Taniguchi Masaharu

Aus Kamigraphie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Taniguchi Masaharu.jpg
Seiten-Infobox
Themengruppe Personen (Einzelpersonen, Familien, Gruppen)
Name Taniguchi Masaharu 谷口雅春
Lebenszeit geb. 22. November 1893 in Kōbe, gest. 17. Juni 1985 in Nagasaki (Meiji / Taishō / Shōwa)
Funktion, Amt Begründer von Seichō no Ie 生長の家

Taniguchi Masaharu (Geburtsname Taniguchi Masaji 谷口正治) ist der Begründer der neureligiösen Bewegung Seichō no Ie 生長の家, deren Mitgliederzahlen sich aktuell auf etwa 767.000 in Japan und ca. 1.042.000 in anderen Ländern, insbesondere Brasilien, belaufen. In seiner Lehre werden Elemente aus den unterschiedlichsten Quellen wie Buddhismus, Christentum, sowie Psychologie und Philosophie vereint, weshalb Seichō no Ie gerne scherzhaft als „religiöses Warenhaus“ bezeichnet wird. Dieser inklusivistische Ansatz richtet sich im Besonderen an Menschen aus der Mittel– und Oberschicht, darunter findet sich auch eine beachtliche Zahl an Intellektuellen. Taniguchi selbst bediente gerne das Bild eines Gelehrten und Mystikers. So wird in seinen Publikationen ein Doktortitel angeführt, obwohl er kein abgeschlossenes Universitätsstudium vorzuweisen, sondern diesen bloß ehrenhalber von der spirituell–philosophischen Bewegung Religious Science erhalten hat. Wie in anderen Neureligionen kommt auch bei Seichō no Ie der Gründerfigur eine überragende Bedeutung zu. Taniguchi wird dementsprechend als ein Mann von herausragendem literarischen Talent und Charisma beschrieben. Bei seinem Tod im Alter von 91 Jahren hinterließ er mit über 400 Büchern eine beachtliche Zahl an Werken, wobei die 40–teilige Serie Seimei no jissō 生命の実相 als sein Hauptwerk zu betrachten ist.

Kindheit und Adoleszenz

Schon die Umstände seiner Geburt sollen erahnen lassen, dass der Junge, geboren am 22. November 1893 um Punkt 6 Uhr im Dorf Karasubara in der Nähe der Stadt Kōbe, eines Tages die Welt verändern würde: So soll der Mond noch seine letzten Strahlen über die westlichen Berge geworfen haben, während im Osten schon die Sonne über den Horizont lugte. Das Zwillingsgestirn im Himmel wurde als gutes Omen gedeutet; so wird es jedenfalls in der offiziellen Biographie beschrieben. Als zweiter Sohn in einer Familie von fünf Jungen und zwei Mädchen nahm sein Leben schon früh eine große Wendung als er mit drei Jahren von seiner Tante väterlicherseits adoptiert wurde.

Als Ausdruck seiner späteren Berufung zeigte er bereits in jungen Jahren besondere Fähigkeiten, u.a. erzielte er ohne große Mühe sehr gute Prüfungsleistungen, was auf seine hellseherische Begabung zurückzuführen sei. Bereits als kleiner, scheuer Junge, der sich lieber Literatur widmete als sich im Sport mit Gleichaltrigen zu messen, fiel er durch sein literarischeres Talent auf. Dennoch entwickelte er eine Tendenz zur Rebellion gegen Autoritäten und so verwundert es nicht, dass er sich entgegen dem Willen seiner Tante nicht für Medizin, sondern Literatur an der anglistischen Fakultät der Universität Waseda inskribierte. Gedankengut von Schopenhauer, Tolstoi, Nietzsche und Wilde hatte großen Einfluss auf den jungen Mann. Autoren wie William James, Maurice Maeterlinck und Henri Bergson brachten ihm eine mystische Welt nahe, die ihm die Idee einer Rückkehr des menschlichen Geistes zum spirituell–göttlichen Ursprung vermittelte. All dies sollte später Inhalt und Formulierung seiner Lehre beeinflussen.

