Exzerpt:Isomae 2009

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Rezensiertes Werk:

  • Isomae Jun'ichi 2009
    Japanese mythology: Hermeneutics on scripture. London: Equinox 2009. (Ü. von Mukund Subramanian, Exzerpt.)

Vorwort

Jun'ichi Isomae beginnt seine aus mehreren Essays zusammengesetzte Monographie Japanese mythology: Hermeneutics on scripture mit einer kurzen philosophischen Meditation über unsere Wahrnehmung von Geschichte und äußert radikale Zweifel an unserer Möglichkeit objektive Aussagen selbst (oder gerade?) über unsere eigene Vergangenheit zu treffen. Als Sinn und Zweck der Geschichtswissenschaft sieht er daher nicht das Auffinden einer unbezweifelbaren, historischen Wahrheit – das sei uns nämlich unmöglich – sondern vielmehr den Versuch des einzelnen Forschers, ein besseres Verständnis für den eigenen Platz in der Geschichte, bzw. den Ausgangspunkt der eigenen Versuche die Vergangenheit zu begreifen zu bekommen, um so letztlich ein Gespür für die unentrinnbare Perspektivität jeder Deutung von Vergangenheit und Gegenwart zu entwickeln. Die folgenden Essays deklariert er als solch einen Versuch.

Einleitung: Hermeneutis on the Theory of Sacred Texts and Nostalgia towards Historical Origins

In der Einleitung macht Isomae kurz Angabe zu Gegenstand und Methode seiner Untersuchungen: Es geht ihm um die Geschichte der Interpretation der zwei zentralen Texte japanischer Mythologie: Nihon shoki und Kojiki (= Kiki). Beide seien im achten Jahrhundert n. Chr., also in der japanischen Antike, im Auftrag des Yamato-Hofes aus verschiedenen Klan- und Familientraditionen als Staatsgeschichte zum Zweck der Legitimierung der Herrschaft des Kaiserhauses zusammengestellt, und zwar nicht einfach gesammelt und nebeneinandergesetzt, sondern bearbeitet und (wenn auch nicht völlig, so doch stark) vereinheitlicht worden. Im Laufe der Geschichte habe sich eine große Menge an interpretativer, bzw. auf die Kiki mal mehr mal weniger und in sehr vielfältiger Weise Bezug nehmender Literatur angesammelt, die, so zeigt sich Isomae überzeugt, allein dazu im Stande ist, die stetig wachsende Lücke zwischen Interpret und Kiki zu schließen bzw. zu überbrücken. Denn eine wahre, objektive, eine prädiskursive, übergeschichtliche Bedeutung der Kiki oder überhaupt irgendeines ähnlichen historischen Dokumentes gebe es nicht bzw. sei, gesetzt es gebe sie, vom Interpreten unmöglich (rational) als solche zu erkennen. Vielmehr sei die Bedeutung der Kiki nur über die verschiedenen Perspektiven darauf, ihre mannigfaltigen politischen, sozialen und religiösen Funktionen und Rollen, die Art also, wie sie zu bestimmten Zeiten und Zwecken und in bestimmten Kontexten interpretiert worden seien, wissenschaftlich zu ermessen. Auf die Kiki, als Texte mit zu beinahe jeder Zeit ihrer Existenz enormem Einfluss auf den sie umgebenden Diskurs und einer Unzahl an Interpreten zu verschiedenen Zeiten mit den wiederum unterschiedlichsten Weltanschauungen, will Isomae nun, wenngleich nicht unkritisch, sondern vielmehr in der Hoffnung, nicht nur den Gegenstand durch die Methode, sondern auch umgekehrt, die Methode durch den Gegenstand, genauer, bzw. neu zu definieren, die westlich-religionswissenschaftliche Theorie von heiligen Schriften anwenden; den Kanonisierungsprozess der Kiki, ihre Genese als teilweise gewachsene, mündliche oder schriftliche Familien- oder Klantraditionen, teilweise daraus zu politischen Zwecken geschaffenes Kunstprodukt und ihr Verhältnis zu den sie in ihrer Entstehungszeit umgebenden, nicht-kanonischen Texten genauer betrachten, sowie die Funktion von Kommentaren diskutieren: Isomaes These ist und bleibt, dass heilige Texte, wie die Kiki es sind oder zu sein scheinen, und ihre verschiedenen Interpretationen nur über ihre Beziehung zueinander und die politischen, sozialen und religiösen Kontexte aus denen heraus sie entstehen, bzw. in denen sie gedeutet werden, also nicht aus sich selbst heraus, absolut, sondern nur in Relation, als Teile bestimmter historischer Diskurse erkannt, oder besser, sinnvoll gedeutet werden können.

Nationale Geschichte, Shintō und Mythos: Allgemeine Anmerkungen zur Geschichte der Interpretation der Kiki (Kapitel 1)

Einleitung

Isomae beginnt mit einer kurzen Einführung in den Entstehungszusammenhang der Kiki als (mehr oder weniger) konstruierte Staatsgeschichte Japans und stellt fest, dass jene heutzutage üblicherweise mit Japanischer Mythologie gleichgesetzt werden: Beide Texte begännen mit Göttergeschichten, die man gewöhnlicher Weise als „Mythen“ bezeichne. Da dieser Begriff selbst aber in den Kiki nicht vorkomme, ja nicht einmal aus Japan, sondern ursprünglich aus dem Westen stamme, also eine bestimmte Interpretation der Kiki bereits voraussetze, müsse – in einer Untersuchung der Interpretationsgeschichte der Kiki wie er sie anzugehen im Begriff sei – geprüft werden, wie genau er angewendet worden sei und was dies für das Verständnis der Kiki bedeute. Als wichtig erachtet er die Beschäftigung mit der Interpretationsgeschichte der Kiki – die bisher nämlich meist selbstreferenziell, also ohne die Diskurse, die zu den verschiedenen Epochen ihrer historischen Wirksamkeit um sie herum bestanden hätten in Betracht zu ziehen, m.a.W. eben ohne auf die Geschichte ihrer Interpretation einzugehen, interpretiert worden seien – da jene einerseits zu allen Zeiten nur sehr kleiner Teil von jeweils viel größeren Diskursen, andererseits aber zugleich entweder deren Mittelpunkt oder zumindest von sehr großem Einfluss in jenen waren: Die Kiki und ihre enorme historische Bedeutung sind für Isomae m.a.W. nur durch den jeweiligen, sie umschließenden Diskurs und jener wiederum nur durch sie verständlich. Den oder die Gründe für die Bedeutsamkeit der Kiki schickt Isomae sich an zu untersuchen indem er nach Rolle und Funktion der Kiki in den verschiedenen Epochen der Geschichte der japanischen Inseln – Antike (ca. 7. bis 11. Jh. n. Chr.), Mittelalter (ca. 12. bis 17. Jh. n. Chr.), Moderne (ab ca. 18. Jh. n. Chr.) – fragt. Bevor er mit der dreifachen Antwort auf diese Frage beginnt, kündigt er (nochmals) an, in seiner Untersuchung sich an den Methoden westlicher Religionswissenschaftler, nämlich deren Theorie von heiligen Texten orientieren zu wollen, indem er den Kanonisierungsprozess der Kiki, bzw. den jeweiligen Status der Texte (kanonische Staatsgeschichte, Heilige Schrift, „nationales Gedächtnis“) und ihre Apokryphen, Kommentare und Interpretationen, also die verschiedenen Texte innerhalb des um sie herum aufgespannten Diskurses, einschließlich der relativ neuen Schriftkatorgie des wissenschaftlichen Essays betrachte.

