Essays/Tauben: Unterschied zwischen den Versionen
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− | + | | Lieber das Herz in der Hand <br/>als die Taube über dem Heer | |
− | + | |autor= Ulrich Goch<ref>Der vorliegende Gastbeitrag des Japanologen und Historikers Ulrich Goch erschien ursprünglich als „Miniatur Nummer 7“ in der online Publikationsreihe ''Miniaturen'' der Fakultät für Ostasienwissenschaften, Sektion Geschichte Japans, Universität Bochum. Die Serie wurde leider vom Netz genommen. Für ''Religion-in-Japan'' wurden mit freundlicher Genehmigung des Autors ein paar kleine Änderungen vorgenommen.</ref> | |
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+ | Die weiße Taube ({{g|hato}}) war nach den Regularien der kaiserlichen Hofregierung ({{g|Engishiki|''Engi shiki''}}) des zehnten Jahrhunderts ein glückverheißendes Omen der dritten Klasse.<ref>''Engi shiki'': 528</ref> Eine Begründung, warum die weiße Taube ein glückverheißendes Omen darstelle, wurde im ''Engi shiki'' nicht gegeben, ebenso bleibt ihre Einordnung in glückverheißende Omina der dritten Kategorie unkommentiert. Die weiße Taube steht auch nicht allein da, sie steht innerhalb der dritten Kategorie an erster Stelle einer ganzen Reihe weiterer Tiere, Pflanzen und natürlicher Erscheinungen. Das kaiserliche Annalenwerk {{g|Shokunihongi}} meldet für den 9. Tag des 3. Monats des 3. Regierungsjahres des Kaisers {{g|Monmutennou}} (14. April 699), daß dem Kaiser eine weiße Taube von der Provinz Kawachi präsentiert wurde. Durch kaiserlichen Erlaß wurden der Familie, aus welcher der Mann stammte, der die weiße Taube gefangen hatte, für die Dauer von drei Jahren die Landsteuern und Fronen erlassen, der Heimdistrikt dieser Familie für die Dauer von einem Jahr von diesen Lasten freigestellt. Zusätzlich wurden Sträflinge aus Kawachi und den umliegenden Provinzen begnadigt, die zu Zwangsarbeit bis zu zweieinhalb Jahren verurteilt waren.<ref>S. Snellen 1934: 178</ref> Die hier erwähnte weiße Taube war in der Tat ein Glücksbringer gewesen, vor allem für den Finder und seine Heimatgemeinde. Es gibt weitere Meldungen darüber, daß dem Hof weiße Tauben präsentiert wurden, doch enthalten sie keine detaillierten Angaben über Belohnungen. | ||
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− | Die Tauben am Hachiman | + | Die Tauben am Hachiman Schrein wurden von den Kriegern als Boten des Hachiman angesehen, welche Glück im Krieg ankündigten. Schon im {{g|mutsuwaki|''Mutsu waki''}} erscheint jeweils eine Taube über dem Heer des {{g|Minamotonoyoriyoshi}} (998–1076), nachdem die drei Gottheiten vom Hachiman Schrein beschworen worden waren, und wird ehrerbietig vom Heerführer und seinen Kriegern begrüßt.<ref>''Mutsu waki'': 27a, 31a; McCullough 1964/65: 194, 200</ref> |
− | Im {{ | + | Im {{g|Heikemonogatari}} können wir lesen, wie {{g|Minamotonoyoshinaka}} (1154–84), nachdem er unvermutet auf einen Schrein stieß, der dem Hachiman geweiht war, den buddhistischen Mönch {{g|Kakumei}} ein Bittgebet an Hachiman in seiner dreifachen Gestalt schreiben ließ. Hierin bat Yoshinaka um den Sieg über die {{g|Taira}} und um ein Zeichen für die Erhörung seines Gebetes. Daraufhin stießen drei Wildtauben aus den Wolken und flatterten über die weißen Fahnen der Minamoto.<ref>''Heike monogatari'' 2: 71–72; McCullough 1998: 228–230</ref> |
