Hannya Shin-gyō

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Das Herz-Sūtra (Hannya Shin-gyō 般若心経) ist ein kurzer Text der Prajñāpāramitā-Literatur (nur um die 250 Schriftzeichen), in dem die neue mahāyānistische Lehre prägnant formuliert wird und der in Ostasien vor allem in der chinesichen Übersetzung von Xuanzang bekannt ist. An einigen spezifischen Stellen unterscheidet er sich jedoch von anderen Texten dieser Gattung, was den Raum öffnete für Spekulationen hinsichtlich seiner Authentizität und Herkunft. Im Ryōiki kommt das Herz-Sūtra in vier Geschichten vor: I-14, II-7, II-19 und III-34.

Video einer Rezitation des kanbun-Textes auf Japanisch

Das Herz-Sūtra im Ryōiki

  • In I-14 wird ein Mönch heimlich beobachtet, wie Lichtstrahlen aus seinem Mund entspringen, als er das Herz-Sūtra rezitiert. Darauf offenbart er, dass ihm die Rezitaiton dieses Sūtras auf wundersame Weise ermöglicht, durch Wände zu sehen.
  • Ein sehr weiser Mönch, der Schüler unterrichtet und Kommentare schreibt (unter anderem auch einen zum Herz-Sūtra), wird in Geschichte II-7 eifersüchtig auf einen noch weiseren und erfolgreicheren Mönch. Seine Eifersucht lässt ihn krank werden und bald darauf sterben. In der Hölle erleidet er verschiedenste Qualen, verliert aber auch seine Eifersucht auf den anderen Mönch und lernt, diesen zu schätzen, worauf es ihm erlaubt wird, wieder in die Welt der Lebenden zurückzukehren.
  • In II-19 stirbt eine Frau, die berühmt ist für ihre hervorragenden Rezitationen des Herz-Sūtras. Als sie vor Enma tritt, erfährt sie, dass sie nur eingeladen wurde, um ihre Rezitationskünste darzubieten. Drei Tage später darf sie wieder ins Leben zurückkehren, wobei ihr noch ein nahes Wiedersehen mit drei seltsamen Männern in Aussicht gestellt wird. Kurz darauf trifft sei einen Mann, der Sūtren verkauft. Sie findet heraus, dass es drei Abschriften sind, die ihr vor langer Zeit gestohlen wurden, darunter auch eine des Herz-Sūtras. Sie kauft sie dem Mann ab, obwohl sie weiß, dass er es war, der sie gestohlen hatte, und vertieft ihre Rezitationen.
  • Geschichte III-34 erzählt von einer Frau, die schwer erkrankt und lange nicht geheilt werden kann, was sie auf ihre Taten in diesem und den vorigen Leben zurückführt. Sie tritt in die Mönchsgemeinschaft ein und beginnt, das Herz-Sūtra zu rezitieren. Gemeinsam mit der Unterstützung eines Asketen, der mit ihr jahrelang weitere Sūtren rezitiert, gelingt den beiden schließlich die Heilung der Krankeheit.

Prajñāpāramitā

Die Vollkommenheit (pāramitā[1], hier: haramitta 波羅蜜多) in der Einsicht (prajñā, hannya 般若) besteht darin, das bisherige Ziel (nirvāṇa zu erreichen) hinanzustellen und stattdessen mit dem richtigen Mittel (Mitleid mit den Lebewesen) als bodhisattva mahāsattva[2] in der Welt zu bleiben und Buddhaschaft anzustreben. In Folge gibt es auf Basis der Leerheit ( 空) in Wirklichkeit weder so etwas wie das nirvāṇa noch die buddhistische Lehre oder überhaupt Leid bzw. ist nirvāṇa ein seit jeher bereits erreichter Zustand, was auf irgendeine Weise nur noch realisiert werden muss, z.B. auch durch Rezitation eines Mantras.

