Exzerpt:Fröhlich 2012
Exzerpt: Judith Fröhlich – Die Mongoleneinfälle in Japan mit einer Übersetzung von Seno Seiichirō: „Geschichten zu den ‚göttlichen Winden‘“
Im Text geht es hauptsächlich um die Mongoleneinfälle in Japan in den Jahren 1274 und 1281 und die Mythen um die sogenannten ‚göttlichen Winde‘ (kamikaze) und wie diese immer wieder in Krisenzeiten zur Sprache kommen. In der Einleitung erläutert Fröhlich die Nachfolgen der Invasionen und untersucht, ob die Invasionen die Entstehung eines japanischen Nationalidentitätsgefühls beeinflusst haben.
Innenpolitische und gesellschaftliche Auswirkungen
Laut Fröhlich hatten die Mongoleneinfälle weitreichende politische und gesellschaftliche Auswirkungen in Japan. Beispielsweise veranlasste das Kamakura-Shōgunat den Bau eines Schutzwalls um die Bucht von Hakata im Norden Kyūshūs, außerdem wurden bis ins frühe vierzehnte Jahrhundert eine ‚Rotationswache für die Verteidigung gegen die Fremden‘ verpflichtet, wegen welcher auch viele Krieger aus Ostjapan nach Kyūshū umsiedelten. Jedoch führten die Mongoleneinfälle dazu, dass das Shōgunat seinen Einfluss in West-Japan festigen konnte, da es außerdem auch ‚Nicht-Gefolgsleute‘ unter seinen Befehl bringen konnte und einen Anteil der grundherrlichen Steuern beanspruchte. Des Weiteren wurde Kyūshū unter die Verwaltung von Gefolgsleuten der Hōjō Regenten Familie gestellt und ein Gerichtshof der Shōgunats errichtet. Doch die langjährigen militärischen Einsätze führten letztlich zum Fall des Kamakura-Shōgunats, da sie zu politischer und gesellschaftlicher Instabilität beitrugen. Mit dem Eintreffen der Ostjapanischen Krieger kam es zu Spannungen zwischen Diesen und den alteingesessen Kriegern und Tempeln, welche vorwiegend zu Landbesitzstreitigkeiten führten.
Auswirkungen auf die japanischen Außenbeziehungen
Man geht davon aus, dass der Einflussgewinn Japans auf den ostasiatischen Meeren im Vierzehnten Jahrhundert, eine Folge der Abwendung der Mongoleneinfälle ist. Vor den Einfällen, trieb man hauptsächlich Handel mit Handelsleuten aus Song-China, welche sich über zwei Generationen in Hakata niedergelassen haben. In der 1220er Jahren werden erstmals die wakō (japanische Piraten) erwähnt, welche vor allem von der Insel Tsushima aus Plünderungen auf das koreanische Königreich Koryo unternahmen. Nach den Mongoleneinfällen monopolisierte das Shōgunat den Außenhandel und die japanische Piraterie erlebte ihren ersten Höhepunkt. Die Piraten waren im vierzehnten Jahrhundert eine Plage sowohl für Korea als auch für die Küsten Chinas. Die genehmigten Schiffe des Shōgunats und die Piratenschiffe verdrängten nach den Mongoleneinfällen die Vormachtstellung der chinesischen Händler auf den ostasiatischen Meeren. Die Seefahrt führte auch dazu, dass die Weltanschauung der Japaner um einiges akkurater wurde und Japan-Karten auch Länder außerhalb Japans erwähnten.