Während seiner Studienzeit vertieft in seine philosophischen Überlegungen trat unerwartet ein 17–jähriges Mädchen in sein Leben. Vorbestraft soll es Zuflucht bei ihm gesucht haben und von Mitleid erfasst konnte er es nicht übers Herz bringen, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Als Konsequenz der Entehrung der Familie wurde ihm die finanzielle Unterstützung entzogen und er sah sich mit 22 Jahren gezwungen, sein Studium abzubrechen und sich in einer Spinnerei als Lehrling zu verdingen. In dem Versuch seine Situation zu bessern, besuchte er eine Abendschule und fand einen Nebenjob als Übersetzer. Doch bald verwickelte er sich erneut in amouröse Liebschaften, dieses Mal mit zwei Frauen zur selben Zeit: einer Nichte eines seiner Vorgesetzten in der Spinnerei sowie einer Prostituierten. Bei letzterer steckte er sich mit einer Geschlechtskrankheit an, sodass er befürchtete, sie an seine andere Geliebte weitergegeben zu haben. Von Ängsten und Schuldgefühlen geplagt durchlebte er eine schwierige Zeit, während der er auch mit wenig Erfolg Hilfe bei einem Hypnotiseur suchte. Schließlich wurde seine eigene Krankheit durch medizinische Behandlung und einer Operation geheilt. Weiterhin besorgt um die Gesundheit der Frau begann er sich mit spiritueller Heilung zu beschäftigen in der Hoffnung, sie ohne Kenntnis dieser Heilungsversuche von ihrer möglichen Krankheit zu befreien.

Es ist hochwahrscheinlich, dass diese Episode von großem Einfluss auf seine Psyche und Weltanschauung war. Neben der Tatsache, dass er erstmals die Härte des Lebens einfacher Leute und die sozialen Probleme seiner Zeit kennengelernt hatte, kreisten seine Gedanken nun im Besonderen um Krankheit und Heilung. Um seine starken Schuldgefühle zu lindern, flüchtete er sich schließlich in eine Negation der Realität: Er verneinte schlicht das Faktum der Übertragbarkeit von Krankheiten und schrieb es dem Erfindungspotential des menschlichen Geistes zu. Als ein weiteres Glied in einer Serie von Schlüsselerlebnissen war Taniguchi erneut gezwungen – vom Leben geschlagen – Zuflucht in einem Gedankenkonstrukt zu suchen. Diese Ablehnung realer Umstände würde sich später in seiner Lehre wiederfinden und zu deren zentralem Dogma erweitert werden.

Sinnsuche

In seiner Suche nach Antworten auf die Fragen nach Wirklichkeit und Sinn des Lebens widmete er sich intensiv spirituellen Lehren und trat schließlich 1919 Ōmotokyō 大本教 bei. Trotz harter asketischer Übung fand er kein Seelenheil. Die Bewegung ihrerseits profitierte jedoch von seiner literarischen Begabung und so wurde er bald mit sämtlichen redaktionellen Arbeiten betraut und veröffentlichte auch ein Buch, worin er die Lehre beschrieb, analysierte und systematisierte. Während dieser Zeit betrieb er anhand buddhistischer Sutren, der Bibel und der alten japanischen Mythologie vergleichende Religionswissenschaften, wobei der Gedanke in ihm aufkeimte, dass es möglich sein müsse, alle Religionen der Welt auf einen Punkt zurückzuführen.