Der antike Diskurs (S.19)

Die Kiki wurden, so erinnert Isomae zu Beginn seiner Analyse des antiken Diskurses um dieselben, als Staatsgeschichte (Kokushi) des Yamato-Reiches zusammengestellt, und obwohl einige der darin enthaltenen Geschichten strukturell voneinander unterschieden seien, die Kiki als Ganzes also geringfügige Inkonsistenzen aufwiesen, sei durch ihre Zusammenstellung doch ein ganz bestimmter Zweck, nämlich die Legitimation der Herrschaft des Kaiserhauses (als direkte Nachfahren und legitime Thronfolger der Kami, d. h. der japanischen Götter) verfolgt worden. Nach einer sehr knappen Wiedergabe des Inhalts der Kiki (auf die hier, weil an anderer Stelle verfügbar [Link] verzichtet wird) stellt er die im Folgenden begründete These auf, dass jene nicht etwa für die gemeine Bevölkerung, sondern zum Zweck der Einheit der herrschenden Klasse zusammengestellt worden seien: Erstens sei das darin vorgestellte Konzept von Göttlichkeit nicht das populäre, sondern konfuzianistisch geprägt, zweitens gehörten die handelnden Charaktere ausnahmslos der herrschenden Klasse an, drittens seien nur für jene (also nicht für das Volk) Vorlesungen der Kiki veranstaltet worden. Die Basis-, also jene Texte, die die Grundlage für die Zusammenstellung der Kiki bilden, so erinnert er nun weiter, entstammen den Traditionen verschiedener bedeutender Klans und Familien des Reiches. Im Gegensatz zu jenen jedoch seien die Kiki, unveränderlich, also kanonisch gewesen. Gewöhnlicher Weise würden die Abweichungen von Kiki und Klantraditionen als Verfälschungen des „authentischen“ Inhalts ersterer durch letztere betrachtet, doch möchte Isomae eine neue, seiner Ansicht nach fruchtbarere Erklärung vorschlagen: Während die Staatsgeschichte der Legitimation der Herrschaft des Kaiserhauses und des Yamato-Reiches diente, sollten die besonderen Traditionen der Klans und Familien die soziale und politische Stellung jener legitimieren und zwar indem sie, durch Aufzählung z.B. ihrer jeweiligen Verdienste an Reich und Kaiserhaus, eine Verbindung zwischen beiden knüpften: Durch diese duale Struktur, so meint Isomae, ließen sich sowohl die Überschneidungen von Kiki und Traditionen als auch ihre Abweichungen voneinander erklären: Einerseits hätte jeder Klan / jede Familie eigene Traditionen gehabt, die von den in den Kiki festgelegten Geschichten abweichen oder sie erweitern konnten, andererseits mussten sie stets in Bezug zu den unveränderlichen Kiki, also zur Staatsgeschichte stehen, bzw. damit verwoben sein, um ihre politische Stellung zu legitimieren. Die Kiki fungierten im antiken Diskurs, so also Isomaes These, als zentraler und kanonischer Teil eines größeren und zwar rein politischen Diskurses, gleichsam als ein Fixstern um den die anderen Diskursteilnehmer (die Klan- und Familientraditionen) in gewissen Abständen, die ihren politischen bzw. sozialen Rang im Kaiserreich bestimmten, kreisten.

Der Mittelalterliche Diskurs (S. 24)

Zusätzliche Plausibilität wird Isomaes Deutung des antiken Diskurses um die Kiki durch die Veränderung ihrer Rolle und Funktion im japanischen Mittelalter verliehen: Jenes nämlich, so erklärt er, sei durch eine drastische Verschiebung der politischen Machtverhältnisse im Reich eingeläutet worden: Das Kaiserhaus sei zwar nominell weiterhin bestehen geblieben, habe aber faktisch seine gesamte Macht an das Militär bzw. die Kriegsfürsten, die Shogune, die den Großteil der japanischen Inseln von nun an (bis zum Beginn der Moderne) beherrschten verloren. Parallel dazu, bzw. nach Isomaes Ansicht verursacht dadurch, hätten die Kiki ihre antike Bedeutung als, – jetzt nämlich einfach nicht länger benötigte – Herrschaftslegitimation des Kaiserhauses und damit auch als Maß der besonderen Familien- und Klantraditionen eingebüßt; die antike duale Struktur – kanonische Kiki legitimieren Kaiserhaus und bestimmen veränderliche Traditionen dadurch legitimierter Klans und Familien – wäre verschwommen und habe sich schließlich ganz aufgelöst. Indem die Kiki ihren Status als politischer Kanon, als Staatsgeschichte eingebüßt hätten, seien sie jedoch nicht etwa in der Versenkung verschwunden, sondern es habe sich vielmehr ein neuer, nun vor allem religiös-konnotierter Diskurs um sie gebildet, sie seien nicht mehr historisch-faktisch, sondern allegorisch und metaphorisch ge- und umgedeutet, verändert und erweitert worden: Neue, teils apokryphe Texte und Erzählungen, Tempel- und Schreingeschichten und Shintō-Texte seien entstanden, die Kami seien im Rahmen buddhistischer Metaphysik als Manifestationen und Emanationen verschiedener Buddhas und Bhodisattvas interpretiert worden. Aus Kokushi wurde Nihongi („Japanische Chroniken“).

Die Kiki als nationales Gedächtnis (S. 29)

Zu Beginn der japanischen Moderne wechselten die Kiki, so Isomae, abermals Funktion und Status: Sie seien durch Gelehrte wie Yoshimi Yoshikazu und Motoori Norinaga zum „Gedächtnis der ethnischen Nation“ Japan erklärt worden, und hätten so den im Mittelalter verlorenen kanonischen Status, wenn auch in völlig neuer Bedeutung, zurückerlangt. Die im Mittelalter entstandenen apokryphen, religiösen Texte, z. B. Nihongi und die Shintōsho, seien nun als „unauthentisch“ und „inoffiziell“, als von fremdem (hauptsächlich chinesischem und buddhistischem) Gedankengut geprägt, also als Verfälschungen von etwas ursprünglich und wesentlich Japanischem abgetan worden – nämlich der Kiki, die nun als ein nationales Gedächtnis, plötzlich (im Gegensatz zu Antike und MA) als etwas alle Einwohner der japanischen Inseln Repräsentierendes, als Quelle einer spezifisch japanischen Identität im Zusammenhang mit der Entstehung des Nationalstaates fungiert, in dem sie z.B. bestehende soziale Unterschiede nivelliert hätten. Die Texte der antiken und mittelalterlichen Diskurse um die Kiki hätten im Zuge dessen entweder völlig oder doch sehr stark an Bedeutung verloren: Familien- und Klantraditionen seien als bloße Varianten, als Füllmaterial für die Bedeutungslücken in den Kiki gelesen worden, die Shintōsho hätten zwar ihre Bedeutung in gewissem Maße behalten, seien aber nicht länger produziert worden. Dafür sei eine völlig neue Kommentarform entstanden, nämlich der wissenschaftliche Essay und damit neue Ansätze der Interpretation der Kiki. Durch die Übernahme des westlichen Konzepts der „Mythologie“ wären die Kiki nun nicht länger allein historisch oder allegorisch, sondern erstmals als ein Abbild historisch-psychologischer, also weltanschaulicher Realität, nicht länger als übergeschichtlich, sondern als ein Produkt der Geschichte gedeutet worden.

Fazit

Gegen Ende des letzten Abschnittes (S. 34) zieht Isomae eine Art Schluss aus seinen bisherigen Überlegungen für die Geschichtswissenschaft als Ganze: Um nicht einfach eine beliebige Interpretation unter vielen zu liefern, um eine eigentliche Wissenschaft zu sein, müsse sie ihren eigenen Standpunkt kritisch in Betracht ziehen und analysieren, der Historiker müsse sich m.a.W. stets darüber im Klaren sein, dass die Ergebnisse seiner Forschungen nicht objektive Wahrheiten sein können sondern vielmehr bestenfalls selbstreflektierte und -kritische Perspektiven, also sich selbst im Lichte ihres eigenen Kontextes interpretierende Interpretationen, und so ein Verständnis für die unentrinnbare Perspektivität der Geschichte gewinnen und sich bemühen zu vermitteln: So sei „japanische Mythologie“ kein historisches Faktum, sondern die Interpretation eines Diskurses verschiedenster Interpretationen, von dessen vollem Umfang wohl nur ein sehr kleiner Teil erhalten sei.

