II-27

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Wie es dazu kam, dass eine starke Frau[1] ihre Kräfte zeigte
SNKBT 30: 102-104, Bohner 1934: 143-145, Nakamura 1997: 197-199

Owari no Sukune Kukuri[2] war Verwalter (dairyō 大領) des Bezirks Nakashima in der Provinz Owari. Er lebte zu der Zeit, als Kaiser Shōmu[3] das Land regierte. Kukuris Ehefrau kam aus dem Dorf Katawa im Bezirk Aichi derselben Provinz. Sie war eine Enkelin des Mönchs Dōjō[4] vom Gangō-ji[5]. Sie gehorchte ihrem Ehemann und war so sanft wie veredelte Seidenwatte[6]. Mit eigenen Händen wob sie feines Hanfleinen und kleidete damit ihren Ehemann, den Verwalter des Bezirks, ein. Die Schönheit des Handgearbeiteten war unvergleichlich.

Zu dieser Zeit war Wakasakurabe no Tau[7] der Verwalter der Provinz[8]. Als der Provinzverwalter (kuni no kami 国上) das schöne Gewand sah, in das der Bezirksverwalter gekleidet war, nahm er es ihm weg und sagte: „Du solltest dieses Gewand nicht tragen.“ Er gab es ihm nicht zurück. Die Ehefrau fragte [ihren Mann]: „Was hast du mit dem Gewand gemacht?“. Er antwortete: „Der Provinzverwalter hat es [mir] weggenommen.“ Sie fragte noch einmal: „Fehlt dir dein Gewand?“ Er antwortete: „Es fehlt mir ungemein.“ Daraufhin ging die Ehefrau los, trat vor den Provinzverwalter und bat: „Gebt mir bitte das Gewand [zurück]![9]“ Der Provinzverwalter jedoch sagte: „Was ist das für eine Frau? Schafft sie weg!“ Obwohl sie an ihr zogen, rührte sie sich nicht. Die Frau nahm mit zwei Fingern die Kante der Ruhebank[10] und trug sie, während der Provinzverwalter darauf saß, durch die Tore des Provinzamtes nach draußen, fasste das Gewand des Provinzverwalters am Saum, zerriss es in kleine Stücke und bat [noch einmal]: „Gebt mir bitte das Gewand [zurück]!“ Der Provinzverwalter war verängstigt und beunruhigt und gab das Gewand zurück. Sie nahm es, kehrte nach Hause zurück, reinigte es, faltete es zusammen und bewahrte es auf. Sie hatte den Schwarzrohrbambus[11], an dem die Kleidung getrocknet war, genommen und zerbrochen, so als wären es Seidenfäden. Die Eltern des Bezirksverwalters sahen das, waren sehr verängstigt und sagten zu ihrem Sohn: „Wir haben große Angst, dass du wegen deiner Frau den Ärger des Provinzverwalters auf dich ziehst und wegen dieser Sache Probleme bekommst.“ Mit großer Furcht sagten sie [weiters]: „Falls der Provinzverwalter wegen dem was sie getan hat einen Tadel ausspricht, was sollen wir [dann nur] tun? Wir werden dann weder [einen Ort zum] schlafen, noch [etwas zu] essen haben[12]. Wir sollten sie in ihre Heimat zurückschicken und sie vergessen[13]."

