Besessenheit im Heike monogatari: Unterschied zwischen den Versionen
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„shintoistischer“ Ritualgegenstände wie eines ''mikoshi'', um auf die kaiserliche Hofaristokratie Druck auszuüben. Diese Verwendung erzielt im Lauf der ''Heike''-Erzählung real spürbare Wirkungen. Als der ''mikoshi'' von Pfeilen getroffen wird, muss der Hof weit eher mit der Rache Sannōs rechnen, als nach dem Tod einzelner Mönche und Priester. Es scheinen daher zwischen Kaiserhof und Sannō-Gottheit sowohl gemeinsame Interessen als auch Interessensgegensätze zu bestehen, die nicht auf der Grundlage von religiösen Prinzipien, sondern von Gefühlen (Stolz, Rache, Eifersucht) abgewickelt werden. Insofern lässt sich argumentieren, dass die Schutzgottheit Sannō und ihre diversen Instanzen den gefühlsmäßigen, der abstrakten Logik buddhistischer Lehren entzogenen Aspekt des Hiei-Klosterkomplexes, oder anders ausgedrückt: seine auf traditionellen Gerechtigkeitsvorstellungen basierende Subjektivität, repräsentieren. | „shintoistischer“ Ritualgegenstände wie eines ''mikoshi'', um auf die kaiserliche Hofaristokratie Druck auszuüben. Diese Verwendung erzielt im Lauf der ''Heike''-Erzählung real spürbare Wirkungen. Als der ''mikoshi'' von Pfeilen getroffen wird, muss der Hof weit eher mit der Rache Sannōs rechnen, als nach dem Tod einzelner Mönche und Priester. Es scheinen daher zwischen Kaiserhof und Sannō-Gottheit sowohl gemeinsame Interessen als auch Interessensgegensätze zu bestehen, die nicht auf der Grundlage von religiösen Prinzipien, sondern von Gefühlen (Stolz, Rache, Eifersucht) abgewickelt werden. Insofern lässt sich argumentieren, dass die Schutzgottheit Sannō und ihre diversen Instanzen den gefühlsmäßigen, der abstrakten Logik buddhistischer Lehren entzogenen Aspekt des Hiei-Klosterkomplexes, oder anders ausgedrückt: seine auf traditionellen Gerechtigkeitsvorstellungen basierende Subjektivität, repräsentieren. | ||
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Version vom 27. Juli 2021, 11:20 Uhr
Themengruppe | Erzählung (Mythos, Legende, Märchen, etc.) |
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Schlagworte | Heike monogatari |
Protagonisten | Antoku 安徳天皇, kaiserliche Gemahlin und Tochter Kiyomoris 清盛 |
Das Heike monogatari 平家物語 („Erzählungen von den Heike“) ist ein mittelalterliches Kriegerepos (gunki monogatari 軍記物語), das den politischen beziehungsweise militärischen Konflikt zwischen dem Taira- (auch Heike 平家) und dem Minamoto-Klan (auch Genji 源氏) behandelt. Schlussendlich gingen im Laufe dieses Konflikts die Taira unter und die siegreichen Minamoto etablierten eine Militärregierung (bakufu 幕府) in Kamakura 鎌倉, einer Stadt im Osten von Japan in der heutigen Präfektur Kanagawa. Das Heike monogatari ist in verschiedenen Fassungen überliefert, die aus zunächst oral tradierten Texten kompiliert und niedergeschrieben wurden. Somit sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass es sich um keine historiographische Quelle handelt, auch wenn größten Teils historische Geschehnisse beschrieben werden. Vielmehr wurden die Erzählungen narrativ ausgeschmückt und sind damit von der Sichtweise der jeweiligen Kompilatoren beziehungsweise Verfasser geprägt. [1] Der vorliegende Artikel beruht auf der gängigen sogenannten Kakuichi-bon-Fassung 覚一本 des Heike monogatari (im folgenden Kakuichi-bon), die sich auf das Jahr 1372 datieren lässt und auch der englischen Übersetzung durch Helen Craig McCullough (1988) zugrunde liegt.
