Amaterasu in der Felsenhöhle: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 9. Dezember 2012, 20:18 Uhr

Einleitung

Der Abschnitt der Amaterasu in der Felsenhöhle (Ame no Iwato 天岩戸) folgt in den japanischen Annalen auf das Kapitel der Untaten des Susanoo. Die Sonnengöttin Amaterasu Ōmikami 天照大御神 flüchtet aufgrund der frevelhaften Untaten ihres Bruders Susanoo in eine Felsenhöhle weshalb die gesamte Welt in Finsternis verfiel. Daraufhin versammelten sich die Götter und entwarfen einen Plan um die Sonnengöttin wieder aus ihrer Höhle zu locken und somit das Licht wieder die Welt erfüllen konnte. Sie begannen mit der Herstellung verschiedenster Opfergaben wie einem Spiegel, Krumm-Juwelen und entwurzelten zum Schluss einen Sakaki-Baum, der sich auf dem himmlischen Kagu-Berg befand.

Die Götter locken Amaterasu heraus

Der Darbringung der Opfergaben gemeinsam mit schmeichelnden Ritualworten folgte ein Tanz der Göttin Ame no Uzume, die wie in Trance ihre Brüste und Genitalien entblößte. Dieses Vorgehen brachte die umstehenden Götter derart zum Lachen, dass sich kurz darauf das Tor zur Felsenhöhle öffnete und Amaterasu ins Freie blickte. Dies nutzte der Gott Ama no Tachikarawo, der sich neben dem Eingang platziert hatte, und zog Amaterasu aus ihrer Höhle ins Freie, woraufhin die Welt sich wieder erhellte. Der Gott Futotama no Mikoto spannte sofort ein Seil quer über den Eingang um Amaterasu daran zu hindern, sich wieder in der Höhle zu verstecken. Da Susannos Untaten dazu geführt hatten, dass sich die Sonnengöttin in die Höhle zurückzog, wurde er von den Göttern bestraft und in das Land Ne verbannt.

Mythologische Varianten

Die zwei wichtigsten Geschichtswerke, die sich mit Amaterasus Rückzug beschäftigen, sind die Kiki zu denen das Kojiki 古事記 (712 n. Chr.) und das Nihon shoki 日本書紀 (720 n. Chr.) zählen. Auch das Kogo shūi 古語拾遺 („Antholgie alter Geschichten“), welches angelehnt an die Kiki die mythologische Entstehung Japans und deren Tennō beinhaltet, erzählt in einem Abschnitt die Geschichte Amaterasus in der Felsenhöhle. Obwohl alle Geschichtswerke die gleichen Mythen beinhalten, ergeben sich an einigen Stellen unterschiedliche Ausführungen bzw. werden bestimmte Details in einzelnen Werken völlig weggelassen. Besonders im Kogo shūi wird merklich, dass der Schwerpunkt anders ausgerichtet ist als in den Kiki Aufgrund der Unterschiede soll dieser Abschnitt sich daher mit der mythologischen Erzählung der Amaterasu in der Felsenhöhle in den Kiki sowie im Kogo shūi befassen.

Die Kojiki und Nihon Shoki Version

Im folgenden Abschnitt wird ausgehend von der Kojiki Version der Mythos der Amaterasu in der Felsenhöhle mit anderen mythologischen Varianten wie dem Nihon Shoki verglichen. Eine genauere Ausführung dieses Mythos aus dem Kogo Shūi befindet sich am Ende dieses Abschnittes.


Die Sonne verschwindet

Das Kojiki erzählt hier von dem Ableben der Weberinnen Amaterasus, woraufhin Amaterasu aufgrund des schrecklichen Anblickes sich in die Himmlische Felsen-Wohnung (Ame no Ihaya 天石屋) zurückzieht und das Mittelland des Schilfgefildes in Dunkelheit fiel. Im Nihon Shoki hingegen verletzte sich Amaterasu selbst mit dem Webschiff und begab sich erzürnt in die Felsen-Höhle des Himmels 天石窟. Im Kojiki unterscheiden sich die Zeichen für die himmlische Felsenhöhle, die hier als ya 屋 (Wohnung) und im Nihon Shoki als iwaya 屋 (Höhle) bezeichnet wird. Im Kojiki findet sich außerdem eine Erwähnung vom Erscheinen böser Gottheiten und üblen Gestalten aufgrund der durch Amaterasus Verschwinden dargebrachten Dunkelheit.

