Götter besiegen die Krankheiten (Holzschnitt): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 26. März 2021, 14:59 Uhr
Thema und Entstehungszeit
Das Bild stammt aus 1858, als westliche Mächte immer mehr Einfluss auf das Geschehen in Japan nahmen und sowohl mit Krankheiten als auch mit ihrer Heilung in Verbindung gebracht wurden. Der japanische Titel lautet Shoshin no kago ni yorite ryōyaku akubyōo taiji su 諸神の加護によりて良薬悪病を退治す und ist auf der oberen linken Seite in einer Art Schriftrolle mit furigana abgedruckt. Eine mögliche Übersetzung wäre: „Mithilfe der Götter besiegen gute Arzneien böse Krankheiten“. Das Wort kago 加護 lässt sich als „Schutz der Götter“ oder „göttlicher Beistand“ übersetzen, wobei Schutz oder Gnade sowohl von einheimischen kami als auch von buddhistischen Wesenheiten ausgehen können.
Bildinhalt
Das Bild besteht aus zwei vertikalen Einzelblättern, ist aber inhaltlich horizontal geteilt, wobei der obere Teil kami, die Sonne über Japan und den Titel wiedergibt. Im unteren Teil wird eine Schlacht gezeigt, in der Krankheiten von Arzneien bekämpft werden.
Krankheiten und Arzneien
Die Krankheiten haben das Aussehen der von ihnen befallenen Kranken. Dies impliziert eine sehr ambivalente Botschaft hinsichtlich des Umgangs mit Patienten, doch ist diese Form der Darstellung auf vielen allegorischen Bildern von Krankheiten, auch im europäischen Kontext, festzustellen.
Eine der Krankheiten, die gerade von eine Lanze durchbohrt wird, ist kakuran 撹乱, eine Durchfallerkrankung ähnlich der Cholera. Unter den anderen Krankheiten lässt sich Wassersucht (水腫) oder die Ascaris-Pneumonie (Löffler-Syndrom, durch Spulwürmer ausgelöst) erkennen.
Die kämpfenden „Helden“ sind als Samurai in japanischer Kriegskleidung gestaltet, allerdings sind sie gesichtslos. Dass es sich um Arzneien handelt, ist den eingeschriebenen Namen auf ihren Köpfen (teilweise in Katakana, der Schrift für Fremdwörter) zu entnehmen. Auf einem steht z.B. semen セメン, kurz für semen cinae (Cinasamen, Artemisia cina oder Wurmsamen), eine Pflanze die Santonin enthält, aus dem man ein Medikament gegen Spulwürmer herstellen kann. Weitere Arzneien sind der chinesische Arzneirhabarber (大黄)[1] und Weinstein (吐酒石)[2], welcher als Verdauungshilfe verwendet wurde.
Etwas rätselhaft ist der Name hofuman フフマン auf dem Kopf des Lanzenträgers. Manche Quellen nehmen an, dies könnte sich auf den Militärarzt Theodor Eduard Hoffmann (1837–1894) beziehen, der zwischen 1871 und 75 in Japan weilte und hier am Aufbau einer Medizin nach westlichem Muster beteiligt war,[3] doch das Bild stammt (wie angemerkt) sicher aus 1858. Es ist daher anzunehmen, dass damit „Hoffmannstropfen“ (auch Liquor anodynus) gemeint sind, die auf den Hallenser Professor Friedrich Hoffmann (1660–1742) zurück gehen.[4]
Gottheiten
Im Hintergrund sieht man Gottheiten, die die Arzneien bei ihrem Kampf unterstützen. Die Gruppe besteht von links nach rechts aus:
- Gozu Tennō 牛頭天皇
- Kanda Daimyōjin 神田大明神 (der „Hausgott“ von Edo)
- Hikawa Daimyōjin 氷川大明神
- Sannō Daigongen 山王大権現 (Schutzgott des Tendai Buddhismus)
- Konpira Daigongen 金毘羅大権現[5]
- Amaterasu, hier Tenshō Kōtai Jingū Oharai 天照皇大神宮御祓.
