Amaterasu in der Felsenhöhle: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Kamigraphie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
K (Textersetzung - „<!--Vorlage:P21 gelöscht-->[\s]*“ durch „“)
 
(101 dazwischenliegende Versionen von 8 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
==Einleitung==
+
{{Erzählung
 +
|schlagworte= ''[[Kiki]]'' 記紀, ''[[Kogo shūi]]'' 古語拾遺, ''[[Kojiki]]'' 古事記 , ''[[Nihon shoki]]'' 日本書紀
 +
|protagonisten= [[Amaterasu]] 天照, [[Susanoo]] 須佐之男
 +
|kontext=[[Kogo shūi]]
 +
|bild= Amaterasu in der Felsenhöhle Kunisada.jpg
 +
|bild_t=Die Götter locken Amaterasu aus der Höhle
 +
}}
  
Der Abschnitt der [[Amaterasu]] in der Felsenhöhle ([[Ame no Iwato]] 天岩戸) folgt in den japanischen Annalen auf das Kapitel der [[Untaten des Susanoo]]. Die Sonnengöttin Amaterasu Ōmikami 天照大御神 flüchtet aufgrund der frevelhaften Untaten ihres Bruders [[Susanoo]] in eine Felsenhöhle woraufhin die gesamte Welt in Finsternis verfiel. Daraufhin versammelten sich die Götter und entwarfen einen Plan um die Sonnengöttin wieder aus ihrer Höhle zu locken und das Licht wieder die Welt erfüllen konnte. Sie begannen mit der Herstellung verschiedenster Opfergaben wie einem Spiegel, Krumm-Juwelen und entwurzelten zum Schluss einen Sakaki-Baum, der sich auf dem himmlischen Kagu-Berg befand.
+
Der Abschnitt der [[Amaterasu]] 天照 in der Felsenhöhle ([[Ame no Iwato]] 天岩戸) folgt in den japanischen Annalen (''[[Kiki]]'' 記紀) auf das Kapitel der [[Untaten des Susanoo]]. Die Sonnengöttin Amaterasu Ōmikami 天照大御神 flüchtet aufgrund der frevelhaften Untaten ihres Bruders [[Susanoo]] 須佐之男 in eine Felsenhöhle, weshalb die gesamte Welt in Finsternis verfällt. Daraufhin versammeln sich die Götter und entwerfen einen Plan, um die Sonnengöttin wieder aus ihrer Höhle zu locken und somit das Licht wieder die Welt erfüllen zu lassen. Sie beginnen mit der Herstellung verschiedenster Opfergaben wie einem Spiegel oder Krumm-Juwelen und entwurzeln zum Schluss einen ''sakaki''-Baum , der sich auf dem himmlischen Kagu-Berg befindet.
[[Bild:Amaterasu in der Felsenhöhle Kunisada.jpg|thumb|right|Die Götter locken Amaterasu heraus]]
+
 
Der Darbringung der Opfergaben gemeinsam mit schmeichelnden Ritualworten folgte ein Tanz der Göttin Ama no Uzume, die wie in Trance ihre Brüste und Genitalien entblößte. Dieses Vorgehen brachte die umstehenden Götter derart zum Lachen, dass sich kurz darauf das Tor zur Felsenhöhle öffnete und Amaterasu ins Freie blickte. Dies nutzte der Gott Ama no Ta-chikara-wo, der sich neben dem Eingang platziert hatte, und zog Amaterasu aus ihrer Höhle ins Freie, woraufhin die Welt sich wieder erhellte. Der Gott Futo-tama no Mikoto spannte sofort ein Seil quer über den Eingang um Amaterasu daran zu hindern, sich wieder in der Höhle zu verstecken. Da Susannos Untaten dazu geführt hatten, dass sich die Sonnengöttin in die Höhle zurückzog, wurde er von den Göttern bestraft und in das Land Ne verbannt.
+
Auf die Darbringung der Opfergaben, die mit schmeichelnden Ritualworten einhergeht, folgt ein Tanz der Göttin [[Ame no Uzume]] 天鈿女, die dabei — gleichsam in Trance ihre Brüste und Genitalien entblößt. Dieses Vorgehen bringt die umstehenden Götter zum Lachen, worauf sich das Tor zur Felsenhöhle öffnet und Amaterasu ins Freie blickt. Dies nützt der Gott Ame no Tachikarao („Mann der starken Hand des Himmels“), der sich neben dem Eingang positioniert hat, und zieht Amaterasu aus ihrer Höhle ins Freie, woraufhin die Welt sich wieder erhellt. Der Gott [[Ame no Futotama]] 太玉命 spannt sofort ein Seil quer über den Eingang, um Amaterasu daran zu hindern, sich wieder in der Höhle zu verstecken. Da Susannos Untaten dazu geführt haben, dass sich die Sonnengöttin in die Höhle zurückzog, wird er von den Göttern bestraft und in das „Wurzelland“ (''ne no kuni'' 根の国) verbannt.
  
 
==Mythologische Varianten==
 
==Mythologische Varianten==
  
Die zwei wichtigsten Geschichtswerke, die sich mit Amaterasus Rückzug beschäftigen, sind die ''[[Kiki]]'' zu denen das ''[[Kojiki]]'' 古事記(712 n. Chr.) und das ''[[Nihon shoki]]'' 日本書紀 (720 n. Chr.) zählen. Auch das ''[[Kogo shūi]]'' 古語拾遺 („Antholgie alter Geschichten“), welches angelehnt an die ''Kiki'' die mythologische Entstehung Japans und deren ''[[Tennō]]'' beinhaltet, erzählt in einem Abschnitt die Geschichte Amaterasus. Obwohl alle Geschichtswerke die gleichen Mythen beinhalten, ergeben sich an einigen Stellen unterschiedliche Ausführungen bzw. werden bestimmte Details in einzelnen Werken völlig weggelassen. Besonders im ''Kogo shūi'' entfallen oftmals Einzelheiten, die sich in den ''Kiki'' wieder finden. Ausgehend vom ''Kogo shūi'' soll dieser Abschnitt sich daher mit der mythologischen Erzählung der Amaterasu in der Felsenhöhle und den Unterschieden zu den ''Kiki'' und anderen geschichtlich relevanten Werken  befassen.
+
Die zwei wichtigsten Geschichtswerke, die sich mit Amaterasus Rückzug beschäftigen, sind die ''[[Kiki]]'' zu denen das ''[[Kojiki]]'' 古事記 (712 n. Chr.) und das ''[[Nihon shoki]]'' 日本書紀 (720 n. Chr.) zählen. Auch das ''[[Kogo shūi]]'' 古語拾遺 („Antholgie alter Geschichten“), welches angelehnt an die ''Kiki'' die mythologische Entstehung Japans und seiner göttlichen Herrscherdynastie behandelt, erzählt die Geschichte Amaterasus in der Felsenhöhle. Obwohl alle Geschichtswerke die gleichen Grundelemente beinhalten, ergeben sich an einigen Stellen unterschiedliche Ausführungen bzw. werden bestimmte Details in einzelnen Werken völlig weggelassen. Besonders im ''Kogo shūi'' wird deutlich, dass der Schwerpunkt anders ausgerichtet ist als in den ''Kiki''. Diese Unterschiede sollen im Folgenden genauer erläutert werden.
 +
 