Weiterhin von Schuldgefühlen geplagt nahm er die Rolle eines asketischen Büßers an, sich selbst als den „heiligen Franz von Ōmoto“ bezeichnend. Seine neu gefundene Rolle schien er jedoch nicht mit Überzeugung gelebt zu haben, da es nicht lange dauerte, bis er sich zu zwei Mitarbeiterinnen von Ōmoto hingezogen fühlte und beide zu umwerben begann. Schließlich fiel die Entscheidung auf eine der beiden, Teruko 輝子, und 1920 folgte die Hochzeit, bei der auch Deguchi Onisaburō, der Kopf der Bewegung, anwesend war. Die Loyalität gegenüber Ōmoto dürfte jedoch nie besonders stark ausgeprägt gewesen sein, da er kurz nach dem ersten Ōmoto–Zwischenfall 1921 die Bewegung verließ, vermutlich um einer Verfolgung zu entgehen. Das junge Ehepaar zog nach Tōkyō. Taniguchis Interesse an spirituellen Lehren blieb jedoch ungebrochen und brachte ihn in zunehmendem Maße in Kontakt mit den Lehren von Gautama, Shinran, Jesus Christus und dem Apostel Paulus. Sein Interesse galt ebenso der christlichen Wissenschaft, dem Spiritismus und New Age–Gedankengut.

Es war eine Zeit der ökonomischen Depression und ebenso wie Taniguchi waren viele vom Leben Bedrängte auf der Suche nach Erlösung. Der Konsumentenkreis religiöser und spiritueller Literatur wuchs. Sich diese Nachfrage zunutze machend, verschriftlichte Taniguchi seine Ansicht der Realitätsnegation, mit der er sein eigenes Leben voller Krankheit und Armut mit unerschütterlichem Optimismus bestritt. Sein Aufsatz verkaufte sich überraschend erfolgreich und legte den Grundstein der Lehre von Seichō no Ie. Dabei sah sich Taniguchi unter dem Einfluss von Bergson und Hegel. Auch wenn eine Verbindung höchstens andeutungsweise vorhanden ist, so lässt sich doch sagen, dass diese Legitimation seiner Lehre durch Anlehnung an große Namen der Literatur und Philosophie ein Markenzeichen seines Stils wurde.

Vom armen Mann zum göttlich Beauftragten

1923 zerstörte das große Kantō–Erdbeben Tōkyō und Taniguchi war gezwungen mit seiner hochschwangeren Frau zu seiner Familie nach Kōbe zurückzukehren. Völlig mittellos und ohne abgeschlossenem Studium war er jedoch kein willkommener Gast. Dementsprechend prägten Spannungen zwischen den Familienmitgliedern, Armut und Krankheit diese Zeit. Zwar erhielt Taniguchi eine Stelle als Redakteur eines Magazins über psychische Phänomene, doch diese Arbeit brachte kein Geld und ein großer Teil des Tages blieb als Freizeit übrig. Seine Situation der „ehrenvollen Armut“ akzeptiert, widmete er sich immer intensiver Selbst–Reflexion und Meditation und entwickelte so seine Weltanschauung der Realitätsnegation weiter, bis er die Wirklichkeit als Produkt des Geistes begriff.

Eines Tages machte er in einer Buchhandlung einen schicksalshaften Zufallsfund: The Law of Mind in Action von Fenwick Holmes. Erstmals fand er Bestätigung seiner Denkansätze, dass die äußeren Umstände von der inneren Gesinnung abhängen und die phänomenale Welt durch die Reflexion der Gedanken geschaffen werde. Dieses Buch sollte sich als Katalysator entpuppen, der erforderlich war, um endlich eine Manifestation seiner philosophischen Position zu ermöglichen, die sich aus der eigenen Lebenserfahrung und einer Vielzahl an religiösen und spirituellen Quellen speiste. Nebenbei bemerkt legte das Gedankengut, das von Fenwick Holmes und seinem Bruder Ernest entwickelt worden war, ebenso den Grundstein für die New–Thought–Bewegung. Fasziniert von dem Buch übersetzte es Taniguchi ins Japanische und veröffentlichte es unter einem Titel, der auf Deutsch übersetzt Wie kannst du dein Schicksal kontrollieren? lautet. Bei Betrachtung all dieser Umstände kann man sich kaum des Eindrucks verwehren, Taniguchi handelte als Opportunist, der seine „Mission“ darin fand, ein ansprechendes Produkt zu generieren, indem er den Zeitgeist bediente und sich dem Prinzip Geist–über–Materie anschloss, welches zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerade en vouge war.

