Götter besiegen die Krankheiten (Holzschnitt)

Aus Kamigraphie
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Yoshikazu, 1858

Thema und Entstehungszeit

Das Bild stammt aus 1858, als westliche Mächte immer mehr Einfluss auf das Geschehen in Japan nahmen und sowohl mit Krankheiten als auch mit ihrer Heilung in Verbindung gebracht wurden. Der japanische Titel lautet Shoshin no kago ni yorite ryōyaku akubyōo taiji su 諸神の加護によりて良薬悪病を退治す und ist auf der oberen linken Seite in einer Art Schriftrolle mit furigana abgedruckt. Eine mögliche Übersetzung wäre: „Mithilfe der Götter besiegen gute Arzneien böse Krankheiten“. Das Wort kago 加護 lässt sich als „Schutz der Götter“ oder „göttlicher Beistand“ übersetzen, wobei Schutz oder Gnade sowohl von einheimischen Kami als auch von buddhistischen Wesenheiten ausgehen können.

Bildinhalt

Das Bild besteht aus zwei vertikalen Einzelblättern, ist aber inhaltlich horizontal geteilt, wobei der obere Teil kami, die Sonne über Japan und den Titel wiedergibt. Im unteren Teil wird eine Schlacht gezeigt, in der Krankheiten von Arzneien bekämpft werden.

Krankheiten und Arzneien

Die Arzneien sind als Samurai in japanischer Kriegskleidung gehalten, die Krankheiten haben das Aussehen der von ihnen befallenen Patienten. Eine der Krankheiten, die gerade von eine Lanze durchbohrt wird, ist kakuran 撹乱, eine Durchfallerkrankung ähnlich der Cholera. Unter den anderen Krankheiten lässt sich Wassersucht (水腫) oder die Ascaris-Pneumonie (Löffler-Syndrom, durch Spulwürmer ausgelöst) erkennen.

Die kämpfenden „Helden“ haben keine Gesichter, aber auf ihren Köpfen sind ihre Namen entsprechend ihrer Herkunft entweder in Kanji oder in Katakana vermerkt. So ist auf dem Kopf des Lanzenträgers der Name „Hofuman“ geschrieben. Manche Quellen nehmen an, dies könnte sich auf den Militärarzt Theodor Eduard Hoffmann (1837–1894) beziehen, der zwischen 1871 und 75 in Japan weilte und hier am Aufbau einer Medizin nach westlichem Muster beteiligt war,[1] doch das Bild stammt (wie angemerkt) sicher aus 1858. Es ist daher anzunehmen, dass damit „Hoffmannstropfen“ (auch Liquor anodynus) gemeint sind, die auf den Hallenser Professor Friedrich Hoffmann (1660–1742) zurück gehen.[2] Auf dem Kopf neben Hoffmann steht semen セメン, kurz für semen cinae (Cinasamen, Artemisia cina oder Wurmsamen), eine Pflanze die Santonin enthält, aus dem man ein Medikament gegen Spulwürmer herstellen kann. Weitere Arzneien sind der chinesische Arzneirhabarber (大黄)[3] und Weinstein (吐酒石)[4], welcher als Verdauungshilfe verwendet wurde.

Gottheiten

Im Hintergrund sieht man Gottheiten, die die Arzneien bei ihrem Kampf unterstützen. Die Gruppe besteht von links nach rechts aus:

  • Gozu Tennō 牛頭天皇
  • Kanda Daimyōjin 神田大明神 (der „Hausgott“ von Edo)
  • Hikawa Daimyōjin 氷川大明神
  • Sannō Daigongen 山王大権現 (Schutzgott des Tendai Buddhismus)
  • Konpira Daigongen 金毘羅大権現[5]
  • Amaterasu, hier Tenshō Kōtai Jingū Oharai 天照皇大神宮御祓.
  • Hachiman (hier Shōhachimangū 正八幡宮)
  • Suitengū 水天宮, ein populärer Schrein in Edo
  • Inari (Inari Daimyōjin 稲荷大明神)

