Geschichte/Terauke: Unterschied zwischen den Versionen
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+ | {{g|Shimabara}} Rebellion (1637–38) wurde es dann in allen direkt vom Shōgunat verwalteten Regionen angewandt und ab 1664 schließlich per Dekret landesweit angeordnet. Auf diese Weise breitete sich die Institution über ganz Japan aus, obwohl der eigentliche Anlass, die Christenverfolgung, immer bedeutungsloser wurde. Das System erwies sich jedoch in mehrfacher Hinsicht als nützliches Herrschaftsmittel zur ideologischen und verwaltungstechnischen Kontrolle der Bevölkerung. | ||
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+ | Das ''terauke''-System umfasste in seiner ausgereiften Form mehrere Instanzen, nämlich die lokale (dörfliche) Führungsschicht, den örtlichen Tempel, die regionalen Vertreter des Landesverwaltung und schließlich die zentrale Behörde zur Verwaltung von Tempeln und Schreinen ({{g|jishabugyou}}) in {{g|edo}}. | ||
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− | + | Tempel lebten traditionellerweise von Spenden. Schon vor der Edo-Zeit bemühten sich die Tempel, fixe Gemeinden zu etablierten, die regelmäßig festgesetzte Summen für religiöse Dienstleistungen, allen voran Begräbnisse, „spendeten“. Dieses System, das nicht auf Gesetzen, sondern auf Bräuchen beruhte, ist auch als {{g|dankaseido}} bekannt (''danka'' oder {{g|danna}} bedeutet Gönner oder Spender und geht auf den Sanskritbegriff ''dana'', „Gabe“, zurück). | |
− | + | Das ''terauke''-System fügte sich in dieses traditionelle Verhältnis zwischen Tempeln und „Spendern“ ein. Die Bestätigung durch einen Tempel besagte, dass die betreffende Person ein Spender der Glaubensgemeinde und daher kein Christ war. Tempelregistrierung und Spendergemeinde waren also unabhängig von einander entstanden, verstärkten sich in der Edo-Zeit jedoch gegenseitig und prägten den Buddhismus dieser Zeit. | |
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− | + | Tempel waren zwar weltlichen Verwaltungsbeamten untergeordnet, hatten aber auch Nutzen aus dem System. Sie erhielten mehr Macht über ihre Gläubigengemeinden, da diese ja auf die Bestätigung ihrer Mitgliedschaft angewiesen waren. Manche Tempel ließen sich diese Bestätigungen auch von den Mitgliedern ihrer Gemeinde bezahlen. In jedem Fall verdienten sie aber durch zusätzliche religiöse Dienstleistungen, vor allem Begräbnisse, die nun niemand mehr ablehnen konnte ohne Verdacht der Ketzerei zu erregen. Offizielle Rechtsdokumente des Shōgunats wiesen explizit darauf hin, dass Gemeindemitglieder, die auf die buddhistischen Sterberiten keinen Wert legten, möglicherweise Christen seien und genauer untersucht werden müssten.<ref>Tamamuro 2001, S. 267.</ref> Man kam also in der Edo-Zeit um buddhistische Totenriten nicht mehr herum. | |
− | + | In der Theorie konnte man die Institution, bei der man sich seine Rechtgläubigkeit bestätigen ließ, frei wählen, in Ausnahmefällen durften sogar Shintō-Priester Rechtgläubigkeits-Zertifikate ausstellen. Doch in der Praxis achteten die Tempel eifersüchtig darauf, ihren Mitgliederbestand zu bewahren, und auch die Gerichte sprachen sich im Fall von Streitigkeiten zumeist für die Wahrung der lokalen Tradition aus. Daher blieb man üblicherweise bei jenem Tempel, dem schon die eigenen Vorfahren angehörten. | |