Angesichts der Zerstörung durch das Erdbeben waren die Menschen jedoch mit Aufbauarbeiten beschäftigt und hatten weniger die Muße, sich dem Lesen zu widmen. Das Problem einer geeigneten Beschäftigung war demnach noch nicht gelöst. Hierbei wollte Taniguchi nun bei seiner Lehre die Probe aufs Exempel machen und wartete mit der unerschütterlichen Überzeugung, bereits eine Stelle erhalten zu haben, darauf, dass sich diese ihm endlich offenbaren würde. Tatsächlich las er eines Tages eine Stellenanzeige, in der nach einem Übersetzer für ein Öl–Unternehmen gesucht wurde, und erhielt prompt den großzügig entlohnten Job. Parallel zu seiner Arbeit setzte Taniguchi sein literarisches Schaffen fort und übersetzte spirituelle und New–Thought–Texte, wobei er das eingenommene Geld eisern sparte, um eines Tages sein eigenes Magazin zu publizieren. Doch sobald er eine ansehnliche Summe angehäuft hatte, wurde ihm das Geld wieder gestohlen.

Nachdem sein Haus zum zweiten Mal geplündert worden war, empfing er inmitten seiner Verzweiflung im Dezember 1929 seine erste Offenbarung. Eine Stimme in ihm sagte: „Steh jetzt auf!“ („ima tate!“ 今起て!) Er solle nicht warten, bis die Umstände günstig erscheinen, sondern müsse jetzt beginnen. Denn die materielle Welt existiere nicht, sondern er sei Teil der göttlichen Realität – jissō 実相. Ohne zu zögern schrieb Taniguchi die ihm offenbarte Erkenntnis nieder und veröffentlichte die erste Ausgabe seines Magazins Seichō no Ie im März 1930. Dieser Zeitpunkt wird gemeinhin als Gründungstag der gleichnamigen Neureligion gehandelt. Zwischen Dezember 1929 und September 1933 soll Taniguchi insgesamt 29 göttliche Offenbarungen erhalten haben, die ihn über die Natur der göttlichen und menschlichen Existenz informierten und so den Grundstein für einige von Seichō no Ies zentralen Doktrinen und Praktiken legten.

Zu Beginn handelte es sich bei Seichō no Ie jedoch mehr um ein philosophisches Verlagshaus mit kommerziellem Hintergrund als um eine religiöse Gruppierung. Auch Taniguchi selbst betrachtete Seichō no Ie nicht als Religion sondern als eine überkonfessionelle erleuchtende Wahrheitsverkündung auf dem Weg der literarischen Produktion. Sie begann als eine „Bewegung zur Erleuchtung der Menschheit“ (jinrui kōmyō–ka undō 人類光明化運動) und sollte den neuen Geist Japans verkörpern. Basis dessen waren Abonnenten der Zeitschrift anstelle von Gläubigern, denen es frei stand, der Bewegung einen finanziellen Beitrag zu leisten. Ebenso konnten sie in das Unternehmen investieren und im Gegenzug Dividenden erhalten. Indem Taniguchi und die anderen Amtsträger ein reguläres Salär bezogen, nahmen sie eine Position ein, die es ihnen erlaubte, Kritik an den etablierten Religionen zu üben, die ihrer Meinung nach ihre Anhänger schröpften.