Der „Anführer“ Gozu wird vor allem im Gion Schrein in Kyōto, aber auch in zahlreichen Zweigschreinen verehrt und galt allgemein als Befehlshaber der Seuchengöttern ekijin 疫神. Als solcher vermochte er natürlich auch Seuchen fernzuhalten. Während der Kult selbst starke buddhistische Züge trägt, wurde Gion auch mit der mythologischen Gott Susanoo assoziiert. Die ikonographische Ausgestaltung spricht dafür, dass der Künstler vom aufkommenden Nativismus (kokugaku 国学) geprägte Vorstellungen der kami hatte und die ältere Ikonographie von Gozu als (buddhistischer) Dämon bewusst ausklammerte. Auch die Schreibung des Namens Gozu mit den Zeichen für den Kaiser, 天皇, statt für einen buddhistischen „Himmelskönig“, 天王, mag einem Versuch geschuldet sein, die Gottheit von buddhistischen Assoziationen zu befreien, selbst wenn dies von einem streng monarchistischen Gesichtspunkt aus als Majestätsbeleidigung angesehen werden könnte.

Besonders erstaunlich ist, dass die kaiserliche Ahnengottheit als Talisman (ofuda) mit dem Zusatz o-harai (eine shintōistische Reinigungszeremonie) auftritt. Möglicherweise aus Pietät, vielleicht aber auch aus Unsicherheit hinsichtlich der ikonographischen Vorbilder,[6] wurde Amaterasu also nicht figürlich dargestellt, auf ihren Schutz wollte der Künstler aber nicht ganz verzichten.

Interpretation

Im achten Monat 1858 brach in Nagasaki eine verheerende Choleraepidemie aus und das Bild ist (laut Zensurstempel) auf genau diesen Monat datiert. Ein Zusammenhang wäre demnach naheliegend, doch war die Cholera damals in Japan bereits unter dem Namen korori etabliert.[7] Dieser Namen findet sich jedoch nicht auf dem Bild. Außerdem ist die dargestellte Durchfall-Krankheit nur eine unter vielen, vergleichsweise harmlosen. Es geht also eher um eine zunächst unspezifische Ansammlung von Krankheiten, die von einer ebenso unbestimmten Anzahl von Arzneien mit Hilfe von wiederum scheinbar wahllos ausgewählten Gottheiten bekämpft werden.

Im Zentrum des Bildes stehen eindeutig die Arzneien, die von Kenntnissen der westlichen Medizin (damals Teil der „Holland-Wissenschaft“, rangaku 蘭学) mit geprägt sind. Diese Synthese wird durch die wichtigsten Gestalten des Shintō-Pantheons (inklusive einiger eher nur für Edo wichtiger Götter) unterstützt. Was weitgehend fehlt, sind rein buddhistische Gestalten.

Das Bild scheint demnach die Ideologie der Meiji-Zeit vorwegzunehmen, in der westliches Wissen und die Rückbesinnung auf den „Shintō des Altertums“ zur Stärkung des Tennōtums mit einander kombiniert werden sollten, während der Buddhismus mit dem alten Regime der Tokugawa assoziiert wurde und möglichst in den Hintergrund gedrängt werden sollte. Das Thema „Krankheit“ mag dem Künstler den Vorwand geliefert haben, derartige Inhalte an der Zensur vorbei bereits im Jahr 1858 zu vermitteln.

Verwandte Motive

Anmerkungen

  1. Wikipedia
  2. Herzlichen Dank an Prof. Emer. Wolfgang Michel für diesen Hinweis.
  3. Wikipedia
  4. Wikipedia
  5. Der Namen geht auf die indischen Gottheit Kumbhīra zurück. In Japan entwickelten sich verschiedene Formen des Kultes, darunter der Glaube, dass Konpira vor Krankheiten schützte.
  6. Zu dieser Zeit existierten sowohl männliche als auch weibliche Repräsentationen von Amaterasu, ein Namen, der zumeist noch Tenjō gelesen wurde.
  7. Die erste Epidemie brach in Japan 1820 aus und wurde in Abwandlung des ursprünglich indischen Namens mit einem Wort bezeichnet, dass auch die Nebenbedeutung „[tod] umfallen“ mitträgt. Es existierten sehr unterschiedliche Verschriftlichungen, bis hin zu 狐狼狸 (Fuchs, Wolf, Tanuki), da manche diese Tiere für die Seuche verantwortlich machten.

Quellen