Essays/Herrigels Zen: Unterschied zwischen den Versionen

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| Herrigels Zen und das Bogenschießen
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{{fl|D}} ie Be·ziehung, die dem {{g|Zen}} zu den Kampf·künsten im All·gemeinen und zum Bogen·schießen im beson·deren nach·gesagt wird, geht im Wesent·lichen auf den Best·seller von {{g|herrigeleugen|Eugen Herrigel}} ''Zen in der Kunst des Bogen·schießens''  aus dem Jahr 1948 zurück. Das Buch war auf Deutsch und Englisch (Übersetzung 1953) so erfolg·reich, dass es bereits 1956 ins Ja·panische über·setzt wurde. Obwohl es auch in Japan sehr ein·fluss·reich war und ist, traten in der Zwischen·zeit His·to·riker auf den Plan, die zu·mindest die histo·rischen Be·haupt·ungen und Thesen Herrigels in Zweifel ziehen. Die folgende Dar·stellung ist vor allem einem auf·schluss·reichen Artikel von Yamada Shōji ver·pflichtet, der 2001 im ''Japanese Journal of Religious Studies'' erschien.
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D ie Beziehung, die dem {{g|Zen}} zu den Kampfkünsten im Allgemeinen und zum Bogenschießen im besonderen nachgesagt wird, geht im Wesentlichen auf den Bestseller von {{g|herrigeleugen}} ''Zen in der Kunst des Bogenschießens''  aus dem Jahr 1948 zurück. Das Buch war auf Deutsch und Englisch (Übersetzung 1953) so erfolgreich, dass es bereits 1956 ins Japanische übersetzt wurde. Obwohl es auch in Japan sehr einflussreich war und ist, traten in der Zwischenzeit Historiker auf den Plan, die zumindest die historischen Behauptungen und Thesen Herrigels in Zweifel ziehen. Die folgende Darstellung ist vor allem einem aufschlussreichen Artikel von {{g|Yamadashouji}} verpflichtet, der 2001 im ''Japanese Journal of Religious Studies'' erschien.
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==Von der „Fertigkeit des Bogens“ <br/>zum „Weg des Bogens“ ==
 
==Von der „Fertigkeit des Bogens“ <br/>zum „Weg des Bogens“ ==
Wie die meisten Kriegs·künste entwickelte sich das ja·panische Bogen·schießen aus den Kriegs·techniken der mittel·alter·lichen Bürger·kriege. In der {{g|Edo}}-Zeit, als das Land unter der Herr·schaft der {{g|tokugawa|Tokugawa-Shōgune}} geeint war und zwei·ein·halb Jahr·hunderte ohne Krieg durchlebte, wurden diese Techniken zu Künsten weiter·entwickelt, die teils der Er·zie·hung der Samurai-Klasse, teils der öf·fent·lichen Unter·haltung dienten. Ob im Schwert·kampf, im Ringen oder im Bogen·schießen, in jedem Be·reich bildeten sich unzählige private Schulen heraus, die jeweils einen eigenen Stil in ihrer Kriegs·kunst kreierten. Manche dieser Schulen wurden von bud·dhis·tischen Tempeln geführt, die meisten aber von Samurai-Familien, die ihre Tradition inner·halb eines erwei·terten Familien·verbands weiter·gaben ({{g|iemoto}}-System). Gegen·über den kriege·rischen Zeiten des Mittel·alters kam es in dieser Zeit zu einer Äs·the·ti·sie·rung und Mythisierung der Kriegs·künste. Ze·re·mo·niel·le Details wurden dabei wichtiger als krieg·erische Ef·fek·ti·vi·tät. Zudem bedienten sich die ver·schie·denen Schulen eklektisch ver·schie·dener bud·dhis·tischer und konfuziani·scher Konzepte, um ihrer je·weiligen Kampf·tradition spi·ri·tu·el·len Gehalt zu ver·leihen. Im Fall des Bogen·schießens ging der Haupt·einfluss aber nicht vom Zen, sondern vom [[Geschichte/Kukai|Shingon-Buddhismus]] aus, was einzelne An·leihen beim Zen-Buddhismus jedoch keines·falls aus·schloss.
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Wie die meisten Kriegskünste entwickelte sich das japanische Bogenschießen aus den Kriegstechniken der mittelalterlichen Bürgerkriege. In der {{g|Edo}}-Zeit, als das Land unter der Herrschaft der {{g|tokugawa|Tokugawa-Shōgune}} geeint war und zweieinhalb Jahrhunderte ohne Krieg durchlebte, wurden diese Techniken zu Künsten weiterentwickelt, die teils der Erziehung der Samurai-Klasse ({{g|bushi}}), teils der öffentlichen Unterhaltung dienten. Ob im Schwertkampf, im Ringen oder im Bogenschießen, in jedem Bereich bildeten sich unzählige private Schulen heraus, die jeweils einen eigenen Stil in ihrer Kriegskunst kreierten. Manche dieser Schulen wurden von buddhistischen Tempeln geführt, die meisten aber von Samurai-Familien, die ihre Tradition innerhalb eines erweiterten Familienverbands weitergaben ({{g|iemoto}}-System). Gegenüber den kriegerischen Zeiten des Mittelalters kam es in dieser Zeit zu einer Ästhetisierung und Mythisierung der Kriegskünste. Zeremonielle Details wurden dabei wichtiger als kriegerische Effektivität. Zudem bedienten sich die verschiedenen Schulen eklektisch verschiedener buddhistischer und konfuzianischer Konzepte, um ihrer jeweiligen Kampftradition spirituellen Gehalt zu verleihen. Im Fall des Bogenschießens ging der Haupteinfluss aber nicht vom Zen, sondern vom [[Geschichte/Kukai|Shingon-Buddhismus]] aus, was einzelne Anleihen beim Zen-Buddhismus jedoch keinesfalls ausschloss.
  