Einige Zeit später, nachdem die Frau [wieder] in ihren Heimatort gekommen war, wusch sie bei der Anlegestelle des Flusses Kusatsu[14] Wäsche. Zur selben Zeit fuhren Händler auf einem großen, mit Fracht beladenen Schiff vorbei. Der Schiffskapitän sah die Frau und belästigte, verspottete und verhöhnte sie mit Worten. Die Frau sagte [daraufhin]: „Halt den Mund!“ Sie sagte [weiter]: „Wer [andere] Menschen verletzt, der wird heftig auf die Wange geschlagen.“ Der Schiffskapitän hörte das, wurde zornig, stoppte das Schiff und schlug die Frau[15]. Die Frau empfand, als sie geschlagen wurde, keinen Schmerz, zog das Schiff zur Hälfte [aus dem Wasser] und ließ es [am Ufer] liegen, so dass das Heck[16] unter Wasser war. [Der Kapitän] heuerte Menschen aus der Umgebung der Anlegestelle an, um die Schiffsladung [aus dem Wasser] heraufzuholen[17] und danach das Schiff wieder zu beladen. Die Frau sagte: „Er war unhöflich, deshalb habe ich das Schiff herausgezogen. Warum demütigen alle eine einfache Frau [wie mich]?“ Während die Schiffsfracht aufgeladen wurde, zog sie [das Schiff] noch einmal etwa ein chō[18] weiter heraus. Da fürchteten sich die Seemänner sehr, gingen auf die Knie und sagten ehrfürchtig[19]: „Wir haben uns schuldig gemacht. Wir nehmen diese Schuld auf uns.“ Daraufhin verzieh ihnen die Frau. Obwohl fünfhundert Menschen das Schiff zogen, bewegte es sich nicht. Aus diesem Grund weiß man, dass ihre Kraft die von fünfhundert Menschen übertraf. [Was mag wohl in ihrem früheren Leben gewesen sein, dass sie solch eine Kraft bekommen hat?[20]] In einem Sūtra[21] heißt es [dazu] erläuternd: „Menschen, die Reiskuchen (mochi 餅) zubereiten und den Drei Schätzen[22] als Opfergaben darbringen, bekommen die Kraft des mächtigen Nārāyana[23]." Somit wissen wir mit Sicherheit, dass sie in ihrem früheren Leben eine große Menge an Reiskuchen zubereitet und den Drei Schätzen, sowie verschiedenen Mönchen als Opfergaben dargebracht und dadurch diese starke Kraft erhalten hat.