Der Kanon und Varianten: Eine Untersuchung der Susanowo Mythologie (Kapitel 2)

Bis zum heutigen Tag wurden zahlreiche Untersuchungen über das Kojiki und das Nihon shoki durchgeführt. Allgemein werden die beiden Werke zueinander in Beziehung gestellt und zwar meist in der Form, dass die Einfachheit des Kojiki zu der Verfassung des Nihon shoki veranlasst habe (37). Lediglich einzelne Wissenschaftler_innen (z.B. Kōnoshi Takamitsu) behandeln Kojiki und Nihon shoki getrennt voneinander, als, aufgrund unterschiedlicher Form und Kontexte, eigenständige Werke. So will auch Isomae die beiden Werke nicht direkt vergleichen oder kontrastieren. Vielmehr ist ihm daran gelegen zu untersuchen woher die Unterschiede kommen, die Schnittpunkte zu beleuchten und auf diese Weise strukturelle Charakteristika der Mythen herauszufinden.

Varianten der Mythen

Kojiki und Nihon shoki würden sich sowohl das ideologische Element der Rechtfertigung der Yamato Herrschaft (ca. 250-710) als auch (einige) mythologische Motive teilen (z.B. die Geschichte vom achtköpfigen und achtschwänzigen Drachen, das Gelöbnis zwischen Amaterasu und Susanowo u.Ä.). Allerdings würden diese Motive, je nach logischer Struktur der Texte, unterschiedlich ausgeführt (Bsp.: Geschichte der Erschaffung der Japanischen Inseln) (38). Varianten der Mythen: Allgemein würde angenommen, dass die Kiki-Mythen auf eine gemeinsame ursprüngliche Quelle zurück gingen (40). In der gesamten Zeit des Yamato Reiches hätten jedoch zahlreiche unterschiedliche Varianten von Mythen nebeneinander existiert. Diese seien in der langen Geschichte der Kiki Interpretationen allerdings nicht berücksichtigt worden. Aus diesem Grund betrachtet Isomae solche Varianten, die vor der Entstehung des Kojiki und des Nihon shoki, im 8. Jahrhundert, existierten. Besonderes Augenmerk legt er hier auf zwei Werke oder Werkgruppen namens teiki und kuji, die in Tenmu Tennōs Zitaten im Vorwort zum Kojiki erwähnt werden. Dort heißt es, dass diese Werke bereits fehlerhaft seien. Zudem identifiziert Isomae diese beiden Texte als die einzigen konkreten Bespiele für die sogenannten „alleged books' records“ - den Berichten neben dem Haupttext des Nihon shoki. Teiki und kuji gingen auf die einzelnen Klans zurück, die durch eine Genealogie ihren sozialen Status stärken und ihre Rolle am kaiserlichen Hof klären wollten (41).

Im Folgenden vergleicht Isomae die Geschichte des Gelöbnisses zwischen Amaterasu und Susanowo im Kojiki, dem Haupttext des Nihon shoki und in den Varianten des Nihon shoki, den „alleged books' records“ (6.1 bis 6.3 und 7.3). Er geht dabei davon aus, dass die mythologischen Motive von der Region und den jeweiligen Personen, die die Geschichte hervorgebracht haben, abhingen (Bezug auf Lévi-Strauss' Strukturalismus). Er stellt als strukturelle Gemeinsamkeiten heraus, dass in allen fünf Berichten die ältere Schwester Amaterasu und ihr jüngerer Bruder Susanowo die Hauptcharaktere seien. Inhaltlich ginge es überall um die Infragestellung der Wahrheit, die davon abhängt, ob Susanowo reinen Herzens gegenüber Amaterasu ist (ihr die Herrschaft des Himmels entreißen will) oder nicht. Wahrheit oder Täuschung würde durch die Erzeugung von Göttern durch das Geschwisterpaar entschieden. Hierzu existierten dann aber wiederum fünf unterschiedliche Varianten. – Sind die erzeugten Götter je männlich oder weiblich? Welches Geschlecht der Kinder Susanowos wird als Zeichen der Reinheit seines Herzens gedeutet? Wird Susanowo schlussendlich also als bösartig, oder als ehrlich herausgestellt? – Isomae kommt zu dem Schluss, dass die verschiedenen Berichte zwar mythologische Motive gemeinsam haben, aber jeweils in einem eigenen Kontext stehen (46). Außerdem fallen ihm auch Unterschiede im Bereich der Wörter auf (z.B. bei Namen von Gottheiten, ihrer Anzahl, der Art und Weise der Ausführung des Gelöbnisses u.Ä.) (47). Daraus schließt Isomae, dass Mythen ein inhärentes Potenzial hätten, durch Abänderung des Kontextes und der Wörter verschiedene Varianten zu bilden. Kojiki und Nihon shoki sieht er folglich als Teil der bestehenden Varianten der japanischen Mythologie.

Kanonisierung

Desweiteren bliebe aber die Frage zu stellen, warum die Mythen im 8. Jahrhundert auf diese beiden Texte limitiert wurden? – Die Intention bei der Verfassung von Kojiki und Nihon shoki sei der Anspruch einer authentischen Darbietung der Berichte als Standard für spätere Generationen gewesen. Unter dem regierenden König (Tenmu) habe also eine Zentralisation der Erzählungen, eine Kanonisierung stattgefunden (50). Isomae versucht diese Tatsache vor dem damaligen politischen Hintergrund zu erklären. Solange die einzelnen Klans eine konstituierende Rolle für den gesamten Staat spielten, mussten unterschiedliche (mythologische) Interpretationen vermieden werden. Als dann die traditionellen Klan-Systeme zunehmend negiert und das Staatssystem etabliert wurde, konnten diese Tendenzen im Kojiki und Nihon shoki reflektiert werden (54).

In der frühen Heian-Zeit (794-1185) sei das Nihon shoki dann zum Kanon des Staates geworden, während das Kojiki als private Schrift und damit unter dem Nihon shoki eingestuft worden sei (58). Aber auch in späteren Zeiten habe man sich auf die höchste Autorität des Haupttextes dieses Werkes berufen und versucht ein neues Verständnis davon herbeizuführen (60). Die Kanonisierung sei also folglich kein Einzelevent, sondern kehre immer wieder. Denn ein Kanon funktioniere nur so lange er mit der sozialen Struktur einer Gesellschaft korrespondiere.

Schlussfolgerung

Isomae geht schließlich davon aus, dass Kojiki und Nihon shoki zwar gleichzeitig verfasst worden seien, das Kojiki, als letzte Variante der „Klan-Mythologie“, dann aber ausschied und der (staatliche) Kanon im Nihon shoki etabliert wurde. Aus dieser Annahme schlussfolgert Isomae, dass man nicht auf einzelnes Verstehen der Mythen beharren sollte. Jeder einzelne könne stattdessen durch sein jeweiliges Verständnis über die Vergangenheit eine neue Interpretation hervorbringen. Auf diese Weise würden neue Verstehensmöglichkeiten (der Geschichte) eröffnet werden. Er bezieht sich hierbei auf Jan Assmann, der feststellte, dass die Kommentare in dem Moment, in dem ein Kanon festgesetzt wird, die Aufgabe bekommen diesen Kanon am Leben zu halten.[1]

Mythos in Metamorphose: Antike und Mittelalter Versionen der Yamatotakeru Legende (Kapitel 3)

Im dritten Kapitel befasst sich Isomae ausschließlich mit den verschiedenen Versionen der Legende von Yamatotakeru, dem Sohn des 12. Kaisers, der mit Hilfe des Kusangi, die Grenzen des Landes erweitert.

