I-28
Der Ubasoku E 役優婆塞 entstammte den E no Kimi von Kamo 加茂役公, die heutigen Asomi von Takakamo.[1] Er war ein Mann des Dorfes Chihara im oberen Bezirk von Katsuraki im Land Yamato. Von Geburt an mit Weisheit begabt erlangte er durch eifriges Studieren das Eine Wissen.[2] Er ehrte die Drei Schätze und handelte nach ihren Prinzipien. Stets betete er darum, auf fünffarbigen Wolken jenseits des Himmels fliegen zu können, um sich mit den Gespielinnen 賓[3] der Paläste der Unsterblichen im Garten der Ewigkeit [4] zu vergnügen und in ihren Blumengärten[5] zu rasten und die Geist nährende Lebenskraft (Ki 気) einzuatmen. Deshalb lebte er noch mit über vierzig Jahren, als er bereits dem Lebensabend nahe war, in einer Felsenhöhle, kleidete sich in Ranken (kuzu 葛), ernährte sich von Kiefern und wusch sich in klarem Quellwasser, um sich vom Schmutz der Welt der Begierden reinzuwaschen. Als Adept der Kunst des Pfauen-Mantras[6] erwarb er offenkundig (shirushi ni) wundersame magische Fähigkeiten 験術. So konnte er ganz nach Belieben 自在 über Götter und Dämonen 鬼神 verfügen, rief sie zu sich und befahl ihnen: „Lasst uns im Lande Yamatao eine Brücke schlagen, auf der wir vom Goldenen Gipfel 金峯 zum Berg Katsuraki 葛木峯 gelangen.“ Da jammerten alle Götter.
Zu der Zeit, als das Land vom Tennō 天皇 des Fujiwara-Palastes 藤原宮 regiert wurde,[7] verleumdete der große Gott des Katsuraki-Gipfels, Hitokotonushi no Ōkami 一語主大神,[8] den Ubasoku E und sagte: “Der Ubasoku E plant, die Herrschaft des Tennō zu stürzen.“ Darauf befahl der Tennō, Boten auszusenden und E festzunehmen. Doch dank seiner magischen Kräfte bekamen sie ihn nicht einfach zu fassen. Deshalb verhafteten sie seine Mutter. Um sie zu befreien, kam der Ubasoku schließlich hervor, wurde ergriffen und auf die Insel Izu 伊豆 verbannt. Dort schwamm er im Meer, ganz so wie andere auf dem Land umherlaufen, oder er sprang tausende jō in die Höhe, als ob er ein Phönix wäre. Untertags blieb er getreu dem Befehl des Tennō auf der Insel Izu und ging seinen Übungen nach, des nachts aber praktizierte es sie auf dem Gipfel des Berges Fuji 富士 in der Provinz Suruga[9]. Indessen bat er, dass ihm die Todesstrafe [10] erlassen werde und er sich der Hauptstadt wieder nähern dürfe. Als er deshalb getötet werden sollte, erschien auf der Klinge [des Henkers] folgende Botschaft (hyō 表) [der Gottheit] des Fuji: "[E] hat bereits drei Jahre Verbannung auf dieser Insel verbüßt. Nun gewährt ihm Gnade." Im ersten Monat des ersten Jahres Taihō[11], einem Ochsenjahr, wurde er an den kaiserlichen Hof zurück gerufen.
Später wurde er zu einem Unsterblichen (hijiri 仙)[12] und flog in den Himmel. Dōshō, ein Dharma-Meister unseres heiligen Landes, begab sich auf kaiserlichen Befehl ins Tang-Reich (China) um das Gesetz [des Buddha] zu erforschen. [Unterwegs] baten ihn 500 Tiger[13] [auch] nach Silla zu kommen. Als er dort in den Bergen das Lotus-Sutra predigte, war unter den Tigern ein Mensch, der in der Sprache Yamatos eine Frage an ihn richtete. Als (Dōshō) ihn fragte, wer er sei, antwortete er: „Ich bin E no Ubasoku.“ Der Mönch meinte, das müsse wohl ein Heiliger (hijiri) unseres Landes sein, und stieg von seinem erhöhten Sitzplatz zu ihm herunter, doch als er sich umsah, fand er niemanden. Jener Großgott Hitokotonushi aber, der von E dem Asketen 役行者 gebannt wurde, ist bis zum heutigen Tag nicht befreit worden. Solche wundersamen Zeichen zeigten sich in so großer Menge, dass ich sie nur in gekürzter Form wiedergeben kann. Wahrhaftig, man erkennt daran die Größe und Weite der magischen Kunst nach Buddhas Gesetz. Wer sich darum bemüht, wird ihre Zeichen sicherlich erhalten.
- ↑ Er muss daher weitläufig mit den Priestern des Kamo-Schreins, der sich heute in Kyoto befindet, verwandt gewesen sein.