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− | Weiter will es die Legende, daß nach der unglücklich verlaufenen Schlacht bei Ishibashiyama | + | Weiter will es die Legende, daß sich Yoritomo nach der unglücklich verlaufenen {{g|ishibashiyamanotatakai|Schlacht bei Ishibashiyama}} in einen hohlen Baum flüchtete und sein getreuer Gefolgsmann {{g|Kumagainaozane}} (1141–1208) ihn unter Efeuzweigen verbarg. Seine Verfolger gelangten zwar zu dem Baum, zogen aber weiter, als aus dem Baum drei Tauben aufgeflogen seien; denn sie hätten sich nicht vorstellen können, daß sich da ein Mensch verborgen hätte. Daraufhin habe Yoritomo unter Anspielung auf diese Rettung dem Naozane das Wappen „Tauben und Mistel“ verliehen.<ref>S. Ströhl 1906: 41</ref> Historisch korrekt dürfte die Meldung des {{g|Azumakagami}} für den 8. Tag des 7. Monats des 5. Jahres Bunji (18.9.1189) sein, in dem berichtet wird, daß auf die Fahne des Yoritomo, die er beim Feldzug gegen {{g|Fujiwaranoyasuhira}} (1155–89) mit sich führte, unter den Schriftzügen „{{g|isejinguu|Ise Daijingū}}“ (Große Ahnengottheit des Kaiserhauses) und „Hachiman Daibosatsu“ (Großer Hachiman Bodhisattva), das Wappen „Zwei gegeneinander gewandte Tauben“ eingenäht gewesen sei. |
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+ | „Der Regen hörte auf, der Nebel lichtete sich“, heißt es sehr stimmungsvoll im {{g|Houkinomaki}}, „und irgendwoher kamen sieben, acht glückverheißende Tauben herbeigeflogen, kreisten über dem Feldlager des (Nawa) Motonaga und flogen dann weiter in Richtung des Kaiserpalastes.“<ref>''Hōki no maki'': 221b</ref> Daß die Tauben hier in Richtung Kaiserpalast weiterfliegen, soll auch Kriegsglück für Kaiser {{g|Godaigo}} (1288–1339) ankündigen. | ||
==Takeda Shingen== | ==Takeda Shingen== | ||
− | Die folgende Taubenanekdote von {{ | + | Die folgende Taubenanekdote von {{g|Takedashingen}} (1521–73) charakterisiert sehr schön den Typ des „modernen“ Feudalfürsten in der Zeit der kämpfenden Reiche von der zweiten Hälfte des fünfzehnten bis zur zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. |
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− | Als Takeda Shingen mit seinem Heer nach Shinano aufbrach, kam eine Taube auf einen Baum im Park geflogen. Als seine Soldaten das sahen, zeigten sie sich frohen Mutes. Als Shingen nach dem Grund ihrer Stimmung fragte, antworteten sie: „Von den bisherigen Fällen her gesehen hat noch jedes Heer, bei dessen (Aufbruch) eine Taube auf einen Baum geflogen kam, einen großen Sieg erringen können. Weil es sich um ein glückliches Vorzeichen handelt, sind wir alle guten Mutes.“ Shingen konnte sich dies nicht anhören. Er griff zur Vogelflinte, schoß mit eigener Hand die Taube herunter und rückte mit dem Heer aus. Dies, so hieß es, sei aus weiser Vorsicht geschehen, damit es nicht, wenn hernach bei einem Abmarsch keine Taube käme, seinen Leuten an Mut gebrechen könnte. | + | Als Takeda Shingen mit seinem Heer nach Shinano aufbrach, kam eine Taube auf einen Baum im Park geflogen. Als seine Soldaten das sahen, zeigten sie sich frohen Mutes. Als Shingen nach dem Grund ihrer Stimmung fragte, antworteten sie: „Von den bisherigen Fällen her gesehen hat noch jedes Heer, bei dessen (Aufbruch) eine Taube auf einen Baum geflogen kam, einen großen Sieg erringen können. Weil es sich um ein glückliches Vorzeichen handelt, sind wir alle guten Mutes.“ Shingen konnte sich dies nicht anhören. Er griff zur Vogelflinte, schoß mit eigener Hand die Taube herunter und rückte mit dem Heer aus. Dies, so hieß es, sei aus weiser Vorsicht geschehen, damit es nicht, wenn hernach bei einem Abmarsch keine Taube käme, seinen Leuten an Mut gebrechen könnte. <ref>''Okinagusa'': 404–405</ref> |
