Alltag/Matsuri/Phalluskulte: Unterschied zwischen den Versionen
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− | + | In früherer Zeit waren Phallus-Kulte und Riten mit offenkundig sexuellen Anspielungen ein häufiges Phänomen in Japan. Besonders zu Frühlingsbeginn, vor dem Auspflanzen oder Säen, wurden Zeremonien und Tänze abgehalten, in denen die Bitten um ein reiches Erntejahr durch die Verehrung überdimensionaler männlicher oder weiblicher Geschlechtsorgane sowie durch rituell angedeutete Geschlechtsakte ausgedrückt wurden. Auf dieser Seite werden einige repräsentative Fruchtbarkeitskulte und phallische Bräuche, die heute noch in Japan zu finden sind (bzw. wieder neu belebt werden), vorgestellt. Die Seite enthält außerdem einige Beispiele der sogenannten {{g|Shunga}} („Frühlingsbilder“), Pornographien mit grotesk überproportionalen Genitaldarstellungen, die von Fruchtbarkeitsriten inspiriert zu sein scheinen. | |
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Zitiert aus Astons ''Nihongi'' (Teil 1, S. 11-12), Ü: B. Scheid</ref> | Zitiert aus Astons ''Nihongi'' (Teil 1, S. 11-12), Ü: B. Scheid</ref> | ||
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− | Astons Beschreibung deckt sich ziemlich genau mit einem Fruchtbarkeitsfest ({{g|hounenmatsuri}}) des {{g|Tagatajinja|Tagata}} Schreins im Raum Nagoya, welches heute zu den bekanntesten seiner Art zählt. Auch hier wird jedes Jahr Mitte März ein zweieinhalb Meter langer Holzphallus von einer Gruppe | + | Astons Beschreibung deckt sich ziemlich genau mit einem Fruchtbarkeitsfest ({{g|hounenmatsuri}}) des {{g|Tagatajinja|Tagata}} Schreins im Raum Nagoya, welches heute zu den bekanntesten seiner Art zählt. Auch hier wird jedes Jahr Mitte März ein zweieinhalb Meter langer Holzphallus von einer Gruppe angeheiterter Schreinhelfer auf einer Art {{g|mikoshi}} umhergetragen, während weibliche Helferinnen mit etwas kleineren Phalli in der Hand die Prozession begleiten. Das Fest hat sich mittlerweile zu einem Tourismusmagneten entwickelt und wird zunehmend auch von Ausländern frequentiert. |
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Aktuelle Version vom 5. November 2023, 14:55 Uhr
Meiji-Zeit, 1893. Michael Czaja. Gods of myth and stone: Phallicism in Japanese folk religion. New York: Weatherhill, 1974, S.113.
In früherer Zeit waren Phallus-Kulte und Riten mit offenkundig sexuellen Anspielungen ein häufiges Phänomen in Japan. Besonders zu Frühlingsbeginn, vor dem Auspflanzen oder Säen, wurden Zeremonien und Tänze abgehalten, in denen die Bitten um ein reiches Erntejahr durch die Verehrung überdimensionaler männlicher oder weiblicher Geschlechtsorgane sowie durch rituell angedeutete Geschlechtsakte ausgedrückt wurden. Auf dieser Seite werden einige repräsentative Fruchtbarkeitskulte und phallische Bräuche, die heute noch in Japan zu finden sind (bzw. wieder neu belebt werden), vorgestellt. Die Seite enthält außerdem einige Beispiele der sogenannten shunga [shunga (jap.) 春画 wtl. „Frühlingsbilder“; Gemälde und Druckwerke mit expliziten sexuellen Darstellungen] („Frühlingsbilder“), Pornographien mit grotesk überproportionalen Genitaldarstellungen, die von Fruchtbarkeitsriten inspiriert zu sein scheinen.