- Hachiman (hier Shōhachimangū 正八幡宮)
- Suitengū 水天宮, ein populärer Schrein in Edo
- Inari (Inari Daimyōjin 稲荷大明神)
Der „Anführer“ Gozu wird vor allem im Gion Schrein in Kyōto, aber auch in zahlreichen Zweigschreinen verehrt und galt allgemein als Befehlshaber der Seuchengöttern ekijin 疫神. Als solcher vermochte er natürlich auch Seuchen fernzuhalten. Während der Kult selbst starke buddhistische Züge trägt, wurde Gion auch mit der mythologischen Gottheit Susanoo assoziiert. Die ikonographische Ausgestaltung spricht dafür, dass der Künstler vom aufkommenden Nativismus (kokugaku 国学) geprägte Vorstellungen der kami hatte und die ältere Ikonographie von Gozu als (buddhistischer) Dämon bewusst ausklammerte. Auch die Schreibung des Namens Gozu mit den Zeichen für den Kaiser, 天皇, statt für einen buddhistischen „Himmelskönig“, 天王, mag einem Versuch geschuldet sein, die Gottheit von buddhistischen Assoziationen zu befreien, selbst wenn dies von einem streng monarchistischen Gesichtspunkt aus als Majestätsbeleidigung angesehen werden könnte.[6]
Besonders erstaunlich ist, dass die kaiserliche Ahnengottheit als Talisman (ofuda) mit dem Zusatz o-harai (eine shintōistische Reinigungszeremonie) auftritt. Möglicherweise aus Pietät, vielleicht aber auch aus Unsicherheit hinsichtlich der ikonographischen Vorbilder,[7] wurde Amaterasu also nicht figürlich dargestellt, auf ihren Schutz wollte der Künstler aber nicht ganz verzichten.
Interpretation
Im achten Monat 1858 brach in Nagasaki eine verheerende Choleraepidemie aus und das Bild ist (laut Zensurstempel) auf genau diesen Monat datiert. Ein Zusammenhang wäre demnach naheliegend, doch war die Cholera damals in Japan bereits unter dem Namen korori etabliert.[8] Dieser Namen findet sich jedoch nicht auf dem Bild. Außerdem ist die dargestellte Durchfall-Krankheit nur eine unter vielen, vergleichsweise harmlosen. Es geht also eher um eine zunächst unspezifische Ansammlung von Krankheiten (insgesamt 11), die von einer ebenso unbestimmten Anzahl von Arzneien (9) mit Hilfe von wiederum scheinbar zufällig ausgewählten Gottheiten (9) bekämpft werden.
Im Zentrum des Bildes stehen eindeutig die Arzneien, die von Kenntnissen der westlichen Medizin (damals Teil der „Holland-Wissenschaft“, rangaku 蘭学) mit geprägt sind. Diese Synthese wird durch die wichtigsten Gestalten des Shintō-Pantheons (inklusive einiger eher nur für Edo wichtiger Götter) unterstützt. Was fehlt, sind buddhistische Gestalten.
Das Bild scheint demnach die Ideologie der Meiji-Zeit vorwegzunehmen, in der westliches Wissen und die Rückbesinnung auf den „Shintō des Altertums“ zur Stärkung des Tennōtums mit einander kombiniert werden sollten, während der Buddhismus mit dem alten Regime der Tokugawa assoziiert und kurzfristig sogar politisch verfolgt wurde. Das Thema „Krankheit“ mag dem Künstler den Vorwand geliefert haben, derartige Inhalte an der Zensur vorbei bereits im Jahr 1858 zu vermitteln.
Verwandte Motive
Anmerkungen
- ↑ Wikipedia
- ↑ Wikipedia
- ↑ Wikipedia
- ↑ Herzlichen Dank an Prof. Emer. Wolfgang Michel für diesen Hinweis.
- ↑ Der Namen geht auf die indischen Gottheit Kumbhīra zurück. In Japan entwickelten sich verschiedene Formen des Kultes, darunter der Glaube, dass Konpira vor Krankheiten schützte.
- ↑ In der Meiji-Zeit wurden alle buddhistischen Elemente radikal aus dem Gion-Schrein verbannt. Der Schrein selbst erhielt den Namen Yasaka und seine Hauptgottheit war von nun an Susanoo. Lediglich das Gion Matsuri erinnert heute noch an ältere Traditionen.
- ↑ Zu dieser Zeit existierten sowohl männliche als auch weibliche Repräsentationen von Amaterasu, ein Namen, der zumeist noch Tenjō gelesen wurde.
- ↑ Die erste Epidemie brach in Japan 1822 aus und wurde in Abwandlung des ursprünglich indischen Namens mit einem Wort bezeichnet, das auch die Nebenbedeutung „[tod] umfallen“ mitträgt. Es existierten sehr unterschiedliche Verschriftlichungen (古呂利, 頃痢, 虎烈刺, 虎狼痢), bis hin zu 虎狼狸, (Tiger, Wolf, Tanuki), da manche diese Tiere für die Seuche verantwortlich machten.
Quellen
- UCSF Library’s collection of Japanese woodblock prints (Akademische HP/ Bildarchiv, University of California, San Francisco).
- Ekibyō e no osore 疫病への恐れ (Kusuri no Hakubutsukan)
- Encyclopedia of Shinto (Akademische HP/ Online-Enzyklopädie, Kokugakuin University, Tokyo).
- Konpira
- Sannō,
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