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− | Takeda Shingen erscheint hier nicht nur als Aufklärer gegen Aberglauben. Im Herunterschießen der Taube zeigt sich nicht nur seine Qualität als Schütze, sondern es wird eine Metapher berufen, nämlich die der großen Macht, die der besitzt, der Vögel im Flug abstürzen lassen oder abschießen kann. Im | + | Takeda Shingen erscheint hier nicht nur als Aufklärer gegen Aberglauben. Im Herunterschießen der Taube zeigt sich nicht nur seine Qualität als Schütze, sondern es wird eine Metapher berufen, nämlich die der großen Macht, die der besitzt, der Vögel im Flug abstürzen lassen oder abschießen kann. Im {{g|Heijimonogatari}} erscheint diese Metapher auf den politisch mächtigen {{g|Fujiwaranomichinori}} (1106–60) angewandt, wo es heißt, daß durch seine Macht gezwungen „sowohl Vögel im Flug zu Boden kamen als auch Gräser und Bäume sich beugten.“<ref>Goch 1989: 114–15</ref> Im Edo-zeitlichen {{g|uchuunokansu}} wird dieses Bild auf den Staatsmann {{g|Tanumaokitsugu}} (1719–88) übertragen, einem Krieger aus dem „Tanuma-Haus, das die Vögel im Flug herunterbrachte.“ <ref>''Uchū no kansu'': 297a.</ref> |
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+ | Diese Metapher galt nicht nur für die Macht von Politikern oder Herrschern. Der Mönch {{g|Mongaku}} wird im ''Heike monogatari'' als ein Mensch mit magischen Fähigkeiten beschrieben, „der Vögel im Flug herunterbeten konnte.“ <ref>''Heike monogatari'' 1: 356; McCullough 1988: 179</ref> Eine ähnliche Metapher führte mir ein Freund in der deutschen Literatur vor. In seinem ''Sommermeteor'' läßt {{g|Schmidtarno}} die Erzählkünste eines gewissen Herrn mit den Worten bewundern: „Oh. Geschichten weiß der Herr Rat: der könnte die Vögel von den Bäumen locken.“<ref>Schmidt 1980: 115</ref> | ||
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+ | Japanische Quellen: | ||
+ | * ''Engi shiki'', in: ''Shintei zōho Kokushi taikei'' 26, Yoshikawa kōbunkan 1965. | ||
+ | * ''Heike monogatari'', 2 Bde., ''Nihon koten bungaku taikei'' 32-33, Iwanami shoten 1959-1960. | ||
+ | * ''Hōki no maki'', in: ''Gunsho ruijū'' 20, Zoku Gunsho ruijū kankōkai Taiyōsha, 3.Auflage 1943: 208-231. | ||
* ''Mutsu waki'', in: ''Gunsho ruijū ''20, Zoku Gunsho ruijū kankōkai Taiyōsha, 3. Auflage 1943: 22 32. | * ''Mutsu waki'', in: ''Gunsho ruijū ''20, Zoku Gunsho ruijū kankōkai Taiyōsha, 3. Auflage 1943: 22 32. | ||
* Numata Raisuke 1928, ''Kōyō Nihon monshōgaku'', Meiji shoin. | * Numata Raisuke 1928, ''Kōyō Nihon monshōgaku'', Meiji shoin. | ||
* ''Ōkagami'', ''Nihon koten bungaku taikei'' 21, Iwanami shoten 1960. | * ''Ōkagami'', ''Nihon koten bungaku taikei'' 21, Iwanami shoten 1960. | ||
* ''Okinagusa'', in: ''Zoku Teikoku bunko: Kōtei Meika manpitsu shū'', 3.Auflage, Hakubunkan 1912: 391-554. | * ''Okinagusa'', in: ''Zoku Teikoku bunko: Kōtei Meika manpitsu shū'', 3.Auflage, Hakubunkan 1912: 391-554. | ||
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* ''Soga monogatari'', ''Nihon koten bungaku taikei'' 88, Iwanami shoten 1966. | * ''Soga monogatari'', ''Nihon koten bungaku taikei'' 88, Iwanami shoten 1966. | ||
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* ''Uchū no kansu'', in: ''Nihon shomin seikatsu shiryō shūsei'' 6, San'ichi shobō 1968: 271-340. | * ''Uchū no kansu'', in: ''Nihon shomin seikatsu shiryō shūsei'' 6, San'ichi shobō 1968: 271-340. | ||
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Aktuelle Version vom 15. April 2023, 18:54 Uhr
