Geschichte/Praehistorie/Himiko: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 6. Januar 2023, 16:33 Uhr
Die ersten historischen Berichte über Japan entstammen einem chinesischen Geschichtswerk aus dem dritten Jahrhundert, das landläufig als Weizhi [Weizhi (chin.) 魏志 Chin. Chronik der Wei Dynastie (220–266) aus dem 3. Jh. u.Z.; enthält die frühesten Berichte über Japan (Wa) (vgl. wo)] (Chronik der Wei Dynastie) bezeichnet wird. Dieses Weizhi ist Teil der „Chronik der Drei Reiche“ (Sanguo zhi [Sanguo zhi (chin.) 三国志 Chroniken der Drei Reiche; verfasst 233–297 von Chen Shou]) und wurde von Chen Shou [Chen Shou (chin.) 陳壽 233–297; Autor der Chroniken der drei Reiche (Sanguo zhi); auch bekannt als Chengzuo 承祚] (233–297) verfasst, im fünften Jahrhundert aber nochmals von Pei Songzhi [Pei Songzhi (chin.) 裴松之 372–451; chinesischer Historiker der Liu Song-Dynastie (420–479); bekannt für seine Überarbeitung der Chroniken der drei Reiche (Sanguo zhi) von Chen Shou] bearbeitet. Die meisten Berichte gelten aus heutiger Sicht als mehr oder weniger authentisch. Das Weizhi enthält unter anderem elf Kapitel über die „Ostbarbaren“ (tung-i [tung-i (chin.) 東夷 „Ostbarbaren“; chinesische Bezeichnung für Japaner und/oder Koreaner]), also Völker im Osten Chinas, die sich im Wesentlichen in han [han (kor.) 韓/한 älteste chin. Bez. für Koreaner bzw. koreanische Reiche (Drei Han), heute Selbstbezeichnung Südkoreas (Hanguk 韓国/한국)] (Koreaner) und wo [wo (chin.) 倭 älteste chin. Bez. für Japaner (wtl. „Zwerg“); jap. wa; in Japan wurde schon früh das Homonym 和 („Harmonie“) als Selbstbezeichnung gewählt] (jap. wa, Japaner) unterteilen lassen. Wir entnehmen dem Weizhi jedoch, dass innerhalb dieser Reiche oder vielleicht besser „Ethnien“ zahlreiche, zum Teil verfeindete Länder bzw. „Stammesgebiete“ existierten.
China, 12. Jh. Bildquelle: Inues.net.
Berichte über Himiko
Das Weizhi berichtet verhältnismäßig detailliert von der japanischen Königin Himiko [Himiko (jap.) 卑弥呼 ca. 170–248; frühgeschichtliche Priesterkönigin; auch Pimiko (wahrscheinliche Bedeutung: „Kind der Sonne“); chin. Pei-mi-hu] oder Pimiko (chin. Pei-mi-hu), wobei es sich höchst wahrscheinlich um einen Herrschaftstitel mit der Bedeutung „Kind der Sonne“ handelt. Die Königin beherrschte ein Reich, das möglicherweise Yamatai [Yamatai (jap.) 邪馬台 Reich der Königin Himiko im Japan des dritten Jhdts; in der chin. Chronik Weizhi beschrieben] hieß1 und eine lose Konföderation kleinerer Reiche/Stämme darstellte. Folgt man allerdings der in der Chronik enthaltenen Wegbeschreibung zur Residenz Himikos, so würde man mitten im Pazifischen Ozean landen, was mannigfachen Spekulationen über den geographischen Ort des Reiches Tür und Tor öffnete. Im Wesentlichen stehen das Nara-Becken [Nara-bonchi (jap.) 奈良盆地 Becken im Norden der Präfektur Nara in welchem auch die Stadt Nara liegt] in Zentraljapan oder Kyūshū [Kyūshū (jap.) 九州 „Neun Provinzen“; süd-westliche der vier japanischen Hauptinseln, drittgrößte und zweitbevölkerungsreichste Insel; heute bestehend aus acht Präfekturen] zur Auswahl. Interessant ist aber vor allem, was das Weizhi über die politisch-religiösen Verhältnisse im Japan des dritten Jahrhunderts berichtet:
In ihrem Lande hat man ursprünglich auch Männer zu Königen gemacht, siebzig, achtzig Jahre lang. Dann gab es im Lande Wo Unruhen. Gegenseitig griff man sich an und bekämpfte sich über Jahre hin. Daraufhin erhob man gemeinsam eine Frau zur Königin. Sie heißt Pei-mi-hu. Sie dient dem Geisterglauben und ist fähig, damit das Volk zu verleiten. Sie ist im fortgeschrittenen Alter, hat aber keinen Ehemann. Sie hat einen jüngeren Bruder, der unterstützend das Land mitregiert. Es gibt nur wenige, die sie bisher, seit sie Königin geworden ist, gesehen haben. Von tausend Dienerinnen lässt sie sich persönlich bedienen. Es gibt nur einen Mann, der sie mit Essen und Trinken versorgt und Nachrichten übermittelt. Er geht in der Residenz ein und aus. Der Palast, die Wachtürme und Befestigungsanlagen sind imposant ausgeführt.
