dem Shōgun, dass der Spuk der Schlacht von Dan-no-ura noch nicht zu Ende sei, man könne manchmal Kampfgeschrei hören, gerüstete Krieger mit dem Pferd aus dem Wasser springen oder rot-weiße Fahnen flattern sehen. Auch die Krabben dieser Gegend verkörperten dem Abt zufolge die Rachegeister der Heike. Diese heikegani seien bemitleidenswerte Kreaturen, die unter ihrem schlechten Karma zu leiden hätten. Schließlich erhält der Shōgun (der selbst aus der Familie der Gegner der Heike stammt) ein Exemplar dieser Krabben.[1]

Die Legende erklärt den Begriff heikegani also mit der Erinnerung an eine der folgenreichsten Schlachten der japanischen Geschichte, die den Untergang des Hauses Heike besiegelte. Zugleich wird die Erzählung einem Abt in den Mund gelegt, dessen Tempel unweit der historischen Stätte mit der Aufgabe betraut war, die Rachegeister der gefallenen Krieger zu befrieden.

Die Geschichte findet sich in beinahe identischer Form im Go-Taiheiki 後太平記, einem Geschichtswerk aus 1677, jedoch in keinem anderen Text dazwischen. Auch unter anderen Namen wird die Krabbe in der Region Nagato vor Mitte des 17. Jh. nicht erwähnt [2]

Der Reisebericht Kyūshū no michi no ki aus dem Jahr 1592, in welchem Reisen nach Akamagaseki 赤間関 (heutiges Shimonoseki 下関) und sogar ein Besuch im Amida-Tempel mit extensivem Material über die Schlacht von Dan-no-ura beschrieben wird, enthält z.B. keine Erwähnung der heikegani. Ähnliches gilt für einen Bericht aus dem Jahr 1587.

Aufschlussreich ist auch das Fehlen der Erwähnung von heikegani im Fusō kishō 扶桑記勝, ein Bericht über die Spezialitäten verschiedener Regionen aus dem Jahr 1677. Hier wird zwar die Krabbenart shimamura-gani 島村蟹 als Besonderheit der Provinz Settsu 摂津 (heute Ōsaka) beschrieben, in Nagato finden sich dagegen nur Tuschsteine (akamasuzuri 赤間硯). Erst in späteren Berichten werden heikegani und akamazuri zu einem stereotypen Paar, wenn es um die Provinz Nagato geht.[3]

Die Datierung der ersten Textversion mit 1552 wird daher von Takoshima Sunao in Übereinstimmung mit Suzuki Akira[4] angezweifelt. Denkbar sind eine apokryphen Datierung oder eine späteren Hinzufügung der heikegani-Episode. Die früheste gesicherte Erwähnung der heikegani findet sich laut Takoshima in der Gedichtanthologie Kefukigusa 毛吹草 von Matsue Shigeyori (1603–1680) aus dem Jahr 1645. [5] Danach kommen die heikegani immer häufiger in Reiseberichten vor. Ab den 1750er Jahren ist sogar vom Handel mit heikegani die Rede.

Schließlich heißt es in einem parodistischen Werk aus dem Jahr 1798 (Bakemono Yamato honsō 化物和本草), dass sich die männlichen Krieger der Taira in heikegani, die Frauen hingegen in heikigani verwandelt hätten – ein Wortspiel mit den Begriffen Heike 平家, „Taira-Klan“, und heiki 平気, „gleichgültig“. Damit ist der Begriff heikegani für die Zeit um 1800 als allgemein bekannt einzustufen.[6]

Das Aufkommen des Namens heikegani und des damit verbundenen Glaubens wäre also laut Takoshima und Suzuki in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts anzusiedeln[7] und hat sich im Laufe der Edo-Zeit landesweit durchgesetzt.