− | Durch dieses System wurde natürlich der | + | Durch dieses System wurde natürlich der Buddhismus als Ganzes stark beeinflusst. Der Gegensatz zwischen erlaubten und häretischen Sekten wurde vertieft. Abgesehen vom Christentum standen auch manche Fraktionen der {{g|nichirenshuu|Nichiren}}-Schule und des [[Geschichte/Amidismus | Amidismus]] auf der Liste verbotener Religionen. Sie alle hatten während der {{g|Sengokujidai | Sengoku}}-Zeit (16. Jh.) theokratische Gemeinden gebildet, die im Zuge der Reichseinigung von {{g|Odanobunaga}} und {{g|Toyotomihideyoshi}} mit brutaler Gewalt bekämpft wurden. Das {{g|teraukeseido}} ließ zwar — und darin liegt ein weiterer Unterschied zur Inquisition — eine gewisse Glaubensvielfalt nach wie vor zu, richtete sich aber umso heftiger gegen religiöse Gruppierungen, deren „fundamentalistischer“ Charakter die staatliche Ordnung in Frage stellten. |
− | + | Unter den Bedingungen des ''terauke''-Systems wurden die spezifischen Glaubensinhalte der einzelnen buddhistischen Richtungen in den Hintergrund gedrängt und es kam zu einer Nivellierung, die durch die Tatsache, dass das Shōgunat ein Mitspracherecht bei der Festlegung orthodoxer Glaubens- und Praxisformen hatte, verstärkt wurde. Der heute verbreitete sogenannte „Begräbnis-Buddhismus“ ({{g|soushikibukkyou}}), der über die Schulgrenzen hinweg sehr ähnlich aufgebaut ist, resultiert indirekt aus der besonderen Beachtung der Sterberiten, die vom Shōgunat vorgegeben wurden. Die Vergabe von buddhistischen Totennamen ({{g|kaimyou}}), wie sie heute in allen Richtungen des japanischen Buddhismus praktiziert wird (s. Kap. Alltag, [[Alltag/Totenriten | Bestattung]]), entstand beispielsweise erst im Zusammenhang mit dem ''terauke''-System, Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. | |
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+ | Es nimmt somit nicht weiter Wunder, dass es in der Edo-Zeit zu anti-buddhistischen Ressentiments kam, dass die buddhistischen Mönche als Agenten der Regierung verschrien waren, und dass verschiedene Teile der Gesellschaft nach spirituellen Wegen außerhalb des Buddhismus zu suchen begannen. Schon zu Beginn der Edo-Zeit traten Konfuzianer mit einer dezidiert anti-buddhistischen Grundhaltung auf den Plan. Manche von ihnen sahen im klassischen China ein gesellschaftliches Modell, dem sich auch Japan unterordnen sollte, andere versuchten neo-konfuzianische Ideen mit einer Renaissance des Shintō zu kombinieren (s. {{showTitel|Geschichte/Neo-Konfuzianismus}}). Diese Ideen stießen auch bei einigen Lokalfürsten ({{g|daimyou}}) auf Interesse, was Mitte des 17. Jahrhunderts zu Experimenten mit Shintō Schreinen als Orte der Glaubensüberprüfung führte (s. {{showTitel|{{PAGENAME}}/Daimyatsshinto}}). All das konnte aber die Zusammenarbeit zwischen Buddhismus und Staat nicht wirklich erschüttern. | ||
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+ | Dank des ''terauke''-Systems dehnte der Buddhismus in der Edo-Zeit seine Autorität auf fast alle gesellschaftlichen Gruppierungen aus. Der Preis dafür bestand jedoch in einer geistigen Unterordnung unter das Wohl der Tokugawa-Dynastie. Daher bietet die Geistesgeschichte des Edo-zeitlichen Buddhismus (mit Ausnahme neuer {{g|Zen}}-Schulen) nur noch wenige spektakuläre inhaltliche Neuerungen. Ideengeschichtlich ist die Entwicklung des japanischen Konfuzianismus, des Shintō und das Aufkommen der „Neuen Religionen“ in der {{g|Bakumatsu}}-Zeit (d.h. in den letzten Jahrzehnten vor 1868) attraktiver. Für die japanischen Religionsgeschichte insgesamt sowie für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hatte die Bürokratisierung des Buddhismus allerdings weitreichende Folgen, die erst langsam systematisch erforscht werden. | ||
