Exzerpt:Farris 1993

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Exzerpt:

William Wayne Farris 1993
„Diseases of the premodern period in Japan.“ In: Kenneth F. Kiple (Hg.), The Cambridge world history of human disease. Cambridge: Cambridge University Press 1993, S. 376–385. (Exzerpt.)

William Wayne Farris

William Wayne Farris, geb. am 18. Jänner 1951 in East St. Louis, Illinois, zählt neben Ann Bowman Jannetta zu den bedeutendsten Forschern über die nach wie vor in westlicher Literatur nur spärlich erschlossene Thematik der Epidemien im vormodernen Japan. Nach seinem Doktorat über japanische Geschichte an der Harvard Universität im Jahr 1981 folgten diverse (Gast-)Professuren, u. a. an der Universität Kyoto, der Harvard Universität und der Universität Keio. Gegenwärtig ist er als emeritierter Professor für japanische Geschichte an der University of Hawaiʻi tätig, an der er zwölf Jahre den Sen Sōshitsu XV Distinguished Chair of Traditional Japanese History and Culture innehatte.

Inhalt

Farris’ in Kenneth Kiples The Cambridge world history of human disease publizierter Artikel „Diseases of the premodern period in Japan“ thematisiert diverse in der prämodernen Ära (bis 1600) in Japan aufgetretene Krankheiten, wobei der Autor bereits einleitend auf die essentielle Differenzierung zwischen persistenten und transienten Infektionen hinweist und eben jene hochkontagiösen Pathogene bzw. deren erhebliche Auswirkungen auf die japanische Gesellschaft in den Fokus stellt.

Das Interesse westlicher Historiker an Krankheiten in der japanischen Geschichte sei erst unlängst durch eine Neuauflage des ursprünglich 1912 veröffentlichten Nihon shippei shi 日本疾病史 (A history of disease in Japan) des Arztes Fujikawa Yū 富士川 游, eine akribische Auflistung zahlloser Epidemien der Vormoderne, Hattori Toshirōs 服部 敏郎 Publikationen zur japanischen Medizin des 8. bis 16. Jahrhunderts sowie William McNeills Plagues and peoples (1976), das die Krankheitsgeschichte Ostasiens im Kontext der Weltgeschichte betrachtet, entfacht worden. Neben seiner eigenen findet auch die Forschungstätigkeit über Krankheiten im prämodernen Japan von Ann Bowmann Jannetta Erwähnung.

Zudem wird auf die um das Jahr 700 beginnende, auch in den Reichschroniken enthaltene Dokumentation von Krankheiten, die gleich den medizinischen Theorien aus China übernommen wurde, hingewiesen.

Anhand Japans Insellage erklärt Farris die Abwesenheit von Epidemien bis zur Phase des Kontakts mit dem Festland und den hierdurch ermöglichten Anstieg der Bevölkerungsdichte. Andererseits führte bei Einschleppung einer Krankheit ein Mangel an Immunitäten zu einer raschen und verheerenden Ausbreitung in der Population. Die von Bergen geprägte Topographie Japans wird als Erklärung für die teils lokale Begrenzung von Epidemien herangezogen.

Der Hauptteil widmet sich der chronologischen Betrachtung der Geschichte der Epidemien in Japan, die Farris in vier distinktive Phasen gegliedert.

AC–700

Während des Paläolithikums und des Neolithikums verhinderte eine geringe Bevölkerungsdichte die Ausbreitung von Krankheiten. Von der Bronzezeit bis 500 AD sei zwar ein Bevölkerungsanstieg verzeichnet worden, bisher gebe es aber keine archäologischen Befunde für weitläufige Krankheitsausbrüche.

Erste Belege für Epidemien in Japan finden sich im 6. Jhd., in dem mit zwei im Nihon shoki 日本書紀 beschriebenen Krankheitsausbrüchen von 552 bzw. 585, die auf die Einführung von buddhistischen Devotionalien bzw. der Religion an sich zurückgeführt werde. Die Epidemie von 585 werde teilweise als erstes Auftreten der Pocken in Japan oder als Masern interpretiert. Weitere Epidemien seien für diesen Abschnitt nicht dokumentiert.

700–1050

Beginnend mit dem 8. Jhd. stieg die Frequenz an Epidemien erheblich an; der Zeitraum von 700–1050 wird von Farris daher als „Japan’s age of plagues“ (Japans Zeitalter der Plagen) bezeichnet. Zahlreiche Krankheiten seien vom asiatischen Festland eingeschleppt worden und haben einen massiven Einfluss auf Gesellschaft, Landbesitz, Steuersystem, ökonomische Entwicklung, Arbeit, Religion, Literatur und diverse weitere Aspekte des Lebens ausgeübt. Angesichts unzureichender Beschreibungen seien jedoch von Historikern nur fünf Krankheiten identifiziert worden:

  • Pocken: Zahlreiche Epidemien (735–737, 790, 812–814, 853, 915, 947, 974, 993–995, 1020, 1036) seien für diese Phase dokumentiert. Besonder hervorgehoben wird die Pockenepidemie von 735–737, die sich, von einem koreanischen Fischer eingeschleppt, ausgehend von ihrem Epizentrum in Dazaifu, Nordkyushu, bis in den Osten Japans ausgebreitet und im Verlauf von drei Jahren zwischen 25 und 35 Prozent der japanischen Bevölkerung dahingerafft habe. Bei diesem sowie bei weiteren schweren Ausbrüchen seien vor allem Erwachsene betroffen gewesen.
  • Masern: Zwei Epidemien in den Jahren 998 und 1025 werden den Masern zugeschrieben, wobei eine sichere Differenzierung zwischen Masern und Pocken in dieser Zeit als nicht gegeben angenommen werden könne.
  • Influenza: Influenzaausbrüche seien für die Jahre 862–864, 872, 920, 923, 993 sowie 1015 aufgezeichnet. Anders als Pocken und Masern, die am aktivsten von Frühling bis Herbst waren, trat Influenza meist im Winter auf. Die Zahl der Todesopfer sei jedoch geringer.
  • Mumps: Ausbrüche, v. a. in der Hauptstadt Heian, seien für 959 und 1029 dokumentiert.
  • Ruhr: Ruhrepidemien habe es in den Jahren 861, 915 und 947 gegeben. Sie traten im Spätsommer oder Herbst und zumeist in Verbindung mit anderen Epidemien wie den Pocken in Erscheinung.

Anhand des Makura no sōshi 枕の草子 von Sei Shōnagon 清 少納言 könne zudem auf die Existenz von Tuberkulose, psychischen Krankheiten und Beriberi (diverse aus einem Mangel an Thiamin resultierende Krankheitsbilder) geschlossen werden. Auch Malaria sei zur damaligen Zeit verbreitet gewesen.

Der Einfluss dieser Epidemien auf die damalige japanische Gesellschaft gestaltete sich als mannigfaltig, wobei u. a. folgende Aspekte angeführt werden:

  • stagnierende Bevölkerungsentwicklung
  • Aufgabe einer dörflichen Verwaltungsebene
  • gebremste landwirtschaftliche Produktion
  • Anstieg der Migration
  • Arbeitskräftemangel
  • steigende Ungleichverteilung der Einkommen
  • Wandel von Gouverneuren zu Steuerpächtern
  • Ausbreitung des Buddhismus
  • mono no aware 物の哀れ in der Literatur

1050–1260

Diese Phase sei gekennzeichnet durch eine abnehmende Bedeutung der Krankheiten, einerseits durch weniger gravierende Epidemien, andererseits durch eine geringere Frequenz. Viele Krankheiten wurden endemisch und wandelten sich zu Kinderkrankheiten. Influenza hingegen zeigte eine zu Pocken und Masern konträre Entwicklung; so seien die Epidemien verheerender als in den vergangenen Phase gewesen, was mitunter auf das kältere und feuchtere Wetter zurückgeführt wird. Mit Lepra gewann eine neue Krankheit an Bedeutung, auch wenn erste Fälle bereits im 8. Jhd. dokumentiert seien.

Aufgrund des geringeren Einflusses von Krankheiten liege ein Bevölkerungswachstum für die Zeit von 1050–1160 nahe; Belege hierfür oder dessen Ausmaß seien aber ausständig. Im folgenden Jahrhundert obstruierte das harschere Wetter und die resultierenden Missernten und Hungersnöte (z. B. jene von 1230, die etwa ein Drittel der japanischen Bevölkerung das Leben kostete) einen Populationszuwachs.

1260–1600

Der letzte Abschnitt sei bisher trotz der unzähligen Aufzeichnungen dieser Zeit noch nicht im Detail von Historikern betrachtet worden. Zudem erweisen sich aufgrund von Kriegen (so in der Zeit von 1333–1365 und 1460–1550) die zentralen Aufzeichnungen in Kyoto als nicht für eine systematische Analyse geeignet.

Trotz der problematischen Quellenlage sei es jedoch möglich, eine grobe Übersicht über diesen Zeitraum zu geben. Hierzu wird von Farris eine Unterteilung in die Abschnitte 1260–1420, 1420–1540 und 1540–1600 getroffen. In ersterem konnte durch die Abwehr der Mongolen die Einschleppung des Pesterregers und damit Epidemien wie in Europa verhindert werden. Der Zeitraum von 1421–1540 sei geprägt durch eine hohe Zahl an Epidemien, insbesondere Pocken und Masern, was auch mit den fortwährenden Kriegen (sengoku jidai 戦国時代) in Verbindung gebracht wird. In der Zeit von 1540–1600 habe die Häufigkeit von Epidemien abgenommen und ein enormes Bevölkerungswachstum sei verzeichnet worden.

Als Krankheiten, die in Folge des Kontakts mit dem Westen in Erscheinung traten bzw. an Relevanz gewannen, werden Syphilis und HTLV-1 bzw. HTLV-2 angeführt; insgesamt sei die Einfuhr westlicher Krankheiten jedoch weniger fatal verlaufen als in Amerika oder im Südpazifik.