Bauten/Schreine/Shimenawa: Unterschied zwischen den Versionen
Zeile 56: | Zeile 56: | ||
Zu be·stimmten jah·res·zeit·lichen Rei·ni·gungs·ze·re·monien ({{g|harae}}) — meist am Ende des Sechsten Monats, manchmal aber auch am Ende des Zwölften Monats, also zum Jahre·swechsel — errichten viele Schreine im·pro·vi·sierte, ring·förmige Gebilde aus einer Art Schilfgras (''chigaya'' oder ''susuki'') namens {{g|chinowa}} (Schilfgraskranz). Ganz of·fen·sichtlich handelt es sich dabei um enge Ver·wand·te bzw. Varianten der ''shimenawa''. | Zu be·stimmten jah·res·zeit·lichen Rei·ni·gungs·ze·re·monien ({{g|harae}}) — meist am Ende des Sechsten Monats, manchmal aber auch am Ende des Zwölften Monats, also zum Jahre·swechsel — errichten viele Schreine im·pro·vi·sierte, ring·förmige Gebilde aus einer Art Schilfgras (''chigaya'' oder ''susuki'') namens {{g|chinowa}} (Schilfgraskranz). Ganz of·fen·sichtlich handelt es sich dabei um enge Ver·wand·te bzw. Varianten der ''shimenawa''. | ||
− | ''Chinowa'' sind dazu da rituell durch·schritten oder „durch·schlüpft“ zu werden. Zu diesem Zweck werden sie in ''torii'' ein·ge·passt oder vor der Haup·thalle eines Schreins mit Hilfe von Bambus·gestellen auf·gestellt. Das mehr·malige Durch·schlüpfen der Ringe ({{g|chinowakuguri}}) soll rituelle Ver·schmutz·ungen ent·fernen und vor Krank·heiten schützen. Die Praxis führt sich auf eine my·tho·lo·gi·sche Er·zählung zurück, laut der {{g|Susanoo}} einst solche Schilf·gras·kränze an die Familie des armen {{g| | + | ''Chinowa'' sind dazu da rituell durch·schritten oder „durch·schlüpft“ zu werden. Zu diesem Zweck werden sie in ''torii'' ein·ge·passt oder vor der Haup·thalle eines Schreins mit Hilfe von Bambus·gestellen auf·gestellt. Das mehr·malige Durch·schlüpfen der Ringe ({{g|chinowakuguri}}) soll rituelle Ver·schmutz·ungen ent·fernen und vor Krank·heiten schützen. Die Praxis führt sich auf eine my·tho·lo·gi·sche Er·zählung zurück, laut der {{g|Susanoo}} einst solche Schilf·gras·kränze an die Familie des armen {{g|Sominshourai}} verteilte, da dieser den Gott gast·lich auf·ge·nom·men hatte. Der reiche Bruder und seine Familie, die Susanoo ab·ge·wiesen hatten und keine Schilf·kränze trugen, wurden von einer Epi·demie hin·weg·gerafft.<ref>Die Erzählung findet sich erstmals im {{gb|Shakunihongi}}, einem Werk aus dem drei·zehnten Jahr·hun·dert, und wird dort der Pro·vinz·chronik von Bingo (''Bingo fudoki'') zugeschrieben.</ref> |
{{w502 | rh= 170 | {{w502 | rh= 170 |
Version vom 7. Februar 2021, 14:05 Uhr
Achtung: Sie sehen eine veraltete Version von https://religion-in-japan.univie.ac.at/Handbuch/Bauten/Schreine/Shimenawa.
Götterseile (shimenawa [shimenawa (jap.) 注連縄 shintōistisches „Götter-Seil“; geschlagene Taue aus Reisstroh.]) findet man häufig an torii [torii (jap.) 鳥居 Torii, Schreintor; wtl. „Vogelsitz“; s. dazu Torii: Markenzeichen der kami] oder an Schrein·gebäuden, sie werden aber auch verwendet, um ein·drucks·volle natürliche Objekte, vor·nehmlich Bäume oder Felsen, als „heilige“, mit einer spi·ri·tu·el·len Aura ver·sehene Orte zu kenn·zeichnen.