Der Rückzug in die Höhle kann auch als das Sterben angesehen werden. Iwagakuru also "sich im Fels verbergen" ist die Bestattung der Leichname in Hügelgräbern (kofun 古墳), welche besonders die Yamato-Zeit prägte, in der große Herrscher in derartigen Hügelgräbern bestatten wurden.

Der Plan des Omohikane

Nach dem Verschwinden der Sonnengöttin versammeln sich die achthundert Myriaden Götter im Flussbett des ruhigen Flusses des Himmels (Ame no Yasuno kappa 天安之河原). Im Nihon Shoki hingegen wird von achtzig Myriaden Göttern gesprochen. Die Anzahl gibt aber keinen Aufschluss über einen möglichen Unterschied, da man die Zahl Acht als "zahlreich" ansehen kann. Was in beiden Fällen eine Anzahl von "vielen" Göttern beschreiben würde. Sie versammeln sich am achtströmigen Fluss des Himmels und Omohikane, Sohn des Takamimusubi, überlegt sich einen Plan um Amaterasu wieder aus der Höhle zu locken.

Im Kojiki wie auch im Nihon Shoki ist die erste Handlung der Götter Hähne zum Krähen zu bringen. Man könnte dies anhand einer naturwissenschaftlichen Erklärung interpretieren, da Hähne vor Sonnenaufgang zu krähen beginnen. Also beschreibt das Krähen der Hähne die Wiederauferstehung der Sonne. Hähne wurden bereits in der Heian-Zeit als göttliche Boten der Amaterasu angesehen. So finden sich im Kōtaijingū Gishiki-chō (804) und den Engishiki (927)[1] die Erwähnung von Hähnen zur Verehrung der Amaterasu während Schreinfesten am Ise Schrein[2].

Die Anfertigung der Opfergaben

Der Spiegel

Aus dem Felsen vom Flussbett des ruhigen Flusses des Himmels und dem Eisen aus den Erz-Bergen des Himmels stellte Ishikoridome no Mikoto einen Spiegel her, der die Sonne repräsentiert und später Amaterasu vor das Gesicht gehalten wird. Ishikoridome gilt als Sohn des Ame no Nukado, Urahn der Kagami tsukuri (Spiegelmacher). In der Hauptversion des Nihon Shoki findet diese Gottheit keine Erwähnung und es ergeben sich auch Unterschiede in den Nebenversionen. So stellt Ishikoridome in Version 1 anstatt eines Spiegels einen Sonnenspeer her und in Version 2 ist Ama no Nukado, Vater Ishikoridomes, verantwortlich für die Herstellung des Spiegels.

Die Krumm-Juwelen

Die Göttin Tama no ya fertigt im nächsten Schritt fünfhundert Yasaka Krumm-Juwelen her. Die Göttin der Tama tsukuri Volksgruppe ("Juwelenmacher") findet nur in einer Nebenversion des Nihon Shoki erneut Erwähnung und in Version 3 wird gar Izanagis Sohn Ame no Akuratama als Hersteller der Krumm-Juwelen genannt.

Der heilige Sakaki-Baum

Um die Opfergaben prachtvoll in Szene zu setzen beauftragt man Ame no Koyane, Uhrahn der Nakatomi, und Ame no Futotama, Uhrahn der Imbe, einen fünfhundertzweigigen Sakaki-Baum vom heiligen Kagu-Berg zu entwurzeln, welcher später mit den hergestellten Opfergaben geschmückt und Amaterasu präsentiert wird. Dieser Baum scheint ein wichtiges Element des Mythos zu sein, da er im Kojiki, der Hauptversion des Nihon Shoki und dem Kogo Shūi unter derselben Terminologie vorkommt.