  1. omina 女; Bezeichnung und Verschriftung dieses Wortes variiert zwischen „omina 女人“, „me 妻“, „omina 女“ und „omina 嬢“
  2. 尾張宿禰久玖利; der Titel 宿禰 sukune wurde Adligen aus Familien "göttlichen" Ursprungs verliehen; Owari no Sukune Kukuri ist historisch nicht bekannt und findet außer in dieser Geschichte keine Erwähnung
  3. shōmu tennō 聖武天皇; Kaiser Shōmu, 45. japanischer Kaiser, 701-756, Regierungszeit: 724-749
  4. dōjō-hōshi 道場法師; war berühmt für seine immense Körperkraft
  5. 元興時; gilt als ältester buddhistischer Tempel Japans; befindet sich heute in der Stadt Nara
  6. nereru kinuwata 練れる糸綿; ne 練 appretieren, ist eine Veredelung von Stoffen um sie zum Beispiel besonders weich zu machen; kinuwata 糸綿 Seidenwatte, Florettseite, bezeichnet die äußerste Schicht von Seidenfäden an einem Seidenspinnerkokon
  7. 稚桜部任; im Shinsen shōjiroku - genealogische Aufzeichnung im Auftrag des Kaisers - wird Wakasakurabe als Name einer einheimischen Familie aufgelistet, aber dieser Provinzverwalter ist historisch nicht bekannt
  8. kuni no matsurigoto no nushi 国行主 Bezeichnung und Verschriftung variieren zwischen „kuni no matsurigoto no nushi 国行主“, „kuni no kami 国上“ und „kokushi 国司“
  9. tamau 賜う (ehrerbietig-höflich) geben; tamae たまえ Imperativ von tamau, freundlicher Befehl an Gleich- und Tiefergestellte, hauptsächlich von Männern benutzt
  10. toko 床 wörtl. Bett
  11. kuretake 呉竹 bezeichnet den hachiku ハチク genannten Schwarzrohrbambus
  12. yasumi yashinau koto atawazu 寝み養ふことあたはず; eigtl. "nicht schlafen und nicht essen können" = seinen Lebensunterhalt nicht verdienen können
  13. kaeri mizu 睠ず impliziert Scheidung; das Gesetz beschreibt folgende sieben Gründe: Kinderlosigkeit; Ehebruch; Missachtung der Schwiegereltern; übermäßiges Reden; Stehlen; Eifersucht; schwere Krankheit. In diesem Fall sind die einzigen möglichen Gründe die Missachtung der Schwiegereltern oder übermäßiges Reden
  14. kusatsu gawa 草津川; im Konjaku monogatari ist zu lesen, dass man zu dieser Zeit Gras (kusa 草) auf Schiffen (sog. Kusatsu-Fähren kayatsu no watashi 草津渡) transportiert hat; laut Ruiju sandai-kyaku - Gesetzbuch aus der Heian-Periode; Autor ist nicht bekannt - ist der Fluss mit dieser Fähre ein Nebenfluss des Flusses Kiso 木曾川 (in der Nähe des Jimokuji-chō, Bezirk Ama, Präfektur Aichi)
  15. im Konjaku monogatari steht an dieser Stelle, dass der Kapitän etwas nach der Frau geworfen und sie damit getroffen hat; eventuell ist das passender
  16. 舳 Lesung hier vermutlich tomo; sowohl in China als auch in Japan ist nicht festgelegt, ob die Schriftzeichen 舳 und 艫 den Bug oder das Heck bezeichnen; auch in diesem Fall kann man nicht sagen, ob für 舳 die Lesung he "Bug" oder tomo "Heck" verwendet wird; aufgrund des weiteren Verlaufs der Geschichte ist es aber wahrscheinlicher, dass sie es mit dem Bug voran an Land gezogen hat; da laut dem Wamyō ruiju-shō - berühmtes Wörterbuch der Heian-Zeit - tomo Heck bedeutet, wurde diese Lesung hier gewählt
  17. da die Ladung im Bereich des Hecks überschwemmt wurde, musste sie umgeladen werden
  18. ein chō entspricht ca. 109 m
  19. mōshite mōsaku 白して言さく; dass mōsu zwei Mal hintereinander verwendet wird, soll vermutlich betonen, dass die Seemänner besonders ehrfürchtig sprechen
  20. Ergänzung nach dem Konjaku monogatari
  21. Im Hōkō daishōgon kyō 方広大荘厳経 8 ist folgende Stelle zu finden: 在昔億千劫、供養三世仏、慈心行捨施、故得相莊嚴、成就那延力. Hier ist davon die Rede, dass die Kräfte vermehrt werden, wenn man den Buddha der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft Opfergaben darbringt. Möglicherweise wird auf dieses Sūtra Bezug genommen, bisher ist das jedoch nicht bewiesen
  22. sanbō 三宝; auch als Drei Kleinodien bezeichnet; es handelt sich dabei um die drei wichtigsten Elemente des Buddhismus: Buddha, Dharma und Sangha
  23. kongō-nara-en 金剛那羅延; 那羅延 bezeichnet Nārāyana, war in Japan früher eine gängige Bezeichnung für Vishnu - niedrige Gottheit und Schützer des Buddhismus; verschiedene Vorstellungen was seine Fähigkeiten und Aufgabenbereiche betrifft; unter anderem als "Gottheit von großer Stärke" beschrieben; dafür dass hier diese Form gemeint ist spricht 金剛 "Vajra" - buddhistisches Ritualobjekt - welches Nārāyana Vajrapāni in der Hand hält und das für große Stärke steht; vajra kann mit "hart" oder "mächtig" übersetzt werden


Hintergrund

  • Zeit: Regentschaft des Shōmu Tennō (724–749)
  • Ort: (ehemaliger) Bezirk Nakashima (2005 aufgelassen), Provinz Owari (westliche Hälfte der heutigen Präfektur Aichi) und Dorf Katawa, Bezirk Aichi
  • Personen: Owari no sukune Kukuri, dessen Frau und Eltern, Wakasakurabe no Tau, Handelsleute, ein Schiffskapitän, Menschen aus der Umgebung der Anlagestelle

Ursache und Wirkung

Wer Reiskuchen an die Drei Schätze opfert, wird mit großen körperlichen Kräften gesegnet, die in einem folgenden Leben hilfreich sein können.