Neben den direkten kriegerischen Konfrontationen der beiden Fraktionen werden auch andere Topoi behandelt und in die Geschichte hineingewoben. So finden sich zum Beispiel Liebeserzählungen oder Vergleiche mit früheren Ereignissen der japanischen oder chinesischen Geschichte. Auch Begegnungen mit übernatürlichen Wesen sind Gegenstand der Heike-Erzähltradition.
Besessenheit
Besessenheit (hyōi 憑依) wird im Folgenden aus Sicht der Betroffenen verstanden und ist in diesem Sinn ein Zustand, in dem eine übernatürliche Kraft, ein Geist oder eine Gottheit in den Körper eines Menschen fährt und ihn dadurch verändert. Der Mensch, von dem diese übernatürliche Entität Besitz ergreift, wird als „Medium“ bezeichnet. Um die unterschiedlichen Umstände, durch die sich eine solche Besessenheit äußert, zu unterscheiden, gibt es verschiedene Kriterien. Die deutsche Japanologin Birgit Staemmler unterscheidet Besessenheiten zunächst einmal abhängig davon, ob eine Besessenheit vom Medium selbst herbeigerufen wurde und somit ein freiwillig hervorgerufener (solicited) Akt des Mediums ist, oder ob das Medium ohne eigene Absicht in einen Besessenheitszustand verfällt und dieser Akt somit ein unfreiwillig hervorgerufener (unsolicited) Akt ist. [2]
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist, ob es sich um eine kontrollierte oder unkontrollierte Besessenheitsform handelt. Hiermit ist gemeint, ob das Medium grundsätzlich Kontrolle über die Ausprägungen der Besessenheit hat oder nicht. Eine unfreiwillig hervorgerufene, kontrollierte Besessenheit würde also zum Beispiel bedeuten, dass das Medium die besitzergreifende übernatürliche Entität zwar nicht bewusst hervorruft, aber im Fall der Besessenheit weiterhin mehr oder weniger Kontrolle über den Verlauf der Besessenheit hat und somit sogar in manchen Fällen die Besessenheit von sich heraus beenden kann. Dies ist zum Beispiel oft bei prophetischen Visionserscheinungen der Fall. [3]
Ein weiterer Aspekt zur Unterscheidung stellt auch die besitzergreifende Entität selbst dar. Besessenheit durch Wohlwollende Gottheiten bringt zueist auch ein positives Resultat mit sich wie etwa eine Prophezeiung, Besessenheit durch böswillige Entitäten münden hingegen in eher unerfreuliche Ergebnisse, etwa eine Krankheit. Der Charakter der Gottheit steht allerdings nicht immer direkt damit in Verbindung, ob die Besessenheit ein grundsätzlich wünschenswertes oder eher ein schädigendes Ergebnis zeitigt.
Aufgrund dieser Kriterien gelangt Staemmler zu vier Hauptkategorien, in den sich Besessenheit üblicherweise ausdrückt: [4]
- Unfreiwillig hervorgerufene Besessenheit durch eine böswillige Entität, welche sich in Form einer Krankheit oder unkontrollierbarer Trance manifestiert. Diese wird negativ gedeutet und die besitzergreifende Entität muss exorziert oder beschwichtigt werden.
- Unfreiwillig hervorgerufene Besessenheit durch eine wohlwollende Entität, welche sich z.B. in Form einer Prophezeiung im Zustand kontrollierbarer Trance äußert.
- Unfreiwillig hervorgerufene Besessenheit, die sich als Trance in Kombination mit anderen kranheitsartigen Symptomen äußert. Typischerweise werden solche Zustände als Zeichen einer shamanistischen Berufung verstanden. Indem das Medium mit dieser Form von Besessenheit umzugehen lernt, werden seine professionellen Fähigkeiten entwickelt.