Phallus- und Fruchtbarkeits-Kulte
Aus Reisebeschreibungen des neunzehnten Jahrhunderts lässt sich sowohl die ehemals weite Verbreitung von Fruchtbarkeitskulten als auch deren Rückgang unter europäischem Einfluss herauslesen. So schrieb einer der Väter der westlichen Japanforschung, W. G. Aston [Aston, William George (west.) 1841–1911; brit. Diplomat und Pionier der Japanologie; Übersetzer des Nihon shoki], im Jahr 1896:
Besonders vor der Revolution 1868 sind wohl allen Reisenden in Japan die zahlreichen Hinweise auf einen Phallus-Kult aufgefallen. In den letzten Jahren hat sich die Regierung zwar nach Kräften bemüht, diese besonders derbe Form der Naturverehrung zu unterdrücken, doch exisistiert sie nach wie vor an abgelegenen Orten [...].
Ich selbst war einmal Zeuge eines phallischen Umzugs in einer Ortschaft ein paar Meilen nördlich von Tōkyō. Ein Phallus von mehreren Fuß Länge, in grellem Scharlachrot bemalt, wurde da auf einer Art Bahre von johlenden, lachenden Kulis mit erhitzten Gesichtern in abrupten Zickzack-Bewegungen von einer Seite der Straße zur anderen schlingernd einhergetragen.1
Tagata und Ōagata Jinja
Astons Beschreibung deckt sich ziemlich genau mit einem Fruchtbarkeitsfest (hōnen matsuri [hōnen matsuri (jap.) 豊年祭 Erntebitt-Fest, Fruchtbarkeitsfest]) des Tagata [Tagata Jinja (jap.) 田縣神社 Schrein bei Nagoya, bekannt für seine (männlich konnotierten) Fruchtbarkeitsriten (hōnen matsuri)] Schreins im Raum Nagoya, welches heute zu den bekanntesten seiner Art zählt. Auch hier wird jedes Jahr Mitte März ein zweieinhalb Meter langer Holzphallus von einer Gruppe angeheiterter Schreinhelfer auf einer Art mikoshi [mikoshi (jap.) 神輿 tragbarer Schrein] umhergetragen, während weibliche Helferinnen mit etwas kleineren Phalli in der Hand die Prozession begleiten. Das Fest hat sich mittlerweile zu einem Tourismusmagneten entwickelt und wird zunehmend auch von Ausländern frequentiert.
Peter Thoeny, 1998.
Der Tagata Schrein besitzt außerdem ein Gegenstück im nahe gelegenen Ōagata [Ōagata Jinja (jap.) 大縣神社 Schrein bei Nagoya, bekannt für seine Fruchtbarkeitsriten (hōnen matsuri)] Schrein, wo zur gleichen Zeit ein riesiger Reiskuchen (mochi [mochi (jap.) 餅 Japanische Reiskuchen bzw. Klöße aus gestampftem Reis, die traditionell vor allem zu Neujahr (O-shōgatsu) gegessen werden.]) umhergetragen wird. Der Reiskuchen ähnelt entfernt einem weiblichen Geschlechtsorgan. Im Ōagata Schrein befinden sich außerdem mehrere Vagina-artige Steine, während der Tagata Schrein Phallus-artige Steine aufbewahrt. Beide Schreine sind bereits in den Engishiki [Engishiki (jap.) 延喜式 „Bestimmungen der Engi Ära“; Gesetzeswerk mit zahlreichen religionspol. Bestimmungen, v.a. zum Schreinzeremoniell, aus dem 10. Jh.], einem Dokument aus dem zehnten Jahrhundert erwähnt, ob damals aber schon ein Fruchtbarkeitskult vorhanden war, ist nicht bekannt.