Im Zuge der ja·panischen Moderne schwand in den meisten Fällen der Bedarf für die Viel·falt an Schulen und Tra·ditionen. Es traten neue Rich·tungen auf, die ver·suchten, die alten Familien·traditionen zu syn·the·tisieren und in einen breiteren organi·sato·rischen Rahmen zu stellen. Üb·licher·weise ging dies auch mit einer ideo·logischen Ver·ein·heit·lichung einher, indem die Künste jeweils zu einem eigenen „Weg“ ({{g|dou|''dō''}}) erklärt wurden. Was zunächst kollektiv als ''jūjutsu'' (wtl. „weiche Technik“) bezeichnet worden war, wurde nun zum {{g|juudou}} (wtl. „weicher Weg“) geeint, und ähnlich wurde auch die ''kyūjutsu'' (wtl. „Fertigkeit des Bogens“) zum {{g|kyuudou}} (wtl. „Weg des Bogens“). Selbst·ver·ständ·lich standen die alten Schulen diesen Neue·rungen äußerst kritisch gegenüber, mussten ihnen aber über kurz oder lang weichen. Herrigels Auf·enthalt in Japan fiel genau in die Zeit eines der·artigen Umbruchs in der Welt des Bogen·schießens.
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Im Zuge der japanischen Moderne schwand in den meisten Fällen der Bedarf für die Vielfalt an Schulen und Traditionen. Es traten neue Richtungen auf, die versuchten, die alten Familientraditionen zu synthetisieren und in einen breiteren organisatorischen Rahmen zu stellen. Üblicherweise ging dies auch mit einer ideologischen Vereinheitlichung einher, indem die Künste jeweils zu einem eigenen „Weg“ ({{g|dou|''dō''}}) erklärt wurden. Was zunächst kollektiv als ''jūjutsu'' (wtl. „weiche Technik“) bezeichnet worden war, wurde nun zum {{g|juudou}} (wtl. „weicher Weg“) geeint, und ähnlich wurde auch die ''kyūjutsu'' (wtl. „Fertigkeit des Bogens“) zum {{g|kyuudou}} (wtl. „Weg des Bogens“). Selbstverständlich standen die alten Schulen diesen Neuerungen äußerst kritisch gegenüber, mussten ihnen aber über kurz oder lang weichen. Herrigels Aufenthalt in Japan fiel genau in die Zeit eines derartigen Umbruchs in der Welt des Bogenschießens.
  
 
==Herrigel in Japan==
 
==Herrigel in Japan==
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Eugen Herrigel (1884–1955) hielt sich von 1924–1929 in Japan auf. Er lebte vor allem in Sendai, wo er eine Gast·professur für deutsche Philo·sophie inne hielt. In den Jahren davor hatte er sich mit einer Arbeit in der Tra·dition des Neu·kantianismus ''Urstoff und Urform'' in Heidelberg ha·bi·li·tiert und dort Kontakte mit meh·reren ja·panischen Aus·lands·studenten geknüpft. Einer von ihnen, Kita Reikichi, der Herrigel später auch als Dolmetscher zur Seite stand, berichtet über Herrigels Motivation, nach Japan zu fahren:
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Eugen Herrigel (1884–1955) hielt sich von 1924 bis 1929 in Japan auf. Er lebte vor allem in Sendai, wo er eine Gastprofessur für deutsche Philosophie inne hielt. In den Jahren davor hatte er sich mit einer Arbeit in der Tradition des Neukantianismus ''Urstoff und Urform'' in Heidelberg habilitiert und dort Kontakte mit mehreren japanischen Auslandsstudenten geknüpft. Einer von ihnen, {{g|kitareikichi}}, der Herrigel später auch als Dolmetscher zur Seite stand, berichtet über Herrigels Motivation, nach Japan zu fahren:
 
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Sein Lehrer Lask war im Krieg gefallen, er selbst konnte sich sechs Jahre lang nicht dem Studium widmen, das Leben als Privat·dozent war er·bärmlich, ande·rer·seits hatte er zahl·reich Japaner als Freunde ge·wonnen und Japan war ihm zum Traum·land geworden, weshalb er den Wunsch hatte, unbedingt einmal nach Japan zu kommen, dort in Ruhe sein eigenes System aus·zu·arbeiten und dabei Vor·lesungen zur deutschen Phi·lo·so·phie in Japan zu halten.  
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Sein Lehrer Lask war im Krieg gefallen, er selbst konnte sich sechs Jahre lang nicht dem Studium widmen, das Leben als Privatdozent war erbärmlich, andererseits hatte er zahlreich Japaner als Freunde gewonnen und Japan war ihm zum Traumland geworden, weshalb er den Wunsch hatte, unbedingt einmal nach Japan zu kommen, dort in Ruhe sein eigenes System auszuarbeiten und dabei Vorlesungen zur deutschen Philosophie in Japan zu halten.  
 
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<ref>Zitiert nach Gülberg 1997.</ref>
 
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In Sendai kam Herrigel erst 1926 mit dem Bogen·schießen in Kontakt. Sein Lehrer, {{g|Awakenzou}} (1880–1939), war einer der Pro·po·nen·ten des „Bogen-Weges“ neuen Stils, der seine Ideen geradezu im Stil einer neuen Religion ver·breitete. Herrigel, der sich auch als Philosoph von der Mystik angezogen fühlte und diese im Zen Bud·dhis·mus zu finden hoffte, war für solche Lehren äußerst emp·fäng·lich, al·ler·dings deutete er sie wesent·lich stärker als Ausdruck des {{g|Zen}}, als dies von Awa selbst in·ten·diert war. Zusätz·liche Ver·ständ·nis·schwierig·keiten (Herrigel kom·mu·ni·zier·te mit Awa fast immer über einen ja·panischen Kollegen, {{g|komachiyasouzou}}) schufen weiteren Spiel·raum für Eigen·inter·pre·ta·tionen und Mystifi·kationen. Yamada analysiert die diversen Miss·verständ·nisse Herrigels in seinem Auf·satz sehr genau und beruft sich dabei auf Be·richte über Awa Kenzō, sowie Auf·zeich·nungen von Herrigels Dolmetscher Komachiya. Be·sonders interessant sind Yamadas Aus·führungen zu Herrigels Schlag·wort „es schießt“, angeblich ein Aus·druck Awas, der aber bei der Rücküber·setzung ins Japanische große Schwierig·keiten ver·ur·sachte, da es im Ja·panischen für das Deutsche „es“ kaum eine adäquate Ent·spre·chung gibt.
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In Sendai kam Herrigel erst 1926 mit dem Bogenschießen in Kontakt. Sein Lehrer, {{g|Awakenzou}} (1880–1939), war einer der Proponenten des „Bogen-Weges“ neuen Stils, der seine Ideen geradezu im Stil einer neuen Religion verbreitete. Herrigel, der sich auch als Philosoph von der Mystik angezogen fühlte und diese im Zen Buddhismus zu finden hoffte, war für solche Lehren äußerst empfänglich, allerdings deutete er sie wesentlich stärker als Ausdruck des {{g|Zen}}, als dies von Awa selbst intendiert war. Zusätzliche Verständnisschwierigkeiten (Herrigel kommunizierte mit Awa fast immer über einen japanischen Kollegen, {{g|komachiyasouzou}}) schufen weiteren Spielraum für Eigeninterpretationen und Mystifikationen. Yamada analysiert die diversen Missverständnisse Herrigels in seinem Aufsatz sehr genau und beruft sich dabei auf Berichte über Awa Kenzō, sowie Aufzeichnungen von Herrigels Dolmetscher Komachiya. Besonders interessant sind Yamadas Ausführungen zu Herrigels Schlagwort „es schießt“, angeblich ein Ausdruck Awas, der aber bei der Rückübersetzung ins Japanische große Schwierigkeiten verursachte, da es im Japanischen für das Deutsche „es“ kaum eine adäquate Entsprechung gibt.
  