Frühe Versionen der Yamatotakeru Legende: Das Kojiki, Nihon shoki und Fudoki

In den Kikis wird beschrieben wie Yamatotakeru von seinem Vater, dem Kaiser Kaikō, zwei Aufträge bekommt, um dem Land Frieden zu bringen und Landesgrenze zu erweitern. Die erste Expedition geht in den Westen nach Süd-Kyushu und die zweite nach Osten zu den Emishi. Durch diese Aufträge werden die japanischen Inseln unter die Yamato-Herrschaft gebracht. Isomae nennt diese Leistung einen Schlüsselwendepunkt in Erzählung und nationaler Geschichte. Auf seiner Reise bekommt er von seiner Tante Yamatohimedas Schwert Kusanagi aus dem Ise Schrein. Ohne das Schwert in der Hand begegnet er der Gottheit des Bergs Ibuki und stirbt bei dieser Begegnung.

Diese Grundgeschichte bleibt eigentlich bei allen vergleichenden Texten von Isomae gleich. Jedoch weißt jede Schrift unterschiedliche Schwerpunkt auf.

Im Gegensatz zu dem Haupttext des Nihon shoki, wird im Kojiki und in Nebentexten des Nihon shoki die Geschichte aufgegriffen, durch die das Schwert zu seinem Namen kam. Ein Feind versuchte Yamatotakeru zu umzingeln und zündete das Gras um ihn herum an. Doch Yamatotakeru nahm sein Schwert und zerschnitt das Gras. Kusnagi: Der Graszerschneider (frei übersetzt).

Der nächste Unterschied wird in der Beschreibung von Yamatotakeru deutlich. Im Nihon shoki, ist er DER Kronprinz,im Kojiki einer von drei Anwärtern auf den Thron, außerdem wird er hier als Trickster umschrieben.

Im Kojiki heißt es, dass Yamatotakeru einen Bemerkung des Vaters falsch versteht und seinen Bruder zu unrecht zerreist. Woraufhin der Kaiser Kaikō ihn auf besagte Expeditionen schickt. Yamatotakeru glaubt, der Vater will seinen Tod. Seine Tante kommt ihm zu Hilfe und begleitet ihn auf seinen Reisen,die Vertrauensbasis zwischen ihnen wird hier sehr deutlich. Sie gibt ihm weibliche Kleidung, Feuersteine und Kusangi. Jedes dieser Gegenstände verwendet er gegen seinen Feind Kumaso. Jedoch ist er so zerstreut auf Grund der zerstörten Beziehung zwischen ihm und deinem Vater, dass er das Schwert vergisst und den Tod findet. Im Nihon shoki fehlt, diese Geschichte, hier wird er auf die Reise geschickt um danach den Thron zu besteigen,außerdem wird hier die Vertaruensbasis zwischen Vater und Sohn hervorgehoben. Seine Tante übergibt ihm hier nur das Schwert und begleitet ihn nicht. Er geht freiwillig in den Westen und wird nicht vom Vater dorthin geschickt. Den Tod findet er hier durch seinen Übermut, durch den er Kusangi vergisst.

Nun geht Isomae auf die Fudoki, Berichte der Hitachi und Hizen Provinz, ein. Yamatotekaru wird als jemand beschrieben, der Rebellen bekämpft. Isomae bezieht sich direkt auf das Ende der hier geschriebenen Legende. Es wird erzählt, wie Yamatotakeru das Mädchen Miyazuhimein der Owari Provinz kennenlernt und Nachts sieht, wie Kusangi leuchtet, er denkt, eine Gottheit befindet sich darin und bittet das Mädchen, das Schwert in den Atsuta Schrein zu bringen. Womit das Schwert seinen endgültigen Aufenthaltsort erlangt.

Nach Isomae gibt es 4 Gründe warum die Beamten die Fudoki Berichte in Auftrag gegeben wurden:

  1. Namen für Städte und Umgebung
  2. Nahrungsquellen aufzeigen
  3. Berichte über die Bodenbeschaffenheit und Namen von Flüssen, Bergen etc.
  4. Berichte über Ereignisse der Ältesten

Die Yamatotakeru Legende in der Heian-Zeit (800-1120)

In diesem Unterkapitel ist zu erst das Sendai kuji hongi, indem die Ergebnisse der Ost und West Expeditionen genannt werden. Es orientiert sich an den Teilen des Nihon shokis. Isomae unterstellt den Verfassen des Sendai kuji hongi wichtige Details, der Ost-Expedition und des Kusangi auszulassen und dafür Dinge dazu zu erfinden, wie z.B. dass Yamatotakeru sich in der Owari-Provinz niedergelassen hat. Yamatotakeru hat einen Sohn, der das Thronerbe antritt, nachdem er sich Owari niederlässt. Hier wird er nicht als typischer Held dargestellt, sondern als erfolgreicher Kriegsführer, dem sogar Gedichte gewidmet werden und als Vorbild für alle Heerführer gilt.

Darauf folgt die Auseinandersetzung von Isomae mit dem Kogo shūi, indem 3 Passagen im Bezug auf Yamatotakeru und das Kusangi auftauchen. Allerdings steht das Kusangi deutlich im Mittelpunkt nicht Yamatotakeru (1) Susanowos Gewinn des Schwertes. Hier heißt es nicht Ame-no-Murakomo (=Sammlung der Himmelswolken). (2) Im Gegensatz zu den Nihon shoki Texten, wird die Ost-Expedition nicht zu Kaiser Keikō in Beziehung gesetzt, sondern es wird einfach nur von Yamatotakerus Ost-Reise gesprochen. Er erlangt das Schwert von Yamatohime mit dem Hinweis „Be cautious,and yet not remmiss“. Nach seier Ost-Expedition bricht seine Weiterreise ab und bleibt bei Miyazuhime, wo er durch giftige Dämpfe stirbt und Kusangi auf diesen Weg im Atsuta Schrein bleibt.(3) Das Schwert wird zur Insignie des Kaisers erhoben. Und zwar um seiner Selbstwillen und seines magischen Kraft, unabhängig vom Träger Yamatotakeru.

Isomae weißt darauf hin, dass das Kogo shūi als Instrument von Inbe Hironari verwendet wurde um seinen Klan-Status zu verbessern, da dieser durch diese Schrift legitimiert und historisch nachgewiesen werden könnte.

Nach Isomae, werden Schriften oft zu zusammengeschrieben und zusammengestellt, dass sie einen eigennützigen Zweck erfüllen. Daher sollte man sich in Acht nehmen eine Version als wahr und eine andere als Falsch zu bezeichnen.

Die Yamatotakeru Legende in der Mittelalter-Epoche

In dieser Epoche entsteht ein Spagat zwischen der Monarchie und der Aristokratie und das Nihon shoki wird nicht mehr vorrangig als Instruement der sozialen Ordnung verwendet.

Nun wird das Yamatohime no mikoto seiki in den Fokus gestellt. Wir der Name schon sagt, geht es hier vorrangig um das Leben der Yamatohime. Der Teil der Verleihung des Kusanagi stammt aus dem Haupttext des Nihon shokis, der Grasfeuer-Teil aus dessen Nebentexte und der Tod des Yamatotakeru aus dem Kogo shūi. Auffällig ist hier die schönere Schreibweise der Legende. Die diese vom Haupttext hervorhebt. Es wird Wert darauf gelegt,dass klar ist, dass Kusanagi aus sich selbst heraus handelt und absolut im Vordergrund steht. Und das das Schwert wichtig ist und nicht der Träger, wird die Wächterin Yamatohime und der Ise Schrein für wichtiger als in allen anderen Texten empfunden. Zusätzlich kommt nur hier die acht-Spännige Weberhalle im Ise Schrein vor. Dort erlangt Yamatotakeru einen 8-Spännigen Stachel einer Stechpalme. Das ist wohl eine Abänderung des Kojiki indem Yamatotakeru einen Stachel von seinem Vater erhält.

