Exzerpt:Naumann 1974

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Rezensiertes Werk:

  • Nelly Naumann 1974
    „Whale and fish cult in Japan: A basic feature of Ebisu worship.“ Asian Folklore Studies 33/1 (1974), S. 1-15. (Exzerpt.)

Autor

Siehe Nelly Naumann.

Inhalt

In diesem Artikel versucht Naumann den Aspekten von Ebisu im Kontext der japanischen Fischergesellschaften auf den Grund zu kommen. Um dies zu erreichen bedient sie sich einerseits der damals aktuellsten Forschung des Ethnologen Sakurada Katsunori 桜田勝徳, andererseits erforscht sie selbst die historischen und ethnologischen Quellen, mit denen Sakurada und andere japanischen Ethnologen gearbeiteten haben und stellt diese Glaubensvorstellungen und Bräuchen japanischer Jägergesellschaften sowie nichtjapanischer Jäger- und Fischergesellschaften entgegen.

Der Forschung von Sakurada Katsunori zufolge lässt sich der Begriff des Ebisu im Kulturkreis der japanischen Fischer auf die Konzepte der glückbringenden Gottheiten raihōjin 来訪神 oder marebito  稀人; 客人 zurückführen. Grund dafür sei die Verehrung herangeschwemmter Wasserleichen (von Walen und Haien etwa) und Steinen, die als etwas Fremdes von außerhalb Glück und Wohlstand bringen, ein Aspekt, der unter anderem auch dem Glücksgott Ebisu zu eigen ist. Ein weiterer Grund wäre das Erscheinen eines bestimmten Fisches an Festtagen eines Ebisu-Schreins. Dabei handle es sich um Ebisu in Gestalt dieses Fisches, der seinen Schrein besucht. Dennoch bleibt, wie Sakurada bemerkt, der Zusammenhang zwischen dem Glücksgott Ebisu und dem von Fischern gerufenen „Ebisu!“ als Ausdruck für ein Phänomen, das einen glücklichen Fang bescheren kann, unklar. Naumann stellt hier die Frage, ob es die Anrufung Ebisus bei den Fischern bereits vor dem Aufkommen seiner Verehrung als Glücksgott gab. Sie argumentiert im Gegensatz zu Sakurada, dass für die verschiedenen Aspekte des Ebisu-Kultes bei japanischen Fischern das raihōjin-Konzept keine einheitliche Basis bieten kann und liefert mehrere Vergleiche mit anderen Wildbeuterkulturen.