 
==Zen und Krieger-Ethos==
 
==Zen und Krieger-Ethos==
  
Herrigel wurde nach seiner Rück·kehr nach Deutschland Professor für Philosophie in Erlangen. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP, im Jahr darauf Prorektor und 1945 schließlich Rektor der Universität Erlangen. Seine Nahe·beziehung zum National·sozialismus äußert sich auch in einem der wenigen schrift·lichen Zeug·nisse, die von ihm aus der Nazi-Zeit bekannt sind. Es handelt sich um eine Ver·herr·lichung des deutschen Bündnis·partners Japan („Ethos des Samurai,“ 1944), die mit den Worten schließt:
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Herrigel wurde nach seiner Rückkehr nach Deutschland Professor für Philosophie in Erlangen. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP, im Jahr darauf Prorektor und 1944 schließlich Rektor der Universität Erlangen. Seine Nahebeziehung zum Nationalsozialismus äußert sich auch in einem der wenigen schriftlichen Zeugnisse, die von ihm aus der Nazi-Zeit bekannt sind. Es handelt sich um eine Verherrlichung des deutschen Bündnispartners Japan („Ethos des Samurai,“ 1944), die mit den Worten schließt:
 
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Denn wo in aller Welt ist die Un·be·dingt·heit des Opfer·mutes und des Treu·seins, durch welche sich der Samurai von gestern und der Soldat von heute aus·zeichnet noch an·zu·treffen — wenn nicht gerade im deutschen Volke? Haben dies nicht die letzten fünf Kriegs·jahre in geradezu erschüt·tern·dem Aus·maße bewiesen? Mögen die Unter·schiede im einzelnen noch so groß sein, so ver·stehen wir unseren tapferen Bundes·genos·sen im fernen Osten doch in allem Wesent·lichen, wie es für uns wie für ihn heiligste Über·zeugung ist, daß, nach einem tiefen Wort Hölderlins, für das Vater·land noch keiner zu viel gefallen ist.<ref>Zitiert nach Obereisenbuchner 2005, S. 8.</ref>
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Denn wo in aller Welt ist die Unbedingtheit des Opfermutes und des Treuseins, durch welche sich der Samurai von gestern und der Soldat von heute auszeichnet noch anzutreffen — wenn nicht gerade im deutschen Volke? Haben dies nicht die letzten fünf Kriegsjahre in geradezu erschütterndem Ausmaße bewiesen? Mögen die Unterschiede im einzelnen noch so groß sein, so verstehen wir unseren tapferen Bundesgenossen im fernen Osten doch in allem Wesentlichen, wie es für uns wie für ihn heiligste Überzeugung ist, daß, nach einem tiefen Wort Hölderlins, für das Vaterland noch keiner zu viel gefallen ist.<ref>Zitiert nach Obereisenbuchner 2005, S. 8.</ref>
 