1285 wird ein neues Werk zusammengestellt, das Ise nisho kōtai jingū shinmei hisho,indem die Legende des Kusanigi und des 8-Spannigen Stachels aufgenommen wird. Es ist eine Mischung aus Kojiki und dem Yamatohime no mikoto seiki. Und die Macht des Ise Schreins wird hier hervorgehoben.

Im Shaku Nihongi wird ebenfalls das Schwert in den Vordergrund gestellt und die Geschichte des Grasfeuers, die Hauptquelle ist das Nihon shoki. Sein Verfasser Urabe Kanekatahat auch Einfluss auf das Kojiki uragaki genommen. Dort ist Kokiji die Hauptquelle der Legende.

Das Owari no kuni Atsuta daijingū engi[2] (dt. Die Schriftrollen des Atsuta Schreins in der Provinz Owari) bringt zum ersten Mal etwas hervor, das noch nicht so dagewesen ist. Yamatotakeru wird als ein romantischer Helddargestellt. In dieser Schrift sind viele verschiedene Elemente der vorhergegangenen Text wiederzufinden. Die Neuheit dieser Version der Legende liegt darin, dass Yamato takeru das Schwert Miyazuhime als Liebesbeweis überreicht. Sie soll von Kusanagi beschützt werden. Außerdem wird der Satz den Yamatohime zu Yamatotakeru sagt verändert, hier lautet er: „Be sure never to let go of this Kusanagi sword from your side“. Zusätzlich tauchen Gedichte auf, die das Liebespaar sich gegenseitig geschrieben haben sollen. Und Miyazuhime hat einen Bruder, der sonst keiner Schrift erwähnt wird.

Isomae erwähnt nich kurz das Jinnō shōtōki und den Yoshida Shintō, in denen die Einzigartigkeit darin liegt, dass Yamatotekaru als einfacher aber fehlerfreier Mensch dargestellt wird. Außerdem wird im letzt genannten erwähnt, das er nach seinem Tod ein Wächtergott in den Bergen wird.

Alles in allem versucht Isomae in diesem Kapitel aufzuzeigen, welche Elemente sich in den Jahren verändert haben und, dass alle Schriften auf vorhergehende Schriften zurückzuführen sind.

Kapitel 4: Myth and Rationality: Understanding God in the Early Modern and Modern Periods (S. 85-108)

The constellation of Early-Modern Interpretations of Kiki

Zu Beginn des vierten Kapitels gibt Isomae einen kurzen Überblick zur Entwicklung und zum Umgang der Kiki. So existierten in der Nara-Zeit beide Mythen und deren irrationaler Gehalt "gleichberechtigt" nebeneinander. Zum Anfang der Heian-Zeit wurden die Kiki dann vereinheitlicht, in großem Maß gemäß dem Nihon shoki. In ein sogenanntes "mittelalterliches Nihon shoki" flossen nun auch andere Quellen zur Interpretationsarbeit ein. Ebenso wurde das Kojiki stärker berücksichtigt. Das in japanischer und chinesischer Sprache verfasste Kojiki gewann in der Frühmoderne stark an Prestige. Das "nur" in chinesich verfasste Nihon shoki konnte dem Anspruch die "wahren Wurzeln der japanischen Kulur" zu bezeugen nicht gerecht werden.

Es bildeten sich twei Schulen heraus:

  1. Die reale Schule, mit Kritik an der chinesischen Schrift und am Nihon shoki.
  2. Die unreale Schule, die sich auf vergleichende Studien zu den Kiki konzentrierte.

Rationalism during the Early-Modern Period (S. 86)

Criticism from the standpoint of objective reality Isomae nennt hier zuerst den konfuzianischen Gelehrten Arai Hakuseki. Dieser interpretierte das göttliche Zeitalter, also die Zeit vor dem ersten menschlichen Kaiser in Japan, ausschließlich metaphorisch. In dem Zusammenhang betont Isomae auch, dass Arai das Aufkommen des ersten Kaisers in Relation setzt, zu dem Wechsel von der mündlichen zur schriftlichen Tradition der Kiki. Diese verbreitete sich in verschiedenen Prrovinzen des Landes. Weiterhin ist Arai der Meinung, dass gewisse Personenkreise, Redakteure, die Kiki, bearbeitet haben und so die Authenzität nicht mehr gewährleistet ist. Dieser historischen Kritik Arais schließt Isomae die objektive Kritik des Yamagata an: Nach ihm könne die Zeit vor dem 5.Jh.n.Chr. nicht historisch objektiv erfasst werden, da die Tradition wie erwähnt, mündlich stattfand, es also keine materiellen Quellen gibt, mit denen der Historiker arbeiten könne. Zudem ist mündliche Tradition nicht vor Veränderungen geschützt, verliert also an Glaubwürdigkeit. Isomae bennet hier das Problem, dass die historischen Quellen ja ausschließlich aus mündlicher Tradition stammen. Wie soll dieser Teil der Geschichte Japans also zuverlässig rekonstruiert werden? Laut Arai sind drei Quellen von Nutzen: die Schriften Japans aus der letzten Han-Dynastie, also Zeugnisse aus China; zudem archäologische Funde und der Vergleich der unterschiedlichen Kiki-Texte. Die historische und objektive Kritik finden ein Ende ab dem Kaiser Jinmu, welcher als erster menschlicher Kaiser in den Quellen erscheint.

Ideological and psychological Interpretation (S. 93)

Mit Motoori nennt Isomae nun eine weitere Möglichkeit sich den Kiki zu nähern, auf psychologischer, ideologischer Ebene. Zum Beispiel sei nach Motoori die Götterzeit ein ideologisches Konstrukt, er benutzt hier eine Metapher, welches Japan als die Wurzel eines Baumes darstelle und die anderen Nationen als die Zweige. Dieser Zugang, nimmt zwar den irrationalen Gehalt der Kiki auf, verwirft sie aber nicht, sondern bindet sie an die physische Ebene.

The scope of early-modern Interpretations of the Kiki (S. 95)

Zusammenfassend ist zu nennen, dass die reale Interpretation der Kiki an den Hintergrund und die Interessen der Gelehrten gebunden ist. Die irreale Interpretation hingegen orientiert sich an archetypischen Theorien in Bezug zu dem Zeitalter der Götter. Die Suche nach dem Ursprung tritt hier in den Vordergrund.

Rationalism during the Modern Period - The Kiki as a Symbol of Power (S. 98)

Von 1892 bis 1907 wird das Gotteszeitalter als Teil der Geschichte angesehen. Der Historiker Kume wollte die Shinto hingegen rational auslegen, was von der Obrigkeit nicht geduldet wurde. Durch die verschiedenen Kriege in der Moderne wurde laut Isomae eine objektive Realität als Gefahr für das imperialistische Staatsgebilde Japans gesehen. Die Kiki galten als unvergleichlich, Interpretationen wurden kaum zugelassen.

Taishō Democracy - Style Interpretation (S. 100)

Isomae erwähnt hier Tsuda Sōkichi. Dieser schrieb über die Mythen, (in: New studies on the Kojiki and Nihon shoki, 1919) dass sie nicht als Geschichtschreibung gedeutet werden können. Er lehnt die menschlichen Kaiser von Jinmu bis Chúai ab. Da die Kiki historisch als nicht wahr gelten können, muss man sie nach Tsuda ideologisch interpretieren. Man muss hierzu die Basis der Texte verstehen. Demnach sollen die ersten Menschen, die direkt von den Göttern abstammen, die Souveränität der Nation demonstrieren. Die Mythen sind nach Tsuda Sōkichi ein Produkt der Hofbeamten des Yamato-Klans. Verbunden mit westlicher Antrophologie und Forschung entwickelten sich nun weitere Möglichkeiten zum Verständnis der Kiki.