- Freiwillig hervorgerufene Besessenheit, welche von einem religiösen Spezialisten bewusst ausgelöst wird, um mit übernatürlichen Entitäten zu kommunizieren und sie im Sinne des jeweiligen Anlasses zu beeinflussen (Exorzismus, Heilung, Geisterberuhigung etc.).
In der Kakuichi-bon-Fassung des Heike monogatari sind vor allem die erste und zweite, und in gewisser Weise auch die vierte Ausprägung von Belang.
Besessenheit durch böswillige Entitäten
Die Darstellung einer Besessenheit durch böswillige Entitäten findet sich am Anfang des dritten Buches des Kakuichi-bon im Vorfeld der Geburt des kommenden Kindkaisers Antoku 安徳天皇 (1180–1185), der zugleich ein Enkel des gegenwärtigen politischen Machthabers, Taira no Kiyomori 平清盛 (1118–1181) ist. In Abschnitt 1 [5] wird die kaiserliche Gemahlin und Tochter Kiyomoris schwanger. Angesichts der Hoffnung, dass sie einen männlichen Nachkommen des Kaiserhauses zur Welt bringen möge, steht sie unter großem Druck. Mit fortschreitender Schwangerschaft verschlechtert sich ihr Zustand jedoch, was unweigerlich als Einfluss übelwollender Kräfte gedeutet wird.
Bei den „Kikai-ga-shima exiles” handelt es sich um politische Gegner von Taira no Kiyomori, die aufgrund eines misslungenen Komplotts auf die Insel Kikai-ga-shima 鬼界が島 ins Exil geschickt worden waren. Von ihnen gehen die Rachegeister der Lebenden (seirei bzw. ikiryō生霊) aus, die beschwichtigt werden müssen. Zu diesem Zweck soll eine Generalamnestie erlassen werden, wobei Kiyomori aber darauf besteht, dass alle politischen Gegner außer einem bestimmen begnadigt werden sollen. Prompt wird die kaiserliche Gemahlin während der Geburt erneut vom Geist des nicht begnadigten politischen Gegners heimgesucht (Abschnitt drei). In diesem Fall werden unterschiedliche Sutren rezitiert, um den Geist abzuwehren.[6]
In diesen Episoden treten zwei verschiedene Formen der Besessenheit nach einander auf. Zum einen werden zunächst die kränklichen Zustände, die die kaiserliche Gemahlin während der Schwangerschaft erleidet, unterschiedlichen Rachegeistern zugeschrieben. Hierbei ist spannend, dass sowohl Rachegeister bereits verstorbener Personen, wie auch Geister noch lebender Personen auftreten. Die bereits Verstorbenen lassen sich die ähnlich wie der prototypische Rachegeist des Sugawara no Michizane 菅原道真 (845–903) durch posthume Titelvergaben beschwichtigen. Die Beschwichtigung der noch lebenden Exilanten stellt hingegen ein schwierigeres Unterfangen dar, da verschiedene politische Ziele (Bestrafung einer politischer Revolte; Beschwichtigung von ikiryō) mit einander in Einklang gebracht werden müssen.