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Abgesehen von derartigen Pro·paganda-Schriften für das NS-Regime verfasste Herrigel bereits 1936 eine erste Version seines Essays über das Bogen·schießen, in dem er bereits von seinen persön·lichen Erlebnissen mit Meister Awa berichtet. Im theoretischen Teil, der sich stark auf {{g|suzukidaisetsu}} stützt, reduziert er nicht nur das Bogen·schießen, sondern jede Form der japa·nischen Kunst auf Zen, der wieder mit dem Mysti·zismus gleich·zusetzen sei, wie ihn etwa auch der christliche Mystiker {{g|Meistereckart}} lebte.<ref> Eugen Herrigel. “Die ritterliche Kunst des Bogenschiessens.” ''Nippon. Zeitschrift für Japanologie'' 2:4 (1936), pp. 193–212. Vgl. Baier 2013.</ref> Er plante sogar, wie einem Brief zu ent·nehmen ist, eine Studie über Meister Eckart, die jedoch nie ver·öf·fent·licht wurde. Wie u.a. der Re·li·gi·ons·wis·sen·schaf·tler Karl Baier aus·führlich dargelegt hat, war genau diese Ver·bindung zwischen Meister Eckart und Zen auch für andere national·sozialis·tische Denker charak·teris·tisch, etwa für den Psycho·logen {{g|Duerckheimkarlfried}} (1896–1988).<ref>Baier 2013. Der Artikel analysiert Leben und Werk von Karlfried Graf Dürckheim, der zeitweilig im diplo·mati·schen Dienst der Nazis stand, in den gleichen Kreisen wie Herrigel verkehrte, ebenfalls das Bogen·schießen studierte und Herrigel zitierte. Die Kriegszeit verbrachte Dürckheim in Japan. In der Nach·kriegs·zeit etablierte er sich als einfluss·reicher Therapeut und Publizist, der maß·geb·lich zur Ver·brei·tung der Zen-Medi·tation beitrug. </ref> Es scheint also, dass Herrigel sich zu·nehmend einem irrationalen Mysti·zismus ver·schrieb, der letzt·lich von dem Ziel be·stimmt war, im Zen Gemein·sam·keiten mit deutschen Rassen·ideo·logien zu finden.
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Abgesehen von derartigen Propaganda-Schriften für das NS-Regime verfasste Herrigel bereits 1936 eine erste Version seines Essays über das Bogenschießen, in dem er von seinen persönlichen Erlebnissen mit Meister Awa berichtet. Im theoretischen Teil, der sich stark auf {{g|suzukidaisetsu}} stützt, reduziert er nicht nur das Bogenschießen, sondern jede Form der japanischen Kunst auf Zen, der wieder mit dem Mystizismus gleichzusetzen sei, wie ihn etwa auch der christliche Mystiker {{g|Meistereckart}} lebte.<ref> Eugen Herrigel. “Die ritterliche Kunst des Bogenschiessens.” ''Nippon. Zeitschrift für Japanologie'' 2:4 (1936), pp. 193–212. Vgl. Baier 2013.</ref> Er plante sogar, wie einem Brief zu entnehmen ist, eine Studie über Meister Eckart, die jedoch nie veröffentlicht wurde. Wie u.a. der Religionswissenschaftler {{g|baierkarl|Karl Baier}} ausführlich dargelegt hat, war genau diese Verbindung zwischen Meister Eckart und Zen auch für andere nationalsozialistische Denker charakteristisch, etwa für den Psychologen {{g|Duerckheimkarlfried}} (1896–1988).<ref>Baier 2013. Der Artikel analysiert Leben und Werk von Karlfried Graf Dürckheim, der zeitweilig im diplomatischen Dienst der Nazis stand, in den gleichen Kreisen wie Herrigel verkehrte, ebenfalls das Bogenschießen studierte und Herrigel zitierte. Die Kriegszeit verbrachte Dürckheim in Japan. In der Nachkriegszeit etablierte er sich als einflussreicher Therapeut und Publizist, der maßgeblich zur Verbreitung der Zen-Meditation beitrug. </ref> Es scheint also, dass Herrigel sich zunehmend einem irrationalen Mystizismus verschrieb, der letztlich von dem Ziel bestimmt war, im Zen Gemeinsamkeiten mit deutschen Rassenideologien zu finden.
Sein In·teresse an der deutschen Philosophie hatte er in dieser Zeit hingegen weit·gehend verloren.   
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Sein Interesse an der deutschen Philosophie hatte er in dieser Zeit hingegen weitgehend verloren.   
  
Ob Herrigels Bild des Zen aber nun direkt vom National·sozial·ismus geprägt war oder nicht, es entsprach zweifel·los dem Geist der Zwischen·kriegs·zeit. So schrieb Karl Heim (1874–1958) ein anderer deutscher „Entdecker“ des Zen, bereits 1925:
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Ob Herrigels Bild des Zen aber nun direkt vom Nationalsozialismus geprägt war oder nicht, es entsprach zweifellos dem Geist der Zwischenkriegszeit. So schrieb {{g|heimkarl|Karl Heim}} (1874–1958), ein anderer deutscher „Entdecker“ des Zen, bereits 1925:
 
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Das ist der Zenismus mit seinem ritterlichen Ideal, seinen vornehmen Klöstern, seiner Kunst, seiner mystischen Natur·philosophie und seinen Medi·tations·übungen, die den durchaus positiven Zweck der Willens·zucht und Welt·beherr·schung haben.<ref>Karl Heim, 1925, ''Glaube und Leben.''<br />Zitiert nach Alois Payer, ''Materialien zum Neobuddhismus''.</ref>
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Das ist der Zenismus mit seinem ritterlichen Ideal, seinen vornehmen Klöstern, seiner Kunst, seiner mystischen Naturphilosophie und seinen Meditationsübungen, die den durchaus positiven Zweck der Willenszucht und Weltbeherrschung haben.<ref>Karl Heim, 1925, ''Glaube und Leben.''<br />Zitiert nach Alois Payer, ''Materialien zum Neobuddhismus''.</ref>
 
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Zweifellos würden es heutige Zen-Begeisterte im Westen etwas anders aus·drücken, aber viele der von Heim genann·ten Stereo·type schwingen im west·lichen Zen-Bild nach wie vor mit. Am Beispiel Herrigels und an seinen Irr·wegen, die Yamadas Aufsatz nach·zeichnet, lässt sich er·kennen, dass dieses Zen-Bild von Autoren geschaffen wurde, die von west·lich-ideal·istischen philo·sophischen Konzepten geprägt waren und vom japanischen Zen lediglich einige Stichworte über·nahmen, die sie nach eigenem Gut·dünken inter·pretierten. In der Zwischen·kriegs·zeit wurde diese Geistes·haltung durch die Suche nach hehren, helden·haften Idealen unter·stützt, die den Egoismus des einzelnen zum Ein·sturz bringen und ihn zum Werk·zeug des „Volks·ganzen“ um·funktio·nieren sollten. Als solche Ideo·logien aufs Schreck·lich·ste ge·schei·tert waren, blieb die Sehn·sucht nach „Opfer·mut“, „Willens·zucht“ und dem großen Ganzen dennoch bestehen. Zen bot sich hier als eine un·verdäch·tige Möglich·keit des Eskapismus in eine meta·physische, trans·historische Dimension an. Insofern ist es kein Zufall, dass der Aufsatz ''Zen in der Kunst des Bogen·schießens'' unmit·telbar nach dem Ende des Zweiten Welt·kriegs begeistert aufge·nommen wurde. Freilich erklärt das allein noch nicht, warum Herrigels Werk auch inter·national ein so großer Erfolg beschieden war. Zen als Projektions·fläche von heldi·schen Phan·tasien ist keines·falls auf den deutschen Raum allein beschränkt. Dennoch ist fest·zu·halten, dass es Sympa·thisan·ten und Ideo·logen des National·sozialis·mus waren, die die Zen-Phantasien des Westens am nach·haltig·sten prägten.
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Zweifellos würden es heutige Zen-Begeisterte im Westen etwas anders ausdrücken, aber viele der von Heim genannten Stereotype schwingen im westlichen Zen-Bild nach wie vor mit. Am Beispiel Herrigels und an seinen Irrwegen, die Yamadas Aufsatz nachzeichnet, lässt sich erkennen, dass dieses Zen-Bild von Autoren geschaffen wurde, die von westlich-idealistischen philosophischen Konzepten geprägt waren und vom japanischen Zen lediglich einige Stichworte übernahmen, die sie nach eigenem Gutdünken interpretierten. In der Zwischenkriegszeit wurde diese Geisteshaltung durch die Suche nach hehren, heldenhaften Idealen unterstützt, die den Egoismus des einzelnen zum Einsturz bringen und ihn zum Werkzeug des „Volksganzen“ umfunktionieren sollten. Als solche Ideologien aufs Schrecklichste gescheitert waren, blieb die Sehnsucht nach „Opfermut“, „Willenszucht“ und dem großen Ganzen dennoch bestehen. Zen bot sich hier als eine unverdächtige Möglichkeit des Eskapismus in eine metaphysische, transhistorische Dimension an. Insofern ist es kein Zufall, dass der Aufsatz ''Zen in der Kunst des Bogenschießens'' unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begeistert aufgenommen wurde. Freilich erklärt das allein noch nicht, warum Herrigels Werk auch international ein so großer Erfolg beschieden war. Zen als Projektionsfläche von heldischen Phantasien ist keinesfalls auf den deutschen Raum allein beschränkt. Dennoch ist festzuhalten, dass es Sympathisanten und Ideologen des Nationalsozialismus waren, die die Zen-Phantasien des Westens am nachhaltigsten prägten.
  