Die japanischen Krieger und die Mongolen
Angeblich haben die japanischen Krieger nicht erkannt, dass sie einen ausländischen Verteidigungskrieg führen. Laut Kawane Yoshiyasu hatten sie, aufgrund der fehlenden Erfahrung mit ausländischen Invasionen, Schwierigkeiten damit, zwischen einem Bürgerkrieg und einem Verteidigungskrieg zu unterscheiden. Diese Theorie stützt sich zum einen darauf, dass die Krieger um Belohnungen stellten, welche ihnen jedoch nicht gewährt werden konnten, da es nach den Mongoleneinfällen keine erbeuteten Güter gab, welche es im Fall von inländischen Kriegen durchaus gab. Zum anderen unterscheiden sich die in zeitgenössischen Quellen beschriebenen Kriegstaktiken, die bei inländischen Kriegen angewandt wurden, nicht von jenen, die bei den Mongolenangriffen zum Einsatz kamen. Die unterschiedliche Begrifflichkeit in den Quellen verstärkt die Annahme, dass die Vorstellung eines japanischen Staats zur Zeit der Mongoleneinfälle nur schwach ausgebildet war. Die Bezeichnungen für die Mongolen legen zwar nahe, dass man sich einer ausländischen Invasion bewusst war, allerdings wurden für diese verschiedene Begriffe verwendet und unterscheiden sich zum Teil auch von den Begriffen, die heute verwendet werden. Hauptsächlich wurden die Mongolen nie konkret benannt, sondern eher nur als ‚Ausländer‘ und ‚Feinde‘.
Die japanische Herrschaftselite und die Mongolen
Nach den Mongoleneinfällen verstärkte das Shōgunat die Abwehr, allerdings wurden nach den Angriffen keine Angriffspläne durchgesetzt. Man unterhielt mehr oder weniger friedliche Außenbeziehungen, jedoch wurde die Haltung gegenüber Koreanern zunehmend herablassender und man rezipierte verstärkt die Legenden zur „Eroberung der drei Han (koreanischen) Länder“ durch die legendäre Kaiserin Jingū. Dies war jedoch nicht von den Kriegern und unteren gesellschaftlichen Schichten ausgehend, sondern von der Herrschaftselite. Die sogenannten ‚Machtportale‘ waren neben dem Shōgunat und dem Kaiserhof die wichtigen religiösen Zentren. Sowohl Tempel als auch Schreine, sowie der Kaiser beteten während den Invasionen zu den buddhistischen und shintōistischen Gottheiten. Aufgrund der erfolgreichen Abwendung der Flotten durch die kamikaze, wurden die Leistungen von Tempeln und Schreinen vom Shōgunat erkannt und bekamen Landbesitz und Gesuche bewilligt. Die Mongoleneinfälle waren also für die Tempel und Schreine hauptsächlich eine Gelegenheit um ihre ideologische Autorität zu festigen, so ist zum Beispiel das Hachiman gudōkun eine Schrift, welche mit dem Ziel verfasst wurde, die wichtige Rolle von Schreinen des Kriegsgottes Hachiman für die Abwehr des Feindes zu zeigen.
Auswirkungen der Mongoleneinfälle in Japan bis in die Neuzeit
Als Toyotomi Hideyoshi zwei Koreafeldzüge in den 1590er Jahren, mit der Eroberung Chinas als Ziel, durchführte, erlebten die Geschichten zu den Mongoleneinfällen sowie zu Kaiserin Jingū einen Höhepunkt. Interessanterweise wurden alle drei legendären oder historischen Ereignisse im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert in die nationale Geschichtsschreibung aufgenommen. Um 1800 erhielten die Mongoleneinfälle und die Geschichten um die göttlichen Winde, als vermehrt ausländische Schiffe an der Küste Japans kreuzten, wieder neue Zuwendung. Eine zweite Rezeptionswelle erfolgte in der Zeit vom chinesisch-japanischen Krieg von 1894/95 zum russisch-japanischen Krieg von 1904/05. Im Jahr 1931 bis zum Ende des pazifischen Kriegs bildeten die Mongoleneinfälle einen viel bearbeiteten Forschungsgegenstand von der Mandschurei-Krise. Sogar während des zweiten Weltkriegs erhielten sie Erwähnung, als japanische Selbstmordpiloten nach den göttlichen Winden kamikaze benannt wurden.