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* Yokota Fuyuhiko, 2008 <br/>„[http://www.archives.city.amagasaki.hyogo.jp/chronicles/visual/03kinsei/kinsei1-6.html#kinsei1-6-09 Hyakushō no ie to kazoku.]“ In: ''Zusetsu Amagasaki no rekishi.'' (Webprojekt der Sonoda Gakuen Joshi Daigaku.) | * Yokota Fuyuhiko, 2008 <br/>„[http://www.archives.city.amagasaki.hyogo.jp/chronicles/visual/03kinsei/kinsei1-6.html#kinsei1-6-09 Hyakushō no ie to kazoku.]“ In: ''Zusetsu Amagasaki no rekishi.'' (Webprojekt der Sonoda Gakuen Joshi Daigaku.) | ||
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Aktuelle Version vom 10. November 2023, 11:57 Uhr
Inquisition bedeutet bekanntlich Nachforschung. Im europäischen Kontext versteht man darunter die Ausforschung von Anhängern ketzerischer Ideen, die nicht dem Dogma der katholischen Kirche entsprachen. In Japan entwickelte sich — ironischerweise nach dem ersten Kontakt mit dem Christentum — ein ähnliches System, das unter dem Begriff terauke seido [terauke seido (jap.) 寺請制度 System der buddhistischen Zertifikation der Rechtgläubigkeit], „System der Tempel-Bestätigungen“, bekannt wurde. Auch dabei ging es um die Ausforschung von „Ungläubigen“, wobei hier aber vor allem Christen gemeint waren. Die Glaubensnachforschungen wurden unter Mithilfe von buddhistischen Tempeln ausgeführt, die bürokratische Erfassung und Bestrafung der Ungläubigen lag jedoch — und hier liegt ein großer Unterschied zur europäischen Inquisition — in den Händen von weltlichen Autoritäten.
Glaubensüberprüfung
Um nicht in den Verdacht ketzerischer Betätigung zu kommen, musste sich jeder Bürger aktiv um die Mitgliedschaft bei einem staatlich anerkannten Tempel bemühen, der ihm dann seine Rechtgläubigkeit bestätigte. Dieses System wurde Anfang des siebzehnten Jahrhunderts im Anschluss an das landesweite Verbot des Christentums (1614) eingeführt und war zunächst zur Ausforschung der Christen in Kyūshū, dem Hauptverbreitungsgebiet des japanischen Christentums, gedacht. Nach der
Rebellion (1637–38) wurde es dann in allen direkt vom Shōgunat verwalteten Regionen angewandt und ab 1664 schließlich per Dekret landesweit angeordnet. Auf diese Weise breitete sich die Institution über ganz Japan aus, obwohl der eigentliche Anlass, die Christenverfolgung, immer bedeutungsloser wurde. Das System erwies sich jedoch in mehrfacher Hinsicht als nützliches Herrschaftsmittel zur ideologischen und verwaltungstechnischen Kontrolle der Bevölkerung.Das terauke-System umfasste in seiner ausgereiften Form mehrere Instanzen, nämlich die lokale (dörfliche) Führungsschicht, den örtlichen Tempel, die regionalen Vertreter des Landesverwaltung und schließlich die zentrale Behörde zur Verwaltung von Tempeln und Schreinen (jisha bugyō [jisha bugyō (jap.) 寺社奉行 Amt bzw. Amtsrat für Tempel und Schreine; oberste Instanz der religionspolitischen Verwaltung in der Edo-Zeit (ab 1635)]) in Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);].
- Die Dörfer hatten die Aufgabe, jährlich ein Register ihrer Gemeindemitglieder anzufertigen, das u.a. Angaben zu Familienstand und Alter aller betreffenden Personen enthielt. (In manchen Gegenden wurden diese Register auch von Familien bzw. den Vorstehern von Nachbarschaftsgruppen, goningumi [goningumi (jap.) 五人組 Nachbarschaftsgruppe; wtl. „Fünfergruppe“] geführt).