Alternative Bezeichnungen

In einem Farbholzschnitt dargestellte heikegani [Abb. 2]

Ebenfalls im 17. Jahrhundert finden sich auch alternative Bezeichnungen wie takebun-gani 武文蟹 oder shimamura-gani. Takebun-gani sind auf der Insel Awaji 淡路 (Hyōgo) belegt.[8] Der Name leitet sich von Hata no Takebun 秦武文 ab, einem Krieger, der im Genkō-Krieg (1331–1333) fiel und sich in eine Krabbe verwandelt haben soll. Shimamura-gani nehmen auf Shimamura Takanori 島村 貴則 Bezug, einen Krieger, der 1531 fiel. Weitere Bezeichnungen sind Osada-kani 長田蟹 (nach einer Begebenheit aus dem Genpei-Krieg, 1181–1185) oder Kiyotsune-kani (nach Taira no Kiyotsune, der sich selbst ertränkte).[9] Die Namensgebungen gehorchen alle einem ähnlichen Muster, wonach tragische Helden, die zu Rachegeistern wurden, in Krabbengestalt fortleben. Die entsprechenden Legenden scheinen sich jedoch lange nach den jeweiligen Vorfällen herausgebildet zu haben. Ihre schriftliche Niederlegung im 17. Jh. steht möglicherweise mit der zu dieser Zeit aufkommenden prototouristischen Reklame für regionale Besonderheiten in Zusammenhang.

Im Bereich der Seto-Inlandssee 瀬戸内海 scheint es weitere Legenden zu geben, in denen Schiffbrüchige Reinkarnation als Krabben finden. Daher ist als Grundlage für die Entstehung des heikegani-Glaubens vielleicht generell ein früherer Glaube zu sehen, dass Schiffbrüchige allgemein als Krabben wiedergeboren werden.[10]

Schließlich werden heikegani auch mit alternativen Schriftzeichen geschrieben. Im Werk Tōji rokuchō 謄氏六帖 aus 1706, in dem Tiernamen in Kanji sowie Furigana aufgeführt wurden, werden die heikegani mit den Zeichen 鬼面蟹 (kimen-gani „Dämonengesichtskrabbe“) geschrieben, aber als heikegani glossiert. Dazu findet sich die Anmerkung, dass die Schreibung kimen-gani einem chinesischen Werk aus 1511, dem 野記 von Zhu Yunming 祝允明, 1461–1527, entnommen sei.[11] Gelehrte der Edo-Zeit waren sich somit der Tatsache bewusst, dass es Verwandte der Heike-Krabben auch in China geben müsse.

Verweise

Literatur

  • Takoshima Sunao 蛸島直 2012
    „Kani ni ka shita ningen-tachi: Heikegani no kiroku o chūshin ni.“ Ningen Bunka 28 (2012), S. 85-107. („In Krabben verwandelte Menschen: Berichte über die Heikegani“.)

Fußnoten

  1. Takoshima 2012, S. 87–88.
  2. Takoshima 2012, S. 86, 88–89.
  3. Beispielsweise in einem Bericht von einer Reise nach Akamagaseki aus 1727 (Takoshima 2012, S. 91).
  4. 鈴木彰 2008「平家蟹と壇ノ浦旅人たちの見聞をめぐって」説話と説話文学の会編『説話論集』第17集清文堂出版, pp.465-505.
  5. Takoshima 2012, S. 89.
  6. Takoshima 2012, S. 100
  7. Takoshima 2012, S. 89–90
  8. Takoshima 2012, S. 92–93
  9. Takoshima 2012, S. 85.
  10. Takoshima 2012, S. 106.
  11. Takoshima 2012, S. 91.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite:

  1. Heikegani.jpg
    Heikegani Photographie
    Bild © Heikegani. (Letzter Zugriff: 2016/8/14)
  2. Heikegani 2.jpg
    Heikegani Blockdruck von Utagawa Kuniyoshi (1798-1861). Edo-Zeit
    Bild © Wikimedia Commons. (Letzter Zugriff: 2021/8/19)
    Heikegani mit menschenähnlichem Gesicht; Ausschnitt eines Farbholzschnitts