Exzerpt:Boot 2000
Themengruppe | Exzerpte |
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Behandeltes Werk |
Der Autor
Willem Jan Boot ist Professor für japanische Geschichte an der Universität Leiden in den Niederlanden. Er beschäftigt sich in erster Linie mit der Geschichte und Geistesgeschichte des vormodernen Japans. Weiters zählen Literatur und Poetik zu seinen Interessensgebieten. Seine jüngste Forschungsarbeit befasst sich hauptsächlich mit der Geistesgeschichte der Edo-Zeit unter besonderer Berücksichtigung des Konfuzianismus.
Der Artikel
Ziel des Artikels
Der Artikel „The death of a shogun: deification in early modern Japan.“ ist Boots Beitrag zu dem von John Breen und Mark Teeuwen herausgegebenen Sammelband Shinto in History: Ways of the Kami, der 2000 erschien. Boot beleuchtet darin die Praxis der Deifizierung in der frühen Neuzeit Japans anhand des Beispiels von Tokugawa Ieyasu und dessen Vorgängern. Einleitend stellt Boot fest, dass Deifizierung von Menschen auch in anderen Ländern vorkam und in Japan erst ab der Edo-Zeit in großer Zahl auftritt, weshalb man nicht von etwas Japan-Spezifischem sprechen könne. Ältere Beispiele für Deifizeirung vor der Edo-Zeit wie Hachiman und Sugawara no Michizane werden nur kurz angeschnitten. Während der Meiji-Periode wurden vermehrt Tempel für Verstorbene erbaut, Meiji Jingū für den Meiji-Tenno, Heian Jingū für Kanmu- und Kōmei-Tenno oder Yasukuni-Jinja um einige zu nennen.
Für die Deifizierung in Japan stellt Boot drei Hypothesen auf: Die Deifizierungspraktiken veränderten sich mit Beginn der Edo-Zeit recht stark; die euhemeristische Interpretation von Shintō-Göttern, d.h. die Götter auf historische Persönlichkeiten zurückzuführen, ist chinesischen beziehungsweise konfuzianistischen Ursprungs; und die Praxis, Menschen zu deifizieren, ist das Ergebnis bestimmter theologischer Entwicklungen. Im vorliegenden Beitrag geht Boot auf die erste und die dritte Hypothese genauer ein und versucht sie anhand der Beispiele von Tokugawa Ieyasu, Toyotomi Hideyoshi und Oda Nobunaga zu argumentieren.
Nobunagas mögliche Deifizierung
Als ersten Punkt verweist Boot auf den japanischen Historikers Asao Naohiro, der in den 1970er Jahren in einer Reihe von Artikeln die Deifizierung frühneuzeitlicher Herrscher erstmals zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung machte. Asao stellte die These auf, dass Oda Nobunaga sich noch zu Lebzeiten bewusst als Gottheit verehren lassen wollte. Asao stützt sich dabei auf Briefe und Direktiven Nobunagas, in denen dieser seinen Männern unter anderem Wohlstand in diesem und in ihren nächsten Leben versprach, wenn sie ihm gehorchten, sowie auf einen zeitgenössischen Bericht des portugiesischen Jesuiten Luis Fróis (1532-97), der Nobunaga sowie viele Personen aus dessen Gefolgschaft persönlich gekannt hatte. Fróis schreibt in seiner Historia de Japam, dass Nobunaga den Sōkenji-Tempel neben seiner Burg in Azuchi erbauen lies und befahl, dass er selbst darin als Gottheit verehrt werde. Nobunaga hatte sich dabei laut Asao von einerbuddhistischen Sekte inspirieren lassen, die er um religiösen Fanatismus und bedingungslosen Gehorsam unter den Gläubigen beneidet hatte. Der größte Kritikpunkt an Asaos These liegt darin, dass es keine einzige japanische Quelle gibt, die Nobunagas Deifizierung erwähnt. Im Gegensatz dazu wurden die Deifizierungen von Nobunagas Nachfolgern sehr detailliert aufgezeichnet, was die Authentizität des portugiesischen Berichtes in Frage stellt.