Zum anderen findet sich aber auch in der Identifizierung der Rachegeister eine Instanz einer gewollt hervorgerufenen Besessenheit, da die Rachegeister ja in Medien gerufen werden, um mit diesen kommunizieren zu können. Hierbei tragen die Medien selbst allerdings nicht aktiv dazu bei, dass sich die Geister in ihnen manifestieren, sondern sind es Mönche, die die Geister dazu veranlassen, den Gegenstand der Besessenheit zu wechseln. Diese Praxis erinnert an Besessenheitsrituale, die von neureligiösen Bewegungen auch heute noch durchgeführt werden und von Birgit Staemmler als „mediated spirit possession“ bezeichnet werden.[7]
Unfreiwillig hervorgerufene Besessenheit durch wohlwollende Entitäten
Im Kakuichi-bon finden sich zwei Erzählungen, in denen eine unfreiwillig hervorgerufene Besessenheit durch eine wohlwollende Entität geschildert wird. Beide Erzählungen finden noch recht am Anfang der größeren Rahmenhandlung des Heike monogatari am Ende von Buch 1 und am Anfang von Buch 2 statt. Zu diesem Zeitpunkt herrscht gerade ein Konflikt zwischen den Mönchen des Enyraku-ji 延暦寺 der Tendai-Schule 天台宗 und dem Hofadel in Heian-kyō. Die Tendai-Mönche bitten den abgedankten und in den Mönchsstand eingetreten Tennō Go-Shirakawa 後白河法皇[8], für die Tendai-Schule unliebsame politische Akteure ihrer Ämter zu entheben und ins Exil zu schicken. Go-Shirakawa kommt dieser Bitte aber nicht nach, weshalb die Mönche zu Protestaktionen greifen, die teilweise in kriegerische Auseinandersetzungen münden, was die Situation nur noch weiter aus dem Ruder laufen lässt.
Beide Besessenheits-Episoden finden im Zuge dieser Auseinandersetzungen des kaiserlichen Hofes mit den Mönchen des Enryaku-ji statt. Schauplätze sind die kaiserliche Hauptstadt sowie der nordöstlich gelegene Klosterberg Hiei 比叡山 und der Hiyoshi [oder Hie] Sannō Schrein 日吉大社 in Sakamoto 坂本, am östlichen, abseits der Hauptstadt gelegenen Fuß des Klosterberges, der zugleich das westliche Ufer des Biwa-Sees darstellt. Als Einzelgottheiten des Sannō-Ensembles werden Hachiōji 八王子市 und Jūzenji 十禅師 erwähnt. Die Episoden illustrieren ganz nebenbei auch das perfekte Ineinandergreifen von indigenen Vorstellungen (Schreingottheit, Besessenheit) und buddhistischer Deutungshoheit, wie sie zur Zeit der Abfassung des Heike monogatari vorherrschend war.
Buch 1, Abschnitt 14, „Gelübde“ gandate 願立
Die erste Besessenheits-Episode wird zu Beginn des oben genannten Konflikts geschildert.[9] Aus Protest gegen Go-Shirakawa veranstalten die Mönche einen Protestzug mit dem mikoshi 神輿 [10] der Schutzgottheiten des Bergs Hiei (Sannō 山王) nach Heian-kyō 平安京. Nach der Schilderung der Versammlung der Mönche an den Schreinen der Schutzgottheiten folgt ein Wechsel der Erzählzeit etwa 100 Jahre vor die eigentliche Erzählzeit des Heike monogatari.
Hier wird von einer ähnlichen Situation zwischen den Mönchen des Enryaku-ji und dem Kaiserhof erzählt. Da ein Mitglied der Aristokratie einen Mönch bei einer Konfrontation getötet hat, gehen 30 hochrangige Mönche der Tendai-Schule nach Heian-kyō, um Rechenschaft durch den kaiserlichen Hof zu fordern. Der Hof schenkt ihnen aber kein Gehör, sondern lässt sie von Wachen mit Pfeilen angreifen, wodurch acht Mönche getötet und die restlichen in die Flucht getrieben werden. Erzürnt über diese Missetaten wenden sich die Mönche des Enryaku-ji an die sieben Schutzgötter des Berg Hiei, die im Hiyoshi Sannō Schrein gemeinsam verehrt werden. Dafür holen sie die mikoshi der sieben Schutzgötter in die Haupthalle auf dem Tempelberg und führen dort eine eintägige Rezitation von Sutren durch, worauf sie Hachiōji 八王子, eine der sieben Schutzgottheiten, bitten, den derzeitigen Fujiwara-Regenten mit einem Brummpfeil abzuschießen und damit zu verfluchen.