- ↑ im Original ichi 一, „eins.“ Laut N ein Synonym für das dao 道 des Daoismus bzw. das höchste Wissen, das auf die mystische Einheit zwischen Erleuchteten und Kosmos hinausläuft.
- ↑ Gemeint sind laut I die weiblichen Unsterblichen.
- ↑ wörtl. "Garten der 100 Millionen Jahre"
- ↑ Laut SNKBT sind das Aufenthaltsorte von Göttern und taoistischen Heiligen namens Zuishukyū 蕊珠宮 oder Zuikyū 蕊宮. (Nicht im Nihon kokugo dai jiten beschrieben.)
- ↑ 孔雀の呪法, im Titel 孔雀王の呪法. Praxis des Mantras des Kujaku(Myō)ō 孔雀明王, der in der japanischen Ikonographie als männliche, bodhisattva-artige Gestalt gedacht wird, sich aber auf eine indische Göttin Mahāmāyūrī zurückführt. Vielleicht trägt er deshalb als einziger japanischer Myōō (Weisheitskönig/Mantrakönig) keine zornvollen Züge.
- ↑ Monmu Tennō (regierte von 697-700 n. Chr. in Fujiwara-kyō)
- ↑ Laut Tosa koku fudoki gibt es den Tosa no Taka kamo no Ō yashiro(土左の高賀茂の大社) in Tosa no Kōri(土左の郡, dessen Name Hitokotonushi no Mikoto (一語主尊) ist und dessen Eltern unbekannt sind. Nach einer Ansicht wird als sein Vater Ajisuki takahikone no mikoto (味鉏高彦根尊) genannt, der ein Sohn von Ōnamuji no mikoto (大穴六道尊) ist.
- ↑ Heute Shizuoka. Der Fuji befindet sich am nördlichen Rand der Provinz/Präfektur, ca. 50 km nördlich von Izu (s.u., Karte).
- ↑ 斧鉞の誅, wtl. Strafe der Axt
- ↑ 701-704. Bei I „Daihō“.
- ↑ Laut N ist mit dieser Bezeichnung ein daoistischer Unsterblicher gemeint, der an der Seite der Götter im Himmel lebt.
- ↑ Menschen? Im Originaltext steht jedenfalls das Schriftzeichen für Tiger (tora 虎)
Hintergrund
- Zeit: ca. 650-701
- Ort: Hauptstadt, Insel Izu 伊圖嶋, Fuji no mitake 富坻嶺 in der Provinz Suruga 駿河, Silla 新羅, Kane no mitake 金峯 und Katsuragi no mitake 葛木峰
- Personen: E no Ubasoku, Hitokotonushi no Ōkami, Kaiser Monmu, Dōshō
Ursache und Wirkung
Erwerb magischer Fähigkeiten durch die buddhistischen Tugenden, Verleihung von Macht über die Götter, Bestrafung von den Göttern durch den Tennô, letztendlich aber Begnadigung und Auffahren in den Himmel
Anmerkungen
Kudzu, die Pflanze, in die sich der Heilige kleidet, ist auch bekannt als Knabenkraut, zugehörig der Familie der Hülsenfrüchte. Auf Japanisch Kuzu, verholzt diese Pflanze oberhalb der Wurzel am Stamm, dieser Teil wird verwendet um Textilien herzustellen oder Papier, während die oberen Teile essbar sind. Verbreitet ursprünglich nur in Asien, Japan, Korea, China, ist sie heute auch in Nordamerika, Australien und weiteren Teilen Asiens bis nach Indien heimisch.
Laut Nakamura ist diese Episode auch als Symbol für die religiösen Spannungen und Konflikte, die durch die Ankunft des Buddhismus in Japan verursacht wurden, zu verstehen. E gewinnt durch seine buddhistischen Übungen Macht über die Shinto-Götter, bis Hitokotonushi als Vertreter der alten Ordnung seines Einflusses überdrüssig wird. Als Gott tritt Hitokotonushi höchstwahrscheinlich nicht selbst bei Hof in Erscheinung, sondern ergreift Besitz von einem Menschen, wahrscheinlích einem Medium, und verleudmnet durch diesen sterblichen Mund E beim Kaiser. Nakamura hält in ihrer Einleitung zu ihrer Übersetzung des Nihon Ryōiki fest, dass diese Legende über E no Ubasoku in Teilen dem Hui-yüan Legendenzyklus, niedergeschrieben im "Lu-shan yüan-kung hua" ähnelt. Dieses Werk wurde in den Ruinen von Tunhuang, einem wichtigen Zentrum des Buddhismus entlang der Seidenstrasse, gefunden. Daher stellt Nakamura die These auf, dass diese Legende mündlich nach Japan überliefert wurde und E no Ubasoku erst in Japan als lokal bedeutende Persönlichkeit als Protagonist eingefügt wurde (Nakamura S.35-36).Diese Episode wurde später aus dem Nihon ryoiki in das Sanpō e übernommen und fand auf diesen Umweg auch Eingang in das Konjaku Monogatari (11/3).