Text um Text ergoss sich aus Taniguchis Feder und wurde durch den eigens dazu gegründeten Verlag verbreitet. Diese Art der „Verkündigung“ durch laufende Periodika war so erfolgreich, dass sich die Anzahl der Leser mit jeder erschienenen Ausgabe der Zeitschrift vergrößerte. Nach der sechsten Ausgabe begannen sich „Wunder“ zu ereignen: Durch die Lektüre seiner Schriften soll es zu wundersamen Heilungen gekommen sein, wie Leser in zahlreichen Dankesbriefen berichteten. In den folgenden Jahren entwickelte sich Seichō no Ie schrittweise zu einer religiösen Organisation mit Niederlassungen in verschiedenen Städten, Unterorganisationen, Ausbildungsstätten und einer steigenden Zahl an Publikationen und öffentlichen Vorträgen von Taniguchi. Aus den Abonnenten wurden gläubige Anhänger und auch der kommerzielle Gedanke trat immer weiter in den Hintergrund.

Rolle während Japans Ultranationalismus und Nachkriegszeit

Die Gründung Seichō no Ies fiel in eine Zeit des rasant ansteigenden Nationalismus und Militarismus, das Aufkeimen patriotischer Gesellschaften überschattete den Anstieg neureligiöser Aktivitäten. Auch wenn zu dieser Zeit viele kleine Gruppierungen aktiv waren, so war ihre Situation doch prekär: Staat und Regierung behielten ein wachsames Auge über ideologisch–abweichendes Gedankengut und konträre Weltanschauungen. Nur einer kleinen Zahl an religiösen Bewegungen war es möglich, in dieser Umgebung zu gedeihen, indem sie eine Strategie der Anpassung an das militaristische Regime entwickelten. Seichō no Ie war eine davon. Das Bemerkenswerte daran ist jedoch weniger die Tatsache der Kriegsunterstützung, denn letztendlich kooperierte jede religiöse Gruppe in dieser Sache bis zu einem gewissen Grad. Vielmehr soll sich Taniguchi in besonderer Weise engagiert haben, weshalb ihn bis heute seine Kritiker als überzeugten Faschisten betrachten. Dass über diesen Zeitabschnitt von Seiten Seichō no Ies eisern geschwiegen wird, überrascht wohl kaum. Vielmehr kam Taniguchi während der Nachkriegsjahre selbst in Erklärungsnotstand über seine aktive Kriegsunterstützung und war sehr darum bemüht, einer Stigmatisierung seiner Organisation in dieser Hinsicht entgegenzuwirken, was ihm jedoch nicht gänzlich gelang.

1941 wurde Seichō no Ie offiziell eine Organisation nach dem Gesetz für religiöse Einrichtungen (Shūkyō dantai hō 宗教団体法) und damit Gegenstand der Überwachung durch den Unterrichtsminister. Neben der Organisierung von Unterstützung für die japanische Armee, soll Taniguchi den Pazifischen Krieg als heiligen Krieg proklamiert, eine Versöhnung mit den Kriegsgegnern England und USA entschieden abgelehnt, und selbst den Unterrichtsminister gescholten haben, in dieser Hinsicht eine zu laxe Position zu vertreten. Besonderes Augenmerk wurde der Kaiserverehrung gewidmet, wobei Taniguchi radikale Aussagen — wie unter anderem, dass alle Religionen vom Kaiser ausgehen (subete shūkyō wa Tennō yori hassuru nari すべて宗教は天皇より発するなり) — zugeschrieben werden. Laut Dorman war solch eine Tennō–zentrierte Position innerhalb neureligiöser Strömungen zu dieser Zeit jedoch keine Besonderheit. So sollen viele Gruppierungen in der frühen Shōwa–Ära Konzepte der Welterneuerung entwickelt haben, die den klassischen Mythen den Tennō, die kaiserliche Linie und die Nation betreffend auffällig ähnelten. Ganz im Sinne des Staatsshintō wurde dem Volk unter der Führung des Kaisers eine entscheidende Rolle in der Welterneuerung zugeschrieben und große Hoffnungen in den Tennō zur Erreichung dieses Ziels gesetzt (Dorman 2004, S. 108).