Übersetzung nach Seyock 2004, S.56, leicht modifiziert
Das Weizhi berichtet weiter, dass die Königin im Jahr 238 mit der chinesischen Wei-Dynastie Kontakt aufgenommen und Tribute gesendet hätte, die mit freundlichen Gegengeschenken belohnt wurden. Dies war eine besondere Auszeichnung, die selbst koreanische Herrscher der damaligen Zeit nur selten erfuhren und zeigt, dass Japan unter Himiko schon relativ weit auf dem Weg der politischen Zentralisierung vorangekommen war. Allerdings berichtet die chinesische Chronik auch von innerjapanischen Kriegen im Jahr 247. Schließlich heißt es über Himikos Ableben im Jahr 248:
Als Pei-mi-hu starb, baute man in großartiger Weise einen Grabhügel mit einem Durchmesser von mehr als hundert Schritt (pu [pu (chin.) 步 „Schritt“; chin. Längenmaß, 1 pu ≈ 1,67m)]). Es waren mehr als hundert Diener und Dienerinnen, die ihr zum Geleit mit begraben wurden. Man setzte nun wiederum einen Mann als König ein. Im Lande jedoch unterwarf man sich ihm nicht. Wiederum tötete man sich gegenseitig. Zu jener Zeit tötete man mehr als tausend Menschen. Dann wiederum setzte man eine Tochter Pei-mi-hus ein, das Mädchen I-yü [I-yü (chin.) 壹與 235–?; Tochter der japanischen Königin Himiko (da der Name nur aus chin. Chroniken bekannt ist, ist die jap. Aussprache unklar)], dreizehn Jahre alt, und machte sie zur Königin. Im Lande war es daraufhin wieder ruhig.
Übersetzung nach Seyock 2004, S.58, leicht modifiziert
Dass die Zeit Himikos mit dem Beginn der hier erwähnten Hügelgräber zusammenfiel, ist archäologisch erwiesen. 2 Einige Archäologen meinen sogar, das Grab Himikos in der Region Makimuku [Makimuku (jap.) 纏向 Region im Nara-Becken, wo die frühesten Hügelgräber (kofun) des Yamato-Reichs verortet werden] (südliches Nara-Becken) lokalisieren zu können.3 Auf jeden Fall scheinen die chinesischen Berichte trotz ihrer problematischen geografischen Angaben hinsichtlich ihrer Zeitangaben verlässlich zu sein. Dies wirft natürlich die Frage auf, ob und wie sich Himiko in japanischen Geschichtswerken der Frühzeit wiederfindet.
Kaiserin Jingū
Himiko wird in Japans erster offizieller Geschichtsquelle — Nihon shoki [Nihon shoki (jap.) 日本書紀 Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)], 720 — zwar nicht namentlich erwähnt, doch ist hier von einer Priesterin zur Zeit des Sujin Tennō [Sujin Tennō (jap.) 崇神天皇 97–30 v.u.Z. (mythol. Regierungszeit); 10. japanischer Kaiser] die Rede, die nach ihrem tragischen Tod das erste Hügelgrab, das sogenannte Essstäbchen-Grab (Hashihaka [Hashihaka (jap.) 箸墓 wtl. Essstäbchen-Grab; Hügelgrab aus dem 4. Jh. nahe Berg Miwa]) in Makimuku erhielt.4 Es spricht vieles dafür, dass in diese Episode zumindest Teile der Himiko-Geschichte eingeflossen sind, doch aufgrund ihres mythologischen Charakters kann die Erzählung nicht als historisch verlässlich gewertet werden.5
Heian-Zeit, 9. Jh. Bildquelle: unbekannt.