Vorlage:WmaxX Shimenawa werden zumeist aus Reis·stroh her·ge·stellt und üb·li·cher·weise jähr·lich erneuert. Sie sind damit auch ein Sinn·bild für Kon·ti·nui·tät und Er·neu·erung im land·wirt·schaft·lichen Produk·tions·pro·zess. Eine ver·wandte Symbolik besitzen auch die Zick·zack-Streifen aus weißem Papier (shide [shide (jap.) 四手 Papierstreifen in Zickzackform, rituelles Emblem des Shintō]), die oft in die Götter·seile mit eingeflochten sind.
Shimenawa an Gebäuden
1980er Jahre. Nanzan Institute for Religion and Culture, Ian Reader.
Shimenawa an heiligen Bäumen
czarcats, flickr 2009.
Wikimedia Commons, 663highland, 2005.
Bernhard Scheid, flickr, 2013.
Chinowa, ringförmige Seile
Zu be·stimmten jah·res·zeit·lichen Rei·ni·gungs·ze·re·monien (harae [harae (jap.) 祓 Purifikation, Weihezeremonie, Exorzismus]) — meist am Ende des Sechsten Monats, manchmal aber auch am Ende des Zwölften Monats, also zum Jahre·swechsel — errichten viele Schreine im·pro·vi·sierte, ring·förmige Gebilde aus einer Art Schilfgras (chigaya oder susuki) namens chinowa [chinowa (jap.) 茅の輪 wtl. Ring aus Schilfgras; Schilfgraskranz zur rituellen Reinigung] (Schilfgraskranz). Ganz of·fen·sichtlich handelt es sich dabei um enge Ver·wand·te bzw. Varianten der shimenawa.
Chinowa sind dazu da rituell durch·schritten oder „durch·schlüpft“ zu werden. Zu diesem Zweck werden sie in torii ein·ge·passt oder vor der Haup·thalle eines Schreins mit Hilfe von Bambus·gestellen auf·gestellt. Das mehr·malige Durch·schlüpfen der Ringe (chinowa kuguri [chinowa kuguri (jap.) 茅の輪くぐり Ritual, bei welchem man mehrmals durch einen Schilfgraskranz steigt, um Körper und Seele von Unreinheit und Krankheit zu befreien; wtl. Durchschreiten des Schilfgraskranzes]) soll rituelle Ver·schmutz·ungen ent·fernen und vor Krank·heiten schützen. Die Praxis führt sich auf eine my·tho·lo·gi·sche Er·zählung zurück, laut der Susanoo [Susanoo (jap.) 須佐之男/素戔男 mytholog. Gottheit; Trickster-Gott, Sturmgott, Mondgott; Bruder der Amaterasu] einst solche Schilf·gras·kränze an die Familie des armen Somin Shōrai [Somin Shōrai (jap.) 蘇民将来 Figur aus einer Legende, die auf das Bingo fudoki (Lokalchronik des 8. Jh.) zurückgeht; Glücksbringer] verteilte, da dieser den Gott gast·lich auf·ge·nom·men hatte. Der reiche Bruder und seine Familie, die Susanoo ab·ge·wiesen hatten und keine Schilf·kränze trugen, wurden von einer Epi·demie hin·weg·gerafft.1
Yamahiko (Blog), 2012.
Bildquelle: Sakai Misato, (Blog).
Shimenawa im Sumō
Vorlage:Sidebox3 Shimenawa und shide spielen auch in der Symbol·sprache des Sumō [Sumō (jap.) 相撲 japanischer Ringkampf]-Sports eine große Rolle. Der Sumō-Ring wird von einer Art shimenawa um·schlossen. Am Beginn und Ende eines Wett·kampfs treten die Ringer in besonders prächtigen Schürzen auf. Die rang·höchsten Ringer, Yokozuna, tragen zu·sätz·lich auch shimenawa. Yokozuna [yokozuna (jap.) 注連縄 „Querseil“, zeremonielles Seil im Sumō; höchster Sumō-Rang] kann auch als „Querseil“ übersetzt werden und be·zeichnet eben jenes shimenawa, das die Meister dieses Ranges bei ze·re·moniellen Anlässen tragen dürfen. Das Seil wird als Sitz einer Gott·heit angesehen.
Heisei-Zeit, Jänner 2012. Wikimedia Commons, FourTildes, 2012.
Shimenawa in regionalen Riten
Bernhard Scheid, flickr, 2013.
VikingSlav, flickr 2005.