Tenteko Matsuri
Beim Tenteko Matsuri [Tenteko Matsuri (jap.) てんてこ祭 Fruchtbarkeitsfest in Nishio, Nagoya, bei dem aus Rettichen geschnitzte Phallus-Attrappen zum Einsatz kommen] in Nishio, ebenfalls im Großraum Nagoya, binden sich Männer Phallusattrappen ans Gesäß und vollführen damit suggestive Auf- und Ab-Bewegungen. Die Protagonisten sind Männer im „gefährdeten Alter“ (yakudoshi [yakudoshi (jap.) 厄年 Unglücksjahr, kritisches Alter; laut Tradition bei Männern das 25., 42. und 61. Jahr, bei Frauen das 19., 33. und 37. Jahr]) von 25, 42 oder 61 Jahren, auch die Farbe rot deutet auf Gefahr hin. Der Umzug soll der Abwehr von gesundheitlichen und sonstigen Gefahren (Potenzverlust?) dienen, die laut Tradition in diesen Altersgruppen zu erwarten sind.
Aichi Now, 2022.
Kanamara Matsuri
In Kawasaki südlich von Tōkyō gibt es den Kanayama Schrein [Kanayama Jinja (jap.) 金山神社 wtl. „Schrein des Eisenberges“; Schrein in Yokohama, berühmt für sein „Fest des Eisenpenis“, Kanamara Matsuri], der ehemals von Prostituierten zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten aufgesucht wurde. Er leitet seinen Ursprung von einer Sage her, in der ein Dämon mithilfe eines Eisenpenis (kanamara [kanamara (jap.) 金マラ „Eisenpenis“; kana ist eine dialektale Variante von kane, Metall, mara ist ein altes umgangsspr. Wort für Penis; der Begriff dürfte mit dem Fruchtbarkeitsgott Konsei-sama zusammenhängen]) aus der Vagina eines Mädchens ausgetrieben wird. In den letzten Jahren hat sich daraus ein matsuri [matsuri (jap.) 祭 religiöses (Volks-)Fest] im Stil einer love parade entwickelt, das Kanamara Matsuri [Kanamara Matsuri (jap.) かなまら祭り Phallus-matsuri des Kanayama Jinja; Fest des Eisenpenis (kanamara)], bei dem der Verehrungsgegenstand von Transvestiten getragen wird. Der Schrein hat sich zudem der Bekämpfung von Aids verschrieben (s. auch das Beispiel eines Votivtäfelchens, dieses Schreins).
Bildquelle: Damon Coulter, 2012, über Internet Archive.
Phallische Statuen und Götter
Yin Yang Steine
Wie schon an den obigen Beispielen erkennbar, gehen Fruchtbarkeitskulte oft von Steinen aus, die die Natur mit suggestiven Formen ausgestattet hat. Solche Steine oder Felsen nennt man vielsagend „inyōseki [inyōseki (jap.) 陰陽石 wtl. Yin Yang-Stein; Stein in der Form männlicher oder weiblicher Genitalien; Fruchtbarkeitssymbol]). Sie werden meist mit einem shimenawa [shimenawa (jap.) 注連縄 shintōistisches „Götter-Seil“; geschlagene Taue aus Reisstroh.] als heiliges Objekt gekennzeichnet oder in einen kleinen Schrein gestellt. Bei solchen Kultstätten soll ehemals um Kindersegen, leichte Geburt oder Genesung von Kinder- und Frauenkrankheiten gebetet worden sein. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist in der Region Miyazaki, Kyūshū zu besichtigen:
-Steine“ (Bildquelle: Photo Miyazaki, Morimori, über Internet Archive.
Bildquelle: Photo Miyazaki, Morimori, über Internet Archive.
Mara Kannon
In der etwas abgelegenen Präfektur Yamaguchi (W-Honshū) gibt es einen buddhistischen Tempel mit dem seltsamen Namen Mara [Māra (skt.) मार Dämon des Bösen, eine Art Äquivalent des Satans im Buddhismus (jap. Mara 魔羅)] Kannon (Mara ist ein Dämon des Bösen im Buddhismus, aber auch ein Wort für „Penis“, Kannon [Kannon (jap.) 観音 auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt] ist der Bodhisattva [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)] des Mitgefühls). Der Tempel behauptet von sich, führend auf dem Gebiet des Phallus-Kultes zu sein:
Chindera Dai-Dōjō.
Chindera Dai-Dōjō.