Doch auch wenn Taniguchis Aktivitäten während des Krieges als von faschistischen Gedanken geleitet einzustufen sind, so gilt es doch zu bedenken, dass religiösen Gruppierungen zu dieser Zeit keine andere Wahl blieb, um zu überleben: entweder sie unterstützten Japans expansionistische Politik durch Verpflegung der Truppen in Übersee oder sie schlossen sich einer Shintō–Gruppe im Inland an, so wie es z.B. auch Tenrikyō und andere taten. Auf welche Weise auch immer, es galt, eine Unterstützung der militaristischen Ambitionen Japans zu demonstrieren, wobei Taniguchi beide Wege wählte.

In diesem Sinne kann Taniguchi seine ideologische Position erst nach dem Krieg vorgeworfen werden: Denn trotz einer Stimmung militaristischen Ressentiments wurde die Verehrung des Kaisers beibehalten, ja sogar verstärkt, wodurch nach Reichl eine Assoziation zwischen dem Krieg und Seichō no Ie in den Köpfen der Japaner entstanden sein soll (Reichl 2011, S. 74). Taniguchi setzte sich für die Erhaltung des Tennō–Systems und des „japanischen Geistes“ ein. Begründet wurde dies mit einer Offenbarung, die ihm im November 1945 zuteil geworden war, wonach die Seichō no Ie–Gottheit der shintoistischen Gottheit Sumiyoshi 住吉 gleichzusetzen und die Nachkriegszeit eine Zeit der rituellen Reinigung sei. In dieser Phase der Welterneuerung solle sich das wahre Bild Japans in naher Zukunft manifestieren. Ende Dezember 1945 folgten zwei weitere Offenbarungen, die beide die nationalistische und Tennō–zentrierte Haltung Taniguchis deutlich machten. Selbst heute noch ist Seichō no Ie unverhohlener patriotisch als die meisten anderen neureligiösen Gruppierungen. So ist z.B. das kaiserliche Reskript über Erziehung (Kyōiku chokugo 教育勅語) aus dem Jahr 1890, dessen Bedeutung für Japans Ultranationalismus umfassend dokumentiert ist, in den für Seichō no Ie–Mitgliedern unverzichtbaren Texten enthalten. Darüber hinaus findet sich die japanische Flagge stets an der rechten Seite der Altäre, die Nationalhymne wird zu verschiedenen Anlässen gesungen und das morgendliche Begrüßungsritual umfasst auch die kaiserliche Familie.

Es verwundert nicht, dass Taniguchi und einige seiner Anhänger aufgrund ihrer nationalistischen Gesinnung von der Besatzungsmacht zensuriert wurden. Dies hatte jedoch bloß zufolge, dass sie keine direkten Verbindungen zu einem Verlagshaus unterhalten durften, in einer religiösen Organisation konnten sie sich weiterhin frei betätigen. Durch einen rechtlichen Kniff gelang es Taniguchi auch während der Besatzungszeit seine Organisation weiterhin zu kontrollieren, indem er 1946 den das Verlagswesen betreffenden Teil in ein eigenes Unternehmen auslagerte, das Kyōbunsha 教文社. Die übrigen Anteile wurden sodann in einer dezidiert religiösen Gruppierung zentriert, der Seichō no Ie Kyōdan 成長の家教団, welche nach der Verordnung für Religiöse Körperschaften (Shūkyō hōjin rei 宗教法人令) gegründet und später deren Nachfolger, dem Gesetz für Religiöse Körperschaft (Shūkyō hōjin hō 宗教法人法) angepasst wurde. Dadurch konnte Taniguchi weiterhin als religiöse Leitfigur während der Besatzungszeit auftreten.