 +
===Die ''Kojiki'' und ''Nihon shoki'' Version===
 +
 
 +
Im folgenden Abschnitt wird ausgehend von der ''[[Kojiki]]'' Version der Mythos der Amaterasu in der Felsenhöhle mit anderen mythologischen Varianten wie dem ''[[Nihon shoki]]'' verglichen. Eine genauere Ausführung dieses Mythos aus dem Kogo shūi befindet sich am Ende dieses Abschnittes.
 +
 
 +
====Die Sonne verschwindet====
 +
 
 +
Das ''Kojiki'' erzählt vom Ableben der Weberin(nen) [[Amaterasu]]s, woraufhin Amaterasu sich in die himmlische Felsen-Wohnung (Ame no Iwaya 天石屋) zurückzieht und das Mittelland der Schilfgefilde in Dunkelheit fällt. Im ''Nihon shoki'' hingegen verletzt sich Amaterasu selbst mit dem Webschiff und begiebt sich daraufhin in die Felsen-Höhle des Himmels 天石窟. Im Kojiki unterscheiden sich die Zeichen für die himmlische Felsenhöhle, die hier als ''ya'' 屋 (Wohnung) und im ''Nihon shoki'' als ''iwaya'' 屋 (Höhle) bezeichnet wird. Im ''Kojiki'' findet sich außerdem eine Erwähnung vom Erscheinen böser Gottheiten und üblen Gestalten aufgrund der durch Amaterasus Verschwinden ausgelösten Dunkelheit.
 +
 
 +
Der Rückzug in die Höhle kann auch als Sterben angesehen werden; ''iwa-gakuru'' 岩がける also „sich im Fels verbergen“, bezeichnet auch die Bestattung der Leichname in Hügelgräbern (''[[kofun]]'' 古墳), welche besonders die Yamato-Zeit prägten, in der große Herrscher in derartigen Hügelgräbern bestatten wurden.
 +
 
 +
====Der Plan des Omohikane====
 +
 
 +
Nach dem Verschwinden der Sonnengöttin versammeln sich die achthundert Myriaden Götter im Flussbett des ruhigen Flusses des Himmels (''Ame no Yasu no kawara'' 天安之河原). Im ''[[Nihon shoki]]'' wird von achtzig Myriaden Göttern gesprochen.<ref>Die Anzahl gibt aber keinen Aufschluss über einen möglichen Unterschied, da man die [[Acht|Zahl Acht]] als „zahlreich“ ansehen kann. Was in beiden Fällen eine Anzahl von „vielen“ Göttern beschreiben würde.</ref> Die zahllosen Götter versammeln sich also am achtströmigen Fluss des Himmels und Omohikane (wtl. der „Denkenkönner“), Sohn des [[Takamimusubi]] 高御産巣日, überlegt sich einen Plan um Amaterasu wieder aus der Höhle zu locken.
 +
 
 +
Im ''[[Kojiki]]'' wie auch im ''Nihon shoki'' ist die erste Handlung der Götter Hähne zum Krähen zu bringen. Man könnte dies anhand einer naturwissenschaftlichen Erklärung interpretieren, da Hähne vor Sonnenaufgang zu krähen beginnen. Also beschreibt das Krähen der Hähne die Wiederauferstehung der Sonne. Hähne wurden bereits in der [[Heian-Zeit]] 平安時代 als göttliche Boten der Amaterasu angesehen. So finden sich im ''Kōtaijingū gishiki-chō'' 皇太神宮儀式帳 (804) und den ''Engishiki'' 延喜式 (927) die Erwähnung von Hähnen zur Verehrung der [[Amaterasu]] während der Schreinfeste am [[Ise Schrein]] 伊勢神宮.<ref>Matsumae 1980, S. 10–11. Während das ''Kōtaijingū gishiki-chō'' eine Aufzeichnung der Rituale, Zeremonien und Legenden des Ise Schreins darstellt, enthalten die ''Engishiki'' Regelungen für den Hof, u.a. auch solche, die sich auf den Ise Schrein beziehen.</ref>
 +
 
 +
====Die Anfertigung der Opfergaben====
 +
 
 +
=====Der Spiegel=====
 +
 
 +
Aus dem Felsen vom Flussbett des ruhigen Flusses des Himmels und dem Eisen aus den Erz-Bergen des Himmels stellt Ishikoridome no Mikoto 伊斯許理度売命 einen Spiegel her, der die Sonne repräsentiert und später Amaterasu vor das Gesicht gehalten wird. Ishikoridome gilt als Sohn des Ame no Nukado 天糠戸命, Urahn der Kagami tsukuri 鏡作神 (Spiegelmacher). In der Hauptversion des ''[[Nihon shoki]]'' findet diese Gottheit keine Erwähnung, während die Nebenversionen Unterschiede zum ''[[Kojiki]]'' ausweisen: So stellt Ishikoridome in Version 1 anstatt eines Spiegels einen Sonnenspeer her und in Version 2 ist Ama no Nukado, Vater Ishikoridomes, verantwortlich für die Herstellung des Spiegels.
 +
 