Die weiße Taube (hato [hato (jap.) 鳩 Taube; u.a. Tierbegleiter der Gottheit Hachiman]) war nach den Regularien der kaiserlichen Hofregierung (Engi shiki [Engishiki (jap.) 延喜式 „Bestimmungen der Engi Ära“; Gesetzeswerk mit zahlreichen religionspol. Bestimmungen, v.a. zum Schreinzeremoniell, aus dem 10. Jh.]) des zehnten Jahrhunderts ein glückverheißendes Omen der dritten Klasse.2 Eine Begründung, warum die weiße Taube ein glückverheißendes Omen darstelle, wurde im Engi shiki nicht gegeben, ebenso bleibt ihre Einordnung in glückverheißende Omina der dritten Kategorie unkommentiert. Die weiße Taube steht auch nicht allein da, sie steht innerhalb der dritten Kategorie an erster Stelle einer ganzen Reihe weiterer Tiere, Pflanzen und natürlicher Erscheinungen. Das kaiserliche Annalenwerk Shoku Nihongi [Shoku Nihongi (jap.) 続日本紀 2. offizielle Reichschronik (797), Nachfolger des Nihon shoki (Nihongi), daher der Name „Fortsetzung des Nihongi“] meldet für den 9. Tag des 3. Monats des 3. Regierungsjahres des Kaisers Monmu Tennō [Monmu Tennō (jap.) 文武天皇 683–707; 42. Tennō Japans (r. 697–707), Enkel des Tenmu Tennō] (14. April 699), daß dem Kaiser eine weiße Taube von der Provinz Kawachi präsentiert wurde. Durch kaiserlichen Erlaß wurden der Familie, aus welcher der Mann stammte, der die weiße Taube gefangen hatte, für die Dauer von drei Jahren die Landsteuern und Fronen erlassen, der Heimdistrikt dieser Familie für die Dauer von einem Jahr von diesen Lasten freigestellt. Zusätzlich wurden Sträflinge aus Kawachi und den umliegenden Provinzen begnadigt, die zu Zwangsarbeit bis zu zweieinhalb Jahren verurteilt waren.3 Die hier erwähnte weiße Taube war in der Tat ein Glücksbringer gewesen, vor allem für den Finder und seine Heimatgemeinde. Es gibt weitere Meldungen darüber, daß dem Hof weiße Tauben präsentiert wurden, doch enthalten sie keine detaillierten Angaben über Belohnungen.
1859. Naraha no ema, Universität Fukushima.
Botentiere des Hachiman
Bekannt waren die Tauben am Hachiman Schrein von Iwashimizu [Iwashimizu Hachiman-gū (jap.) 石清水八幡宮 Iwashimizu Hachiman Schrein (bei Kyōto), einer der Hauptschreine der Gottheit Hachiman] nahe Kyōto. Im Ōkagami [Ōkagami (jap.) 大鏡 „großer Spiegel“; historische Chronik aus der späten Heian-Zeit, die Ereignisse zwischen 850 und 1025 beschreibt; Verfasser unbekannt] erscheinen die Wildtauben des Hachiman Schreins anläßlich der Freilassung von Lebewesen als Glücksboten, welche die Gottheit sendet.4 Hachiman [Hachiman (jap.) 八幡 Shintō-Gottheit, Ahnengottheit des Tennō und des Kriegeradels; auch „Yawata“ ausgesprochen] wurde aber seit der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit als der vergöttlichte Geist des legendären Kaisers Ōjin [Ōjin Tennō (jap.) 応神天皇 auch Homuda Wake 誉田別; mytholog. Herrscher, offiziell der 15. Tennō; trad. Lebensdaten: 200–310, r. 270–310] verehrt. Mit ihm zusammen wurden seine Mutter Jingū [Jingū Kōgō (jap.) 神功皇后 mytholog. Herrscherin; Witwe des 14. Tennō, Chūai, und Mutter des Ōjin Tennō] und seine Gattin Hime Ōkami [Himegami (jap.) 比売神 wtl. „göttliche Gemahlin oder Tochter“; oft anonymes weibl. Gegenstück zu einer männl. Schreingottheit] verehrt und zuweilen als Hachiman zusammengefaßt. Wegen der militärischen Erfolge, die seine Mutter und er errungen haben sollen, entwickelte sich Hachiman zu einer Kriegsgottheit, zu einer besonderen Schutzgottheit der Krieger. Da sich Hachiman nach einem Orakelspruch auch für die Errichtung der großen Buddha-Statue in Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō] eingesetzt haben sollte, wurde ihm zusätzlich die buddhistische Verehrung als Großer Bodhisattva [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)] zuteil.
