Exzerpt:Numazawa 1946

Aus Kamigraphie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Rezensiertes Werk:

Numazawa, Franz Kiichi (1946). „Die Weltanfänge in der japanischen Mythologie“. Internationale Schriftenreihe für soziale und politische Wissenschaften: Ethnolog. Reihe Band 2. Luzern (u.a.): Verlag Josef Stockerer.


Das Buch „Die Weltanfänge in der japanischen Mythologie“ erschien als zweiter Band der Ethnologischen Reihe der internationalen Schriftenreihe für soziale und politische Wissenschaften und wird als ein Erfolg auf einem schwierigen Gebiet gesehen, da der Autor einen wichtigen Beitrag zur Kenntnis der Vorstellungen der japanischen Urreligion geliefert hatte. Im Mittelpunkt seiner Studie steht das Götterpaar Izanagi und Izanami, das im japanischen Weltentstehungsmythos die Hauptrolle spielt und deren kulturhistorische Stellung festgestellt werden soll. Numazawas primäre Quellen sind Kojiki, Nihon shoki, Kogo shūi, Fudoki, Man'yōshū, u.a.

Das Werk ist in drei Abschnitte unterteilt, die sich mit dem chinesischen Einfluss auf die japanische Mythe der Weltanfänge, mit der Darlegung der Izanagi-Izanami-Mythe und mit der ethnologischen Deutung dieser Mythe als Mythe der Trennung von Himmel und Erde beschäftigen. Bei meiner Rezension beschränke ich mich auf Teile des zweiten Abschnitts.


Die Darlegung der Izanagi-Izanami-Mythe

Einführung

Um den Sinn der Izanagi-Izanami-Mythe in den einzelnen Teilen und als Ganzes richtig zu verstehen, muss man sich zunächst mit den Annalen auseinandersetzen, die aus Volksüberlieferungen stammen oder abstrakte Spekulationen darstellen. Die Annalen des Götterzeitalters beinhalten drei Hauptideen:

1. Beide Gottheiten haben das Land Ohoyashima und die Sonnengöttin Amaterasu als Regentin erzeugt

2. Susanoo wurde wegen Untaten gegen die Sonnengöttin aus dem Himmel gejagt und gelangte schließlich in die Unterwelt

3. Der Landesgott Ohonamuchi tritt sein Land an den Enkel Amaterasus ab, wodurch der Ursprung der kaiserlichen Dynastie erklärt wird

Amaterasu wird somit als Sonnengöttin und Ahnengottheit der kaiserlichen Familie gesehen, die ihre Herrschaft dadurch legitimieren. Der Abfassungszweck hat hier einen politischen Ursprung (S. 99-103).

Herkunft von Izanagi und Izanami

Chaotischer Ursprung

Der uranfängliche Zustand wird als „jungen Erde“, die keine bestimmte Form aufweist und auf dem Meer umher schwimmt, beschrieben. Inmitten dieses Gebildes sprießt ein Schilf-Schößling hervor, der sich in Götter verwandelt, die alle verschiedene Stadien der Gestaltung der Welt repräsentieren. Dies stellt den Ursprung der Welt dar, der zugleich auch als Ursprung des Menschen selbst gesehen wird. Auch Izanagi und Izanami erschienen und gelten als Urpaar. Die Primärquellen variieren ein wenig, sind sich jedoch einig, dass die Namensgebung der Götter auf Begriffen, die verdoppelt wurden, um so Paare zu erhalten, basieren, die später dann als weiblich und männlich identifiziert wurden (S. 104-115).


Himmlischer Ursprung

Nachdem sich alle Götter entwickelt hatten, erteilten die Himmelsgottheiten, deren Zahl Uneinigkeit bei den Forschern hervorrief, man sich letzten Endes jedoch auf die Zahl drei einigte (Amenominakanushi – wtl. „Herr der hehren Mitte des Himmels“, Takamimusubi – wtl. „Hoher hehrer Erzeuger“ und Kamimusubi – wtl. „Göttlicher hehrer Erzeuger“), dem Urpaar den Befehl, das umhertreibende Land zu befestigen und zu vollenden. Numazawa nimmt an, dass der Befehl von Takamimusubi ausging, obwohl der Gott in keiner Mythe eine große Rolle spielt und ihm auch kein Tempel geweiht wurde. Dem Himmelsgott werden jedoch bestimmte Rollen zugeschrieben: Er ist ebenfalls ein (1) Ahnengott der kaiserlichen Familie, da Amaterasus Sohn, Takamimusubis Tochter heiratete und Ni-nigi no Mikoto zeugt, welcher später vom Himmel herabstieg und die kaiserliche Dynastie gründete, weshalb der Himmelsgott auch als „Kaiserlicher Urahn“ bezeichnet wird, der der Vergrößerung der kaiserlichen Macht und der Sonnengöttin als sakrales Wesen diente. Desweiteren wird er auch als (2) befehlender Himmelsgott angesehen, da er dem Erdherrscher Ohonamuchi befahl zurückzutreten und ihm seine Tochter als Frau und mit ihr achtzig Myriaden Götter sandte, die seinen Enkel nach seiner Ankunft auf der Erde beschützen sollten. Aufgrund dieser Verhandlungen hat der Himmelsgott auch die Rolle eines (3) Politikers, da er um den Landesgott zu gewinnen, sehr diplomatisch war. Der Himmelsgott tut alles zu Gunsten seines Enkels und seiner Nachkommen. Somit existierten zu Beginn zwei verschiedene Überlieferungen der Abstammung, wobei sich in späterer Folge aufgrund politischer Tendenz, die Überlieferung von Amaterasu durchsetzte. Auch die Befehlsmythe scheint politischen Ursprungs zu sein, welche die kaiserliche Stammespolitik stützen sollte. Izanagi und Izanami erhalten einen Juwelen-Speer, der den Willen und die Autorität der Himmelsgottheiten als sichtbares Insigne symbolisieren soll (S. 115-151).