 +
=====Die Krumm-Juwelen=====
 +
 
 +
Die Göttin Tama no ya 玉祖命 fertigt im nächsten Schritt fünfhundert Yasaka Krumm-Juwelen 八坂ノ勾玉 her. Die Göttin der Tama tsukuri 玉造 Volksgruppe („Juwelenmacher“) findet nur in einer Nebenversion des ''[[Nihon shoki]]'' erneut Erwähnung und in Version 3 wird gar Izanagis Sohn Ame no Akuratama als Hersteller der Krumm-Juwelen genannt.
 +
 
 +
=====Der heilige ''sakaki''-Baum=====
 +
 
 +
Um die Opfergaben prachtvoll in Szene zu setzen, beauftragt man [[Ame no Koyane]] 天兒屋, Urahn der Nakatomi, und [[Ame no Futotama]] 太玉命, Urahn der [[Inbe]] 斎部, einen fünfhundertzweigigen ''sakaki'' 榊-Baum vom heiligen Kagu-Berg zu entwurzeln, welcher später mit den hergestellten Opfergaben geschmückt und Amaterasu präsentiert wird. Dieser Baum scheint ein wichtiges Element des Mythos zu sein, da er im ''[[Kojiki]]'', der Hauptversion des ''[[Nihon shoki]]'' und dem ''[[Kogo shūi]]'' unter derselben Bezeichnung vorkommt.
 +
 
 +
Der ''sakaki''-Baum kann auch als Herrschaftssymbol angesehen werden. Im ''Nihon shoki'' wird in drei Fällen die Überreichung eines ''sakaki''-Baums mit den Reichsinsignien Spiegel, Krumm-Juwelen und Schwert (siehe [[Gott-Kaiser]]) vom Yamato-Herrscher an die Lokalherren Kyūshūs genannt. Somit stellt die Weitergabe des heiligen Baumes eine Art Legitimation für die Überreichung der Herrschaft an die Lokalherren Kyūshūs dar. Weiters kann der Name [[Takamimusubi|Takamimusubis]], eine der drei Schöpfergottheiten und Ahnengottheit der kaiserlichen Familie, als Takagi also „hoher Baum“ gelesen werden.<ref>Naumann 1996, S. 83</ref>
 +
 
 +
Die immergrünen Zweige des ''sakaki''-Baums werden auch bei heutigen Schreinritualen häufig eingesetzt.
 +
 
 +
=====Sonstige Opfergaben=====
  
 +
Außer den bisher genannten Gegenständen wurden auch weiße weiche Opfergaben (''shira nigite'' 白和幣 aus Papiermaulbeerrinde ''yufu'', ein in Asien weit verbreitetes Gewächs, das früher zur Papierherstellung verwendet wurde) und grüne weiche Opfergaben (''awo nigite'' 青和幣 aus hanfähnlichem Zeug) hergestellt und an den unteren Ästen des ''sakaki''-Baumes gehängt.
  
===Tabelle Test===
+
Das ''[[Kojiki]]'' enthält weiters die Erwähnung einer Divination aus dem Schulterblatt eines Hirsches und der Birkenrinde vom Kagu-Berg. Ein Hirsch kommt ebenfalls in Version 1 des ''[[Nihon shoki]]s'' vor, jedoch wird hier aus dem Fell ein himmlischer Blasebalg (''habuki'' 天羽韛). Der Hirsch könnte auch ein Symbol der Nakatomi sein. So erzählt die Geschichte zur Schreingründung des [[Kasuga Schrein]]s 春日大社,<ref>ein Ahnenschrein der Fujiwara, Nachfahren der Nakatomi</ref> dass die beiden Götter Takemikazuchi und Futsunushi auf einem Hirsch in die Hauptstadt geritten kamen und anlässlich ihres Besuches der Kasuga Schrein erbaut wurde.
{| class=wikitable
 
|
 
Kogo shūi
 
|
 
離天照大御神之營田之阿。埋其溝。亦其於聞看大嘗之殿。<u>屎麻理散</u>。[...]
 
  
轉天照大御神。坐忌服屋而。令織神御衣之時。穿其服屋之頂<u>逆剥天斑馬剥而</u>。所墮人時。天衣織女見驚而。<u>於梭衝陰上而死</u>。
+
====Das Herauslocken der Göttin====
|
 
... [da] zerstörte  er  die  Abtrennungen der von  Ama-terasu-oho-mi-kami  angelegten  Reisfelder, schüttete die  Gräben zu und <u>verstreute dann Exkremente</u> im Palast der Großen Erntefeier. [...]
 
  
Als  Ama-terasu-oho-mi-kami in der Reinen Webhalle saß  und erlauchte Götterkleider weben ließ, da bohrte er  in die Dachspitze der Webhalle  ein  Loch, <u>zog mit umgekehrten Schinden einem  himmlischen  scheckigen  Pferd von hinten her das Fell ab</u> und ließ  es hineinfallen. Die ''himmlische Weberin'' sah dies, stach sich vor Schrecken  <u>mit  dem  Webschiffchen
+
Nachdem die Opfergaben fertiggestellt und der heilige ''sakaki''-Baum geschmückt wurde, nahm [[Ame no Futotama]] diesen in die Hand und [[Ame no Koyane]] beginnt mit dem Aufsagen bestimmter Ritualworte ihr Gebet. Währenddessen stellt sich Ame no Tachikarawo 天手力男神 neben die Tür der Felsenhöhle und [[Ame no Uzume]], Vorfahrin der Sarume, beginnt sich für ihren pantomimischen Tanz vorzubereiten. Sie bindet ein Handstützband aus Keulenbärlapp um ihren Körper und macht sich aus den Blättern eines Spindelbaumes einen Kopfschmuck. Aus den Blättern des Bambusgrases vom Kagu-Berg bindet sie einen Strauß und stellt ein Schallbrett oder wie im ''[[Nihon shoki]]'' beschrieben einen Trog vor die Tür zur Felsenhöhle. Dort führt sie wie in Trance eine Art Pantomime auf und entblößt ihre Brustwarzen samt ihrer Genitalien.
in die Scheide und  starb</u>.  
+
 
|-
+
Auch in der Hauptversion des ''[[Nihon shoki]]'' sind [[Ame no Koyane]] und [[Ame no Futotama]] verantwortlich für die Preisrede. Die Vorbereitungen für Ame no Uzumes pantomimischen Tanz sind ebenfalls gleich wie im ''[[Kojiki]]'' nur nimmt sie hier einen Speer, an dem Chi-Gras herum gebunden wurde, in die Hand und ein Feuer wird vor der Höhle entfacht. Jedoch kommt der [[Tanz der Ame no Uzume]] nicht in allen Versionen des ''Nihon shokis'' vor. Auch das Entblößen der Brustwarzen und Genitalien ist einzig und allein im ''Kojiki'' Teil der Zeremonie.
|
+
 