 
== Epilog ==
 
== Epilog ==
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Der Purzelbaum
 
Der Purzelbaum
:Ein Purzelbaum trat vor mich hin
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:und sagte: „Du nur siehst mich
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Ein Purzelbaum trat vor mich hin
:und weißt, was für ein Baum ich bin:
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und sagte: „Du nur siehst mich
:'''Ich schieße nicht, man schießt mich.'''
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und weißt, was für ein Baum ich bin:
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'''Ich schieße nicht, man schießt mich.'''
  
:Und trag ich Frucht? Ich glaube kaum;
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Und trag ich Frucht? Ich glaube kaum;
:auch bin ich nicht verwurzelt.
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auch bin ich nicht verwurzelt.
:Ich bin nur noch ein Purzeltraum,
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Ich bin nur noch ein Purzeltraum,
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„Je nun“, so sprach ich, „bester Schatz,
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du bist doch klug und siehst uns;  
:nun, auch für uns besteht der Satz:
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nun, auch für uns besteht der Satz:
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'''wir schießen nicht, es schießt uns.'''
  
:Auch Wurzeln treibt man nicht so bald,
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Auch Wurzeln treibt man nicht so bald,
:und Früchte nun erst recht nicht.
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Geh heim in deinen Purzelwald,
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und lästre dein Geschlecht nicht.“
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Dieses Gedicht von {{g|Morgensternchristian}}  (1871–1914) lässt sich als hintersinniger Kommentar zu Herrigels „es schießt“ lesen. Wer weiß, vielleicht kannte Herrigel das Gedicht sogar, und es war gar nicht Awa, sondern Morgenstern, der ihn zu seinem „es schießt“ inspirierte...
 
Dieses Gedicht von {{g|Morgensternchristian}}  (1871–1914) lässt sich als hintersinniger Kommentar zu Herrigels „es schießt“ lesen. Wer weiß, vielleicht kannte Herrigel das Gedicht sogar, und es war gar nicht Awa, sondern Morgenstern, der ihn zu seinem „es schießt“ inspirierte...
 
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Aktuelle Version vom 30. September 2024, 12:32 Uhr

Herrigels Zen und das Bogenschießen

D ie Beziehung, die dem Zen [Zen (jap.) chin. Chan, wtl. Meditation; Zen Buddhismus] zu den Kampfkünsten im Allgemeinen und zum Bogenschießen im besonderen nachgesagt wird, geht im Wesentlichen auf den Bestseller von Eugen Herrigel [Herrigel, Eugen (west.) 1884–1955; deutscher Philosoph und Autor des Bestsellers Zen und die Kunst des Bogenschießens] Zen in der Kunst des Bogenschießens aus dem Jahr 1948 zurück. Das Buch war auf Deutsch und Englisch (Übersetzung 1953) so erfolgreich, dass es bereits 1956 ins Japanische übersetzt wurde. Obwohl es auch in Japan sehr einflussreich war und ist, traten in der Zwischenzeit Historiker auf den Plan, die zumindest die historischen Behauptungen und Thesen Herrigels in Zweifel ziehen. Die folgende Darstellung ist vor allem einem aufschlussreichen Artikel von Yamada Shōji [Yamada Shōji (jap.) 山田奨治 1963–; japanischer Kultur- und Medienwissenschaftler am International Research Center for Japanese Culture (Nichibunken), Kyōto, und budōka] verpflichtet, der 2001 im Japanese Journal of Religious Studies erschien.

Awa kenzo.jpg
1 Awa Kenzo
Awa Kenzō, der Bogenschießmeister von Eugen Herrigel.
Bildquelle: Oslo Kyūdō Kyōkai.
Herrigel.jpg
2 Eugen Herrigel
Eugen Herrigel beim Bogenschießen (kyūdō)
Bildquelle: Trimondi.

Von der „Fertigkeit des Bogens“
zum „Weg des Bogens“

Wie die meisten Kriegskünste entwickelte sich das japanische Bogenschießen aus den Kriegstechniken der mittelalterlichen Bürgerkriege. In der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit, als das Land unter der Herrschaft der Tokugawa-Shōgune [Tokugawa (jap.) 徳川 Kriegerdynastie, die während der Edo- oder Tokugawa-Zeit (1603–1867) das Amt des Militärmachthabers (Shōgun) inne hatte.] geeint war und zweieinhalb Jahrhunderte ohne Krieg durchlebte, wurden diese Techniken zu Künsten weiterentwickelt, die teils der Erziehung der Samurai-Klasse (bushi [bushi (jap.) 武士 Krieger, Samurai]), teils der öffentlichen Unterhaltung dienten. Ob im Schwertkampf, im Ringen oder im Bogenschießen, in jedem Bereich bildeten sich unzählige private Schulen heraus, die jeweils einen eigenen Stil in ihrer Kriegskunst kreierten. Manche dieser Schulen wurden von buddhistischen Tempeln geführt, die meisten aber von Samurai-Familien, die ihre Tradition innerhalb eines erweiterten Familienverbands weitergaben (iemoto [iemoto (jap.) 家元 traditionelles System von Handwerkern und Künstlern als hierarchisch organisierte, quasi-familiäre Betriebe]-System). Gegenüber den kriegerischen Zeiten des Mittelalters kam es in dieser Zeit zu einer Ästhetisierung und Mythisierung der Kriegskünste. Zeremonielle Details wurden dabei wichtiger als kriegerische Effektivität. Zudem bedienten sich die verschiedenen Schulen eklektisch verschiedener buddhistischer und konfuzianischer Konzepte, um ihrer jeweiligen Kampftradition spirituellen Gehalt zu verleihen. Im Fall des Bogenschießens ging der Haupteinfluss aber nicht vom Zen, sondern vom Shingon-Buddhismus aus, was einzelne Anleihen beim Zen-Buddhismus jedoch keinesfalls ausschloss.