Bildquelle: unbekannt.
Edo-Zeit. Tabiyomi, Online Reisemagazin, Yomiuri Shinbun.
Die Tauben am Hachiman Schrein wurden von den Kriegern als Boten des Hachiman angesehen, welche Glück im Krieg ankündigten. Schon im Mutsu waki [Mutsu waki (jap.) 陸奥話記 „Chronik von Mutsu [=Nord-Japan]“; japanisches Kriegerepos aus der späten Heian-Zeit (11. Jh.) über einen Aufstand und seine Niederschlagung im Jahr 1062.] erscheint jeweils eine Taube über dem Heer des Minamoto no Yoriyoshi [Minamoto no Yoriyoshi (jap.) 源頼義 998–1076; Oberbefehlshaber der imperialen Streitkräfte in den Kämpfen gegen Rebellen aus dem Norden in den Jahren 1051–1063; unter Yoriyoshi und seinem Sohn Yoshiie etablierten sich die Minamoto als Kriegsherrn in Ostjapan und setzten damit den Grundstein für das spätere Kamakura-Shōgunat] (998–1076), nachdem die drei Gottheiten vom Hachiman Schrein beschworen worden waren, und wird ehrerbietig vom Heerführer und seinen Kriegern begrüßt.5
Im Heike monogatari [Heike monogatari (jap.) 平家物語 „Geschichte der Heike [= Taira]“; mittelalterliches Kriegerepos] können wir lesen, wie Minamoto no Yoshinaka [Minamoto no Yoshinaka (jap.) 源義仲 1154–1184; General im Genpei Krieg; Cousin und Rivale des Minamoto no Yoritomo] (1154–84), nachdem er unvermutet auf einen Schrein stieß, der dem Hachiman geweiht war, den buddhistischen Mönch Kakumei [Kakumei (jap.) 覚明 buddhistischer Mönch der späten Heian-Zeit] ein Bittgebet an Hachiman in seiner dreifachen Gestalt schreiben ließ. Hierin bat Yoshinaka um den Sieg über die Taira [Taira (jap.) 平 Kriegerfamilie, die im 12. Jh. um die pol. Vorherrschaft in Japan kämpfte; auch Heike] und um ein Zeichen für die Erhörung seines Gebetes. Daraufhin stießen drei Wildtauben aus den Wolken und flatterten über die weißen Fahnen der Minamoto.6
Mit Minamoto no Yoritomo [Minamoto no Yoritomo (jap.) 源頼朝 1147–1199; Feldherr, Staatsmann, Begründer des Minamoto Shōgunats] (1147–1199), dem ersten der Shogune, sind eine ganze Reihe von Taubennachrichten und -legenden verbunden. Hōjō Masako [Hōjō Masako (jap.) 北条政子 1157–1225; Tochter des ersten Regenten im Kamakura-Shōgunat und Frau des ersten Shōgun Minamoto no Yoritomo] (1157–1225), die sich mit List einen Platz an der Seite Yoritomos erkämpft haben soll, träumte von einer weißen Taube, die ein goldenes Behältnis im Schnabel trug, in dem sich ein Brief des Yoritomo befand. Diese Taube sollte wohl eher als Bote des Kriegsgottes denn als Brieftaube angesehen werden. Yoritomo selber träumte, drei Wildtauben seien vom Himmel herabgeflogen, hätten ein Nest in seinen Haaren gebaut und Küken aufgezogen. Dies soll er als ein Zeichen dafür angesehen haben, daß er unter dem besonderen Schutz des großen Bodhisattva Hachiman stünde.7
Weiter will es die Legende, daß sich Yoritomo nach der unglücklich verlaufenen Schlacht bei Ishibashiyama [Ishibashiyama no Tatakai (jap.) 石橋山の戦い Schlacht von Ishibashiyama, 1180; Teil des Genpei-Kriegs] in einen hohlen Baum flüchtete und sein getreuer Gefolgsmann Kumagai Naozane [Kumagai Naozane (jap.) 熊谷直実 1141–1208; berühmter Soldat in Diensten des Minamoto-Clans, der im Genpei-Krieg kämpfte] (1141–1208) ihn unter Efeuzweigen verbarg. Seine Verfolger gelangten zwar zu dem Baum, zogen aber weiter, als aus dem Baum drei Tauben aufgeflogen seien; denn sie hätten sich nicht vorstellen können, daß sich da ein Mensch verborgen hätte. Daraufhin habe Yoritomo unter Anspielung auf diese Rettung dem Naozane das Wappen „Tauben und Mistel“ verliehen.8 Historisch korrekt dürfte die Meldung des Azuma kagami [Azuma kagami (jap.) 