- Dieses Register musste von den lokalen Tempeln bestätigt (terauke [terauke (jap.) 寺請 obligatorische Bestätigung der Mitgliedschaft bei einem buddhistischen Tempel; diente in der Edo-Zeit zum Nachweis des nicht-christlichen Status]) werden. Meist geschah dies durch Stempel, die die Tempel unter die im Register geführten Namen setzten. Personen, die unter dem Verdacht standen, Christen zu sein, mussten gegebenenfalls auch individualisierte, auf sie persönlich ausgestellte Glaubenszertifikate einholen. Die Tempel führten zum Zweck der Bestätigung ihrerseits Listen ihrer Mitglieder, die Jahr für Jahr mit den Registern der Regionalbehörde abgeglichen wurden.
- Die vom Tempel bestätigten „Glaubensüberprüfungs-Register“ shūmon aratame chō [shūmon aratame chō (jap.) 宗門改帳 Glaubensüberprüfungsregister] wurden dann den nächsthöheren Verwaltungsbehörden vorgelegt.
- Die Register wurden doppelt ausgeführt und lagerten sowohl bei den jeweiligen regionalen Behörden als auch in Edo. Üblicherweise wurden sie jedes Jahr aktualisiert.
Beispiel aus dem Jahr 1698
Das unten abgebildete Glaubensregister (shūmon aratame chō [shūmon aratame chō (jap.) 宗門改帳 Glaubensüberprüfungsregister]) aus dem Jahr 1698 erfasst das Dorf Mandaraji (heute Teil der Stadt Amagasaki zwischen Kōbe und Ōsaka). Das Register wurde von der Dorfgemeide selbst erstellt, nach jedem Eintrag findet sich aber ein Stempel eines lokalen Tempels, der damit die Mitgliedschaft der genannten Person in der Tempelgemeinde bestätigt.
Edo-Zeit, 1698. Amagasaki no rekishi.
Das Register beginnt mit der Aufzählung der Familienmitglieder des Dorfvorstandes (shōya [shōya (jap.) 庄屋 Dorfvorstand während der Edo-Zeit]). Zu diesem ist vermerkt, dass er Mitglied (danna [danna (jap.) 旦那 Gönner, Patron oder einfach Gemeindemitglied eines buddhistischen Tempels, auch danka; davon abgeleitet: Mann, der für die Lebenskosten einer Frau aufkommt (z.B. für eine Geisha); Ehemann]) des Jōdo-shin Tempels Shōfuku-ji sei. Es folgt sein Namen und sein Alter (49 Jahre). Links davon seine Frau, Mitglied des gleichen Tempels, 34 Jahre. Zu ihr folgt die Bemerkung: „Tochter des Hachiemon aus Kamikema, Provinz Settsu, Eltern gehören dem Honsen-ji der Hokke-shū an, änderte vor 19 Jahren ihre Zugehörigkeit und wurde Mitglied der Schulrichtung ihres Mannes.“ Die Frau stammt also aus einer etwa fünf Kilometer entfernten Nachbargemeinde, die einem Nichiren [Nichiren-shū (jap.) 日蓮宗 Nichiren Schule; Sammelnamen für Schulen in der Tradition Nichirens, aber auch Namen einer bestimmten Schule innerhalb des heutigen Nichiren Buddhismus; nicht zu verwechseln mit der 1912 gegr. Nichiren Shōshū]-Tempel zugeordnet ist, hat aber ihre Zugehörigkeit (nach der Heirat) geändert. Den weiteren Einträgen ist zu entnehmen, dass das Paar eine Tochter (14 Jahre) und einen Adoptivsohn (25 Jahre) hat. Man kann annehmen, dass der Adoptivsohn zugleich Ehemann der Tochter ist und das Amt des Dorfvorstehers einmal erben wird (ein in der Edo-Zeit häufiges Verfahren in Familien ohne männliche Nachfolger). Außerdem leben im Haushalt zwei Knechte und drei Mägde in jugendlichem Alter aus der Nachbarprovinz Harima, die ebenfalls als Mitglieder des genannten Tempels angeführt sind.1