Sanpō/sanbō (三宝)/Die Drei Kleinodien (skt.: Triratna) bezeichnen Buddha, Dharma und Sangha im Buddhismus. Dharma heißt die Buddha-Lehre. Sangha heißt in der Regel nur die Gemeinschaft der Erwachten, nicht der allgemeinen Sangha, die die Buddhismus-Praktizierenden in ihrer Gesamtheit darstellt. Sie sind für den Buddhisten die Objekte der Dreifachen. Erst durch die Zufluchtnahme zu den Drei Juwelen, und zwar aus tiefster innerer Überzeugung, gilt jemand als Buddhist.⇒Ⅱ— 35 Fußnote 3
Die göttlichen Gäste (賓) der Paläste der Heiligen im Garten der Ewigkeit zu besuchen / (天女)Tennyo fasst dem menschlichen Mann (Takakamo no Asomi:高賀茂朝臣)an der Hand. Es gibt einige Quelle für diesen Teil im Folgenden. — あられふり吉志美(Kishimi)が嶽(Take)を険(saga)しみと草とりはなち妹(Imo)が手を取る(万葉集385)/Ich soll die Kräuter, die ich jetzt genommen habe, loslassen und die Hand meiner Frau nehmen, weil der Kishimigipfel zu abschüssig ist.(Manyō shu385)— Ararehuri/枕詞(Makura kotoba) eine Phrase fur Verzierung. Kishimi ga Take/ein Gipfel von den Bergen von Yoshino. Kishimi ist eigentlich falsch. Kishima(杵島) ist richtig. Das Wort(Kishima:杵島) wurde vielleicht falsch gelesen und überliefert, weil die ähnliche Erzählungen in Hizen(肥前) fudoki und Hitachi(常陸) fudoki gefunden werden.
Im Shōgaku ki(初学記)kann man die Beschreibung, in der über “das Leben kräftigen und Zauberkunst nehmen“(養生得仙:Yōjō esen) geschrieben wird, finden. Das ist eine Methode der Modulation des Körpers, die im Buddhismus und Taoismus auftritt und sie ist eine Methode, mit der die Menschen nicht älter werden und lange leben können. Shogaku ki(初学記) sind Bücher, die 782 n.c von Jhoken(徐堅) und andere auf kaiserlichen Befehl(Gensō:玄宗) in der Tang-Dynastie (618-907) geschrieben wurde. Es gibt insgesamt 30 Bände.
Kujaku (Myō)ō 孔雀明王 wird in der späteren japanischen Ikonographie als männliche, bodhisattva-artige Gestalt gedacht, führt sich aber auf eine indische Göttin Mahāmāyūrī zurückführt. Vielleicht trägt er deshalb als einziger japanischer Myōō (Weisheitskönig/Mantrakönig) keine zornvollen Züge. Aus welchem Text das hier zitierte Mantra des Kujaku stammt, ist nicht ganz klar (vgl. I: 42, Anm. 32)
Insel Izu(伊豆島):Laut Nihon Koten Bungaku Taikei(日本古典文学大系, Iwanami shoten), ist unter der Insel Izu gemäß Fusō ryakki(扶桑略記) und Mizu kagami(水鏡) die Insel Izu Ōshima 伊豆大島 anzunehmen.
Halbinsel Izu und Berg Fuji
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Weiterführende Informationen
- Royall Tyler (Ü.) 1987, „The wizard in the mountains.“ In: Royall Tyler (Hg.), Japanese Tales. New York: Pantheon Books, S. 127-130.
- Linda Klepinger Keenan 1999, „En the Ascetic.“ In: George Tanabe (Hg.), Religions of Japan in Practice. Princeton: Princeton University Press, S. 343-353.
- H. Byron Earhart 2006, „Shugendō, the Tradition of En no Gyōja, and Mikkyō Influence." In R. Payne, Tantric Buddhism in East Asia. Boston: Wisdom Publications, 2006: 199-205. (Enthält eine weiter englische Ü. von I-28)
- Bernhard Scheid, Die En no Gyōja Legende (Religion-in-Japan)
Materialien
- Datei:Snkbt I-28.pdf — Originaltext in SNKBT 30
- Datei:Snkbt I-28k.pdf — SNKBT Kanbun
- Datei:Bohner I-28.pdf — Deutsche Übersetzung, Bohner 1934, Haupttext
- Datei:Bohner I-28A.pdf — Bohner 1934, Anmerkungen
- Datei:Nakamura I-28.pdf — Englische Übersetzung, Nakamura 1997