吾妻鏡/東鑑 historische Chronik (ca. 1300), die Ereignisse des Kamakura- Shōgunats verzeichnet] für den 8. Tag des 7. Monats des 5. Jahres Bunji (18.9.1189) sein, in dem berichtet wird, daß auf die Fahne des Yoritomo, die er beim Feldzug gegen Fujiwara no Yasuhira [Fujiwara no Yasuhira (jap.) 藤原泰衡 1155–1189; Oberhaupt des Fujiwara-Clans in der Zeit des Genpei-Krieges] (1155–89) mit sich führte, unter den Schriftzügen „Ise Daijingū [Ise Jingū (jap.) 伊勢神宮 kaiserlicher Ahnenschrein (wtl. Götterpalast) von Ise, Präfektur Mie, bestehend aus den Anlagen Gekū und Naikū]“ (Große Ahnengottheit des Kaiserhauses) und „Hachiman Daibosatsu“ (Großer Hachiman Bodhisattva), das Wappen „Zwei gegeneinander gewandte Tauben“ eingenäht gewesen sei.
„Der Regen hörte auf, der Nebel lichtete sich“, heißt es sehr stimmungsvoll im Hōki no maki [Hōki no maki (jap.) 伯耆巻 Schriftrolle der ehem. Präf. Hōki, heute Tottori], „und irgendwoher kamen sieben, acht glückverheißende Tauben herbeigeflogen, kreisten über dem Feldlager des (Nawa) Motonaga und flogen dann weiter in Richtung des Kaiserpalastes.“9 Daß die Tauben hier in Richtung Kaiserpalast weiterfliegen, soll auch Kriegsglück für Kaiser Go-Daigo [Go-Daigo (jap.) 後醍醐 1288–1339 (r. 1318–1339); Tennō der späten Kamakura-Zeit, der versuchte, die pol. Autorität des Kaiserhofes wieder herzustellen.] (1288–1339) ankündigen.
Takeda Shingen
Die folgende Taubenanekdote von Takeda Shingen [Takeda Shingen (jap.) 武田信玄 1521–1573; Feudalfürst und Kriegsherr] (1521–73) charakterisiert sehr schön den Typ des „modernen“ Feudalfürsten in der Zeit der kämpfenden Reiche von der zweiten Hälfte des fünfzehnten bis zur zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts.
Als Takeda Shingen mit seinem Heer nach Shinano aufbrach, kam eine Taube auf einen Baum im Park geflogen. Als seine Soldaten das sahen, zeigten sie sich frohen Mutes. Als Shingen nach dem Grund ihrer Stimmung fragte, antworteten sie: „Von den bisherigen Fällen her gesehen hat noch jedes Heer, bei dessen (Aufbruch) eine Taube auf einen Baum geflogen kam, einen großen Sieg erringen können. Weil es sich um ein glückliches Vorzeichen handelt, sind wir alle guten Mutes.“ Shingen konnte sich dies nicht anhören. Er griff zur Vogelflinte, schoß mit eigener Hand die Taube herunter und rückte mit dem Heer aus. Dies, so hieß es, sei aus weiser Vorsicht geschehen, damit es nicht, wenn hernach bei einem Abmarsch keine Taube käme, seinen Leuten an Mut gebrechen könnte. 10
Takeda Shingen erscheint hier nicht nur als Aufklärer gegen Aberglauben. Im Herunterschießen der Taube zeigt sich nicht nur seine Qualität als Schütze, sondern es wird eine Metapher berufen, nämlich die der großen Macht, die der besitzt, der Vögel im Flug abstürzen lassen oder abschießen kann. Im Heiji monogatari [Heiji monogatari (jap.) 平治物語 „Geschichte der Heiji Rebellion“; Kriegsepos aus der Kamakura-Zeit, Berichtszeitraum 1159–1160] erscheint diese Metapher auf den politisch mächtigen Fujiwara no Michinori [Fujiwara no Michinori (jap.) 藤原通憲 1106–1160; Staatsmann und wichtiger Verbündeter des Taira no Kiyomori in der Heiji-Rebellion (1159–1160); auch bekannt als Shinzei 信西] (1106–60) angewandt, wo es heißt, daß durch seine Macht gezwungen „sowohl Vögel im Flug zu Boden kamen als auch Gräser und Bäume sich beugten.“11 Im Edo-zeitlichen Uchū no kansu [Uchū no kansu (jap.) 雨中之鑵子 Historische Erzählung, 1795] wird dieses Bild auf den Staatsmann Tanuma Okitsugu [Tanuma Okitsugu (jap.) 田沼意次 1719–1788; Berater des Tokugawa-Shōgunats; arbeitete sich vom niederen Samurai in die Regierungsspitze hoch und initiierte eine Währungsreform] (1719–88) übertragen, einem Krieger aus dem „Tanuma-Haus, das die Vögel im Flug herunterbrachte.“ 12
Bildquelle: unbekannt.