Im Zuge der japanischen Moderne schwand in den meisten Fällen der Bedarf für die Vielfalt an Schulen und Traditionen. Es traten neue Richtungen auf, die versuchten, die alten Familientraditionen zu synthetisieren und in einen breiteren organisatorischen Rahmen zu stellen. Üblicherweise ging dies auch mit einer ideologischen Vereinheitlichung einher, indem die Künste jeweils zu einem eigenen „Weg“ ( [ (jap.) Weg, Lehre, im erweiterten Sinne auch „Religion“; s.a. Dōkyō (Daoismus)]) erklärt wurden. Was zunächst kollektiv als jūjutsu (wtl. „weiche Technik“) bezeichnet worden war, wurde nun zum jūdō [jūdō (jap.) 柔道 Judo Kampfkunst, wtl. Weicher Weg] (wtl. „weicher Weg“) geeint, und ähnlich wurde auch die kyūjutsu (wtl. „Fertigkeit des Bogens“) zum kyūdō [kyūdō (jap.) 弓道 Kyūdō Bogenschießen, wtl. Weg des Bogens] (wtl. „Weg des Bogens“). Selbstverständlich standen die alten Schulen diesen Neuerungen äußerst kritisch gegenüber, mussten ihnen aber über kurz oder lang weichen. Herrigels Aufenthalt in Japan fiel genau in die Zeit eines derartigen Umbruchs in der Welt des Bogenschießens.

Herrigel in Japan

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3 Eugen Herrigel

Eugen Herrigel (1884–1955) hielt sich von 1924 bis 1929 in Japan auf. Er lebte vor allem in Sendai, wo er eine Gastprofessur für deutsche Philosophie inne hielt. In den Jahren davor hatte er sich mit einer Arbeit in der Tradition des Neukantianismus Urstoff und Urform in Heidelberg habilitiert und dort Kontakte mit mehreren japanischen Auslandsstudenten geknüpft. Einer von ihnen, Kita Reikichi [Kita Reikichi (jap.) 北昤吉 1885–1961; Philosoph und Politiker], der Herrigel später auch als Dolmetscher zur Seite stand, berichtet über Herrigels Motivation, nach Japan zu fahren:

Sein Lehrer Lask war im Krieg gefallen, er selbst konnte sich sechs Jahre lang nicht dem Studium widmen, das Leben als Privatdozent war erbärmlich, andererseits hatte er zahlreich Japaner als Freunde gewonnen und Japan war ihm zum Traumland geworden, weshalb er den Wunsch hatte, unbedingt einmal nach Japan zu kommen, dort in Ruhe sein eigenes System auszuarbeiten und dabei Vorlesungen zur deutschen Philosophie in Japan zu halten. 1

In Sendai kam Herrigel erst 1926 mit dem Bogenschießen in Kontakt. Sein Lehrer, Awa Kenzō [Awa Kenzō (jap.) 阿波研造 1880–1939; Meister des Bogenschießens (kyūdō)] (1880–1939), war einer der Proponenten des „Bogen-Weges“ neuen Stils, der seine Ideen geradezu im Stil einer neuen Religion verbreitete. Herrigel, der sich auch als Philosoph von der Mystik angezogen fühlte und diese im Zen Buddhismus zu finden hoffte, war für solche Lehren äußerst empfänglich, allerdings deutete er sie wesentlich stärker als Ausdruck des Zen [Zen (jap.) chin. Chan, wtl. Meditation; Zen Buddhismus], als dies von Awa selbst intendiert war. Zusätzliche Verständnisschwierigkeiten (Herrigel kommunizierte mit Awa fast immer über einen japanischen Kollegen, Komachiya Sōzō [Komachiya Sōzō (jap.) 小町谷操三 1893–1979; japanischer Anwalt und Kollege bzw. Dolmetscher von Eugen Herrigel]) schufen weiteren Spielraum für Eigeninterpretationen und Mystifikationen. Yamada analysiert die diversen Missverständnisse Herrigels in seinem Aufsatz sehr genau und beruft sich dabei auf Berichte über Awa Kenzō, sowie Aufzeichnungen von Herrigels Dolmetscher Komachiya. Besonders interessant sind Yamadas Ausführungen zu Herrigels Schlagwort „es schießt“, angeblich ein Ausdruck Awas, der aber bei der Rückübersetzung ins Japanische große Schwierigkeiten verursachte, da es im Japanischen für das Deutsche „es“ kaum eine adäquate Entsprechung gibt.

Zen und Krieger-Ethos

Herrigel wurde nach seiner Rückkehr nach Deutschland Professor für Philosophie in Erlangen. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP, im Jahr darauf Prorektor und 1944 schließlich Rektor der Universität Erlangen. Seine Nahebeziehung zum Nationalsozialismus äußert sich auch in einem der wenigen schriftlichen Zeugnisse, die von ihm aus der Nazi-Zeit bekannt sind. Es handelt sich um eine Verherrlichung des deutschen Bündnispartners Japan („Ethos des Samurai,“ 1944), die mit den Worten schließt:

Denn wo in aller Welt ist die Unbedingtheit des Opfermutes und des Treuseins, durch welche sich der Samurai von gestern und der Soldat von heute auszeichnet noch anzutreffen — wenn nicht gerade im deutschen Volke? Haben dies nicht die letzten fünf Kriegsjahre in geradezu erschütterndem Ausmaße bewiesen? Mögen die Unterschiede im einzelnen noch so groß sein, so verstehen wir unseren tapferen Bundesgenossen im fernen Osten doch in allem Wesentlichen, wie es für uns wie für ihn heiligste Überzeugung ist, daß, nach einem tiefen Wort Hölderlins, für das Vaterland noch keiner zu viel gefallen ist.2