Bürokratisierung des Buddhismus
Tempel lebten traditionellerweise von Spenden. Schon vor der Edo-Zeit bemühten sich die Tempel, fixe Gemeinden zu etablierten, die regelmäßig festgesetzte Summen für religiöse Dienstleistungen, allen voran Begräbnisse, „spendeten“. Dieses System, das nicht auf Gesetzen, sondern auf Bräuchen beruhte, ist auch als danka seido [danka seido (jap.) 檀家制度 System zur Führung von Familienregistern durch örtliche Tempel; siehe auch terauke seido] bekannt (danka oder danna [danna (jap.) 旦那 Gönner, Patron oder einfach Gemeindemitglied eines buddhistischen Tempels, auch danka; davon abgeleitet: Mann, der für die Lebenskosten einer Frau aufkommt (z.B. für eine Geisha); Ehemann] bedeutet Gönner oder Spender und geht auf den Sanskritbegriff dana, „Gabe“, zurück).
Das terauke-System fügte sich in dieses traditionelle Verhältnis zwischen Tempeln und „Spendern“ ein. Die Bestätigung durch einen Tempel besagte, dass die betreffende Person ein Spender der Glaubensgemeinde und daher kein Christ war. Tempelregistrierung und Spendergemeinde waren also unabhängig von einander entstanden, verstärkten sich in der Edo-Zeit jedoch gegenseitig und prägten den Buddhismus dieser Zeit.
Tempel waren zwar weltlichen Verwaltungsbeamten untergeordnet, hatten aber auch Nutzen aus dem System. Sie erhielten mehr Macht über ihre Gläubigengemeinden, da diese ja auf die Bestätigung ihrer Mitgliedschaft angewiesen waren. Manche Tempel ließen sich diese Bestätigungen auch von den Mitgliedern ihrer Gemeinde bezahlen. In jedem Fall verdienten sie aber durch zusätzliche religiöse Dienstleistungen, vor allem Begräbnisse, die nun niemand mehr ablehnen konnte ohne Verdacht der Ketzerei zu erregen. Offizielle Rechtsdokumente des Shōgunats wiesen explizit darauf hin, dass Gemeindemitglieder, die auf die buddhistischen Sterberiten keinen Wert legten, möglicherweise Christen seien und genauer untersucht werden müssten.2 Man kam also in der Edo-Zeit um buddhistische Totenriten nicht mehr herum.
In der Theorie konnte man die Institution, bei der man sich seine Rechtgläubigkeit bestätigen ließ, frei wählen, in Ausnahmefällen durften sogar Shintō-Priester Rechtgläubigkeits-Zertifikate ausstellen. Doch in der Praxis achteten die Tempel eifersüchtig darauf, ihren Mitgliederbestand zu bewahren, und auch die Gerichte sprachen sich im Fall von Streitigkeiten zumeist für die Wahrung der lokalen Tradition aus. Daher blieb man üblicherweise bei jenem Tempel, dem schon die eigenen Vorfahren angehörten.