Izanagi und Izanami auf der Schwebenden Brücke des Himmels

Auf der schwebenden Brücke des Himmels

Nachdem Izanagi und Izanami nun den Befehl und den Juwelen-Speer erhalten haben, machen sie sich auf den Weg zur Erde und passieren dabei die Himmelsbrücke, welche die Erde mit dem Himmel verbindet und im Götterzeitalter zum herab- und hinaufsteigen verwendet wurde (S. 151-156).


Die Insel Onogoro

Als Izanagi und Izanami nun auf der schwebenden Brücke des Himmels standen und mit dem Juwelen-Speer im Wasser, das als Urmeer angesehen wird, umher rührten und ihn anschließend wieder herauf zogen, entstand aus den herabfallenden Tropfen die Insel Onogoro. Der Speer wird oft als Penis gedeutet, dem die Kraft einer Erzeugergottheit zugesagt wird, und die Tropfen als Samen, die dann zur Zeugung des Landes führten und gleichzeitig das Urbild des Ehepaares erschuf. Man nimmt an, dass der Speer ebenfalls als Symbol der politischen Macht angesehen werden kann (S. 156-163).

Izanagi und Izanami als Ur-Ehepaar

Hochzeitszeremonie

Nachdem sie nun die Insel Onogoro vollendet hatten, stiegen sie auf die Erde herab, welche nun als Wohnort und Brautlager diente. Die Gottheiten errichteten einen himmlischen Pfeiler und eine Halle, welche eine eheliche Hochzeitshütte symbolisierte und im alten Japan sehr verbreitet war. Daraufhin erfolgt die Hochzeitszeremonie, bei welcher beide Gottheiten in verschiedenen Richtungen, um den Himmelspfeiler gingen. Dieser Brauch weist Verbindungen zu Indien auf und war in alter Zeit ein wichtiger zeremonieller Akt bei der Schließung einer Ehe (S. 164-175).


Eheschließung

Als sie nun um den Pfeiler schritten und sich trafen, sprach Izanami: „Oh schöner, lieblicher Jüngling“, woraufhin Izanagi mit „Oh schöne, liebliche Jungfrau“ antwortete. Diese Liebeserklärung gleicht einer festen Formel, die kurz ist und das wesentliche ausdrücken soll. Im Wechseln dieser Worte sieht man den Ursprung der Ehe. Außerdem nimmt man an, dass die Namensgebung von der Liebeserklärung, bei der sich die Götter zur gegenseitigen ehelichen Vereinigung auffordern, beeinflusst wurde, denn Izanagi bedeutet „einladender Herr“ und Izanami „einladendes Weib“ (S. 175-177).


Das Vorrecht des Mannes

Beim Umschreiten des Himmelspfeilers ging Izanagi links herum und Izanami rechts herum. Die linke Seite galt im alten Japan als die vornehmere Seite, da die Sonne links aufging und rechts unter. Beim ersten Umschreiten ergriff Izanami zuerst das Wort und ergreift wie selbstverständlich die Initiative, woraufhin sich die Götter vereinigen und den Sohn Hiruko und die Insel Aha zeugen. Beide Kinder jedoch sind ungeeignete Kinder und so lassen sie Hiruko in einem Boot davon schwimmen. Als das Götterpaar in den Himmel hinaufsteigt, um von dem missglückten Versuch der Zeugung zu berichten, weisen die Götter sie auf die richtige Stellung des Mannes hin. So muss nach Anschauung des Volkes der Mann zuerst sprechen und die Frau auffordern, da die Handlungen Izanamis als unpassend und fremd angesehen wurden. Deshalb ereilte die Frau auch das Unglück der Missgeburt. Man nimmt an, dass es sich auch beim Vorrecht des Mannes um eine Tendenzmythe handelt, da früher die Frau die gleiche Stellung wie der Mann inne hatte, wie man deutlich am Beispiel der Sonnengöttin und den Götterpaaren sieht. Durch politische Absichten und Überlegungen jedoch, welche sich die Religion zu Hilfe nahmen, fand eine Verschiebung zu Gunsten des Mannes statt, der nun Oberhaupt der Familie war und mehr Rechte als die Frau besaß (S. 177-186).