Der Sakaki-Baum kann auch als Herrschaftssymbol angesehen werden. Im Nihon Shoki wird in drei Fällen die Überreichung eines Sakaki-Baums mit den Reichsinsignien Spiegel, Krumm-Juwelen und Schwert (siehe Gott-Kaiser) vom Yamato-Herrscher an die Lokalherren Kyūshūs genannt. Weiters kann der Name Takamimusubis, eine der drei Schöpfergottheiten und Ahnengottheit der kaiserlichen Familie, als Takagi also "hoher Baum" gelesen werden[3]. Somit stellt die Weitergabe des heiligen Baumes eine Art Legitimation für die Überreichung der Herrschaft an die Lokalherren Kyūshūs dar.

Sonstige Opfergaben

Außer den bisher genannten Gegenständen wurden auch weiße weiche Opfergaben (Shira nigite 白和幣 aus Papiermaulbeerrinde yufu, ein in Asien weit verbreitetes Gewächs, das früher zur Papierherstellung verwendet wurde) und grüne weiche Opfergaben (Awo nigite 青和幣 aus hanfähnlichem Zeug) hergestellt und an den unteren Ästen des Sakaki-Baumes gehängt.

Das Kojiki enthält weiters die Erwähnung einer Divination aus dem Schulterblatt eines Hirsches und der Birkenrinde vom Kagu-Berg. Ein Hirsch kommt ebenfalls in Version 1 des Nihon Shokis vor, jedoch wird hier aus dem Fell ein himmlischer Blasebalg (habuki 天羽韛). Der Hirsch könnte auch ein Symbol der Nakatomi sein. So erzählt die Geschichte zur Schreingründung des Kasuga-Schreins[4], dass die beiden Götter Takemikazuchi und Futsunushi auf einem Hirsch in die Hauptstatt geritten kamen und anlässlich ihres Besuches der Kasuga-Schrein erbaut wurde.

Das Herauslocken der Göttin

Nachdem die Opfergaben fertig gestellt und der heilige Sakaki-Baum geschmückt wurde, nahm Ame no Futotama diesen in die Hand und Ame no Koyane begann mit dem Aufsagen bestimmter Ritualworte ihr Gebet. Währenddessen stellte sich Ame no Tachikarawo 天手力男神 neben die Tür der Felsenhöhle und Ame no Uzume, Vorfahrin der Sarume, begann sich für ihren pantomimischen Tanz vorzubereiten. Sie band ein Handstützband aus Keulenbärlapp um ihren Körper und machte sich aus den Blättern eines Spindelbaumes einen Kopfschmuck. Aus den Blättern des Bambusgrases vom Kagu-Berg band sie einen Strauß und stellte ein Schallbrett, oder wie im Nihon Shoki beschrieben einen Trog, vor die Tür zur Felsenhöhle. Dort führte sie wie in Trance eine Art Pantomime auf und entblößte ihre Brustwarzen samt ihrer Genitalien.

Auch in der Hauptversion des Nihon Shoki sind Ame no Koyane und Ame no Futotama verantwortlich für die Preisrede. Die Vorbereitungen für Ame no Uzumes pantomimischen Tanz sind ebenfalls gleich wie im Kojiki nur nimmt sie hier einen Speer, an dem Chi-Gras herum gebunden wurde, in die Hand und ein Feuer wird vor der Höhle entfacht. Jedoch kommt der Tanz der Ame no Uzume nicht in allen Versionen des Nihon Shokis vor. Auch das Entblößen der Brustwarzen und Genitalien ist einzig und allein im Kojiki Teil der Zeremonie.