Kapitel 5: Mythen und Nationalismus: Motoori Norinagas Schöpfungs-/Gründungsmythen (S. 108 -125)

Ein eigenes Verständnis des Mythologischen (S.108-110)

Isomae befasst sich im fünften Kapitel mit Motoori Norinagas (1730-1801) Kiki-Interpretation, welcher damit das Fundament für unser heutiges Verständnis der japanischen Mythen festlegte. Isomae will zeigen, wie Motooris Theorien und seine Bevorzugung des Kojiki vor dem Nihon shoki, die seine Theorie von mono no aware (ästhet. und empath. Gefühl gegenüber den Dingen) widerspiegeln, bis heute unsere Interpretation und Wahrnehmung der Kiki-Texte beeinflussen. Er möchte weiterhin das Verständnis der Mythen in der frühmodernen und modernen Periode aufzeigen anhand einer Erörterung von Motooris Theorie des „Alten Wegs“ (kodōron). Motoori belegt seine Theorie des mono no aware u.a. an einer Kojiki-Passage, in welcher Yamatotakeru trauert, da er verstanden hat, dass sein Vater ihm den Tod wünscht. Aber da er tapfer und aufrichtig ist, erfüllt er dennoch die ihm vom Vater gestellte Aufgabe, nämlich einen siegreichen Feldzug zu führen. Er ärgerte sich über das, was Anlass zum Ärger gibt, und beklagt, was Anlass zu Klagen gibt. So zeigt er laut Motoori wahre menschliche Gefühle, also seinen Sinn für mono no aware.

Kojiki und Nihon shoki teilen viele Motive von Takerus Heldentaten, doch die Geschichte als Ganzes ist unterschiedlich strukturiert: Im Nihon shoki erfährt er das Vertrauen seines Vaters, im Kojiki wird er zum tragischen Held, der vom Vater verstoßen wird. Motoori entschied sich für das Kojiki als grundlegende Fassung, weil dessen Textstruktur es ihm ermöglichte, seinen eigenen Begriff von Emotionalität bzw. von mono no aware vorzustellen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass das Kojiki selbst als tragische Geschichte aufgebaut ist. Man muss unterscheiden zwischen dem Text selbst und den dazugehörigen Kommentaren. Der Kommentar bzw. die darin ausgedrückte Interpretation sagt letztendlich weniger über den Text selbst aus, sondern mehr über die Weltsicht des Interpreten. Der Interpret wählt einen Text aus, der ihm die Projektion der eigenen Weltsicht darauf ermöglicht. Heute fühlen die Menschen eine Affinität zum Kojiki und fühlen sich vom Nihon shoki distanziert, weil sie das Kojiki in Übereinstimmung mit Motooris 'mono no aware-Theorie als emotionale Erzählung lesen.

Seit seiner Kompilation als nationale Geschichte in der Nara-Periode bis in die frühe Edo-Periode wurde das Nihon shoki als Kanon angesehen. Wenn wir uns heute dem Text entfremdet fühlen, liegt es nicht an fehlender literarischer Qualität oder anderen Defiziten, sondern an unserem eigenen Verständnis, das sich von demjenigen der Mythen im Altertum unterscheidet.

Motoori Norinagas Darstellung des „Alten Wegs“ (S. 110 - 111)

Wenn man die intellektuelle Einstellung einer Person untersucht, darf man diese nicht in Fragmente aufteilen, sondern muss die Logik des Diskurses untersuchen, durch die Argumente konstruiert und zu einer Weltsicht zusammengestellt werden. Motooris Arbeiten über den „Alten Weg“ kann in drei Kategorien aufgeteilt werden:

  1. Motooris Kommentar über die Japanischen Klassiker, das Kojikiden
  2. Shinto Schriften wie z.B. Tamakushige
  3. Die Zusammenstellung Kamiyo no masagoto

Der Weg der Aufrichtigkeit/Ernsthaftigkeit (S. 111 - 112)

Aufrichtigkeit kann nach Motoori auch als „Alter Weg“ bzw. eine Art selbstlose Attitüde verstanden werden und meint dass beide, Herrschende und einfache Leute sich mit dem Kaiser identifizierten, den kaiserl. Hof respektierten und dessen Befehlen gehorchten. So sind die Menschen „oben und die unten“ in Harmonie, das Reich wird glücklich regiert und Ordnung in der Welt hergestellt. Grundlage dieser Ordnung ist der Kaiser. Im göttlichen Zeitalter beruht die Existenz des Reichs und seiner Bewohner auf der Güte vom Amaterasu Ōmikami, es kann keine individuelle Herrschaft geben. Der Kaiser ist mythisch bestimmt als alleiniger Herrscher und selbstloser Vollstrecker des göttlichen Willens.

Die mythologische Basis für den kaiserlichen Status sieht Motoori in den Schöpfungsmythen und in der Mythe vom Herabsteigen des kaiserlichen Enkels. „Himmel und Erde, alle Götter und Phänomene wurden durch den schöpferischen Geist der beiden Götter Takami-musuhi-no-kami und Kami-musushi-no-kami, zur Existenz gebracht, auch die Existenz der Menschen und aller Dinge resultiert hieraus. Die Kreativität dieser beiden Götter versetzte Izanami und Izanagi dazu Land zu schaffen, Götter und alle Dinge. Dies ist der Beginn des Götterzeitalters.“ Amaterasu vertraut die Kontrolle über das Land ihrem Enkel an, der den Auftrag annimmt und zur Erde herabsteigt. Diese Geschichte fundiert laut Motoori die ungebrochene Kontinuität der kaiserlichen Linie, wie sie Amaterasu voraussagte.

Motoori bezieht sich dabei hauptsächlich auf das Kojiki, setzt aber Textvarianten des Nihon shoki als Verbindungsstellen ein und transformiert die Mythe in die Schilderung eines verbindlichen Kontrakts: die sichtbare Welt geht an Ninigi und die unsichtbare an Ōkuninushi-no-mikoto. Motoori fokussiert dabei das Kojiki, flicht aber Varianten des Nihon shoki mit ein, um seine eigene Interpretation auf den geschriebenen Text zu übertragen, nämlich dass der kaiserliche Hof als höchste Existenzform in der menschlichen Welt ewig bestehen würde. Sein Interesse liegt also allgemein darin, mythologische Geschichten zu benutzen, um die Attitüde der Selbstlosigkeit bzw. den „alten Weg“ zu legitimieren. Für ihn ist die Bestimmung des Kaisers als Herrscher über Japan genealogisch festgelegt durch die Schöpfergottheiten. Aber trotzdem sieht er den Kaiser nicht als historische Gestalt, sondern als Sinnbild der Selbstlosigkeit, der die selbstlose Natur des japanischen Volkes symbolisiert.

Mono no aware (S.112 - 114)

Motooris Innovation ist nicht die Betonung des Regierungswegs des Herrschers, sondern die Begründung des alten Weges. Der Weg der Aufrichtigkeit wird gestützt durch mono no aware. Das Verständnis davon bezieht sich sowohl auf auf die Art sich selbst zu „regieren“ als auch auf das Land. Wenn der Kaiser sich mit den Mühen und Leiden der Bevölkerung identifiziert, dann wird er kein übelwollender Herrscher sein und wenn Leute eine Sensibilität für mono-no-aware haben, werden sie ganz natürlich Empathie für andere empfinden und sich um sie sorgen. So wird Harmonie in die Gesellschaft gebracht.