Geschichten zu den ‚göttlichen Winden‘ (Seno Seiichirō)
Seno Seiichirōs Aufsatz „Geschichten zu den göttlichen Winden“ liefert einen Überblick zur Biografie der Begriffe der kamikaze und shinkoku (‚Land der Götter‘) von der vormodernen bis zur modernen Zeit. Bereits im neunten Buch des Nihon shoki, sowie auch im Vorwort des Jinnō shōtōki von Kitabatake Chikafusa (1293-1354), wird Japan als das ‚Land der Götter‘ bezeichnet. Diese Bezeichnung basiert auf der Annahme, dass der Boden Japans, die Leute, und alle auf Japan erzeugten Dinge durch die göttliche Kraft beschützt seien. Dies führte in Krisensituationen, wie eben z.B. den Mongoleneinfällen, zu der Idee, dass Japan ein durch die Götter beschütztes Land und durch ihre Hilfe uneinnehmbar sei. Diese Einstellung war sowohl in den 1850er und 1860ern, sowie in den Kriegen ab Ende des neunzehnten Jahrhunderts präsent. Im pazifischen Krieg gab es den ‚Glauben an den sicheren Sieg‘, bei welchem man annahm, dass durch den Beistand der Götter ein Sieg für Japan errungen werden würde, egal wie sehr der Kriegsverlauf nachteilig verlief. Diese Einstellung der Japaner basiert ziemlich sicher auf den kamikaze, welche zur Zeit der Mongoleninvasion geweht haben und Japan beschützt haben sollen. Nach dem Krieg wurde die shinkoku-Ideologie im Zuge der Durchführung der Okkupationspolitik der amerikanischen Armee abgelehnt. Erst im Jahr 1958 wurde die Forschung zu den kamikaze wieder aufgegriffen, als der Meteorologe Arakawa Hidetoshi einen Aufsatz zu diesem Thema veröffentlichte. In diesem Aufsatz geht es darum, dass der erste Mongoleneinfall des Jahres 1274 im November stattfand, und es anhand der Statistik belegt ist, dass damals zu dieser Zeit die Taifun-Saison bereits vorbei war. Auch in keinen anderen überlieferten Quellen findet sich ein Bericht, der besagt, dass ein Taifun gewütet hätte. Arakawa veröffentlichte, als Reaktion auf die Kritiker seines ersten Aufsatzes, einen weiteren Aufsatz, in dem steht, dass die Mongolen einen geplanten strategischen Rückzug angetreten wären, und die japanische Seite bloß erstaunt war, dass alle Schiffe über Nacht verschwunden waren, und ihren Sieg somit den kamikaze zuschrieben. Er meint außerdem, dass die These, dass während den Mongoleneinfällen des Jahres 1274 ‚göttliche Winde‘ geweht hätten, aus einer Verwechslung mit dem Jahr 1281 entstanden sei, in dem tatsächlich kamikaze geweht hätten. Seno sagt in seinem Aufsatz außerdem, dass die Japaner sich in der Vergangenheit immer dann auf die kamikaze stützen, wenn die Außenbeziehungen angespannt waren. Außerdem wurde der Aufstand der Samurai im Jahr 1876, als das Verbot zum Schwerttragen erlassen wurde, ‚Aufstand der Verbindung der göttlichen Winde‘ genannt. Im Jahr 1937 wurde ein Flugzeug ‚Kamikaze 神風号‘ getauft, welches einen Rekord für die Strecke Tōkyō-London aufstellte. Des Weiteren gab sich, ebenfalls im Jahr 1937, der Sumōringer Akazawa Shōichi den Namen ‚Kamikaze‘, welche er jedoch während des Krieges nicht behalten durfte. Im Jahr 1944 kam es schließlich dazu, dass ‚Kamikaze‘ zum Kennwort für die vielen waghalsigen Selbstmord-Bombenangriffe durch Absturz wurde, nachdem ein in den philippinischen Inseln erfolgreicher Angriffstrupp ‚Kamikaze-Trupp‘ getauft wurde. Nach dem Krieg ging man dazu über, tollkühn fahrende Taxis ‚Kamikaze-Taxis‘, woraufhin die Bedeutung der ‚göttlichen Winde‘ verloren ging.