Nihon shoki  <ref name=webehalle_nish />
+
====Die Sonne erscheint wieder====
|
+
 
時素戔鳴尊。春則重播種子。且毀其畔。秋則放天斑駒。使伏田中。復見天照大神。當新嘗時。則<u>陰放屎</u>於新宮。
+
Amaterasu hört das Gelächter der Gottheiten, das durch [[Ame no Uzume]]s Obszönität ausgelöst wurde, und fragt sich, warum die Götter so fröhlich sind, nachdem die ganze Welt doch dunkel ist. Aus Neugierde öffnete sich die Tür woraufhin [[Ame no Koyane]] und [[Ame no Futotama]] ihr den Sonnenspiegel entgegenhalten. Als Amaterasu erstaunt aus der Höhle tritt, wird sie von Ame no Tachikarawo gepackt und herausgezogen. Damit Amaterasu sich nicht wieder darin zurückziehen konnte, nimmt Ame no Futotama ein geflochtenes Seil (''shimenawa'' 注連縄) und spannt es vor den Eingang. Heute sind ''shimenawa'' das Symbol für den Aufenthalt eines Kami und hängen am Eingang zu shintoistischen Schreinen, aber auch an natürlichen Objekten wie Bäumen oder Felsen.
 +
 
 +
In Version 2 und 3 des ''[[Nihon shoki]]s'', wo Ame no Uzumes Tanz nicht vorkommt, erscheint [[Amaterasu]] durch die göttliche Preisrede. In Version 2 ist es Ame no Koyane und in Version 3 Ame no Futotama die die Bitte an die Sonnengöttin richten wieder zu erscheinen.
 +
 
 +
===Die ''Kogo shūi''-Version===
 +
 
 +
In der Version des ''[[Kogo shūi]]'' unterscheiden sich die grundlegende Struktur der Erzählung sowie wichtige Elemente, wie die Versammlung der achtzig (od. achthundert) Myriaden Gottheiten oder das Schmücken des ''sakaki''-Baumes, die Preisrede der Ahnengottheiten der Nakatomi und Imbe, der [[Tanz der Ame no Uzume|Tanz der Uzume]] und die Wiedererscheinung der Sonnengöttin nicht von den ''[[Kiki]]''. Viel ausführlicher gestaltet sich aber die Beschreibung der Herstellung einzelner Opfergaben und die damit in Verbindung stehenden Ahnengottheiten.
  
又見天照大神。方織神衣。居齋服殿。則<u>剥天斑駒</u>。穿殿甍而投納。是時。天照大神。驚動。<u>以梭傷身</u>。
+
Nachfolgende Tabelle soll die hergestellten Opfergaben sowie die Gottheiten, die diese angefertigt haben, darstellen.
|
 
... [da] übersäete  Susa  no  Wo  no  Mikoto  im  Frühling  dieselben [Reisfelder],  zerstörte
 
ferner  die Dämme  derselben, und im  Herbst  ließ  er die himmlischen scheckigen
 
Pferde  los  und  ließ  sie  sich  mitten  auf  den  Reisfeldern  lagern.  Weiterhin
 
als  er  sah,  daß  Ama-terasu  Oho-mi-kami  eben  im  Begriff  war  den  neuen
 
Reis  zu  kosten, <u>ließ  er  heimlich  Kot</u>  im Palast  des  Neuen-Schmauses.  
 
  
Ferner als  er  sah,  daß  Ama-terasu  Oho-mi-kami  gerade  Götter-Kleider  webend  sich
+
{| class="wikitable"
in  der  heiligen Web-Halle befand,  <u>zog  er  einem  himmlischen  scheckigen Pferde
+
|-
die  Haut  ab</u>,  brach  durch  den  Dachfirst  der  Halle  ein  Loch  und  warf  [das
+
! Opfergabe !! Gottheit !! Zugehörigkeit
geschundene  Pferd]  hinein.  Da  fuhr  ''Ama-terasu  Oho-mi-kami''  erschrocken  auf
+
|-
und  <u>verletzte  sich  mit  dem  Webschiff</u>.
+
| Spiegel || Ishikoridome no Kami|| Sohn Ame no Nukado no Mikoto (Kagami tsukuri)
 
|-
 
|-
|
+
| weiße, weiche Opfergaben || Ame no Hiwashi no Kami
Nihon shoki, V1 <ref name=webehalle_nish_1 />
+
durch Tsukuhimi no Kami
|
+
|| Inbe der Provinz Aha (Shikoku)
是後。稚日女尊。坐于齋服殿。而織神之御服也。素戔鳴尊見之。則<u>逆剥斑駒</u>。投入之殿内。稚日女尊。乃驚而堕機。<u>以所持梭。傷體而神退矣</u>。
 
|
 
Hiernach  befand  sich Waka-hiru-me no Mikoto  in  der  heiligen Webhalle  und  webte  die  erlauchten  Kleider der  Götter.  Als  Susa no Wo  no Mikoto  dies  sah,  <u>zog  er  einem scheckigen  Pferde  mit  Rückwärtsschindung  die  Haut  ab</u>  und  warf  es in  das  Innere  der  Halle  hinein.  Da  erschrak ''Waka-hiru-me no  Mikoto'', fiel  von  dem  Webstuhl  herab,  <u>verwundete  sich  mit  dem  Webschiff,
 
welches  sie  in  der Hand  hielt,  und  verschied  göttlich</u>.
 