Das im Gegensatz zum früheren Buddhismus neue Ziel wird in den Texten der Prajñāpāramitā-Literatur formuliert: in unterschiedlicher Länge, z.T. aber mit den gleichen Textstellen. Das Herz-Sūtra ist ein kurzer Text dieser Gattung, in dem alle bisherigen buddhistischen Grundlagen negiert werden (z.B. die vier edlen Wahrheiten: 無苦集滅道 etc.).

Widersprüche zur früheren buddhistischen Lehre sind dabei kein größeres Problem und werden hier wie andernorts dadurch gelöst, indem den früheren Lehren nur eine vorläufige Bedeutung (neyārtha, furyōgi 不了義) zugesprochen wird, die anfangs zwar gelehrt werden musste, da den wirklichen Sachverhalt sonst niemand verstanden hätte, aber mittlerweile von einer definitiven Bedeutung (nīthārtha, ryōgi 了義) abgelöst wurde.

Beispielsweise lehrte der Buddha zu Beginn, dass es kein Selbst gibt, indem er alles anführte, was wirklich existiert (eingeteilt in die fünf skandhas, un 蘊 oder in 陰), worunter kein Selbst zu finden ist. In der späteren Lehre wird neben dem Selbst auch alles andere als nicht wirklich existierend verstanden (vgl. 照見五蘊皆空). Hätte er gleich zu Beginn die spätere Lehre verbreitet, hätte ihr niemand folgen können/wollen, weshalb er erst eine an Zeit und Umstände angepasste vorläufige Bedeutung erklärte, um die Anhängerschaft langsam an die definitve Bedeutung heranzuführen. Ein hermeneutisches Mittel, mit dem die verschiedensten konkurrierenden buddhistischen Schulen bei den unterschiedlichsten Themen die ihnen genehme Rangordnung fixieren konnten.

  1. Auch als anderes Ufer verstehbar: vgl. higan 彼岸 in der Inschrift zur Errichtung der Uji-Brücke
  2. Um sich von den Bodhisattvas der anderen Richtungen abzugrenzen und die neue Bedeutung des Bodhisattvas zu betonen, wird in den frühen Mahāyāna-Texten immer das Beiwort mahāsattva (großes/edles Wesen) mitgeführt.

Unregelmäßigkeiten

An einigen Stellen weicht das Herz-Sūtra von den Konventionen der Prajñāpāramitā-Literatur bzw. der Gattung Sūtra ab. Beispielsweise:

  • Hat das Sūtra (i.e. eine Lehrrede Buddhas) weder einen Anfang noch einen Schluss, in denen die Umstände des Vortrags geschildert werden, was in dieser Gattung sonst eigentlich nicht vorkommt.
  • Überhaupt tritt Buddha im ganzen Text gar nicht auf, stattdessen spricht Kannon, der/die in Ostasien zwar populär ist, kaum aber in Indien, woher der Text ursprünglich herkommen soll.
  • Außerdem schließt der Text mit einem dhāraṇī (darani 陀羅尼 bzw. auch wie hier ju 咒, heute: 呪), einem Mantra, dem auch magische Vorgänge zugeschrieben werden könnnen und das in diesem Zusammenhang zumindest ungewöhnlich ist.

Herkunft

Diese Unregelmäßigkeiten und andere Hinweise brachten Jan Nattier zu dem Schluss, dass es sich beim Herz-Sūtra nicht um ein indisches Sūtra, sondern um einen für einen anderen Zweck bestimmten Text handelt, der erst in China aus Textbausteinen anderer Text zusammengestellt wurde, die den Übersetzungen anderer indischer Text entnommen wurden. Erst nachdem der Text populär geworden und seine Herkunft vergessen war, wurde er für ein indisches Original gehalten und auch rückübersetzt.