Ieyasus Tod
In Folge geht Boot sehr ausführlich auf Tokugawa Ieyasu ein, dessen Deifizierungsprozess am besten belegt ist. Aus verschiedenen Briefen und Aufzeichnungen von Leuten aus Ieyasus engstem Umfeld geht hervor, dass dieser auf dem Sterbebett eine Reihe von Anweisungen gab, was nach seinem Tod zu geschehen habe. So wollte er als Gottheit verehrt werden, sein Schrein sollte in Sunpu, seiner Residenzstadt, errichtet werden. Da es sich um eine religiöse Angelegenheit handelte, schickte Ieyasus Sohn Hidetada, der neue Shōgun, die zwei buddhistischen Priester und wichtigsten religiösen Berater des bakufu, Sūden und Tenkai, zu seinem Vater, um Details zu besprechen. Nach dieser Unterredung ist zusätzlich zum Schrein in Sunpu von einer „kleinen Halle“ in Nikkō die Rede. Boot vermutet hier eine Intervention Tenkais, der die Tempelanlage in Nikkō vor einigen Jahren von Ieyasu erhalten hatte und hier ebenfalls eine Verehrungsstätte errichtet sehen wollte. Weiters ist überliefert, dass Hidetada auch nach Bonshun, einem der bekanntesten Shintō-Gelehrten seiner Zeit, schickte, um ihn über die Unterschiede von Deifizierung nach buddhistischem und shintōistischem Ritus zu befragen. Hidetada entschied sich daraufhin, dass Ieyasu nach shintōistischen Riten am Kunōzan in Sunpu verehrt werden sollte. Noch am Tag von Ieyasus Tod wurde die entsprechende Zeremonie von Bonshun nach den Riten des Yoshida-Shintō durchgeführt.
Boot schildert nun recht detailliert die Zeremonie, um dann auf den nächsten großen Punkt des Textes einzugehen, den Streit der drei Theologen Tenkai, Sūden und Bonshun. So erhob Tenkai Widerspruch und behauptete, Ieyasu wollte nach den shintōistisch-buddhistischen Riten des Sannō-Ichijitsu-Shintō deifiziert werden. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um eine von Tenkai weiterentwickelte Form des Sannō-Shintō handelt. Tenkai wollte verhindern, dass Ieyasu von den Yoshida vereinnahmt wird. Stattdessen sollte die gesamte Ieyasu-Verehrung in seinem Tempel in Nikkō zentriert werden. Boot rekonstruiert den Streit ausführlich anhand von Briefen Sūdens sowie einer Biographie Tenkais. So legte Tenkai seine Sicht der Dinge dem Shōgun Hidetada vor, und dieser bestätigte, dass sein Vater Ieyasu ein Anhänger des Buddhismus gewesen war und sicher eine Zeremonie, die Shintō und Buddhismus vereinigt, bevorzugt hätte. Da er, Hidetada, solcher Dinge allerdings unkundig war, schickte er Tenkai an den kaiserlichen Hof, auf dass dieser eine Entscheidung treffe. Tatsächlich konnte sich Tenkai durchsetzen, und Ieyasus sterbliche Überreste wurden nach Nikkō überführt, wo er als buddhistischer daigongen (im Gegensatz zum shintōistischen daimyōjin) deifiziert wurde.
Ujigami und andere Präzedenzfälle
Als nächstes geht Boot auf die vorherigen Präzedenzfälle für Deifizierungen ein, zuletzt jene von Ieyasus direktem Vorgänger Toyotomi Hideyoshi. Diese ist zwar nicht so gut dokumentiert, dennoch lassen sich diverse Parallelen rekonstruieren. So bestimmte Hideyoshi vor seinem Tod, dass er in einem großen Schrein am Amidagatake verehrt werden solle. Weiters wurde die Zeremonie von den Yoshida durchgeführt und Hideyoshi nach shintōistischem Ritus zu einem daimyōjin erklärt, wie es auch bei Ieyasu ursprünglich geplant gewesen war. Ähnlich verhält es sich auch beim zweiten erwähnten Präzedenzfall, jenem von Fujiwara no Kamatari, der bereits Jahre vor seinem Tod ankündigte, dass er am Berg Dazan bestattet werden sollte und dann seinen Nachkommen zu großem Ansehen verhelfen werde. Kamatari wurde zwar ursprünglich am Aizan bestattet, allerdings veranlasste sein Sohn später die Überführung des Leichnahms auf den Dazan, wo sich das Zentrum von Kamataris Verehrung etablierte. Auch Kamatari wurde zu einem daimyōjin erklärt.