Teile des Weizhi sind aber auch in die Berichte über die legendäre Herrscherin Jingū Kōgō [Jingū Kōgō (jap.) 神功皇后 mytholog. Herrscherin; Witwe des 14. Tennō, Chūai, und Mutter des Ōjin Tennō] (mythologische Daten 169– 269 u.Z.) übernommen worden. Sie spielt als Anführerin eines Feldzugs gegen den Erzfeind des frühgeschichtlichen japanischen Staates, das koreanische Königreich Silla [Silla (kor.) 新羅/신라 frühes koreanisches Reich, das die Halbinsel von 668 bis 935 beherrschte], eine bedeutende Rolle in der kaiserlichen Mytho-Genealogie und wurde später immer wieder im Zusammenhang mit Kriegszügen gegen das Nachbarland als Vorbild herangezogen. Die historischen Rohdaten für diese Feldzüge, die sicher keine effektive „Eroberung“ Koreas darstellten, dürften aus dem vierten Jahrhundert, also einige Zeit nach Himiko stammen. Die staatlichen Chronisten des siebenten und achten Jahrhunderts bemühten sich aber offenbar, die Figur der Himiko mit späteren militärischen Heldentaten in der Gestalt Jingū Kōgōs zu verschmelzen. Möglicherweise hängt die besondere Heroisierung der legendären Herrscherin damit zusammen, dass zur Zeit der schriftlichen Fixierung der kaiserlichen Chroniken, also in der Zeit um 700, immer wieder Frauen das Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels]-Amt innehatten.
Epilog
Als Japan kurz nach der Meiji Restauration [Meiji Ishin (jap.) 明治維新 Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat] (1868) eine neue Währung und Papiergeld nach westlichem Vorbild einführte, stellte sich die Frage, welche Motive diese neuen Zahlungsmittel zieren sollten. Den amtierenden Monarchen selbst abzubilden, wie es damals in Europa üblich war, kam aus Gründen der Pietät nicht in Frage. Die Tatsache, dass solche kaiserlichen Portraits von jedem beliebigen angefasst werden konnten, widersprach der traditionellen herrschaftlichen Repräsentation durch Verhüllung. Um aber das Kaiserhaus dennoch im allgemeinen Bewusstsein zu verankern, bot sich das Bild der legendären Kaiserswitwe Jingū an, die laut offizieller Lesart selbst nicht das Amt eines Tennō inne gehabt hatte.6 Bei der Auswahl des Motivs spielte aber auch die Tatsache eine Rolle, dass sich Japan erneut auf eine Annexion Koreas vorbereitete. Dieses Vorhaben sollte symbolisch durch die Figur der Jingū Kōgō ins allgemeine Bewusstsein gerufen werden.
Werk von Edoardo Chiossone (1833–1898). Meiji-Zeit, 1878. The British Museum.
Verweise
Verwandte Themen
Fußnoten
- ↑ Den Namen kennen wir nur aus chinesischen Transliterationen, also aus einer Art „Stiller-Post-Verfahren“; manche Linguisten nehmen an, dass es sich um den Namen Yamato, also die aus späteren Werken bekannte erste Selbstbezeichnung Japans, handelt.
- ↑ S. Piggott 1997, Seyock 2004 oder Barnes 2012.
- ↑ Kidder 2007.
- ↑ Aston 1972, I, S. 159.
- ↑ S. dazu auch Scheid 2016b.
- ↑ Trede 2008; s.a. Die rätselhafte Karriere des Daikoku.
Internetquellen
- 魏志倭人伝 (Wikisource). Primärtext der Beschreibung Japans im Sanguo zhi.
Literatur
Bilder
- ^ Bericht über die wo aus dem Sanguo zhi (3. Jh.), Titelseite; früher chin. Buchdruck (Pona-Edition, 12. Jh.; Nachdruck 1958)
China, 12. Jh. Bildquelle: Inues.net. - ^ Darstellung der mythologischen Kaiserin Jingū Kōgō. Bestandteil einer der ältesten plastischen Darstellung japanischer Gottheiten, bestehend aus Jingū, ihrem Sohn Hachiman und dessen Frau Himegami.
Heian-Zeit, 9. Jh. Bildquelle: unbekannt.
- ^ Geldschein (1 Yen) mit dem (europäisierten) Portrait der mythischen Kaiserin Jingū Kōgō, designt von Edoardo Chiossone, der damals im Auftrag der Meiji-Regierung auch andere Scheine nach westlichem Vorbild gestaltete.
Werk von Edoardo Chiossone (1833–1898). Meiji-Zeit, 1878. The British Museum.
Glossar
- Makimuku 纏向 ^ Region im Nara-Becken, wo die frühesten Hügelgräber (kofun) des Yamato-Reichs verortet werden
- Meiji Ishin 明治維新 ^ Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat
- Nihon shoki 日本書紀 ^ Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)
- Sujin Tennō 崇神天皇 ^ 97–30 v.u.Z. (mythol. Regierungszeit); 10. japanischer Kaiser