Die Sonne erscheint wieder

Amaterasu hört das Gelächter der Gottheiten, das durch Ame no Uzumes Obszönität ausgelöst wurde, und fragt sich warum die Götter so fröhlich sind, nachdem die ganze Welt doch dunkel ist. Aus Neugierde öffnete sich die Tür woraufhin Ame no Koyane und Ame no Futotama ihr den Sonnenspiegel entgegenhalten. Als Amaterasu erstaunt aus der Höhle tritt, wird sie von Ame no Tachikarawo gepackt und herausgezogen. Damit Amaterasu sich nicht wieder darin zurückziehen konnte, nahm Ame no Futotama ein geflochtenes Seil (shimenawa 注連縄) und spannte es vor den Eingang. Heute sind shimenawa das Symbol für den Aufenthalt eines Kami und hängen am Eingang zu shintoistischen Schreinen aber auch an natürlichen Objekten, wie Bäumen oder Felsen.

In Version 2 und 3 des Nihon Shokis, wo Ame no Uzumes Tanz nicht vorkommt, erscheint Amaterasu durch die göttliche Preisrede. In Version 2 ist es Ame no Koyane und in Version 3 Ame no Futotama die die Bitte an die Sonnengöttin richten wieder zu erscheinen.

Die Kogo Shūi Version

Die grundlegende Struktur sowie wichtige Elemente, wie die Versammlung der achtzig (od. achthundert) Myriaden Gottheiten, sowie das Schmücken des Sakaki Baumes, die Preisrede der Ahnengottheiten der Nakatomi und Imbe, der Tanz der Uzume und die Wiedererscheinung der Sonnengöttin unterscheidet sich nicht von den Kiki. Viel ausführlicher gestaltet sich aber die Beschreibung der Herstellung einzelner Opfergaben und die damit in Verbindung stehenden Ahnengottheiten.

Nachfolgende Tabelle soll die hergestellten Opfergaben sowie die Gottheiten, die diese angefertigt haben, darstellen.

Opfergabe Gottheit Zugehörigkeit
Spiegel Ishikoridome no Kami Sohn Ame no Nukado no Mikoto (Kagami tsukuri)
weiße, weiche Opfergaben Ame no Hiwashi no Kami

durch Tsukuhimi no Kami

Inbe der Provinz Aha (Shikoku)
grüne, weiche Opfergaben Nagashiriha no Kami Womi ("Hanfspinner") der Provinz Ise
streifiges Zeug Ame no Hadzuchiwo no Kami Urahn der Shidori
Götterkleider Ame no Tanabatahime no Kami Tochter Takamimusubis und weitgehend

Uhrahnin der Inbe[5]

Fäden für Yasaka-Krummjuwelen Kushi Akarutama no Kami Inbe der Provinz Izumo
Hut, Speer, Schild Taokiho ohi

Hiko Sajiri

Inbe der Provinz Sanuki (Shikoku)

Inbe der Provinz Kii (südl. v. Nara)

Schwerter, Beile, Klingen Ame no Mahitotsu no Kami Inbe der Provinzen Tsukushi (nördl. Kyushu) und Ise

Anmerkungen

  1. Während das Kōtaijingū Gishiki-chō eine Aufzeichnung der Rituale, Zeremonien und Legenden des Ise Schreins darstellt, zeigen sich im Engishiki die Regelungen zu den Ritualen und Zeremonien am Ise Schrein.
  2. Matsumae 1980, S. 10-11
  3. Naumann 1996, S. 83
  4. ein Ahnenschrein der Fujiwara, Nachfahren der Nakatomi
  5. siehe Ame no Futotama

Literatur

  • Karl Florenz 1919
    Die historischen Quellen der Shinto-Religion. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1919. (Übersetzungen von Kojiki und Nihon shoki [in Auszügen] sowie Kogo shūi [ganz].)
  • Takeshi Matsumae 1980
    „The heavenly rock-grotto myth and the Chinkon ceremony.“ Asian Folklore Studies 39/2 (1980), S. 9-22.
  • Nelly Naumann 1996
    Die Mythen des alten Japan. München: Beck 1996. (Exzerpt.)


Links

Religion in Japan