 
|-
 
|-
|
+
| grüne, weiche Opfergaben || Nagashiriha no Kami || Womi („Hanfspinner“) der Provinz Ise
Nihon shoki, V2 <ref name=webehalle_nish_2 />
+
|-
|
+
| streifiges Zeug || Ame no Hadzuchiwo no Kami|| Urahn der Shidori
時素戔鳴尊。春則填渠毀畔。又秋穀巳成。則且以絡繩。且日神居織殿時。則<u>生剥斑駒</u>。納其殿内。[...] 及至日神當新甞之時。素戔鳴尊。則於新宮御席之下。<u>陰自送糞</u>
+
|-
|
+
| Götterkleider || Ame no Tanabatahime no Kami || Tochter Takamimusubis und weitgehend
Da,  als  es  Frühling  war,  verstopfte  Susa  no Wo  no  Mikoto  die Kanäle
+
Uhrahnin der Inbe<ref>siehe [[Ame no Futotama]]</ref>
[der  Reisfelder]  und  zerstörte  die  Dämme, und  ferner  im  Herbst, als
+
|-
die  Körnerfrüchte  bereits  reif  geworden  waren,  zog  er  Abgrenzungsseile  rings  um  sie  herum.
+
| Fäden für Yasaka-Krummjuwelen || Kushi Akarutama no Kami|| Inbe der Provinz Izumo
Ferner  als  die  Sonnengöttin  sich  in  ihrer Webhalle  befand,  <u>zog  er  einem scheckigen Pferde  bei lebendigem Leibe die  Haut  ab</u>  und  warf  es  in  das  Innere  der Halle  hinein. [...]
+
|-
Als  die  Zeit  herangekommen  war, wo  die  Sonnengöttin  das  Fest
+
| Hut, Speer, Schild || Taokiho ohi
des  Neuen  Schmauses  halten wollte, <u>ließ</u>  Susa  no Wo  no Mikoto  unter
+
Hiko Sajiri
dem  erlauchten  Sitze  im  Neuen  Palaste  <u>heimlich  Kot</u>.
+
|| Inbe der Provinz Sanuki (Shikoku)
 +
Inbe der Provinz Kii (südl. v. Nara)
 +
|-
 +
| Schwerter, Beile, Klingen || [[Ama no Ma-hitotsu]] no Kami|| Inbe der Provinzen Tsukushi (nördl. Kyūshū) und Ise
 
|}
 
|}
  
==Verweise==
+
{{abb
===Anmerkungen===
+
| bild= <!-- z.B. kami.jpg -->Herstellung Opfergaben Übersicht.jpg
 +
| text= <!-- Kurzbeschreibung  -->Beteiligung der Inbe bei der Herstellung von Opfergaben
 +
|w=500
 +
|pos=center
 +
}}
 +
 
 +
== Volkstümliche Varianten ==
 +
{{abb
 +
| bild= <!-- z.B. kami.jpg -->Ame no iwato.jpg|
 +
| text= <!-- Kurzbeschreibung  -->Tanz vor der Felsenhöhle, 1849
 +
}}
 +
 
 +
Das obige ''ema'' 絵馬 (Votivbild) aus der späten Edo-Zeit 江戸時代 zeigt die Götter aus Takama no hara 高天原, den „Himmlischen Gefilden“, wie das Reich der Götter in den japanischen Mythen bezeichnet wird, beim Musizieren, während Amaterasu neugierig aus der Felsenhöhle tritt. Zu ihrer Rechten ist der am Baum aufgehangene Spiegel abgebildet. Rechts vom Baum tanzt [[Ame no Uzume]]. Die Figur, die vor ihr steht und zu ihr hochblickt, könnte Tajikarao no kami 手力男神 sein, der die aus der Höhle heraustretende [[Amaterasu]] bei der Hand genommen haben soll.<ref>Aston 1896, S. 45</ref> Rechts des Feuers ist ein Hahn gezeigt, der den Morgen und die neuerliche Erhellung des Universums durch Amaterasu symbolisieren könnte. Der Kami mit weißem Bart und rotem Gesicht am linken Bildrand ähnelt einem ''tengu'' 天狗 und stellt [[Sarutahiko]] 猿田毘古大神 dar, den Gefährten von [[Ame no Uzume]]s. Er spielt eine Flammen-umrahmte Trommel, die einem Spiegel ähnelt. Sarutahiko kommt allerdings in den klassischen Mythen nicht in dieser Szene vor (s.o.). Das Votivbild bildet daher die Dramatisierung der mythologischen Episode in Form von Schreintänzen (''kagura'' 神楽) nach.
 +
 
 +
{{verweise
 +
| themen= <!-- Liste interner Links mit verwandten Themen -->
  
==Literatur==
+
| literatur= <!-- verwendete Literatur -->
* {{Literatur:Bentley 2002}}
+
* {{Literatur: Aston 1896}}
 
* {{Literatur: Florenz 1919}}
 
* {{Literatur: Florenz 1919}}
 +
* {{Literatur: Matsumae 1980}}
 
* {{Literatur: Naumann 1996}}
 
* {{Literatur: Naumann 1996}}
 +
| links= <!-- Liste externer Links -->
 +
* {{Link: Religion in Japan}}
 +
| update= 2021/08/12<!-- Datum der Linkliste -->
 +
| ref= 1 <!-- oder 1, wenn <ref> verwendet wird -->
 +
| abb= 1 <!-- oder 1, wenn {{abb}} verwendet wird -->
 +
}}

Aktuelle Version vom 18. Oktober 2021, 15:22 Uhr

Der Abschnitt der Amaterasu 天照 in der Felsenhöhle (Ame no Iwato 天岩戸) folgt in den japanischen Annalen (Kiki 記紀) auf das Kapitel der Untaten des Susanoo. Die Sonnengöttin Amaterasu Ōmikami 天照大御神 flüchtet aufgrund der frevelhaften Untaten ihres Bruders Susanoo 須佐之男 in eine Felsenhöhle, weshalb die gesamte Welt in Finsternis verfällt. Daraufhin versammeln sich die Götter und entwerfen einen Plan, um die Sonnengöttin wieder aus ihrer Höhle zu locken und somit das Licht wieder die Welt erfüllen zu lassen. Sie beginnen mit der Herstellung verschiedenster Opfergaben wie einem Spiegel oder Krumm-Juwelen und entwurzeln zum Schluss einen sakaki-Baum 榊, der sich auf dem himmlischen Kagu-Berg befindet.