In seinem Kommentar über das Genji monogatari („Geschichten des Prinzen Genji“ von Murasaki Shikibu, 10. Jh.) beschreibt Motoori mono no aware wie folgt: „Vor langer Zeit wurde jede Bewegung des Herzens, egal ob erfreulich oder traurig, wahrgenommen bzw. anerkannt. Diese Sensibilität für Gefühle war ein fundamentales Charakteristikum der Menschen in ihrer ursprünglichen Form. In alten Zeit waren die Herzen der Leute naiv und noch nicht verfälscht durch Lehren aus anderen Ländern [...].“ Er kritisiert aus diesem Grund nicht nur den Buddhismus, sondern vor allem die konfuzianistische Haltung, Gefühle zu unterdrücken.

Eine Welt, die von den Gefühlen der Einzelnen geordnet ist, war also die Basis seiner Studien des „Alten Wegs“. Maruyama Masao fasst dies wie folgt zusammen: „Motoori erhöhte den Sinn von mono-no-aware: von der Essenz japanischer Poesie hin zur Essenz des Shinto selbst.“ Das Prinzip der Literatur wird so zum politischen Prinzip.“ Laut Isomae ist dies ein Grund dafür, warum wir (bzw. die japanische Öffentlichkeit) bis heute von Motooris Erklärungen der Mythen gefesselt sind. Das Innenleben und die Emotionen, die er in die Protagonisten von Kojiki und Nihon shoki hineinliest, könnte ebenso einer modernen Novelle entstammen.

Die Weltsicht der nicht-herrschenden Schicht (S.114-116)

Die Basis für mono-no-aware liegt in den Jōruri (Gesungene Geschichten/Erzählungen des tradi. japan. Puppentheaters, die auch vom Kabuli übernommen wurden) und anderen kulturellen Ausdrucksformen der nicht-herrschenden Schicht. Motooris Weltsicht basiert also auf der volkstümlichen Kultur, der er selbst entstammte, und nicht in der Ethik der herrschenden Klasse, die dem Konfuzianismus zugetan war. Motoori verwendet mono-no-aware nicht nur um Sentimentalität zu glorifizieren, sondern u.a. auch um den Konfuzianismus als blinden Glauben in die Vernunft zu kritisieren, da er die Sensibilität der Menschen ignoriert. Motoori versteht die mono-no-aware-Sensibilität als natürliche Kraft, die Härte wegfegt. Da alle Existenz von dieser Kraft beeinflusst ist, setzt er eine einzelne kreative Gottheit (Musuhi-no-kami) an den Beginn seiner Mytheninterpretation. „Die Menschen verdanken dies (dass sie wissen, wie sie leben sollen) der Kraft dieses Gottes. Von allen lebenden Kreaturen sind die Menschen besonders, und aufgrund dieser höheren Begabung, wissen wir, was wir wissen und tun sollen.“ Die Menschen seien von Geburt an mit diesem Sinn ausgestattet.

Musuhi-no-kami werden am Anfang des Kojiki als Schöpfergottheiten erwähnt, die Schöpfergottheit, die Motoori annimmt, entspricht allerdings nicht der Schilderung im Kojiki. Hier werden drei musuhi-Gottheiten genannt, die zusammen auftreten. Motoori liest diese als eine einzige: Musuhi-no-kami. Das Kojiki beginnt die Geschichte an dem Punkt, wo Himmel und Erde schon getrennt sind. Motoori verwendet bei seiner Interpretation den Haupttext des Nihon shoki und ordnet der Schöpfergottheit Musuhi-no-kami eine Existenz zu, die der Trennung von Himmel und Erde vorausgeht. Zu Beginn des Kojiki sind Musuhi und die anderen Gottheiten aber nicht mehr als bloße Aufzählungen, ihnen fehlt jegliche konkrete Gestalt. Sie stehen somit eigentlich außerhalb des Götterzeitalters.

Motoori bringt hier jedoch seine eigene Interpretation ins Spiel, indem er Musuhi-no-kami als Quelle allen Daseins sieht, die schon vor der Schaffung von Himmel/Erde existierte, also eine einzige fundamentale Gottheit, durch die alle Dinge „in die Welt geboren wurden“. So werden auch Werte/Normen, die er in die Mythen hineinliest, als natürlich und gottgegeben interpretiert, da vom Schöpfer gegeben. Bis heute folgen Theorien über die Schöpfung seiner These über Musuhi-no-kami als Quelle allen Daseins. Motooris Theorie unterscheidet sich jedoch von den alten Mythen selbst. Die Signifikanz, die er so heraufbeschwört, leitet sich nicht vom Kojiki allein ab. Er zitiert zwar immer wieder Passagen aus dem Kojiki, aber hat schließlich selbst seinen eigenen maßgeblichen Text Kamiyo no masagoto („Die wahre Sprache des göttl. Zeitalters“) geschrieben, worin er auch Varianten und alternative Passagen des Nihon shoki einbindet. Er verfasst diesen Text, um in die Mythen von Kojiki und Nihon shoki eine Welt hineinzulesen, die auf mono-no-aware basiert, und stellt sich das kaiserliche Reich als alle Menschen Japans umfassend vor, von den Herrschenden bis zu den einfachen Leuten. Dadurch werden Kojiki und Nihon shoki auch für die nicht-herrschenden Schichten relevant. In dieser Hinsicht war Motoori bahnbrechend für seine Zeit.

Interpretationsphasen (S.116-117)

Interpreten seit Motoori haben sich traditionell der Schaffung und Kompilation eines einzelnen autoritativen Textes verschrieben, primär mit dem Ziel die Diskrepanzen zwischen Kojiki und Nihon shoki, wie auch zwischen Haupttext und Varianten des Nihon shoki, in Einklang zu bringen. Egal ob ein klassischer Text oder ein Kommentar dazu, jeder Text wird als Ausdruck einer für sich stehenden Weltsicht angesehen.

Motoori Norinaga und das Altertum (S. 117-121)

Für den antiken Japaner wie auch für Motoori war die Absicht der Mythen, die Schöpfung der japanischen Inseln und die Geburt ihrer Herrscher zu erklären. Hierin unterscheidet sich das antike Verständnis zunächst nicht von dem Motooris. In der Antike wurde aber der Personenkreis, der die Mythen bezeichnet und durch sie bezeichnet wird, nur als der Yamato-Hof gesehen. Die königlichen Mythen der Zeit umfassten zwei Textsorten: Geschichten des Kaiserhauses (teiki und kuji) und Klan-Geschichten (ujibumi). Erstere waren orthodoxe Texte, die die Macht des Hofes bekräftigen sollten. Im Gegensatz dazu stehen die Klan-Geschichten: Jeder Klan erklärte dort jeweils seine eigenen Beziehungen zum Hof. So konnte er seine Dienste dort legitimieren. Indem man seine Klan-Geschichte mit den Geschichten des Kaiserhauses verband, bekamen die Mythen politische Funktion, indem sie die Klans, die die jeweiligen Mythen geschaffen hatten, in die Sphäre der Autorität einbanden. Die Leute damals sahen die Mythen der Kiki nicht als Schilderung der Ursprünge der gesamten Menschheit an. Im Kontrast zu Motooris Interpretation tauchten die einfache Leuten nur als Objekte der Herrschaft des Yamato-Hofes auf.