Durch dieses System wurde natürlich der Buddhismus als Ganzes stark beeinflusst. Der Gegensatz zwischen erlaubten und häretischen Sekten wurde vertieft. Abgesehen vom Christentum standen auch manche Fraktionen der Nichiren [Nichiren-shū (jap.) 日蓮宗 Nichiren Schule; Sammelnamen für Schulen in der Tradition Nichirens, aber auch Namen einer bestimmten Schule innerhalb des heutigen Nichiren Buddhismus; nicht zu verwechseln mit der 1912 gegr. Nichiren Shōshū]-Schule und des Amidismus auf der Liste verbotener Religionen. Sie alle hatten während der Sengoku [Sengoku Jidai (jap.) 戦国時代 Zeit der kämpfenden Länder, 1467–1568; beginnt mit dem Ōnin-Krieg und endet nach dieser Definition mit dem Beginn der nationalen Einigung unter Oda Nobunaga; nach anderen Definitionen mit der Ausrottung der Toyotomi durch Tokugawa Ieyasu im Jahr 1615]-Zeit (16. Jh.) theokratische Gemeinden gebildet, die im Zuge der Reichseinigung von Oda Nobunaga [Oda Nobunaga (jap.) 織田信長 1534–1582, Kriegsfürst, Reichseiniger] und Toyotomi Hideyoshi [Toyotomi Hideyoshi (jap.) 豊臣秀吉 1537–1598, Feldherr, militärischer Machthaber; bekannt als der zweite von drei Reichseinigern am Ende der „Zeit der kämpfenden Länder“ (Sengoku Jidai)] mit brutaler Gewalt bekämpft wurden. Das terauke seido [terauke seido (jap.) 寺請制度 System der buddhistischen Zertifikation der Rechtgläubigkeit] ließ zwar — und darin liegt ein weiterer Unterschied zur Inquisition — eine gewisse Glaubensvielfalt nach wie vor zu, richtete sich aber umso heftiger gegen religiöse Gruppierungen, deren „fundamentalistischer“ Charakter die staatliche Ordnung in Frage stellten.
Unter den Bedingungen des terauke-Systems wurden die spezifischen Glaubensinhalte der einzelnen buddhistischen Richtungen in den Hintergrund gedrängt und es kam zu einer Nivellierung, die durch die Tatsache, dass das Shōgunat ein Mitspracherecht bei der Festlegung orthodoxer Glaubens- und Praxisformen hatte, verstärkt wurde. Der heute verbreitete sogenannte „Begräbnis-Buddhismus“ (sōshiki bukkyō [sōshiki bukkyō (jap.) 葬式仏教 „Begräbnis-Buddhismus“; Buddhismus, der auf die Abhaltung von Totenriten fokussiert ist]), der über die Schulgrenzen hinweg sehr ähnlich aufgebaut ist, resultiert indirekt aus der besonderen Beachtung der Sterberiten, die vom Shōgunat vorgegeben wurden. Die Vergabe von buddhistischen Totennamen (kaimyō [kaimyō (jap.) 戒名 buddhistischer Totenname, posthumer Name eines Verstorbenen]), wie sie heute in allen Richtungen des japanischen Buddhismus praktiziert wird (s. Kap. Alltag, Bestattung), entstand beispielsweise erst im Zusammenhang mit dem terauke-System, Anfang des achtzehnten Jahrhunderts.
Gesellschaftliche Folgen
Es nimmt somit nicht weiter Wunder, dass es in der Edo-Zeit zu anti-buddhistischen Ressentiments kam, dass die buddhistischen Mönche als Agenten der Regierung verschrien waren, und dass verschiedene Teile der Gesellschaft nach spirituellen Wegen außerhalb des Buddhismus zu suchen begannen. Schon zu Beginn der Edo-Zeit traten Konfuzianer mit einer dezidiert anti-buddhistischen Grundhaltung auf den Plan. Manche von ihnen sahen im klassischen China ein gesellschaftliches Modell, dem sich auch Japan unterordnen sollte, andere versuchten neo-konfuzianische Ideen mit einer Renaissance des Shintō zu kombinieren (s. Neo-Konfuzianismus und konfuzianischer Shintō). Diese Ideen stießen auch bei einigen Lokalfürsten (Daimyō [Daimyō (jap.) 大名 Territorialfürst, Titel des Kriegeradels]) auf Interesse, was Mitte des 17. Jahrhunderts zu Experimenten mit Shintō Schreinen als Orte der Glaubensüberprüfung führte (s. Daimyatsshintō). All das konnte aber die Zusammenarbeit zwischen Buddhismus und Staat nicht wirklich erschüttern.
