Darstellung von psychischen Krankheiten im Heike monogatari

Aus Kamigraphie
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Einleitung

Um darauf zu schließen, ob und wie psychische Krankheiten im Heike monogatari平家物語 dargestellt wurden, richte ich mich nach den Diagnostikkriterien der Bücher Einführung in die Psychopathologie von Klicpera Christian (2009) und Grundlagen der Psychiatrie von Paulitsch Klaus und Andreas Karwautz (2008).

Vorweg möchte ich jedoch auf die Probleme hinweisen, die bei dieser Methode auftauchen. Das Heike monogatari wurde, bevor die Geschichten niedergeschrieben wurden, mündlich überliefert[1].Das heißt unter anderem, dass sich wahrscheinlich viele der Geschichten verändert haben und ausgeschmückt wurden. Dadurch lässt sich nur schwer auf die tatsächliche Situation schließen.


Kiyomori

Kenreimon-in

Giō

Zusammenfassung

Die Hauptdarsteller dieses Kapitels sind die shirabyōshi-Tänzerinnen Giō, Ginyo und Hotoke Gozen, die sich bei Taira no Kiyomori besonderer Beliebtheit erfreuen und die er auch zu seinen Mätressen macht. Giō ist Kiyomoris Lieblingsdarstellerin und genießt dadurch hohes Ansehen im ganzen Land. Durch ihre Stellung profitieren auch ihre Mutter Toji und ihre Schwester Ginyo. Eines Tages möchte Hotoke Gōzen Kiyomori ihre Künste vorführen, da sie jedoch nicht in dessen Residenz eingeladen wurde, beschließt sie einfach von sich aus dort hinzugehen. Kiyomori ist zuerst empört und möchte Hotoke wegschicken, jedoch überredet ihn Giō, die sich in Hotokes Position hineinversetzen kann und Mitleid hat, sie doch vorführen zu lassen. Nach Hotokes Vorstellung ist Kiyomori so von ihrem Talent und ihrer Schönheit begeistert, dass er beschließt Giō fortzuschicken und Hotoke bei sich zu behalten. Giō packt daraufhin alle ihre Sachen zusammen und verlässt Kiyomoris Residenz, nachdem sie ein Gedicht auf eine Schiebetür geschrieben hat:

Kiyomori schickt Giō fort und Hotoke Gozen nimmt ihren Platz als Kiyomoris Lieblings shirabyōshi ein. Kiyomori hält Hotokes Arm, während diese beschämt den Blick abgewendet hat. Links von ihnen verbeugt sich Giō respektvoll.

New shoots emerging
wilting fonds are equally
grasses of the field
destines, every one, to feel
the withering touch of fall

Tyler 2012, S. 20

Giō geht mit ihrer Schwester zurück zu dem Haus ihrer Mutter, wo sich ihr Lebensstandard verschlechtert. Sie zieht sich zurück und nimmt auch keine neuen Aufträge mehr an. Eines Tages bekommt sie einen Brief von Kiyomori, der sie auffordert, zu seiner Residenz zu kommen und für Hotoke aufzutreten. Zuerst ignoriert Giō den Brief Kiyomoris, jedoch bekommt sie bald noch einen. Giō ist dem Gedanken Kiyomori wiederzusehen so abgeneigt, dass sie sogar lieber sterben oder ins Exil geschickt werden würde, als zu antworten. Ihre Mutter Toji überredet sie aber doch zum Palast zu gehen. Dort wird sie komplett anders behandelt, als sie es gewohnt war und sie fühlt sich gedemütigt. Als sie zurück zu Hause ankommt, beschließt sie, sich lieber im Fluss zu ertränken, als noch einmal so eine Demütigung über sich ergehen zu lassen. Ihre Schwester Ginyo möchte sich zusammen mit ihr ertränken, jedoch werden beide von ihrer Mutter davon abgehalten, als diese sie fragt, wie sie denn als alte Frau alleine ohne ihre Töchter überleben soll.

Um Kiyomoris Einfluss zu entgehen beschließen die drei Frauen schlussendlich die Stadt zu verlassen und Nonnen zu werden. Eines Tages klopft jemand an der Tür ihrer bescheidenen Hütte in den Bergen und die drei Frauen befürchten zuerst, es sei ein Dämon. Als sie jedoch die Türe offnen, steht Hotoke vor ihnen. Hotoke erklärt, wie sie Giō nie vertreiben wollte und was für ein schlechtes Gewissen sie deswegen hatte. Jedoch hatte sie es bis dato nicht geschafft, Kiyomoris Einfluss zu entkommen. Hotoke fragt die drei Frauen, ob sie sich ihnen anschließen darf und als sie ihre Kapuze herunternimmt, sieht man, dass sie sich bereits die Haare rasiert hatte.

Anzeichen auf psychische Krankheiten

Die folgenden Textstelle sind aus der bekanntesten Variante des Heike monogatari, aus dem Kakuichi-bon覚一本. Die Geschichte, oder genauer gesagt die in der Geschichte vorkommenden Emotionen, unterscheiden sich in den Verschiedenen Fassungen. In diesem Kapitel lässt sich anhand von einigen Textstellen vermuten, dass Giō Depressionen entwickelt hat.

She accepted none of the letters and of course sent every messenger back. All this only made her feel worse, and she spent more and more time in tears.
Tyler 2012, S.20

Nachdem Giō von Kiyomori verstoßen wurde, zieht sie sich zum Haus ihrer Mutter zurück. Als die Leute in der Stadt davon erfahren, beschließen viele Giō aufzusuchen oder sie zu sich zu bestellen. Giō schickt jedoch alle Leute wieder weg und ignoriert alle Briefe. Allein im obigen Zitat kann man eine depressive Stimmung und den Verlust von Freude und Interesse feststellen.