Konsei-sama
Reste ähnlicher Phalluskulte lassen sich schließlich auch in Nordjapan finden. In der Stadt Tōno, Präfektur Akita, die schon für den Pionier der japanischen Volkskunde Yanagita Kunio [Yanagita Kunio (jap.) 柳田国男 1875–1962; Begründer der jap. Volkskunde] eine Fundgrube an religiösen Volksbräuchen darstellte, wird in mehreren Schreinen eine Gottheit namens Konsei-sama [Konsei-sama (jap.) 金精様 phallische, als Gottheit verehrte Steinformationen in Nord-Japan] verehrt, die als Phallus gedacht wird. Oft handelt es sich um natürliche Steinformationen, die an Phalli manchmal aber auch an eine Vulva erinnern.
Okada Kenji, 2008.
Yama no kami
In ländlichen Gegenden werden häufig anonyme Berggottheiten (yama no kami [yama no kami (jap.) 山の神 wtl. „Berggottheit“; meist annonyme, manchmal sexuell konnotierte Lokalgottheit]) verehrt. Das Beispiel unten zeigt einen etwas vernachlässigten Seitenschrein des Yaegaki Jinja [Yaegaki Jinja (jap.) 八重垣神社 Schrein in Matsue, Präfektur Shimane] in Matsue, Präfektur Shimane (die Gegend des Izumo Schreins [Izumo Taisha (jap.) 出雲大社 Großschrein von Izumo (Präfektur Shimane)]), der einer anonymen Berggottheit gewidmet ist. Berggottheiten sind in Japan zumeist weiblich, werden aber, wie man sieht, ggf. auch mit Phalluskulten bedacht.
Wegegötter
Ähnlich den sogenannten „Marterln“ im alpinen Raum gibt es in ländlichen Gegenden Japans immer wieder einfache Steinskulpturen, die zur Kennzeichnung von Wegen und Kreuzungen dienen oder den Rand eines Dorfes bewachen. Diese Statuen werden im allgemeinen dōsojin [dōsojin (jap.) 道祖神 Wegegott, auch sae no kami; volksrel. Figuren, manchmal in phallischer Form] („Ahnengötter der Wege“) oder „Wegegötter“ genannt. Bisweilen besitzen sie eine phallische Form ähnlich den oben angeführten Beispielen. In vielen Fällen wird aber auch ein menschliches Paar dargestellt, manchmal in zärtlicher, manchmal in intimer Umarmung. In diesen Fällen spricht man auch von wagōjin [wagōjin (jap.) 和合神 wtl. „Götter der Harmonie“; paarweise repräsentierte, oft sexuell konnotierte Gottheiten], Göttern der (ehelichen) Harmonie. Ursprung und Geschichte dieser Wegegötter liegen weitgehend im Dunklen, es scheint sie aber bereits sehr lange zu geben. Rezente Beispiele stammen zumeist aus der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit. Viele Autoren vermuten den Ursprung der Wegegötter in einem ursprünglichen Phalluskult, angesichts der Vielzahl der dargestellten Motive, zu denen auch buddhistische Gottheiten zählen, erscheint mir diese Annahme jedoch fraglich. Zweifellos gibt es aber eine große Gruppe von Wegegöttern mit offenen oder angedeuteten sexuellen Konnotationen.
Photo Miyazaki, Morimori.
Kurabuchi no dōsojin, über Internet Archive.
Edo-Zeit, 1788. Kurabuchi no dōsojin, über Internet Archive.
Edo-Zeit, 1801. Kaze ni fukarete.
Tengu
Die langnasigen tengu [tengu (jap.) 天狗 wtl. Himmelshund; vogelartiger oder geflügelter Kobold, meist in den Bergen]-Dämonen stehen häufig mit Fruchtbarkeitskulten in Verbindung. Bisweilen wird ihre Nase auch explizit als Phallus gestaltet, was zu allerlei Wunschphantasien Anlass gibt.
20. Jh. Vladimir Vyskocil, flickr, 2013 (mit freundlicher Genehmigung).
万屋満載, 2009.