Diese Metapher galt nicht nur für die Macht von Politikern oder Herrschern. Der Mönch Mongaku [Mongaku (jap.) 文覚 1139–1203; politisch einflussreicher Shingon-Mönch des japanischen Frühmittelalters] wird im Heike monogatari als ein Mensch mit magischen Fähigkeiten beschrieben, „der Vögel im Flug herunterbeten konnte.“ 13 Eine ähnliche Metapher führte mir ein Freund in der deutschen Literatur vor. In seinem Sommermeteor läßt Arno Schmidt [Schmidt, Arno (west.) 1914–1979; deutscher Schriftsteller] die Erzählkünste eines gewissen Herrn mit den Worten bewundern: „Oh. Geschichten weiß der Herr Rat: der könnte die Vögel von den Bäumen locken.“14
Verweise
Fußnoten
- ↑ Der vorliegende Gastbeitrag des Japanologen und Historikers Ulrich Goch erschien ursprünglich als „Miniatur Nummer 7“ in der online Publikationsreihe Miniaturen der Fakultät für Ostasienwissenschaften, Sektion Geschichte Japans, Universität Bochum. Die Serie wurde leider vom Netz genommen. Für Religion-in-Japan wurden mit freundlicher Genehmigung des Autors ein paar kleine Änderungen vorgenommen.
- ↑ Engi shiki: 528
- ↑ S. Snellen 1934: 178
- ↑ Ōkagami: 267; McCullough 1980: 228
- ↑ Mutsu waki: 27a, 31a; McCullough 1964/65: 194, 200
- ↑ Heike monogatari 2: 71–72; McCullough 1998: 228–230
- ↑ S. Soga monogatari: 114, 118; Cogan 1987: 55, 57–58
- ↑ S. Ströhl 1906: 41
- ↑ Hōki no maki: 221b
- ↑ Okinagusa: 404–405
- ↑ Goch 1989: 114–15
- ↑ Uchū no kansu: 297a.
- ↑ Heike monogatari 1: 356; McCullough 1988: 179
- ↑ Schmidt 1980: 115
Literatur
Japanische Quellen:
- Engi shiki, in: Shintei zōho Kokushi taikei 26, Yoshikawa kōbunkan 1965.
- Heike monogatari, 2 Bde., Nihon koten bungaku taikei 32-33, Iwanami shoten 1959-1960.
- Hōki no maki, in: Gunsho ruijū 20, Zoku Gunsho ruijū kankōkai Taiyōsha, 3.Auflage 1943: 208-231.
- Mutsu waki, in: Gunsho ruijū 20, Zoku Gunsho ruijū kankōkai Taiyōsha, 3. Auflage 1943: 22 32.
- Numata Raisuke 1928, Kōyō Nihon monshōgaku, Meiji shoin.
- Ōkagami, Nihon koten bungaku taikei 21, Iwanami shoten 1960.
- Okinagusa, in: Zoku Teikoku bunko: Kōtei Meika manpitsu shū, 3.Auflage, Hakubunkan 1912: 391-554.
- Soga monogatari, Nihon koten bungaku taikei 88, Iwanami shoten 1966.
- Uchū no kansu, in: Nihon shomin seikatsu shiryō shūsei 6, San'ichi shobō 1968: 271-340.
Bilder
- ^ Tauben (hato) als Tierbegleiter der Gottheit Hachiman, hier auf einem ema dargestellt.