Auf die Darbringung der Opfergaben, die mit schmeichelnden Ritualworten einhergeht, folgt ein Tanz der Göttin Ame no Uzume 天鈿女, die dabei — gleichsam in Trance — ihre Brüste und Genitalien entblößt. Dieses Vorgehen bringt die umstehenden Götter zum Lachen, worauf sich das Tor zur Felsenhöhle öffnet und Amaterasu ins Freie blickt. Dies nützt der Gott Ame no Tachikarao („Mann der starken Hand des Himmels“), der sich neben dem Eingang positioniert hat, und zieht Amaterasu aus ihrer Höhle ins Freie, woraufhin die Welt sich wieder erhellt. Der Gott Ame no Futotama 太玉命 spannt sofort ein Seil quer über den Eingang, um Amaterasu daran zu hindern, sich wieder in der Höhle zu verstecken. Da Susannos Untaten dazu geführt haben, dass sich die Sonnengöttin in die Höhle zurückzog, wird er von den Göttern bestraft und in das „Wurzelland“ (ne no kuni 根の国) verbannt.

Mythologische Varianten

Die zwei wichtigsten Geschichtswerke, die sich mit Amaterasus Rückzug beschäftigen, sind die Kiki zu denen das Kojiki 古事記 (712 n. Chr.) und das Nihon shoki 日本書紀 (720 n. Chr.) zählen. Auch das Kogo shūi 古語拾遺 („Antholgie alter Geschichten“), welches angelehnt an die Kiki die mythologische Entstehung Japans und seiner göttlichen Herrscherdynastie behandelt, erzählt die Geschichte Amaterasus in der Felsenhöhle. Obwohl alle Geschichtswerke die gleichen Grundelemente beinhalten, ergeben sich an einigen Stellen unterschiedliche Ausführungen bzw. werden bestimmte Details in einzelnen Werken völlig weggelassen. Besonders im Kogo shūi wird deutlich, dass der Schwerpunkt anders ausgerichtet ist als in den Kiki. Diese Unterschiede sollen im Folgenden genauer erläutert werden.

Die Kojiki und Nihon shoki Version

Im folgenden Abschnitt wird ausgehend von der Kojiki Version der Mythos der Amaterasu in der Felsenhöhle mit anderen mythologischen Varianten wie dem Nihon shoki verglichen. Eine genauere Ausführung dieses Mythos aus dem Kogo shūi befindet sich am Ende dieses Abschnittes.

Die Sonne verschwindet

Das Kojiki erzählt vom Ableben der Weberin(nen) Amaterasus, woraufhin Amaterasu sich in die himmlische Felsen-Wohnung (Ame no Iwaya 天石屋) zurückzieht und das Mittelland der Schilfgefilde in Dunkelheit fällt. Im Nihon shoki hingegen verletzt sich Amaterasu selbst mit dem Webschiff und begiebt sich daraufhin in die Felsen-Höhle des Himmels 天石窟. Im Kojiki unterscheiden sich die Zeichen für die himmlische Felsenhöhle, die hier als ya 屋 (Wohnung) und im Nihon shoki als iwaya 屋 (Höhle) bezeichnet wird. Im Kojiki findet sich außerdem eine Erwähnung vom Erscheinen böser Gottheiten und üblen Gestalten aufgrund der durch Amaterasus Verschwinden ausgelösten Dunkelheit.

Der Rückzug in die Höhle kann auch als Sterben angesehen werden; iwa-gakuru 岩がける also „sich im Fels verbergen“, bezeichnet auch die Bestattung der Leichname in Hügelgräbern (kofun 古墳), welche besonders die Yamato-Zeit prägten, in der große Herrscher in derartigen Hügelgräbern bestatten wurden.

Der Plan des Omohikane

Nach dem Verschwinden der Sonnengöttin versammeln sich die achthundert Myriaden Götter im Flussbett des ruhigen Flusses des Himmels (Ame no Yasu no kawara 天安之河原). Im Nihon shoki wird von achtzig Myriaden Göttern gesprochen.[1] Die zahllosen Götter versammeln sich also am achtströmigen Fluss des Himmels und Omohikane (wtl. der „Denkenkönner“), Sohn des Takamimusubi 高御産巣日, überlegt sich einen Plan um Amaterasu wieder aus der Höhle zu locken.

Im Kojiki wie auch im Nihon shoki ist die erste Handlung der Götter Hähne zum Krähen zu bringen. Man könnte dies anhand einer naturwissenschaftlichen Erklärung interpretieren, da Hähne vor Sonnenaufgang zu krähen beginnen. Also beschreibt das Krähen der Hähne die Wiederauferstehung der Sonne. Hähne wurden bereits in der Heian-Zeit 平安時代 als göttliche Boten der Amaterasu angesehen. So finden sich im Kōtaijingū gishiki-chō 皇太神宮儀式帳 (804) und den Engishiki 延喜式 (927) die Erwähnung von Hähnen zur Verehrung der Amaterasu während der Schreinfeste am Ise Schrein 伊勢神宮.[2]

Die Anfertigung der Opfergaben

Der Spiegel

Aus dem Felsen vom Flussbett des ruhigen Flusses des Himmels und dem Eisen aus den Erz-Bergen des Himmels stellt Ishikoridome no Mikoto 伊斯許理度売命 einen Spiegel her, der die Sonne repräsentiert und später Amaterasu vor das Gesicht gehalten wird. Ishikoridome gilt als Sohn des Ame no Nukado 天糠戸命, Urahn der Kagami tsukuri 鏡作神 (Spiegelmacher). In der Hauptversion des Nihon shoki findet diese Gottheit keine Erwähnung, während die Nebenversionen Unterschiede zum Kojiki ausweisen: So stellt Ishikoridome in Version 1 anstatt eines Spiegels einen Sonnenspeer her und in Version 2 ist Ama no Nukado, Vater Ishikoridomes, verantwortlich für die Herstellung des Spiegels.