Shimenawa stehen nicht selten mit Frucht·bar·keits·riten in Ver·bindung. Sie sym·bo·li·sieren dabei die Bande, die Mann und Frau an einander binden, also die Sexual·ität, die in der Land·wirt·schaft mit der Frucht·barkeit des Bodens in Zu·sam·men·hang gebracht wird. Diese Symbolik scheint auch den berühmten „vermählten Felsen“ (meoto-iwa [meoto-iwa (jap.) 夫婦岩 wtl. Mann-Frau Felsen, auch „vermählte Felsen“; Felsformationen im Meer oder in den Bergen, die als Liebespaar interpretiert und um eheliche Harmonie, Kindersegen, aber auch um sichere Seefahrt, etc. angebetet werden; auch fūfu-iwa, meoto-ishi, u.ä.]) des Futami Okitama Schreins [Futami Okitama Jinja (jap.) 二見興玉神社 Schrein in der Bucht von Ise, nahe dem Ise Jingū, v.a. für seine pittoresken „vermählten Felsen“ (meoto-iwa) bekannt] in der Bucht von Ise zugrunde zu liegen.
Zeremonielle Herstellung eines Riesen-Götterseils
Die folgenden Bilder zeigen die Her·stel·lung und Ein·weihung eines riesigen shimenawa, das hier dazu dient, eine ein·drucks·volle Formation von Fels·riffen als sa·kralen Ort zu kenn·zeichnen. Die Felsen gehören zur Schreininsel Hōjō Kashima [Hōjō Kashima (jap.) 北条鹿島 Schreininsel vor dem Hafen Hōjō in Ehime-ken, Shikoku; westlich der Insel befinden sich pittoreske Felsformationen (Iyo Futami), die jedes Jahr mit einem 45m langen shimenawa geschmückt werden] in der Präfektur Ehime, Shikoku. Ähnliche Zeremonien gibt es auch in anderen Teilen Japans.
Die Zeremonie findet jähr·lich Ende April oder Anfang Mai statt. Sie führt ihre Tradition auf Kōno Michinobu [Kōno Michinobu (jap.) 河野通信 1156–1223, Kriegsherr der Kamakura-Zeit; Großvater des Religionsgründers Ippen] (1156–1223), einen Feld·herrn des Genpei [Genpei Gassen (jap.) 源平合戦 Krieg zwischen den Minamoto (Gen) und den Taira (Hei, bzw. Pei), 1180–1185]-Krieges zurück. Dieser soll durch die Her·stellung des Riesen·seils einen Drachengott, dessen Wohn·ort man auf der Schrein·insel wähnte, um eine ruhige See gebeten haben. Die Insel befindet sich nahe einer ehemals strategisch wichtigen Meer·enge der ja·pa·nischen In·lands·see zwischen Honshū und Shikoku.
Die Felsen, die hier im Mittel·punkt der ze·re·mo·niel·len Auf·merk·samkeit stehen, erinnern nicht von ungefähr an die oben erwähnten „vermählten“ Felsen des Okitama Futami Schreins in der Bucht von Ise (s.0.). Daher ist diese Formation auch als Iyo Futami, das Futami von Iyo (= Präfektur Ehime), bekannt. Dies lässt vermuten, dass auch in diesem Fall der Ver·bindung der beiden Felsen eine sexuelle — bzw. auf glücks·bringende Frucht·barkeit hin ausgerichtete — Symbolik innewohnt.
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Die Erzählung findet sich erstmals im Shaku Nihongi, einem Werk aus dem drei·zehnten Jahr·hun·dert, und wird dort der Pro·vinz·chronik von Bingo (Bingo fudoki) zugeschrieben.
Internetquellen
- setouchi-matsuyama.com, Dokumentation des Hōjō Kashima Matsuri, 2013/5/9
- Herstellung eines shimenawa, Wada Yoshio (jap.)
Photodokumentation eines Einweihungsfestes des Futamiwakamiya Schreins in der Präfektur Yamaguchi von Chiba Akio
Bilder
- ^ Das möglicherweise größte shimenawa Japans befindet sich im Izumo Taisha.
1980er Jahre. Nanzan Institute for Religion and Culture, Ian Reader. - ^ Shimenawa als Neujahrsschmuck
NanKuruNaiSa, flickr 2009. - ^ Eher dünnes Seil (shimenawa) mit prächtigem Zickzackpapier (shide) an einem Schreingebäude.
Bildquelle: unbekannt. - ^ Götterseil (shimenawa) eines Schreins im winterlichen Hokkaidō.