Im Mittelalter wurde das antike politische System mit dem Herrscher als direktes Symbol von Autorität schwächer und in der frühmodernen Periode hatte der Hof seine politische Macht endgültig verloren. Die duale Struktur zwischen Klangeschichte und Kiki existierte nicht mehr, die noch vorhandenen verloren ihre ursprüngliche Funktion und wurden stattdessen als alternative Versionen des Kojiki/Nihon shoki gesehen. Die Mythen wurden so entpolitisiert. Frei von politischen Beschränkungen wurden die Kikimythen bedeutsam für einen größeren Bereich , der alle sozialen Klassen des japanischen Archipels umfasste, aber die Ahnen der neuen angesprochenen Gruppe waren nicht definiert, nichts ähnliches wie die Klan-Geschichten existierte für sie. Verglichen mit dem Altertum tat sich so eine Lücke auf zwischen den Mythen und dem angesprochenen Personenkreis. Die Kikimythen erklärten zwar nicht direkt ihre Herkunft, aber es existierte die Geschichte von der Schaffung der japanischen Inseln, wo solche Leute ja lebten. So wurde es für sie möglich sich mit den Kiki-Mythen zu verbinden. Da die Mythen keine direkte Referenz herstellten, konnte jeder Teil von ihnen werden, einfach indem er in Japan lebte. Die fortschreitende Technologie in der Kan'ei Ära half dabei, die Mythen mit den einfachen Leuten zu verbinden. Die Ausbreitung der Mythentexte war bis dahin erheblich eingeschränkt durch handschriftliche Kopien. Mit Entwicklung des Holzblock-Drucks wurde die großflächige Produktion von Texten möglich. Die Kiki wurden ab 1667 schnell verbreitet und unzählige Kommentare über sie zirkulierten in den Städten. Die klassischen Texte der aristokratischen Gesellschaft begannen sich so zu verändern hin zu Klassikern des einfachen Volkes, eine „Befreiung der Klassiker“ fand statt. Es kam zu einer sozialen und geographischen Ausbreitung und kulturellen Rezeption in noch nie dagewesenen Ausmaß.

Betreten der modernen Periode (S. 121-122)

Motooris Interpretation der Kiki eröffnete also einen neuen Horizont für moderne Interpretationen. Am Ende des Tokugawa-Shogunats ist der Nativismus nicht länger Domäne von einzelnen Intellektuellen, sondern dringt tiefer in die nicht-herrschenden Klassen ein und zieht Verbindungen zum täglichen Leben der lokalen Gemeinschaften. Durch Hirata Atsutane (1776-1843), einen Motoori-Schüler, wird der Nativismus am Ende der Edo-Periode ein „Basis“-Phänomen. Motoori problematisiert zudem die Tiefe von Emotionen. Seine Theorie entstand im Spannungsverhältnis zu konfuzianischen Studien, die zu dieser Zeit die soziale Ethik dominierten. Motoori: „Alles menschliche Wissen ist beschränkt. Da das Prinzip der Aufrichtigkeit nicht intellektuell erfasst werden kann, sollte man nicht rücksichtslos versuchen Dinge, die die Götter betreffen zu beurteilen und kommentieren.“ Folglich kann zwar die Realität durch den Verstand, bemessen werden, aber Werturteile über die Realität werden kritisch gesehen, da sie die Menschen dazu bringen die Autorität der Götter zu überschreiten. Die nativistische Interpretation des Kiki wurde schließlich ins tägliche Leben der Menschen eingebettet und von Motooris Kritik am eigenen Bewusstsein losgelöst. Ähnlich ist dies bei Hirata. Mythologie wurde auf die gleiche Art wie auch eine Novelle behandelt und verstanden. Ismoae bezeichnet dies als eine „I-novelized-myth“. Von der späten Edo-Periode bis zur Meji-Periode wurden Sammelbände von Motooris Kommentaren veröffentlicht. Viele Leute waren zu dieser Zeit fasziniert von den Kiki. Ihr Verständnis davon war aber oft oberflächlich. Sie lasen in Motooris Aussagen darüber nur das hinein, was ihnen als zugehörig zu ihrem eigenen Leben erschien.

Die Autorität der Vergangenheit (S.122 - 124)

Schlussendlich liegt Motooris größte Leistung in der Geschichte der Kiki-Interpretation darin, die auf der herrschenden Klasse basierenden Traditionen in Übereinstimmung mit den Normen der nicht-herrschenden zu bringen. So wie er dafür die Kiki benutzte, haben es Leute in den vormodernen Gesellschaften auf der ganzen Welt gemacht. Sie nahmen traditionelle klassische Erzählungen für die Entwicklung ihrer eigenen Philosophien, denn indem diese Texte schon soziale Autorität besaßen, wurde es auch für die nicht-herrschenden Klassen möglich ihre soziale Basis gegen die herrschende Klasse zu verteidigen. Motoori sah das Kojiki als authentischer für die Japaner an als das Nihon shoki, weil es in Japanisch und Chinesisch geschrieben war. Mehr noch, das klassische Chinesisch war den emotionalen Ausdrücken, die Motoori anstrebte nicht dienlich. Indem er das Kojiki als die ursprüngliche Tradition Japans bestimmte, setzte er zugleich die kulturellen Traditionen aus China und der Herrscherklasse herab. Als das kaiserliche System in der Moderne wieder politisiert und durch die neue Regierung systematisiert wurde, begannen auch die nativistischen Kommentare erneut die Quelle der Kultur zu repräsentieren. Motooris Wieder-Lesen (Re-reading) der Mythen war zwangsläufig gebunden an das Konzept der neuen Leserschaft, das die Japaner dazu brachte, den kaiserlichen Staat zu akzeptieren.

Intellektuelle Geschichte der Perspektiven (S. 124-125)

Die Praktik eine Beziehung zu einer ursprünglichen Vergangenheit zu suchen, um so die eigene Weltsicht zu legitimieren, findet sich in der gesamten Geschichte. Eine solche Vergangenheit, die ein ideologisches Fundament bereitstellt, das geeignet ist, um die Existenz von Menschen und Universum zu garantieren sowie seine Stabilität und Beständigkeit, gewährleistet die Authentizität der historischen Ursprünge. Die Mythen versagen darin, auf neue Umstände zu passen, wenn sie nicht Wieder-Gelesen werden, und so ihre neue Bedeutung hinsichtlich eines individuellen oder soziopolitischen Standpunkts aus festlegt wird. Dieser Prozess umfasst sowohl die Neuinterpretation der Mythen als auch die Beziehung zwischen Menschen und Mythen. Wenn man von diesem Standpunkt aus die Geschichte der Kiki-Interpretation betrachtet, sieht man, dass Interpreten oft in die Falle tappen, nach einer ursprünglichen Vergangenheit zu suchen. Eine solch unbewusste Orientierung an einer angeblich ursprünglichen Vergangenheit verdeckt jedoch eine Lücke in unserer zeitgemäßen Interpretation des Originaltextes und den inhärenten Dogmatismus, der darin liegt, ein eine Sache mit unserem eigenen Blick zu definieren.

Heutzutage berücksichtigt man stattdessen, dass die Geschichte der Kiki-Interpretation betrachtet werden sollte, als eine die bestimmte Weltsichten behandelt, die auf die Texte projiziert wurden. Es besteht laut Isomae bei modernen Interpretationen der antiken Weltsicht die Gefahr, die Kiki nur im Hinblick auf eine bestimmte Periode zu interpretieren. Trotz verschiedener Weltansichten muss man sich aber stets fragen, warum die Menschen immer wieder auf die Kiki zurückgegriffen haben, um sich selbst zu legitimieren und wie es heute möglich ist, die ursprüngliche Intention dahinter zu erkennen.

Isomae betont abschließend, dass eine Herangehensweise nötig ist, welche die Einstellung des Interpreten und seine spezifische Art sich in die Mythen einzuarbeiten, beleuchtet, quasi eine Art meta-intellektuelle Geschichte, die so die jeweiligen Perspektiven enträtselt.

Anmerkungen

  1. Isomae 2009, S. 35-66.
  2. Obwohl Isomae das Werk zum Ende der Kamakura Periode datiert, wird in dem Nachwort das Jahr 890 als Zeit des Entstehens angegeben. Wenn dies stimmt müsste man das Werk unter Heian-zeitliche Texte einteilen.