In der folgenden Nacht hat jemand in Heian-kyō einen Traum, dass vom Berg Hiei ein Brummpfeil in das Haus des Regenten geschossen wurde, und daraufhin wird der Regent schwer krank, was im Text der Macht des Hachiōji zugeschrieben wird. Die Mutter des Regenten verkleidet sich als Frau von niederem Stand, um zum Schrein von Hachiōji zu gehen und dort die Gottheit um Gnade für ihren Sohn zu bitten. Hierzu betet sie sieben Tage und Nächte lang in Stille, wobei sie drei geheime Versprechen an die Gottheit macht, die sie sonst niemandem verrät.
In weiterer Folge zählt die Gottheit durch den Mund des Mediums die drei Gelübde auf, die die Mutter des Regenten still gemacht hatte, und verkündet, dass sie das letzte der Drei Gelöbnisse annehmen wolle, nämlich jeden Tag Rezitationen des Lotos-Sūtras am Schrein von Hachiōji durchführen zu lassen. Dafür würde sie den Regenten noch drei Jahre zu leben lassen. Ein weiterer Aufschub sei nicht möglich, da die Gottheit selbst durch die Pfeile, die auf ihre Priester geschossen worden seien, verwundet worden wäre. Zum Beweis entblößt das Medium seine linke Schulter, unter der eine tiefe Wunde klafft. Danach verlässt die Gottheit den Körper der Schreindienerin. Da die Mutter niemandem von ihren Gelöbnissen erzählt hatte, ist sie überzeugt, dass das Orakel wahrlich durch den Geist der Gottheit übertragen wurde, und lässt, wie versprochen, jeden Tag das Lotos-Sūtra rezitieren. Daraufhin wird der Regent zwar wieder gesund, doch wie angekündigt, verstirbt er nach drei Jahren dennoch frühzeitig.
Die ganze Episode scheint als Machtbekundung des Sannō und des von ihm beschützten Tendai-Buddhismus zu fungieren. Diese Macht kommt in mehrfacher Weise zum Ausdruck. Zunächst verursacht die Gottheit Hachiōji, dass der den Tendai-Mönchen feindliche Regent mit einer tödlichen Krankheit geschlagen wird. In der Besessenheitssequenz selbst ist interessant, dass hier eine weibliche, explizit junge Person als Medium dient, der weder Verbindungen zum Schrein, noch zu der Besitz ergreifenden Gottheit zugeschrieben werden, da sie sozusagen nur zufällig während ihrer Pilgerschaft gerade zu diesem Zeitpunkt am Schrein des Berg Hiei ist. Die Besessenheit dient ebenfalls als Machtdemonstration. Nicht nur, weil die Gottheit in der Lage ist, Besitz über einen Menschen zu ergreifen, sondern auch weil sie währenddessen beweisen kann, über Wissen zu verfügen, die nur ein übernatürliches Wesen erlangen kann, und schließlich durch ein physisches Stigma am Körper des Mediums, das die der Gottheit zugefügten Schmerzen unmittelbar veranschaulicht.
Erst nachdem die Mutter des Regenten ihr Gelübde wahr macht (und im übrigen auch noch ein Stück Land an den Schrein spendet), gewährt Sannō dem Regenten noch Lebenszeit. Hierbei ist aber auch interessant, dass die Strafe eben nur gelindert werden kann, nicht aber vollständig aufgehoben, da die Gottheit dem Regenten nur drei weitere Jahre zu leben gibt. Nutznießer der ganzen Aktion ist jedenfalls das Tendai-Kloster, das nicht nur die Oberhoheit über den Sannō Schrein und seine Besitzungen inne hat, sondern auch die (sicher nicht unentgeltlichen) Rituale durchführt, von denen im Gelübde die Rede ist.