Tomo Yun, 2005. - ^ Vor diesem Baum wurde der unglückliche Shōgun Minamoto no Sanetomo (1192–1219) Opfer eines Mordanschlags. Der Mörder, sein eigener Neffe Kugyō (1200–1219), soll dem Shōgun im Schutz dieses Baumes aufgelauert haben. Ob der Baum damals allerdings schon groß genug dafür war, ist zweifelhaft. Im März 2010 fiel der Baum, welcher ein shimenawa trug und eines der Wahrzeichen von Kamakura darstellte, einem Taifun zum Opfer.
czarcats, flickr 2009. - ^ „Vermählte“ Kampferbäume, durch shimenawa als heilige Bäume (shinboku) markiert.
Wikimedia Commons, 663highland, 2005. - ^ Heiliger Kampferbaum (shinboku) mit shimenawa.
Tomo Yun, 2005.
- ^ Heilige Zeder (shinboku) mit shimenawa. Yuki Jinja in der Anlage des Kurama-dera, ein buddhistischer Tempel im Norden Kyōtos.
Bernhard Scheid, flickr, 2013. - ^ Das ringförmige Seil (chinowa) dient zur Purifikation (harae) und zur Abwehr von Krankheiten. Die kleinen Figuren am Scheitelpunkt des Seils sind sogenannte katashiro. Sie dienen als eine Art Sündenbock, um die Verunreinigungen der Teilnehmer an einem Purifikationsritus in sich aufzunehmen. Solche Figuren werden am Ende einer Reinigungszeremonie im Wasser ausgesetzt.
Yamahiko (Blog), 2012. - ^ Priester des Suwa Schreins beim Durchschreiten des Schilfgraskranzes (chinowa kuguri), dem zentralen Element der sommerlichen Reinigungszeremonie nagoshi no ōharae.
Bildquelle: Sakai Misato, (Blog). - ^ Sumō-Ringer Hakuhō mit zeremoniellem shimenawa (yokozuna) bei der Eröffnung (dōhyō-iri) eines Wettkampfs.
Heisei-Zeit, Jänner 2012. Wikimedia Commons, FourTildes, 2012. - ^ Ein „männlicher“ und ein „weiblicher“ Felsen (meoto-iwa) sind hier durch ein Götterseil (shimenawa) ehelich verbunden. Die Felsen gehören zum Futami Okitama Jinja, der sich in der Gegend der Schreinanlage von Ise befindet. Abgesehen von diesem lohnenden Fotomotiv hat der Schrein nicht allzu viel zu bieten, auch sind die Felsen bei direkter Besichtigung überraschend klein. Dennoch handelt es sich um eine seit der Edo-Zeit berühmte Sehenswürdigkeit in Ise.
Bernhard Scheid, flickr, 2013. - ^ Ungewöhnliche Darstellung einer Feldgottheit mit shimenawa.
Bildquelle: unbekannt. - ^ In diesem Fruchtbarkeitsritus (hōnen matsuri) werden die menschlichen Geschlechtsorgane durch shimenawa dargestellt. In der Szene auf dem Bild ist es gerade zur Vereinigung von Mann und Frau gekommen.
VikingSlav, flickr 2005.
Glossar
- chinowa kuguri 茅の輪くぐり ^ Ritual, bei welchem man mehrmals durch einen Schilfgraskranz steigt, um Körper und Seele von Unreinheit und Krankheit zu befreien; wtl. Durchschreiten des Schilfgraskranzes
- Futami Okitama Jinja 二見興玉神社 ^ Schrein in der Bucht von Ise, nahe dem Ise Jingū, v.a. für seine pittoresken „vermählten Felsen“ (meoto-iwa) bekannt
- Hōjō Kashima 北条鹿島 ^ Schreininsel vor dem Hafen Hōjō in Ehime-ken, Shikoku; westlich der Insel befinden sich pittoreske Felsformationen (Iyo Futami), die jedes Jahr mit einem 45m langen shimenawa geschmückt werden
- Iyo Futami 伊予二見 ^ Felsformation vor der Schreininsel Hōjō Kashima in der Präfektur Ehime, Shikoku (einstmals Iyo); Futami ist eine Anspielung auf die „vermählten Felsen“ des Futami Okitama Jinja in der Bucht von Ise
- Kōno Michinobu 河野通信 ^ 1156–1223, Kriegsherr der Kamakura-Zeit; Großvater des Religionsgründers Ippen
- Somin Shōrai 蘇民将来 ^ Figur aus einer Legende, die auf das Bingo fudoki (Lokalchronik des 8. Jh.) zurückgeht; Glücksbringer