Shunga
Die besondere Faszination an den menschlichen Geschlechtsorganen, die in der japanischen Volksreligion kaum tabuisiert wird, findet sich auch in den Edo-zeitlichen shunga [shunga (jap.) 春画 wtl. „Frühlingsbilder“; Gemälde und Druckwerke mit expliziten sexuellen Darstellungen] („Frühlingsbilder“) wieder. Beides, Phalluskulte und erotische Bilder, kennt man natürlich auch aus anderen vormodernen Kulturen, es scheint jedoch in der Edo-Zeit zu einem besonderen Boom auf beiden Gebieten gekommen zu sein, der sich auch in der Literatur dieser Zeit — unter anderem in Werken von Ihara Saikaku [Ihara Saikaku (jap.) 井原西鶴 1642–1693; Schriftsteller der Edo-Zeit, verfasste zahlreiche erotische Romane] wie Kōshoku ichidai otoko [Kōshoku ichidai otoko (jap.) 好色一代男 „Der größte Liebhaber“; erotischer Roman von Ihara Saikaku, 1682] („Der größte Liebhaber“, 1682) oder Nanshoku ōkagami [Nanshoku ōkagami (jap.) 男色大鑑 „Großer Spiegel der Männerliebe“; erotischer Roman von Ihara Saikaku, 1687] („Spiegel der männlichen Liebe“, 1687) — erkennen lässt. Ob zwischen den beiden Phänomenen wirklich eine tiefere Beziehung besteht, sei vorläufig dahin gestellt, fest steht, dass beide eine erstaunliche hohe Toleranz gegenüber sexuell konnotierten Themen in der religiösen Landschaft des vormodernen (und bis zu einem gewissen Grad auch des heutigen) Japan belegen.
Werk von Katsukawa Shunshō (1726-1792). Edo-Zeit. Museum of Fine Arts, Boston.
Fast alle bekannten ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit]-Meister übten sich in der Anfertigung von Frühlingsbildern. Meist beschränkten sie sich dabei auf die Darstellung kopulierender Paare, deren primäre Geschlechtsmerkmale grotesk vergrößert sind. Manche Meister suchten aber nach etwas ausgefalleneren Motiven. Darunter befanden sich auch die „Götter der ehelichen Harmonie“, oder andere an die Wegegötter erinnernden Figuren, die von den ukiyoe-Meistern auf bizarre Genitalien reduziert wurden. Ihre Inspiration holten sich diese Werke also zweifellos aus der japanischen Religion. Obwohl die shunga einer gewissen Zensur unterworfen waren, stellte die erotische Persiflage religiöser Motive offenbar kein besonderes Problem dar.
Werk von Katsushika Hokusai. Edo-Zeit. Nichibunken.
Werk von Utagawa Kunisada. Edo-Zeit, ca. 1840. Nichibunken.
Werk von Utagawa Kunisada. Edo-Zeit. Bildquelle: unbekannt.
Verweise
Fußnoten
- ↑ Zitiert aus Astons Nihongi (Teil 1, S. 11-12), Ü: B. Scheid
Bilder
- ^ Ein aus Stein gefertigter Wegegott (dōsojin) aus Nordjapan, auf dem zwei Phalli als Paar abgebildet sind.
Meiji-Zeit, 1893. Michael Czaja. Gods of myth and stone: Phallicism in Japanese folk religion. New York: Weatherhill, 1974, S.113. - ^ Schreingemeinde des Tagata Jinja beim Fruchtbarkeitsfest (hōnen matsuri) mit einem 2,5m langen, 400kg schweren Phallus (1998).
Peter Thoeny, 1998. - ^ Weibliche Mitglieder tragen verkleinerte Phallus-Abbilder hinterher.
Peter Thoeny, 1998. - ^ Phallus-artiger Stein.
Bildquelle: unbekannt. - ^ Vagina-artiger Stein.