Izanagi und Izanami als Urelternpaar

Die Hiruko-Mythe – Misslungene Erstgeburt

Wie bereits erwähnt, wird Hiruko als misslungene Erstgeburt bezeichnet, da er selbst mit drei Jahren noch nicht auf eigenen Beinen stehen kann. Da er so schwächlich wie ein knochenloser Blutegel ist, findet man oft die Bezeichnung Blutegel-Kind. Als Grund für seine Schwäche wird das unpassende Verhalten der Frau, bei der Eheschließung angegeben. Da die Eltern keine Freude an dem Kind haben, setzen sie es in ein Boot und lassen es davon schwimmen. Dies weist nicht nur Verbindungen zu einigen Überlieferungen des Westens – wie zum Beispiel Moses – auf, sondern deutet auch auf eine alte Sitte in Japan hin, schwächliche Kinder auszusetzen. Auch die Zeugung der ersten Insel misslang, woraufhin sie diese Ahaji no shima (die nicht zufriedenstellende Insel) nannten. Hier wird deutlich, dass das Motiv der anfänglichen Unvollkommenheit des Geschaffenen und mehrfache Wiederholungen des Prozesses das gewünschte Ergebnis bringen sollen, verwendet wird. Numazawa nimmt auch eine Analyse der ethnologischen Stellung der Hiruko-Mythe vor und zeugt auf, dass Hiruko ein Kind des Mutterrechtes ist, welches aber durch das Vaterrecht überlagert wurde, welches dem kaiserlichen Stamm vorausging (S. 187-200).


Die Zeugung der Länder

Wie bereits erwähnt, nimmt man an, dass von den beiden Ureltern nur das japanische Inselreich, welches vom japanischen Volk bewohnt und von der kaiserlichen Dynastie regiert wird, gezeugt wurde. Alle fremden Länder sind aus der Mythe ausgeschlossen. Dadurch sind Izanagi und Izanami die Eltern des japanischen Landes (S. 201-203).


Die Zeugung der Götter

Nachdem sie nun das Land gezeugt hatten, erzeugten sie Flüsse, Berge und die Götter. Jedem Gott wurde eine Aufgabe anvertraut und so wachten sie über das Land. Besonders bekannt sind die Sonnengöttin Amaterasu und der Sturmgott Susanoo, da Susanoo, der oft Schaden anrichtete und Unruhen im Himmel stiftete, in die Unterwelt geschickt wurde und diese anschließend beherrschte. Dies zählte zu seinen Aufgabenbereichen, wie Amaterasu über die Gefilde des Himmels herrschte und der Mondgott über die Nacht.

Auch in diesem Kapitel wird die Beziehung Amaterasus zum Kaiserhaus betont. Diese ist sakral, autoritativ und rein politischer Tendenz. Man nimmt an, dass es sich hierbei um eine Mischung eines totemistischen Sonnenkultes und eines mutterrechtlichen Ahnenkultes handelte. Der Kaiser ist als Repräsentant des Willens Amaterasus auf der Erde und hat somit das Recht, über alle anderen Stämme zu herrschen. In Verbindung mit diesem Ahnenkult steht der Naturkult. Ursprünglich waren die Götter meist religiöse Gegenstände im Volksglauben, die die Menschen verehrt und um Schutz gebeten haben. Diese Elemente – und damit auch der Begriff kami – wurden dann in den Ahnenkult, der politischen Ursprungs war, aufgenommen. Dieser Naturkult zeigt sich in vielen verschiedenen Bereichen. Ein Beispiel ist die Sonne, welche auch heute noch verehrt wird und gleichzeitig das Symbol Amaterasus darstellt (S. 204-235).

Kommentar

Numazawa beschreibt die Weltanfänge der japanischen Mythologie sehr detailreich und ausführlich, wobei er immer wieder Ansichten und Interpretationen verschiedener Autoren mit einbezieht. Außerdem liefert er zahlreiche Erklärungen zu Namen, Symbolen u.v.m., welche in der Izanagi-Izanami-Mythe verwendet werden, wodurch er sehr viele Hintergrundinformationen zu einer bestimmten Handlung oder einem bestimmten Symbol gibt, welche sehr interessant sind. Trotz dieser Fülle an Informationen kommt der Leser nie durcheinander, denn Numazawa wiederholt die wichtigsten Punkte in einem Kapitel noch einmal. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Numazawa eine sehr ausführliche Studie auf einem schwierigen Gebiet durchgeführt und verständlich niedergeschrieben hat.