Gedenksteininschriften für Wale, wie etwa Namu Amida Butsu, deuten auf einen Zusammenhang zwischen den Praktiken des historischen Walfang Japans und dem Buddhismus hin. Auch wurden buddhistische Rituale zur Verehrung der erlegten Wale, ähnlich dem Goryō-Kult, durchgeführt. Andererseits gehen Dankesrituale, bei denen der erste Fisch des ersten Fangs im neuen Jahr verehrt wird, über buddhistische Vorstellungen hinaus. Der Fisch wird hierbei unter besonderen Kriterien zubereitet, der jeweiligen Gottheit[1] am Schrein geopfert und von ausgewählten Personen verspeist. Dabei wird darauf Acht gegeben, dass die Knochen des Fisches intakt bleiben und sie zurück ins Meer geworfen werden können, in der Hoffnung, dass der Fisch wiedergeboren wird. Naumann vergleicht dies mit Jägerkulturen in Japan. In der Tōhoku-Region gibt es beispielsweise die Bärzeremonie, bei der unter Rezitation von rituellen Formeln das erlegte Tier aufgebrochen, und um eine erfolgreiche Rückkehr seiner Seele gebetet wird. In alter Zeit verehrten Jäger in Nordkyūshū auch die Knochen der Bären, die hinter dem Haus vergraben wurden. In der Präfektur Gunma errichtete man Gedenksteine mit der Aufschrift Yama no kami, da die Berggottheit das Wild freigibt oder verweigert. Sowohl bei Jägern als auch bei Fischern wird in der Regel ein Teils der Beute an die zu verehrende Gottheit dargeboten. Meist war dies die Leber, weil sie als Sitz des Lebens betrachtet wird. Diese Aspekte finden sich auch in eurasischen Jäger- und Fischergesellschaften wieder. In diesen nimmt man an, dass das künftige Jagdwild als Beute zurückkehrt, wenn die unsterbliche Seele des zuvor erlegten Tieres infolge von Opfergaben von Teilen des Tieres und Danksagungszeremonien in die Wildnis zurückgeschickt wird. In Japan ist es jedoch eine lokale Gottheit[2], die über Fauna und Flora der Region gebietet und an welche die Seele des Tieres gesendet wird. Darüber hinaus wird der Gedanke dieser Entsendung zum Nutzen des Jägers bzw. Fischers von der buddhistischen Vorstellung einer Wiedergeburt als Buddha (hotoke) begleitet. Man erwartet sich, dass durch die Opferung der sterblichen Überreste, das Tier wieder ins Leben gerufen wird, um so einen immerwährenden Kreislauf zu gewährleisten. Im Falle von kleineren Tieren, die in großen Mengen erbeutet werden, oder im Falle von Schwarmfischen wird ein Fisch stellvertretend für alle verehrt und stellt laut dem von Naumann zitierten Ivar Paulson einen „Artgeist“[3] dar. Naumann führt als Vergleichsbeispiel ein Lachsritual bei Fischern entlang der Nordpazifikküste an, das in puncto Prozedere dem Dankesritual des ersten Fisches bei japanischen Fischern verblüffend ähnlich ist. Große Tiere[4] wie Wale und Bären werden individuell verehrt. Wale können zudem selbst Ebisu sein, indem sie ein glückverheißendes Phänomen heraufbeschwören. Zum Beispiel können Wale oder Haie Fischschwärme in die Netze der Fischer treiben, wenn sie ihnen wohl gesonnen sind. Sind sie jedoch aufgrund eines Tabubruchs (d.h. etwa durch schlechtes Verhalten wie lautes Ausrufen beim Fischen) erzürnt, so sorgen sie dafür, dass die Netze von den Fischen gemieden werden.

Zusammenfassend argumentiert Naumann damit, dass das Konzept des Ebisu-Kultes - trotz der nach wie vor fehlenden eindeutigen Definition des Begriffs des Ebisu - bei japanischen Fischern einer nutzorientierten meta-religiösen Glaubensvorstellung zugrunde liegt, wie sie bei authentischen Jäger- und Fischerkulturen seit jeher zu finden ist und dass eine universelle, also nicht nur auf Japan isolierte, Betrachtungsweise vonnöten ist, um das komplexe Gefüge dieser Vorstellungen ergründen zu können. Daraus ergibt sich, dass die Aspekte der Ebisu-Verehrung bei Fischern in Japan nicht mit dem raihōjin- bzw. marebito-Konzept zu veknüpfen sind, weil ihre Wurzeln vemutlich viel älter als die marebito selbst sind.

Kritik

Ein sehr interessanter Einblick in die Bräuche und Glaubensvorstellungen japanischer Wildbeutergesellschaften in für Nelly Naumann gewohntem Stil. Sie gibt nicht nur den Stand der japanischen Forschung treffend wieder, sondern bietet unter genauer Berücksichtigung historischen Materials und dem Vergleich mit entsprechenden Kulturen weltweit auch einen Ausweg aus der für die japanische kokugaku übliche isolierte Betrachtungsweise, die eine bequeme, jedoch wissenschaftlich nicht akkurate Kategorisierung der verschiedenen Aspekte von Ebisu zur Folge hatte. Der Artikel wäre allerdings noch besser, hätte die Autorin neben einer Übersetzung wichtiger Termini, wie z.B. raihōjin, auch den japanischen Begriff im Text angeführt.

Anmerkungen

  1. Je nach Region und Brauch handelt es sich entweder um Ebisu oder die Schutzgottheit des Schiffes Funadama-sama.
  2. Bei den Jägern die Berggottheit yama no kami und Ebisu bei den Fischern.
  3. Diesem wird neben seiner Funktion als Stellvertreter seiner Art oft auch eine Wächterrolle zugeschrieben, wie am erwähnten Beispiel der Legende vom Lachskönig deutlich wird.
  4. Diese gelten oft selbst als Gottheiten oder Verkörperungen der lokalen Gottheit.