Buch 2, Abschnitt 3, „Vom Lehrer Yixing“ Ichigyō ajari no sata一行阿闍梨之沙汰
Die zweite Episode wird ebenfalls im Rahmen dieser Mönchsaufstände geschildert. Nachdem die Mönche sich mit ihrer Schreinprozession nach Heian-kyō aufgemacht hatten, werden sie mit einem Pfeilhagel empfangen, wobei nicht nur einige Mönche getötet werden, sondern auch die mikoshi beschädigt werden. Wenig später bricht ein Feuer in Heian-kyō aus, wobei der Großteil des kaiserlichen Palastes zerstört wird. Dies wird als Folge der Missetat gegen die Sannō-Gottheiten gedeutet. Diese Zuschreibung wird in dem Text damit begründet, dass jemand davon geträumt habe, Affen seien mit Fackeln vom Berg Hiei nach Heian-kyō gekommen[13]. Affen werden als Botentiere der Sannō-Gottheiten gedeutet.[14] In weiterer Folge versucht die Hofaristokratie, denjenigen zu bestrafen, der dafür verantwortlich ist, dass die Mönche des Enryaku-ji überhaupt mit den mikoshi nach Heian-kyō gegangen sind. Hierbei identifizieren sie dann den Abt (zasu 座主) des Enryaku-ji und damit einen der hochrangigsten Zugehörigen der Tendai-Schule Meiun 明雲, der aus Sicht der Tendai-Mönche zu Unrecht angeklagt wird. Go-shirakawa will Meiun seinen Titel und Funktionen entziehen und darauf ins Exil schicken.[15] Meiun wird in Awazu 粟津, eine Stadt am südlichen Ufer des Biwa-Sees, gefangen gehalten und die Mönche des Enrayku-ji, die dieses kaiserliche Urteil nicht akzeptieren, beratschlagen sich, wie sie weiter vorgehen sollen:
An eighteen-year-old youth named Tsurumaru, the servant of the Mudōji monk Master Discipline Jōen, suddenly took leave of his senses writhing and perspiring. ”The Jūzenji god has possessed me,” he announced. ”Whether this is the latter end of the Law or not, our Abbot must not be removed to another province. I could never recover from the grief, no matter how many times I might be born into new existences. It is useless for me to stay at the foot of this mountain if such things are to happen.” The boy shed floods of tears, with his two sleeves pressed to his face.
The monks felt skeptical. ”If this is really an oracle from the Jūzenji god, we will give you means to prove it,” they said. ”Return each of these objects to its rightful owner.” Four or five hundred senior monks tossed their prayer beads [juzu数珠]] up onto the shrine’s broad veranda. The possessed youth raced here and there to pick them up, assembled them in a group, and returned each to its owner without mistake. The monks joined their palms and shed tears of gratitude, awed by the god’s wonder-working powers. “If that’s the way things are, let’s go get the Abbot!” they shouted.Mit dieser göttlichen Bekräftigung machen sich die Mönche des Enryaku-ji auf den Weg nach Awazu. Alle Wachmänner, die ihnen auf dem Weg entgegenstehen, fliehen vor Angst und so kommen die Mönche ohne Hindernisse nach Awazu, bewahren ihren Abt vor dem Exil und bringen ihn zurück zum Berg Hiei.[16]
Auch diese Episode bekräftigt die Macht der Sannō-Gottheit. In diesem Fall dient ein junger Mann als Medium, der als Diener eines der Mönche in gewisser Verbindung mit dem Berg Hiei steht. Das macht die Mönche argwöhnisch, ob es sich nicht um eine nur vorgetäuschte Besessenheit handelt. In diesem Falle wäre es natürlich nicht ratsam, dem Orakel Folge zu leisten. Sie suchen daher nach einem Beweis und vollziehen einen einfachen, aber wirkungsvollen Test, um die Authentizität des Mediums zu verifizieren. Als dieses unter den hunderten Gebetsketten jedem Mönch die richtige zurückgeben kann, ist klar, dass das Medium unter dem direkten EInfluss einer Gottheit steht. Weiters wird die Macht, die Sannō alias Jūzenji ausübt, noch einmal deutlich, als die Wachtruppen des kaiserlichen Hofes, wie durch das Orakel angekündigt keinerlei Widerstand gegen die aufgebrachten Mönche leisten und flüchten.