Deutliche Hinweise für diese Entstehung liefert der Mittelteil des Textes, der - wie bereits lange bekannt - einem anderen Prajñāpāramitā-Text entnommen ist (dem in 25000 Versen): Die beiden Sanskrit-Texte decken sich zwar inhaltlich, unterscheiden sich aber in Wortwahl und Satzstruktur; die beiden chinesischen Texte hingegen sind nahezu ident. Da es äußerst unwahrscheinlich ist, dass die chinesischen Texte aus unterschiedlicher Vorlage gleich übersetzt wurden und die Unterschiede der Sanskrit-Text dergestalt sind, dass sie leicht anhand einer solchen Rückübersetzung erklärt werden können, ist von diesen Hinweisen aus gesehen eine wie von Nattier erklärte Herkunft des Herz-Sūtras sehr wahrscheinlich.

Text

Text nach Xuanzang Übersetzung
觀自在菩薩行深般若波羅蜜多時, When Aval­okiteśvara Bod­hisattva was prac­tic­ing the pro­found Prajñā­pāramitā,
照見五蘊皆空, he il­lu­mi­nated the Five Skand­has and saw that they were all empty,
度一切苦厄。 and crossed over all suf­fer­ing and af­flic­tion.
「舍利子!色不異空,空不異色; “Śāripu­tra, form is not dif­fer­ent from empti­ness, and empti­ness is not dif­fer­ent from form.
色即是空,空即是色。 Form it­self is empti­ness, and empti­ness it­self is form.
受、想、行、識、亦復如是。 Sen­sa­tion, con­cep­tion, syn­the­sis, and dis­crim­i­na­tion are also such as this.
「舍利子!是諸法空相, Śāripu­tra, all phe­nom­ena are empty:
不生不滅,不垢不淨,不增不減。 they are nei­ther cre­ated nor de­stroyed, nei­ther de­filed nor pure, and they nei­ther in­crease nor di­min­ish.
是故,空中無色,無受、想、行、識; This is be­cause in empti­ness there is no form, sen­sa­tion, con­cep­tion, syn­the­sis, or dis­crim­i­na­tion.
無眼、耳、鼻、舌、身、意; There are no eyes, ears, nose, tongue, body, or thoughts.
無色、聲、香、味、觸、法; There are no forms, sounds, scents, tastes, sen­sa­tions, or phe­nom­ena.
無眼界,乃至無意識界; There is no field of vi­sion and there is no realm of thoughts.
無無明亦無無明盡,乃至無老死亦無老死盡; There is no ig­no­rance nor elim­i­na­tion of ig­no­rance, even up to and in­clud­ing no old age and death, nor elim­i­na­tion of old age and death.
無苦、集、滅、道;無智,亦無得。 here is no suf­fer­ing, its ac­cu­mu­la­tion, its elim­i­na­tion, or a path. There is no un­der­stand­ing and no at­tain­ing.
以無所得故,菩提薩埵依般若波羅蜜多故,心無罣礙; “Be­cause there is no at­tain­ment, bod­hisattvas rely on Prajñā­pāramitā, and their minds have no ob­struc­tions.
無罣礙故,無有恐怖, Since there are no ob­struc­tions, they have no fears.
遠離顛倒夢想,究竟涅槃。 Be­cause they are de­tached from back­wards dream-think­ing, their final re­sult is Nirvāṇa.
三世諸佛依般若波羅蜜多故,得阿耨多羅三藐三菩提。 Be­cause all bud­dhas of the past, pre­sent, and fu­ture rely on Prajñā­pāramitā, they at­tain Anut­tarā Samyaksaṃbodhi.
「故知般若波羅蜜多,是大神咒,是大明咒,是無上咒,是無等等咒, There­fore, know that Prajñā­pāramitā is a great spir­i­tual mantra, a great bril­liant mantra, an un­sur­passed mantra, and an un­equalled mantra.
能除一切苦真實不虛,故說般若波羅蜜多咒。 The Prajñā­pāramitā Mantra is spo­ken be­cause it can truly re­move all af­flic­tions.
即說咒曰: The mantra is spo­ken thusly:
「揭帝 揭帝 般羅揭帝 般羅僧揭帝 菩提 僧莎訶」 gate gate pāra­gate pārasaṃgate bodhi svāhā
般若波羅蜜多心經

Quellen