Anmerkungen

Ähnliche Geschichten

Nakamura bezeichnet diese Erzählung in der Einführung von Nihon ryōiki 日本霊異記 als eine der „nicht buddhistischen“ Legenden in dieser Sammlung. Nakamura identifiziert diese und 3 weitere Geschichten (I-02, I-03, II-04) als „nicht buddhistisch“ und stellt thematische und strukturelle Ähnlichkeiten fest, die sie von der Mehrheit der Erzählungen in Nihon ryōiki 日本霊異記 deutlich unterscheiden lassen. Alle 4 Erzählungen stammen aus den Provinzen Owari und Mino und basieren auf deren lokalen Tradition. Die 4 Geschichten erinnern mit ihren Inhalt mehr auf die Japanische Volksgeschichten als an die buddhistischen Legenden. Weiter besitzen die 2 Helden und 2 Heldinnen, die in den Erzählungen eine primäre Rolle spielen, eine außergewöhnliche Kraft. Die Quelle ihrer Kraft ist der Donner. Das Motiv des Donners findet man auch in der Geschichte I-01, in der man die Donnergottheit zu fangen versucht. Yanagita Kunio, japanischer Forscher und Gründer der Volkskunde in Japan, interpretiert Donner als die Verkörperung einer Himmelsgottheit amatsukami 天つ神, von der man die Kraft erhält, was jedenfalls mehr mit der schintoistischer als mit der buddhistischen Tradition in Japan übereinstimmt (deswegen „nicht buddhistisch“). (Nakamura 1997:73)

Die Erzählung II-27 wird durch die Anmerkung „Sie war eine Enkelin des Mönchs Dōjō vom Gangō-ji (是昔,有元興寺道場法師之孫也)“ direkt mit der Erzählung I-03 verbunden. Bei der Hauptperson der Erzählung II-04 findet sich die selbe Anmerkung, allerdings ist nicht klar ersichtlich, ob es sich bei der Hauptperson dieser Erzählung und der Hauptperson der Erzählung II-04 um die gleiche Person handelt. In beiden Erzählungen kommt ein Schiff vor und beide haben ein Flussufer als Schauplatz.

Bohner erwähnt das Thema der Kraftfrauen im Zusammenhang mit der Frische und der heiteren Naivität der Erzählungen des Nihon Ryoiki. So beschreibt er in seinem Vorwort die Erzählungen als eine Mischung aus predigthaftem Ernst und wertgeschätzter Übertreibung, die zum Lachen einlädt. Dazu zählt er eben auch die Kraftfrau, die stärker als fünfhundert Männer ist und die diese Kraft dadurch erhalten hat, dass sie im vorangegangenen Leben eine große Menge an Reiskuchen geopfert hat.

Wäschestange

Es gibt Darstellungen die zeigen, dass Schwarzrohrbambus als Wäschestange verwendet wurde. Auf dem hoke-kyō-Fächer (senmenhokekyō 扇面法華経) „Die Lebensspanne des Tathagata (nyorai jūryō hon 如来寿量品)“ des Shitennō-ji wurde beispielsweise dargestellt, wie das Gewand auf der Bambusstange, die durch die Ärmel des Gewandes gezogen wurde, trocknet. Ein auf diese Weise getrocknetes Gewand hat die Hauptperson hereingenommen und gefaltet, aber sie machte die Stange nicht von der Kleidung los, sondern faltete die Kleidung mitsamt der Bambusstange (Izumoji, S. 103, Anm. 22).

Auffälligkeiten bei den Übersetzungen

  • Nakamura lässt einen ganzen Satz (使引不動.) unübersetzt (Nakamura 1997, S. 198, Absatz 2)
  • Bohner schreibt nach dem Satz „Das Weib verharrte eine Zeitlang schweigend“ ein „(Textlücke?)“, ohne weitere Begründung und Erwähnung bei Nakamura oder im SNKBT (Bohner 1934, S. 145)
  • Nakamura und Bohner stellen keinen Zusammenhang zwischen dem Trocknen der Kleidung und dem Zerbrechen der Bambusstange her (Bohner 1934, S. 144 und Nakamura 1997, S. 198, Absatz 2)

Materialien

Weiterführende Informationen


Artikel erstellt von Patricia Weisgram 11:18, 26. Nov. 2010 (CET).