Vergleich
In beiden Episoden fallen mehrere gemeinsame Aspekte auf. So werden z.B. die Medien beide explizit als jung bezeichnet, was auf eine Affinität von Jugendlichkeit und medialer Eignung schließen lässt. Genderfaktoren sind andererseits offenbar nicht ausschlaggebend, da sowohl ein weibliches als auch ein männliches Medium dargestellt werden. Dennoch sind Unterschiede erkennbar, wie die Besessenheit konkret ausgelebt wird. Im Falle des weiblichen Mediums steht ein lang andauernder Tanz im Vordergrund, der vor dem Orakelspruch der Gottheit stattfindet. Dieser erinnert an ein kagura 神楽 (Ritualtänze), welches zumindest laut Irit Averbuch auf ursprünglich mediumistische bzw. shamanistische Praktiken zurückgehen. Parallelen existieren vor allem mit dem miko kagura 神子神楽, in dem sich eine miko 神子 – eine weibliche Schreindienerin, die ehemals auch als Medium eingesetzt wurde — durch einen Tanz in Extase versetzt, womit die miko zum in den kagura zentralen Gottessitz (yorishiro 依代) gemacht wird.[17]
Im Gegensatz dazu liegt in der Darstellung des männlichen Mediums ein Fokus auf der körperlichen und mentalen Befindlichkeit des Mediums (Schweiß, Tränen). Auch scheint es, dass die Besessenheit innerhalb kurzer Zeit ausgelöst wurde, während in der weiblichen Darstellung auf die lange Zeitspanne verwiesen wird, die von der anfänglichen Ohnmacht des Mediums zum Tanz und schließlich zum Orakelspruch reicht.
Bei beiden Darstellungen wird indirekt darauf hingewiesen, dass keine unmittelbare Verbindung zwischen Medium und Gottheit besteht, was die Authentizität des Orakels zweifellos verstärken soll. Die miko ist aufgrund einer Pilgerschaft ja scheinbar zufällig vor Ort und der Jüngling ist zwar in die Mönchsgemeinschaft, aber nicht in die Schreinpriesterschaft integriert.
Weiters ist interessant, dass beide Medien in mehr oder minder demselben religiös-traditionellen Rahmen agieren, während andere Fälle von Besessenheit durch wohlwollende Gottheiten im Heike monogatari nicht aufscheinen. Die Orakle gebenden Gottheiten sind jeweils Teil der Sannō-Schutzgottheit des Berg Hiei. Sie sind zwar kami, die in Schreinen am Fuße des Berges verehrt werden, doch werden sie als Inkarnationen buddhistischer Gottheiten gesehen, was die starken Verbindungen dieser Gottheiten mit den Tendai-Mönchen erklärt. Solche Inkarnationen werden als gongen 権現 bezeichnet, weshalb auch diese Gottheiten im Text als Jūzenji Gongen 十禅師権現 und als Hachiōji Gongen 八王子権現 bezeichnet werden. Hierbei kommt der stark synkretistische Charakter zum Vorschein, der Buddhismus und Shintō lange Zeit in der japanischen Vormoderne miteinander verband. Das Heike monogatari weist uns darauf hin, dass die eigentlich buddhistischen Tendai-Mönche auf diese kami-Manifestationen zurückgreifen müssen, wenn sie konkrete göttliche Wirkungen, wie etwa eine karmische Bestrafung durch Krankheit und Tod oder die Befreiung eines Mönchs aus dem Exil, hervorrufen wollen.