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4 Herrigel

Abgesehen von derartigen Propaganda-Schriften für das NS-Regime verfasste Herrigel bereits 1936 eine erste Version seines Essays über das Bogenschießen, in dem er von seinen persönlichen Erlebnissen mit Meister Awa berichtet. Im theoretischen Teil, der sich stark auf Suzuki Daisetsu [Suzuki Daisetsu (jap.) 鈴木大拙 1870–1966; japanischer Intellektueller und Publizist, der durch englischsprachige Werke den Zen-Buddhismus im Westen bekannt machte; publizierte als Daisetz T. Suzuki] stützt, reduziert er nicht nur das Bogenschießen, sondern jede Form der japanischen Kunst auf Zen, der wieder mit dem Mystizismus gleichzusetzen sei, wie ihn etwa auch der christliche Mystiker Meister Eckart [Meister Eckart (west.) 1260?–1328?; christlicher Theologe und Mystiker aus Gotha, Thüringen; eig. Eckhart von Hochheim] lebte.3 Er plante sogar, wie einem Brief zu entnehmen ist, eine Studie über Meister Eckart, die jedoch nie veröffentlicht wurde. Wie u.a. der Religionswissenschaftler Karl Baier [Baier, Karl (west.) 1954–; österr. Religionswissenschaftler an der Universität Wien] ausführlich dargelegt hat, war genau diese Verbindung zwischen Meister Eckart und Zen auch für andere nationalsozialistische Denker charakteristisch, etwa für den Psychologen Karlfried Dürckheim [Dürckheim, Karlfried Graf (west.) 1896–1988; Psychologe und Zen-Lehrer, in der Zwischenkriegszeit im Dienst des Nationalsozialismus in Japan tätig] (1896–1988).4 Es scheint also, dass Herrigel sich zunehmend einem irrationalen Mystizismus verschrieb, der letztlich von dem Ziel bestimmt war, im Zen Gemeinsamkeiten mit deutschen Rassenideologien zu finden. Sein Interesse an der deutschen Philosophie hatte er in dieser Zeit hingegen weitgehend verloren.

Ob Herrigels Bild des Zen aber nun direkt vom Nationalsozialismus geprägt war oder nicht, es entsprach zweifellos dem Geist der Zwischenkriegszeit. So schrieb Karl Heim [Heim, Karl (west.) 1874–1958; deutscher evangelischer Theologe] (1874–1958), ein anderer deutscher „Entdecker“ des Zen, bereits 1925:

Das ist der Zenismus mit seinem ritterlichen Ideal, seinen vornehmen Klöstern, seiner Kunst, seiner mystischen Naturphilosophie und seinen Meditationsübungen, die den durchaus positiven Zweck der Willenszucht und Weltbeherrschung haben.5

Zweifellos würden es heutige Zen-Begeisterte im Westen etwas anders ausdrücken, aber viele der von Heim genannten Stereotype schwingen im westlichen Zen-Bild nach wie vor mit. Am Beispiel Herrigels und an seinen Irrwegen, die Yamadas Aufsatz nachzeichnet, lässt sich erkennen, dass dieses Zen-Bild von Autoren geschaffen wurde, die von westlich-idealistischen philosophischen Konzepten geprägt waren und vom japanischen Zen lediglich einige Stichworte übernahmen, die sie nach eigenem Gutdünken interpretierten. In der Zwischenkriegszeit wurde diese Geisteshaltung durch die Suche nach hehren, heldenhaften Idealen unterstützt, die den Egoismus des einzelnen zum Einsturz bringen und ihn zum Werkzeug des „Volksganzen“ umfunktionieren sollten. Als solche Ideologien aufs Schrecklichste gescheitert waren, blieb die Sehnsucht nach „Opfermut“, „Willenszucht“ und dem großen Ganzen dennoch bestehen. Zen bot sich hier als eine unverdächtige Möglichkeit des Eskapismus in eine metaphysische, transhistorische Dimension an. Insofern ist es kein Zufall, dass der Aufsatz Zen in der Kunst des Bogenschießens unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begeistert aufgenommen wurde. Freilich erklärt das allein noch nicht, warum Herrigels Werk auch international ein so großer Erfolg beschieden war. Zen als Projektionsfläche von heldischen Phantasien ist keinesfalls auf den deutschen Raum allein beschränkt. Dennoch ist festzuhalten, dass es Sympathisanten und Ideologen des Nationalsozialismus waren, die die Zen-Phantasien des Westens am nachhaltigsten prägten.

Epilog

Der Purzelbaum

Ein Purzelbaum trat vor mich hin
und sagte: „Du nur siehst mich
und weißt, was für ein Baum ich bin:
Ich schieße nicht, man schießt mich.

Und trag ich Frucht? Ich glaube kaum;
auch bin ich nicht verwurzelt.
Ich bin nur noch ein Purzeltraum,
sobald ich hingepurzelt.“

„Je nun“, so sprach ich, „bester Schatz,
du bist doch klug und siehst uns;
nun, auch für uns besteht der Satz:
wir schießen nicht, es schießt uns.

Auch Wurzeln treibt man nicht so bald,
und Früchte nun erst recht nicht.
Geh heim in deinen Purzelwald,
und lästre dein Geschlecht nicht.“

Galgenlieder, Teil 2

Dieses Gedicht von Christian Morgenstern [Morgenstern, Christian (west.) 1871–1914; deutscher Dichter, u.a. bekannt für seine Galgenlieder] (1871–1914) lässt sich als hintersinniger Kommentar zu Herrigels „es schießt“ lesen. Wer weiß, vielleicht kannte Herrigel das Gedicht sogar, und es war gar nicht Awa, sondern Morgenstern, der ihn zu seinem „es schießt“ inspirierte...