Die Krumm-Juwelen

Die Göttin Tama no ya 玉祖命 fertigt im nächsten Schritt fünfhundert Yasaka Krumm-Juwelen 八坂ノ勾玉 her. Die Göttin der Tama tsukuri 玉造 Volksgruppe („Juwelenmacher“) findet nur in einer Nebenversion des Nihon shoki erneut Erwähnung und in Version 3 wird gar Izanagis Sohn Ame no Akuratama als Hersteller der Krumm-Juwelen genannt.

Der heilige sakaki-Baum

Um die Opfergaben prachtvoll in Szene zu setzen, beauftragt man Ame no Koyane 天兒屋, Urahn der Nakatomi, und Ame no Futotama 太玉命, Urahn der Inbe 斎部, einen fünfhundertzweigigen sakaki 榊-Baum vom heiligen Kagu-Berg zu entwurzeln, welcher später mit den hergestellten Opfergaben geschmückt und Amaterasu präsentiert wird. Dieser Baum scheint ein wichtiges Element des Mythos zu sein, da er im Kojiki, der Hauptversion des Nihon shoki und dem Kogo shūi unter derselben Bezeichnung vorkommt.

Der sakaki-Baum kann auch als Herrschaftssymbol angesehen werden. Im Nihon shoki wird in drei Fällen die Überreichung eines sakaki-Baums mit den Reichsinsignien Spiegel, Krumm-Juwelen und Schwert (siehe Gott-Kaiser) vom Yamato-Herrscher an die Lokalherren Kyūshūs genannt. Somit stellt die Weitergabe des heiligen Baumes eine Art Legitimation für die Überreichung der Herrschaft an die Lokalherren Kyūshūs dar. Weiters kann der Name Takamimusubis, eine der drei Schöpfergottheiten und Ahnengottheit der kaiserlichen Familie, als Takagi also „hoher Baum“ gelesen werden.[3]

Die immergrünen Zweige des sakaki-Baums werden auch bei heutigen Schreinritualen häufig eingesetzt.

Sonstige Opfergaben

Außer den bisher genannten Gegenständen wurden auch weiße weiche Opfergaben (shira nigite 白和幣 aus Papiermaulbeerrinde yufu, ein in Asien weit verbreitetes Gewächs, das früher zur Papierherstellung verwendet wurde) und grüne weiche Opfergaben (awo nigite 青和幣 aus hanfähnlichem Zeug) hergestellt und an den unteren Ästen des sakaki-Baumes gehängt.

Das Kojiki enthält weiters die Erwähnung einer Divination aus dem Schulterblatt eines Hirsches und der Birkenrinde vom Kagu-Berg. Ein Hirsch kommt ebenfalls in Version 1 des Nihon shokis vor, jedoch wird hier aus dem Fell ein himmlischer Blasebalg (habuki 天羽韛). Der Hirsch könnte auch ein Symbol der Nakatomi sein. So erzählt die Geschichte zur Schreingründung des Kasuga Schreins 春日大社,[4] dass die beiden Götter Takemikazuchi und Futsunushi auf einem Hirsch in die Hauptstadt geritten kamen und anlässlich ihres Besuches der Kasuga Schrein erbaut wurde.

Das Herauslocken der Göttin

Nachdem die Opfergaben fertiggestellt und der heilige sakaki-Baum geschmückt wurde, nahm Ame no Futotama diesen in die Hand und Ame no Koyane beginnt mit dem Aufsagen bestimmter Ritualworte ihr Gebet. Währenddessen stellt sich Ame no Tachikarawo 天手力男神 neben die Tür der Felsenhöhle und Ame no Uzume, Vorfahrin der Sarume, beginnt sich für ihren pantomimischen Tanz vorzubereiten. Sie bindet ein Handstützband aus Keulenbärlapp um ihren Körper und macht sich aus den Blättern eines Spindelbaumes einen Kopfschmuck. Aus den Blättern des Bambusgrases vom Kagu-Berg bindet sie einen Strauß und stellt ein Schallbrett oder wie im Nihon shoki beschrieben einen Trog vor die Tür zur Felsenhöhle. Dort führt sie wie in Trance eine Art Pantomime auf und entblößt ihre Brustwarzen samt ihrer Genitalien.

Auch in der Hauptversion des Nihon shoki sind Ame no Koyane und Ame no Futotama verantwortlich für die Preisrede. Die Vorbereitungen für Ame no Uzumes pantomimischen Tanz sind ebenfalls gleich wie im Kojiki nur nimmt sie hier einen Speer, an dem Chi-Gras herum gebunden wurde, in die Hand und ein Feuer wird vor der Höhle entfacht. Jedoch kommt der Tanz der Ame no Uzume nicht in allen Versionen des Nihon shokis vor. Auch das Entblößen der Brustwarzen und Genitalien ist einzig und allein im Kojiki Teil der Zeremonie.

Die Sonne erscheint wieder

Amaterasu hört das Gelächter der Gottheiten, das durch Ame no Uzumes Obszönität ausgelöst wurde, und fragt sich, warum die Götter so fröhlich sind, nachdem die ganze Welt doch dunkel ist. Aus Neugierde öffnete sich die Tür woraufhin Ame no Koyane und Ame no Futotama ihr den Sonnenspiegel entgegenhalten. Als Amaterasu erstaunt aus der Höhle tritt, wird sie von Ame no Tachikarawo gepackt und herausgezogen. Damit Amaterasu sich nicht wieder darin zurückziehen konnte, nimmt Ame no Futotama ein geflochtenes Seil (shimenawa 注連縄) und spannt es vor den Eingang. Heute sind shimenawa das Symbol für den Aufenthalt eines Kami und hängen am Eingang zu shintoistischen Schreinen, aber auch an natürlichen Objekten wie Bäumen oder Felsen.

In Version 2 und 3 des Nihon shokis, wo Ame no Uzumes Tanz nicht vorkommt, erscheint Amaterasu durch die göttliche Preisrede. In Version 2 ist es Ame no Koyane und in Version 3 Ame no Futotama die die Bitte an die Sonnengöttin richten wieder zu erscheinen.