Um ihren Unmut kundzutun, begeben sich die Mönche nicht nur von ihrem Klosterkomplex auf dem Berg herab, sie bedienen sich auch „shintoistischer“ Ritualgegenstände wie eines mikoshi, um auf die kaiserliche Hofaristokratie Druck auszuüben. Diese Verwendung erzielt im Lauf der Heike-Erzählung real spürbare Wirkungen. Als der mikoshi von Pfeilen getroffen wird, muss der Hof weit eher mit der Rache Sannōs rechnen, als nach dem Tod einzelner Mönche und Priester. Es scheinen daher zwischen Kaiserhof und Sannō-Gottheit sowohl gemeinsame Interessen als auch Interessensgegensätze zu bestehen, die nicht auf der Grundlage von religiösen Prinzipien, sondern von Gefühlen (Stolz, Rache, Eifersucht) abgewickelt werden. Insofern lässt sich argumentieren, dass die Schutzgottheit Sannō und ihre diversen Instanzen den gefühlsmäßigen, der abstrakten Logik buddhistischer Lehren entzogenen Aspekt des Hiei-Klosterkomplexes, oder anders ausgedrückt: seine auf traditionellen Gerechtigkeitsvorstellungen basierende Subjektivität, repräsentieren.
Verweise
Verwandte Themen
Literatur
- Irit Averbuch 1998„Shamanic dance in Japan: The choreography of possession in kagura performance.“ Asian Folklore Studies Vol. 57, No. 2 (1998), S. 293–329.
- Masaaki Kajihara, Yamashita Hiroaki 山下宏明 1991Heike monogatari jō. (Shin nihon koten bungaku taikei, Bd. 44 新日本古典文学大系 44.) Tokyo: Iwanami Shoten 岩波書店 1991.
- Hiroshi Kitagawa (Ü.) 1975The tale of the Heike. Tokyo: University of Tokyo Press 1975.
- Helen Craig McCullough (Ü.) 1988The tale of the Heike. Stanford: Stanford University Press 1988.
- Roland Schneider 2000„Pinsel, Schwert und Mönchsgewand: Das Heike monogatari als literarisches Werk.“ In: Franziska Ehmcke und Heinz-Dieter Reese (Hg.), Von Helden, Mönchen und Frauen: Die Welt des japanischen Heike-Epos. Köln: Böhlau 2000, S. 11-32.
- Birgit Staemmler 2009Chinkon kishin: Mediated spirit possession in Japanese new religions. Berlin, Münster: Lit 2009.
Fußnoten
- ↑ Schneider 2000, S. 18-19
- ↑ Staemmler 2009, S. 22
- ↑ Staemmler 2009, S. 23
- ↑ die folgende Aufzählung folgt Staemmler 2009, S. 23-24
- ↑ SNKBT 44, S. 137–141; McCullough 1988, S. 96–98
- ↑ McCullough 1988, S. 100–102
- ↑ vgl. Staemmler 2009
- ↑ Offizielle Regierungszeit von 1155–1158, gestorben 1192. Zu dieser Zeit war es aber üblich, dass ein Tennō erst politisch aktiv wurde, sobald er sein Amt offiziell niedergelegt hatte und in den Mönchsstand eingetreten war.
- ↑ Folgende Ausführungen zum Inhalt des Abschnitts folgen der kommentierten Ausgabe des Originaltextes (SNKBT 44, S. 51–56) und den Übersetzungen von Kitagawa Hiroshi (1975, S. 60–66), Helen Craig McCullough (1988, S. 49–52) und Royal Tylor (2012, S. 47–52).
- ↑ eine Sänfte, die als Sitz einer Kami-Gottheit zu Umzügen und Festivitäten verwendet wird
- ↑ Provinz in heutiger Tōhoku-Region
- ↑ Anmerkungen in eckiger Klammer als Ergänzung des Autors
- ↑ McCullough 1988, S. 52–56
- ↑ SNKBT 44, S.62, Fußnote 7
- ↑ McCullough 1988, S. 57–59
- ↑ SNKBT 44, S. 83–87; McCullough 1988, S. 60–62
- ↑ Averbuch 1998, S. 295 – 298