Verweise

Fußnoten

  1. Zitiert nach Gülberg 1997.
  2. Zitiert nach Obereisenbuchner 2005, S. 8.
  3. Eugen Herrigel. “Die ritterliche Kunst des Bogenschiessens.” Nippon. Zeitschrift für Japanologie 2:4 (1936), pp. 193–212. Vgl. Baier 2013.
  4. Baier 2013. Der Artikel analysiert Leben und Werk von Karlfried Graf Dürckheim, der zeitweilig im diplomatischen Dienst der Nazis stand, in den gleichen Kreisen wie Herrigel verkehrte, ebenfalls das Bogenschießen studierte und Herrigel zitierte. Die Kriegszeit verbrachte Dürckheim in Japan. In der Nachkriegszeit etablierte er sich als einflussreicher Therapeut und Publizist, der maßgeblich zur Verbreitung der Zen-Meditation beitrug.
  5. Karl Heim, 1925, Glaube und Leben.
    Zitiert nach Alois Payer, Materialien zum Neobuddhismus.

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen

  • Sōzō Komachiya 2009
    Herrigel and Master Awa“ (engl. Ü. Lutgard Cunningham und Charles Harper, 2003).
  • Matthias Obereisenbuchner 2006
    „Eugen Herrigel und der westliche Blick auf die fernöstliche Kultur.“ Vortrag bei der Tagung DIE KUNST DES LOSLASSENS, 22./23. April 2005, Garmisch-Patenkrichen. Online-Version: Kyudo.de
  • Alois Payer 2006
    Materialien zum Neobuddhismus 3.5.


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Karl Baier, „The Formation and Principles of Count Dürckheim’s Nazi Worldview and his Interpretation of Japanese Spirit and Zen“. The Asia-Pacific Journal 11/48/3 (2013). (Online.) [Online Artikel, eingeleitet von Brian Victoria.]
Niels Gülberg, „Eugen Herrigels Wirken als philosophischer Lehrer in Japan“. Waseda-Blätter 4 und 5 (1997). (Online.)
Eugen Herrigel, „Das Ethos des Samurai“. Feldpostbriefe der philosophischen Fakultät (Universität Erlangen) Nr. 3 (1944), 7–14.
Eugen Herrigel, Zen in der Kunst des Bogenschießens. München: Otto Wilhelm Barth Verlag, 1948.
Robert H. Sharf, „The Zen of Japanese Nationalism“. History of Religions 33/1 (1993), 1–43.
Robert Sharf, „Whose Zen? Zen Nationalism Revisited“. In: James W. Heisig, John Maraldo (Hg.), Rude Awakenings: Zen, the Kyoto School, and the Question of Nationalism. Honolulu: University of Hawai'i Press, 1995, 40–51. (Online.)
Steven Trenson, „Buddhism and Martial Arts in Premodern Japan: New Observations from a Religious Historical Perspective“. Religions 2022, 13(5), 440; (2022). (Online.) [Online-Ausgabe.]
Yamada Shōji, „The Myth of Zen in the Art of Archery“. Japanese Journal of Religious Studies 28/1–2 (2001), 1–30. (Online.) [Ü. Earl Hartman.]
Yamada Shōji, Shots in the Dark: Japan, Zen, and the West. Chicago: University of Chicago Press, 2009. [Ü. Earl Hartman.]

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Awa kenzo.jpg
    Awa Kenzō, der Bogenschießmeister von Eugen Herrigel.
    Bildquelle: Oslo Kyūdō Kyōkai.
  2. ^ 
    Herrigel.jpg
    Eugen Herrigel beim Bogenschießen (kyūdō)
    Bildquelle: Trimondi.
  1. ^ 
    Herrigel2.jpg
    Eine Portraitaufnahme von Eugen Herrigel in Japan
    Bildquelle: Alfred Payer.
  2. ^ 
    Herrigel3.jpg
    Eine Portraitaufnahme von Eugen Herrigel in seinen letzten Lebensjahren.
    Bildquelle: Der Zen-Weg, Aufzeichnungen aus dem Nachlass, 1958.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Awa Kenzō 阿波研造 ^ 1880–1939; Meister des Bogenschießens (kyūdō)
  • Baier, Karl (west.) ^ 1954–; österr. Religionswissenschaftler an der Universität Wien
  • bushi 武士 ^ Krieger, Samurai
  • ^ Weg, Lehre, im erweiterten Sinne auch „Religion“; s.a. Dōkyō (Daoismus)
  • Dürckheim, Karlfried Graf (west.) ^ 1896–1988; Psychologe und Zen-Lehrer, in der Zwischenkriegszeit im Dienst des Nationalsozialismus in Japan tätig
  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • Heim, Karl (west.) ^ 1874–1958; deutscher evangelischer Theologe
  • Herrigel, Eugen (west.) ^ 1884–1955; deutscher Philosoph und Autor des Bestsellers Zen und die Kunst des Bogenschießens
  • iemoto 家元 ^ traditionelles System von Handwerkern und Künstlern als hierarchisch organisierte, quasi-familiäre Betriebe
  • jūdō 柔道 ^ Judo Kampfkunst, wtl. Weicher Weg
  • Kita Reikichi 北昤吉 ^ 1885–1961; Philosoph und Politiker
  • Komachiya Sōzō 小町谷操三 ^ 1893–1979; japanischer Anwalt und Kollege bzw. Dolmetscher von Eugen Herrigel
  • kyūdō 弓道 ^ Kyūdō Bogenschießen, wtl. Weg des Bogens
  • Meister Eckart (west.) ^ 1260?–1328?; christlicher Theologe und Mystiker aus Gotha, Thüringen; eig. Eckhart von Hochheim
  • Morgenstern, Christian (west.) ^ 1871–1914; deutscher Dichter, u.a. bekannt für seine Galgenlieder
  • Suzuki Daisetsu 鈴木大拙 ^ 1870–1966; japanischer Intellektueller und Publizist, der durch englischsprachige Werke den Zen-Buddhismus im Westen bekannt machte; publizierte als Daisetz T. Suzuki
  • Tokugawa 徳川 ^ Kriegerdynastie, die während der Edo- oder Tokugawa-Zeit (1603–1867) das Amt des Militärmachthabers (Shōgun) inne hatte.
  • Yamada Shōji 山田奨治 ^ 1963–; japanischer Kultur- und Medienwissenschaftler am International Research Center for Japanese Culture (Nichibunken), Kyōto, und budōka
  • Zen^ chin. Chan, wtl. Meditation; Zen Buddhismus