Die Kogo shūi-Version

In der Version des Kogo shūi unterscheiden sich die grundlegende Struktur der Erzählung sowie wichtige Elemente, wie die Versammlung der achtzig (od. achthundert) Myriaden Gottheiten oder das Schmücken des sakaki-Baumes, die Preisrede der Ahnengottheiten der Nakatomi und Imbe, der Tanz der Uzume und die Wiedererscheinung der Sonnengöttin nicht von den Kiki. Viel ausführlicher gestaltet sich aber die Beschreibung der Herstellung einzelner Opfergaben und die damit in Verbindung stehenden Ahnengottheiten.

Nachfolgende Tabelle soll die hergestellten Opfergaben sowie die Gottheiten, die diese angefertigt haben, darstellen.

Opfergabe Gottheit Zugehörigkeit
Spiegel Ishikoridome no Kami Sohn Ame no Nukado no Mikoto (Kagami tsukuri)
weiße, weiche Opfergaben Ame no Hiwashi no Kami

durch Tsukuhimi no Kami

Inbe der Provinz Aha (Shikoku)
grüne, weiche Opfergaben Nagashiriha no Kami Womi („Hanfspinner“) der Provinz Ise
streifiges Zeug Ame no Hadzuchiwo no Kami Urahn der Shidori
Götterkleider Ame no Tanabatahime no Kami Tochter Takamimusubis und weitgehend

Uhrahnin der Inbe[5]

Fäden für Yasaka-Krummjuwelen Kushi Akarutama no Kami Inbe der Provinz Izumo
Hut, Speer, Schild Taokiho ohi

Hiko Sajiri

Inbe der Provinz Sanuki (Shikoku)

Inbe der Provinz Kii (südl. v. Nara)

Schwerter, Beile, Klingen Ama no Ma-hitotsu no Kami Inbe der Provinzen Tsukushi (nördl. Kyūshū) und Ise
Beteiligung der Inbe bei der Herstellung von Opfergaben [Abb. 2]

Volkstümliche Varianten

Tanz vor der Felsenhöhle, 1849 [Abb. 3]

Das obige ema 絵馬 (Votivbild) aus der späten Edo-Zeit 江戸時代 zeigt die Götter aus Takama no hara 高天原, den „Himmlischen Gefilden“, wie das Reich der Götter in den japanischen Mythen bezeichnet wird, beim Musizieren, während Amaterasu neugierig aus der Felsenhöhle tritt. Zu ihrer Rechten ist der am Baum aufgehangene Spiegel abgebildet. Rechts vom Baum tanzt Ame no Uzume. Die Figur, die vor ihr steht und zu ihr hochblickt, könnte Tajikarao no kami 手力男神 sein, der die aus der Höhle heraustretende Amaterasu bei der Hand genommen haben soll.[6] Rechts des Feuers ist ein Hahn gezeigt, der den Morgen und die neuerliche Erhellung des Universums durch Amaterasu symbolisieren könnte. Der Kami mit weißem Bart und rotem Gesicht am linken Bildrand ähnelt einem tengu 天狗 und stellt Sarutahiko 猿田毘古大神 dar, den Gefährten von Ame no Uzumes. Er spielt eine Flammen-umrahmte Trommel, die einem Spiegel ähnelt. Sarutahiko kommt allerdings in den klassischen Mythen nicht in dieser Szene vor (s.o.). Das Votivbild bildet daher die Dramatisierung der mythologischen Episode in Form von Schreintänzen (kagura 神楽) nach.

Verweise

Literatur

  • William George Aston (Ü.) 1896
    Nihongi: Chronicles of Japan from the earliest times to a.d. 697. London: Kegan Paul 1896. (Zahlreiche Neuauflagen, JHTI Onlineversion, Onlineversion (Wiki-Source).)
  • Karl Florenz 1919
    Die historischen Quellen der Shinto-Religion. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1919. (Übersetzungen von Kojiki und Nihon shoki [in Auszügen] sowie Kogo shūi [ganz].)
  • Takeshi Matsumae 1980
    „The heavenly rock-grotto myth and the Chinkon ceremony.“ Asian Folklore Studies 39/2 (1980), S. 9-22.
  • Nelly Naumann 1996
    Die Mythen des alten Japan. München: Beck 1996. (Exzerpt.)

Internetquellen

Letzte Überprüfung der Linkadressen: 2021/08/12

Fußnoten

  1. Die Anzahl gibt aber keinen Aufschluss über einen möglichen Unterschied, da man die Zahl Acht als „zahlreich“ ansehen kann. Was in beiden Fällen eine Anzahl von „vielen“ Göttern beschreiben würde.
  2. Matsumae 1980, S. 10–11. Während das Kōtaijingū gishiki-chō eine Aufzeichnung der Rituale, Zeremonien und Legenden des Ise Schreins darstellt, enthalten die Engishiki Regelungen für den Hof, u.a. auch solche, die sich auf den Ise Schrein beziehen.
  3. Naumann 1996, S. 83
  4. ein Ahnenschrein der Fujiwara, Nachfahren der Nakatomi
  5. siehe Ame no Futotama
  6. Aston 1896, S. 45

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite:

  1. Amaterasu in der Felsenhöhle Kunisada.jpg
    Ursprung des Kagura der Felsenhöhle (Iwato kagura no kigen 岩戸神楽ノ起顕) Blockdruck von Utagawa Kunisada (1786-1865). Edo-Zeit, 1860; Louvre
    Bild © D's Directed Study History of Design. (Letzter Zugriff: 2021/9/9)
    Amaterasu Ōmikami tritt aus der Felsenhöhle hervor. Der Titel und auch die Illustration nimmt bezug auf dramatisierte Shinto-Gesänge (kagura), in denen der Mythos dargestellt wird.
  2. Herstellung Opfergaben Übersicht.jpg
    Herstellung Opfergaben Übersicht Graphik
    Bild © Sarah Anna Juen
  3. Ame no iwato.jpg
    Die himmlische Felsenhöhle (天の岩戸) Gemälde, ema (Farbe auf Holz). Edo-Zeit, 1849; Wakayama-ken, Susami machi, Oji Jinja; 116 x 176 cm
    Bild © Ōji jinja no ema, すさみ町教育委員会. (Letzter Zugriff: 2014/09/28)

    Amaterasu tritt aus der Felsenhöhle. Votivbild für einen ländlichen Schrein, der Amatersu geweiht ist und mit dem Nachi-Schrein von Kumano in Verbindung steht.