Bildquelle: unbekannt. - ^ Festival-Banner
Bildquelle: unbekannt. - ^ Festival-Banner
Bildquelle: unbekannt. - ^ Bei einem Fest des Ōagata Schreins werden junge Frauen in pächtigen Brautkleidern (hanayome) auf kleinen Lastwägen in einer Prozession umhergeführt. Im Hintergund eine Maske der Okame, die hier zu einer Vulva verformt ist — das Markenzeichen des Ōagata Schreins.
Bildquelle: unbekannt. - ^ Sechs rot gekleidete, vermummte Männer mit Phallusattrappen stehen im Mittelpunkt des Tenteko Matsuri.
Aichi Now, 2022. - ^ Die Phallusattrappen sind aus Rettichen geschnitzt und so konstruiert, dass sie auf- und abwippen können.
Okada Y., 2008. - ^ Der rosa Phallus hat sich zu einer Hauptattraktion des Kanamari Matsuri entwickelt. Er trägt den Namen Elizabeth, weil er stets von Transvestiten eines gewissen Elizabeth Club umhergetragen wird. Zahlreiche Blogs, unter anderem ein sehr empfehlenswerter Photo-Essay von Damon Coulter, schildern die Einzelheiten dieser neuartigen Mischung aus Schreinfest und Love-Parade.
Bildquelle: Damon Coulter, 2012, über Internet Archive. - ^ Man beachte, dass das Objekt der Anbetung durch torii und shimenawa als sakraler Gegenstand gekennzeichnet ist.
Bildquelle: Photo Miyazaki, Morimori, über Internet Archive. - ^ Es bedarf tatsächlich nicht allzu großer Phantasie, um hier ein männliches und ein weibliches Geschlechtsorgan im Felsen zu erkennen.
Bildquelle: Photo Miyazaki, Morimori, über Internet Archive. - ^ Der Mara-Kannon Tempel behauptet von sich, führend auf dem Gebiet des Phallus-Kultes zu sein.
Chindera Dai-Dōjō. - ^ Phallus-Statuen des Mara Kannon Tempels
Chindera Dai-Dōjō. - ^ Eindrücke des Mara-Kannon Tempels.
Chindera Dai-Dōjō.
- ^ Phallus-Devotionalien des Mara Kannon Tempels, eines ländlichen Tempels in der Präfektur Yamaguchi.
Chindera Dai-Dōjō. - ^ Phallische Schreingottheit.
Okada Kenji, 2008. - ^ Weitere Informationen: Inyōseki Kenkyūkai (2011/7)
Onizuka Kentarō, 2001. - ^ Der umgebende Stein ist hier deutlich in phallischer Form gehalten.
Photo Miyazaki, Morimori. - ^ Weggötter in intimer Umarmung.
Kurabuchi no dōsojin, über Internet Archive. - ^ Ein Symbol ehelicher Verbundenheit.
Edo-Zeit, 1788. Kurabuchi no dōsojin, über Internet Archive. - ^ Dieses Paar ist von einer charakteristischen Blütenform umrahmt, die als Vulva gedeutet werden kann.
Edo-Zeit, 1801. Kaze ni fukarete. - ^ Moderne Statue mit tengu-Maske in einem verschwiegenen Onsen.
20. Jh. Vladimir Vyskocil, flickr, 2013 (mit freundlicher Genehmigung). - ^ Tengu mit Phallusnase. Der Schrein ist auf Frauenkrankheiten und Kinderwünsche spezialisiert. (Siehe dazu auch Phalluskulte.)
万屋満載, 2009. - ^ Erotische Darstellung (shunga) eines lesbischen Paars. Die tengu-Maske dient als Dildo.
Edo-Zeit. Bildquelle: Wikimedia. - ^ Dieses ungewöhnliche Bild stammt aus einer skurril-erotischen Anthologie, in der die bekanntesten japanischen Monster in Form von Genitalien dargestellt werden. Dieses Bild enthält eine Anspielung auf die mythologische Szene, in der [Kushi-] Inada-hime (hier Iyada-hime, „Prinzessin Rühr-mich-nicht-an“) von der achtköpfigen Schlange Yamata no Orochi (hier Yamara no Orochi, „Achtpenis Schlange“) bedroht wird.