1859. Naraha no ema, Universität Fukushima. - ^ Schreintafel am Eingang der Haupthalle des Tsurugaoka Hachiman-gū mit den Zeichen hachi-man-gū: „Schrein des Hachiman“. Das erste Zeichen hachi („Acht“) hat die Form von zwei Tauben, den Botentieren dieses Gottes.
Bildquelle: unbekannt. - ^ Relief mit Taubenmotiv (hato) am Iwashimizu Hachiman-gū, einem traditionellen Zentrum des Hachiman-Glaubens.
Edo-Zeit. Tabiyomi, Online Reisemagazin, Yomiuri Shinbun. - ^ Hauswappen-Motiv mit Tauben (hato).
Kamon Iroha.
- ^ Hauswappen-Motiv mit Tauben (hato) und Mistelzweigen.
Kamon Iroha. - ^ Muster auf dem Gewand (happi) eines Helfers beim Fest des Fukagawa Hachiman Schreins in Tōkyō. Hier formen zwei Tauben (hato) das Zeichen für acht (八 hachi), was wiederum für Hachiman steht.
Adrien, flickr 2014. - ^ Portait des Takeda Shingen (1521–1573) mit Falken als Emblem der unter Samurai beliebten Falkenjagd; Shingen war ein berühmter Kriegsherr der sengoku-Zeit
Bildquelle: unbekannt.
Glossar
- Azuma kagami 吾妻鏡/東鑑 ^ historische Chronik (ca. 1300), die Ereignisse des Kamakura- Shōgunats verzeichnet
- Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व ^ „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)
- Fujiwara no Michinori 藤原通憲 ^ 1106–1160; Staatsmann und wichtiger Verbündeter des Taira no Kiyomori in der Heiji-Rebellion (1159–1160); auch bekannt als Shinzei 信西
- Heiji monogatari 平治物語 ^ „Geschichte der Heiji Rebellion“; Kriegsepos aus der Kamakura-Zeit, Berichtszeitraum 1159–1160
- Hōjō Masako 北条政子 ^ 1157–1225; Tochter des ersten Regenten im Kamakura-Shōgunat und Frau des ersten Shōgun Minamoto no Yoritomo
- Hōki no maki 伯耆巻 ^ Schriftrolle der ehem. Präf. Hōki, heute Tottori
- Iwashimizu Hachiman-gū 石清水八幡宮 ^ Iwashimizu Hachiman Schrein (bei Kyōto), einer der Hauptschreine der Gottheit Hachiman
- Kumagai Naozane 熊谷直実 ^ 1141–1208; berühmter Soldat in Diensten des Minamoto-Clans, der im Genpei-Krieg kämpfte
- Minamoto no Yoritomo 源頼朝 ^ 1147–1199; Feldherr, Staatsmann, Begründer des Minamoto Shōgunats
- Minamoto no Yoriyoshi 源頼義 ^ 998–1076; Oberbefehlshaber der imperialen Streitkräfte in den Kämpfen gegen Rebellen aus dem Norden in den Jahren 1051–1063; unter Yoriyoshi und seinem Sohn Yoshiie etablierten sich die Minamoto als Kriegsherrn in Ostjapan und setzten damit den Grundstein für das spätere Kamakura-Shōgunat
- Minamoto no Yoshinaka 源義仲 ^ 1154–1184; General im Genpei Krieg; Cousin und Rivale des Minamoto no Yoritomo
- Mutsu waki 陸奥話記 ^ „Chronik von Mutsu [=Nord-Japan]“; japanisches Kriegerepos aus der späten Heian-Zeit (11. Jh.) über einen Aufstand und seine Niederschlagung im Jahr 1062.
- Ōjin Tennō 応神天皇 ^ auch Homuda Wake 誉田別; mytholog. Herrscher, offiziell der 15. Tennō; trad. Lebensdaten: 200–310, r. 270–310
- Schmidt, Arno (west.) ^ 1914–1979; deutscher Schriftsteller
- Shoku Nihongi 続日本紀 ^ 2. offizielle Reichschronik (797), Nachfolger des Nihon shoki (Nihongi), daher der Name „Fortsetzung des Nihongi“
- Takeda Shingen 武田信玄 ^ 1521–1573; Feudalfürst und Kriegsherr
- Tanuma Okitsugu 田沼意次 ^ 1719–1788; Berater des Tokugawa-Shōgunats; arbeitete sich vom niederen Samurai in die Regierungsspitze hoch und initiierte eine Währungsreform
- Uchū no kansu 雨中之鑵子 ^ Historische Erzählung, 1795