In allen drei Fällen wurden die Deifizierten zu Schutzgottheiten, weshalb Boot hier eine Verbindung mit der alten Tradition der ''ujigami''-Verehrung sieht. Ujigami waren ursprünglich die Schutzgötter der einzelnen Clans, später wurden auch lokale Schutzgottheiten unter diesen Begriff subsumiert. Tatsächlich sind sowohl Kamatari als auch Hideyoshi Begründer ihres Clans, allerdings wird dies in den zeitgenössischen Quellen nie als Grund für ihre Deifizierung angegeben. Boot vermutet als Grund dafür den Zusammenfall der Begriffe „Klangottheit“ und „Schutzgottheit“ im 16.Jhd. Als letzten Punkt spricht Boot die Tatsache an, dass in der Korrespondenz zu Ieyasus Deifizierung seine Vorgänger nicht als Referenz für diesen Prozess herangezogen werden. Hideyoshi wird kurz als Negativbeispiel erwähnt, da trotz seiner Deifizierung sein Clan unterging; bei Kamatari findet nur die nachträgliche Überführung des Leichnams Erwähnung. Boot sieht das theologische Fundament für Deifizierungen in den Lehren der Yoshida, die im 16.Jhd. begannen Schreine über den Gräbern ihrer Familienmitglieder zu bauen und diesen göttliche Namen gaben. Kamataris Deifizierung fand allerdings mehr als ein halbes Jahrhundert davor statt und kann daher so nicht erklärt werden. Die Entscheidung, Ieyasu im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht zu einem daimyōjin sondern zu einem daigongen zu machen, führt Boot auf theologische Überlegungen zurück, welche Form der Deifizierung für die Tokugawa stärkeren göttlichen Schutz gewährleisten könnte.
Eigene Meinung
WS 2011
Boot vermag es meiner Meinung nach nicht, seine anfangs aufgestellten Hypothesen schlüssig zu argumentieren. Es bleibt nach Lektüre des Textes weiterhin unklar, inwiefern sich die Deifizierungspraktiken mit Beginn der Edo-Zeit konkret geändert haben. Auch auf die theologischen Entwicklungen, die zur Deifizierung von Menschen führten, wird nicht näher eingegangen. Dem Argument der neu eingeführte Praktiken der Yoshida im 16.Jhd. folgt der Hinweis auf Fujiwara no Kamatari, dessen Deifizierung Jahrzehnte zuvor selbiges Argument wieder entkräftet. Dahingegen beschreibt Boot die Deifizierung Tokugawa Ieyasus, deren zeitliche Abfolge er anhand von zeitgenössischen Berichten genau rekonstruiert, sehr ausführlich. Dadurch gibt er einen guten Einblick in die Vorgänge und Gedanken rund um eine Deifizierung zu dieser Zeit, nur geht dabei meiner Meinung nach der Fokus auf die anfangs aufgestellten Hypothesen mitunter ziemlich verloren.
WS 2012
Es wurde schon einiges über die Mängel dieses Textes gesagt. Ich kann nur zustimmen, dass der Argumentation Aussagekraft und der durchgehende „rote Faden“ fehlt. Was ich an dieser Stelle hervorheben möchte, ist jedoch die Art, wie Boot seinen Vorgang erklärt. Für angehende Japanologen oder Historiker zeigt dieses Werk beispielhaft wie man aus Primärmaterial Rückschlüsse auf Meinungen, Intrigen und Unstimmigkeiten ziehen kann. Boot erklärt seinen methodischen Vorgang ohne zu generalisieren, aber der Hintergrund ist so verständlich, dass man von dieser Methode eine Eigene ableiten kann. Methodische Grundlagen werden in vielen Fächern kaum bis gar nicht durchgenommen und dieses Werk könnte beim Selbststudium herangezogen werden können.