Werk von Katsukawa Shunshō (1726-1792). Edo-Zeit. Museum of Fine Arts, Boston. - ^ Der Bildtitel nennt diese Figur „hodenstraffende Brecheisen-Penis-Gott“ (Kanateko mara jinbari myōjin 鉄梃陰茎腎張明神). Satirische Darstellung aus einer shunga-Sammlung.
Werk von Utagawa Toyokuni. Edo-Zeit, 1823. AK-Antiek. - ^ Coverillustration einer Sammlung erotischer Bilder (shunga) von Katsushika Hokusai. Der Text besagt in etwa: „Harmonie erzeugt alles Glück, Berührung versöhnt Yang und Yin (Mann und Frau).“ Wagō-jin sind eigentlich chinesische Glücksgötter, die üblicherweise als männliches Zwillingspaar auftreten und für Glück und Reichtum stehen. Auch im Japan der Edo-Zeit waren sie weitläufig bekannt. Hokusai aber kombiniert die Wagō-jin mit der Ikonographie der Wegegötter (dōsojin) und münzt Reichtum in sexuelle Zufriedenheit um.
Werk von Katsushika Hokusai. Edo-Zeit. Nichibunken. - ^ Vulva-Gottheit auf Phalli thronend. Satirische Darstellung aus einer shunga-Sammlung.
Werk von Utagawa Kunisada. Edo-Zeit, ca. 1840. Nichibunken. - ^ Ama no jaku sind Kobolde, die böswillig allerlei Verdrehungen bewirken, also „perverse“ Geister im wörtlichen Sinne.
Werk von Utagawa Kunisada. Edo-Zeit. Bildquelle: unbekannt. - ^ Dieses ungewöhnliche Bild stammt aus einer skurril-erotischen Anthologie, in der die bekanntesten japanischen Monster in Form von Genitalien dargestellt werden.
Werk von Katsukawa Shunshō (1726-1792). Edo-Zeit. Gallica, Bibliothèque nationale de France.
Glossar
- Aston, William George (west.) ^ 1841–1911; brit. Diplomat und Pionier der Japanologie; Übersetzer des Nihon shoki
- Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व ^ „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)
- hōnen matsuri 豊年祭 ^ Erntebitt-Fest, Fruchtbarkeitsfest
- kanamara 金マラ ^ „Eisenpenis“; kana ist eine dialektale Variante von kane, Metall, mara ist ein altes umgangsspr. Wort für Penis; der Begriff dürfte mit dem Fruchtbarkeitsgott Konsei-sama zusammenhängen
- Kanayama Jinja 金山神社 ^ wtl. „Schrein des Eisenberges“; Schrein in Yokohama, berühmt für sein „Fest des Eisenpenis“, Kanamara Matsuri
- Kannon 観音 ^ auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt
- Konsei-sama 金精様 ^ phallische, als Gottheit verehrte Steinformationen in Nord-Japan
- mochi 餅 ^ Japanische Reiskuchen bzw. Klöße aus gestampftem Reis, die traditionell vor allem zu Neujahr (O-shōgatsu) gegessen werden.
- Tagata Jinja 田縣神社 ^ Schrein bei Nagoya, bekannt für seine (männlich konnotierten) Fruchtbarkeitsriten (hōnen matsuri)
- Tenteko Matsuri てんてこ祭 ^ Fruchtbarkeitsfest in Nishio, Nagoya, bei dem aus Rettichen geschnitzte Phallus-Attrappen zum Einsatz kommen
- Yaegaki Jinja 八重垣神社 ^ Schrein in Matsue, Präfektur Shimane
- yama no kami 山の神 ^ wtl. „Berggottheit“; meist annonyme, manchmal sexuell konnotierte Lokalgottheit
- Yanagita Kunio 柳田国男 ^ 1875–1962; Begründer der jap. Volkskunde