Dank des terauke-Systems dehnte der Buddhismus in der Edo-Zeit seine Autorität auf fast alle gesellschaftlichen Gruppierungen aus. Der Preis dafür bestand jedoch in einer geistigen Unterordnung unter das Wohl der Tokugawa-Dynastie. Daher bietet die Geistesgeschichte des Edo-zeitlichen Buddhismus (mit Ausnahme neuer Zen [Zen (jap.) 禅 chin. Chan, wtl. Meditation; Zen Buddhismus]-Schulen) nur noch wenige spektakuläre inhaltliche Neuerungen. Ideengeschichtlich ist die Entwicklung des japanischen Konfuzianismus, des Shintō und das Aufkommen der „Neuen Religionen“ in der bakumatsu [bakumatsu (jap.) 幕末 Ende des Tokugawa-Shōgunats, 1853–1867; wtl. Ende der Zeltregierung (bakufu)]-Zeit (d.h. in den letzten Jahrzehnten vor 1868) attraktiver. Für die japanischen Religionsgeschichte insgesamt sowie für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung hatte die Bürokratisierung des Buddhismus allerdings weitreichende Folgen, die erst langsam systematisch erforscht werden.
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Quelle: Yokota Fuyuhiko, „Hyakushō no ie to kazoku“.
- ↑ Tamamuro 2001, S. 267.
Internetquellen
- Yokota Fuyuhiko, 2008
„Hyakushō no ie to kazoku.“ In: Zusetsu Amagasaki no rekishi. (Webprojekt der Sonoda Gakuen Joshi Daigaku.)
Literatur
Bilder
- ^ Das hier abgebildete Glaubensregister (shūmon aratame chō) aus dem Jahr 1698 (Genroku 11) stellt ein gutes Beispiel für den Wert der Glaubensregister als sozialhistorische und demographische Quelle dar. Erfasst ist das Dorf Mandaraji, heute Teil der Stadt Amagasaki zwischen Kōbe und Ōsaka. Das Register wurde von der Dorfgemeide selbst erstellt, nach jedem Eintrag findet sich aber ein Stempel des lokalen Tempels, der damit die Richtigkeit der Angaben bestätigt. (Quelle: Yokota Fuyuhiko, „Hyakushō no ie to kazoku“.)
Edo-Zeit, 1698. Amagasaki no rekishi.
Glossar
- danka seido 檀家制度 ^ System zur Führung von Familienregistern durch örtliche Tempel; siehe auch terauke seido
- jisha bugyō 寺社奉行 ^ Amt bzw. Amtsrat für Tempel und Schreine; oberste Instanz der religionspolitischen Verwaltung in der Edo-Zeit (ab 1635)
- Nichiren-shū 日蓮宗 ^ Nichiren Schule; Sammelnamen für Schulen in der Tradition Nichirens, aber auch Namen einer bestimmten Schule innerhalb des heutigen Nichiren Buddhismus; nicht zu verwechseln mit der 1912 gegr. Nichiren Shōshū
- Oda Nobunaga 織田信長 ^ 1534–1582, Kriegsfürst, Reichseiniger
- Sengoku Jidai 戦国時代 ^ Zeit der kämpfenden Länder, 1467–1568; beginnt mit dem Ōnin-Krieg und endet nach dieser Definition mit dem Beginn der nationalen Einigung unter Oda Nobunaga; nach anderen Definitionen mit der Ausrottung der Toyotomi durch Tokugawa Ieyasu im Jahr 1615
- shūmon aratame chō 宗門改帳 ^ Glaubensüberprüfungsregister
- sōshiki bukkyō 葬式仏教 ^ „Begräbnis-Buddhismus“; Buddhismus, der auf die Abhaltung von Totenriten fokussiert ist
- terauke seido 寺請制度 ^ System der buddhistischen Zertifikation der Rechtgläubigkeit
- Toyotomi Hideyoshi 豊臣秀吉 ^ 1537–1598, Feldherr, militärischer Machthaber; bekannt als der zweite von drei Reichseinigern am Ende der „Zeit der kämpfenden Länder“ (Sengoku Jidai)