But all too often in their thoughts they dwelled on the sorrow from the past, and their tears flowed on and on.
Tyler 2012, S.24

Auch hier kann man deutlich erkennen, wie sich durch die Verschlechterung des Lebensstandards auch Giōs Psyche verschlechtert. Sein kann erst mit ihrer Vergangenheit abschließen, nachdem sie mit Hotoke gesprochen und Hotoke sich ihr angeschlossen hat.

I felt like a failure in this life and the next.
Tyler 2012, S.25

Am Anfang des Kapitels scheint Giō sehr selbstbewusst. Als Kiyomori Hotoke ohne sie zu sehen wegschicken möchte, befiehlt im Giō fast schon, sie doch zu empfangen. Jedoch scheint ihr Selbstvertrauen unter der Verstoßung durch Kiyomori zu leiden.

The decision [eine Nonne zu werden] made sense enough-I was angry with life and with myself-but it was nothing compared to your renouncing the world.
Tyler 2012, S.28

Im Heike monogatari wie auch in anderen Werken dieser Zeit nutzen Frauen die Möglichkeit Nonnen zu werden um entweder Erleuchtung zu finden, oder um aus einer gewalttätigen Beziehung oder einem gewalttätigen Partner zu entkommen [2]. Giō nutzte dies zuerst, um erneuter Demütigung zu entgehen. Hotoke nutz dies ebenfalls, um Kiyomori und dessen Einfluss zu entkommen. Im kakuichi-bon wird leider nicht viel über Hotoke Gefühle geschrieben, aber sie macht sich Vorwürfe, weil Giō wegen ihr von Kiyomori fortgeschickt wurde und das nachdem sie nur Dank ihr die Möglichkeit hatte, in der Residenz aufzutreten. Diese Vorwürfe sind unbegründet, da Hotoke nichts gegen Giōs Verstoßung unternehmen konnte. Da man jedoch anhand der Textstellen bis auf depressive Stimmung und unangebrachten Selbstvorwürfen keine anderen eindeutigen Symptome der Depression feststellen kann, kann man hier Depression auch nicht eindeutig diagnostizieren.


“I shrank from disobeying my mother and set out on a painful errand, only to suffer a new blow. It is too much! More blows will follow if I go on. No, my mind id made up: I will throw myself into the water and drown.”
Tyler 2012, S.22

Nachdem Giō gedemütigt von Kiyomoris Residenz zurück kommt, spricht sie davon, dass sie lieber sterben würde, als noch einmal so gedemütigt zu werden. Auch zuvor im Kapitel, als sie Kiyomoris Einladung ignoriert, zeigen sich suizidale Tendenzen. An dieser Stelle würde sie lieber verstoßen oder getötet werden, als Kiyomori sehen zu müssen.

Wenn man nach den oben genannten Diagnostikkriterien geht, kann man bei Giō leichte Depressionen feststellen. Die Symptome, die man aus den obigen Textstellen erkennen kann sind: depressive Stimmung (1), Verlust von Freude oder Interesse (2), Verlust von Selbstvertrauen (4) und Suizidgedanken und suizidales Verhalten (6).

Darstellung von psychischen Krankheiten

In Giōs Fall wird in keiner Weise daraufhin gedeutet, dass sie unter einer Krankheit gelitten haben könnte. Sie wird trotz ihrer sich verschlechternden Situation als sehr elegant uns souverän dargestellt. Man kann Giō in der Geschichte als Vorbild sehen, da sie sehr kontrolliert mit ihrer schwierigen Situation umgeht und Auswege findet. Außerdem ist sie sehr gütig, da sie Hotoke ohne zu zögern verzeiht, als diese bei der Hütte in den Bergen auftaucht und sich entschuldigt. Obwohl fast das ganze Kapitel über eine melancholische Stimmung dominiert, löst sich diese am Ende, als Hotoke sich Giō un deren Familie als Nonne anschließt, wieder auf.

Ein Grund dafür, wieso Giō nich als psychisch krank angesehen wurde ist wahrscheinlich, dass es in Aufzeichnungen der medizinischen Geschichte Japans nichts gleichwertiges mit melancholieartigen Krankheiten gibt. Man neigte eher dazu depressive Gefühle oder Menschen, die nach heutiger Sicht Symptome für eine Depression aufweisen, ästhetisch oder romantisiert darzustellen. [3]

Besessenheit und psychische Krankheiten

Verweise

Siehe auch

Heike monogatari Besessenheit im Heike monogatari Diagnostik von psychischen Krankheiten

Taira no Kiyomori

Literatur

  • Junko Kitanaka 2012
    Depression in Japan: Psychiatric cures for a society in distress. New Jersey: Princeton University Press 2012. (Exzerpt.)
  • Christian Klicpera 2009
    Einführung in die Psychopathologie. Wien: Facultas.WUV 2009.
  • Klaus Paulitsch, Andreas Karwautz 2008
    Grundlagen der Psychiatrie. Wien: Facultas.WUV 2008.
  • Roberta Strippoli 2018
    Dancer, nun, ghost, goddess: The legend of Giō and Hotoke in Japanese literature, theater, visual arts, and cultural heritage. (61.) Leiden: Brill 2018.
  • Royall Tyler 2012
    The tale of the Heike. New York: Pinguin Books 2012.

Fußnoten

  1. Heike monogatari
  2. Strippoli 2018:61
  3. Kitanaka 2012:24