Pünktlich mit Abzug der US–amerikanischen Truppen 1952 wurde Seichō no Ie signifikanten Änderungen unterzogen: Die publizistische Tätigkeit wurde rasch wieder aufgenommen und Schritte gesetzt, um das öffentliche Image der Organisation zu ändern. Die Bezeichnung kyōdan, die Seichō no Ie als speziell religiöse Gruppierung gekennzeichnet hatte, wurde gestrichen und die Mitgliedschaft in der Union der Neuen Religionen (shinshūren 新宗連) zurückgelegt. Der Namenszusatz hatte in den Augen Taniguchis seine Bewegung zu stark auf die religiöse Sphäre beschränkt, wo es doch sein erklärtes Ziel war, die japanische Gesellschaft zur Wahrheitserkennung zu führen. Aus derselben Motivation heraus erfolgte auch der Rückzug aus der Shinshūren. Taniguchi wollte sein Seichō no Ie nicht als eine Neureligion unter vielen verstanden sehen, sondern als Wahrheitsbewegung, die über die konfessionelle Religion hinausgeht. Nach einem Beliebtheitseinbruch während der Besatzungszeit machte sich Taniguchi nun den Stimmungsumschwung im Land zu Nutze und gewann sogleich wieder an Stärke. Sich von einer religiösen Verbindung loszusagen war daher ein bedeutender Zug, um von der gegenwärtigen Tendenz hin zu einer konservativen Gesinnung im vollen Umfang zu profitieren. Seitdem wurde in Publikationen und Programmen Seichō no Ies eine reaktionäre Linie gefahren und bis ins Jahr 1983 war die Organisation sehr in konservative Politik involviert, unter anderem eine starke Position des Kaisers propagierend.

Angesichts der Tatsache, dass Taniguchi zu seinen Lebzeiten stets die treibende Kraft hinter Seichō no Ie war, ist davon auszugehen, dass die Veränderungen, denen seine Bewegung unterlag, von ihm ausgingen bzw. stets mit seinem Sanctus erfolgten. Seit den 1970er Jahren erlebte die Organisation eine rasche Verbreitung in Ländern außerhalb Japans, was insbesondere auf zahlreiche Missionsreisen Taniguchis vor allem nach Brasilien, Hawaii, Nordamerika und Europa zurückzuführen ist. Taniguchi starb am 17. Juni 1985 im Alter von 91 Jahren.

Verweise

Siehe auch

Literatur

  • Roy E. Davis 1970
    Miracle man of Japan: The life and work of Masaharu Taniguchi, one of the most influential spiritual leaders of our time. Lakemont: CSA Press 1970.
  • Benjamin Dorman 2004
    „SCAP's Scapegoat? The authorities, New Religions, and a postwar taboo.“ Japanese Journal of Religious Studies 31/1 (2004), S. 105-140.
  • Clark Offner, Henry Van Straelen 1963
    Modern Japanese religions: With special emphasis upon their doctrines of healing. Tokyo: Enderle 1963.
  • Neill H. McFarland 1967
    The rush hour of the gods: A study of new religious movements in Japan. New York: Macmillan 1967.
  • Christopher Reichl 2011
    „The globalization of a Japanese New Religion: Ethnohistory of Seichō no Ie.“ Japanese Religions Vol. 36 (2011), S. 67-82. (Exzerpt.)
  • Birgit Staemmler, Ulrich Dehn (Hg.) 2011
    Establishing the revolutionary: an introduction to new religions in Japan. Berlin: Lit 2011.
    ´
  • Masaharu Taniguchi 1962
    Seimei no Jissō: Tōchūhan. Tōkyō: Nihonkyōbunsha 1962. (Exzerpt Erster Band der 40-teiligen Serie.)
  • Harry Thomsen 1963
    The New Religions of Japan. Tōkyō: Charles E. Tuttle Company 1963.
  • Ryuko Woirgardt 1995
    Die neuen Religionen Japans und ihr Sendungsbewußtsein im Hinblick auf den Weltfrieden: Eine Analyse am Beispiel der Seichō-no-ie-Bewegung. (Reihe XXII Soziologie Bandnr. 269.) Frankfurt am Main: Europäischer Verlag der Wissenschaften 1995.

Externe Links