Meiji Restauration: Unterschied zwischen den Versionen
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+ | |bemerkung=Ende des Shōgunats und Erneuerung der kaiserlichen Macht, Industrialisierung, Übernahme westlicher Ideen | ||
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− | + | 1868 endete in Japan die Herrschaft der Shogune, der Tennō beendete sein abgeschiedenes Leben in Kyoto und übernahm wieder eine aktivere Rolle in der Politik. Bis dahin hatten die Shogune geherrscht und der Kaiser war für die meisten Japaner kaum noch von Bedeutung, wenn sie sich überhaupt seiner Existenz im klaren waren. Selbst zu Zeiten der größten Kontinuität, in der Edo-Periode 江戸時代 (Tokugawa-Periode 1615–1867), hatten die Shogune es nicht gewagt, den Tennō abzusetzen, da sie ihn für die Legitimierung ihrer Herrschaft benötigten. Was in Europa die Legitimation durch Gottes Gnaden war, geschah in Japan durch den Tennō. Daher ließ sich jeder Shogun durch ihn im Amt bestätigen. | |
+ | Seit Matthew C. Perry 1853 mit seiner Flotte die Öffnung des durch innere und äußere Krisen bereits geschwächten Landes erzwang, gewannen patriotische Strömungen unter dem Slogan ''sonnō jōi'' 尊皇攘夷 („ehrt den Kaiser, verjagt die Barbaren“) immer mehr Einfluss und trugen schließlich mit zum Zusammenbruch des Systems bei. In Folge des politischen Umbruchs wurde die Residenz des [[Meiji Tennō]] 明治天皇 (1852–1912, r. 1867–1912) von Kyoto nach Edo, in die Stadt der Shogune, verlegt, die man daraufhin in Tokyo („kaiserliche Residenzstadt im Osten“) umbenannte. Dies war der Beginn der Meiji-Restauration, einer Phase der japanischen Geschichte, die von rasanten Entwicklungen geprägt war und die Voraussetzungen dafür lieferte, dass sich der ehemalige Feudalstaat in die heutige Wirtschaftsnation entwickeln konnte. | ||
− | Im Verlauf der Meiji-Restauration wurde die Figur des | + | Dem Wechsel der Hauptstadt folgte schnell eine Vielzahl weiterer Reformen. Unter anderem wurden Privilegien der Samurai abgeschafft und die Grundsteuern von Naturalabgaben in eine Geldsteuer umgewandelt, um den neuen Staat mit den nötigen finanziellen Mitteln zu versorgen. Des Weiteren gab es eine Bodenreform und die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht. Damit das Land nicht gänzlich im Chaos der Veränderung versank, war die [[ Meiji Tennō - Als politischer Machthaber | Regierung]] zunächst bemüht, die Situation praktisch zu stabilisieren, ehe das neue System staatstheoretisch untermauert werden konnte. Eine vom Westen anerkannte Verfassung war aber ein wichtiger Schritt, um als gleichberechtigter Handelspartner angesehen zu werden. Eine solche Verfassung trat jedoch erst 1889 in Kraft, mehr als zwei Jahrzehnte nach Beginn der Reformen. Die Politiker sahen sich bei der Suche nach einem geeigneten Konzept, dass als Grundlage für die Verfassung dienen konnte, in den westlichen Ländern um. Letztendlich befand man dann die deutsche Verfassung für am besten geeignet. In anderen wichtigen Bereichen suchte sich die japanische Regierung ihre Experten in anderen europäischen Ländern, so orientierte man sich beim Aufbau einer Flotte an England und dem Aufbau der Armee an Frankreich. |
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+ | Im Verlauf der Meiji-Restauration wurde die Figur des Kaisers in der stark hierarchischen Gesellschaft zu einem personifizierten Japan, damit wurde die Loyalität ihm gegenüber wichtiger Bestandteil des „Japanertums“. Derartige Vorstellungen führten mit dazu, dass sich im Zweiten Weltkrieg so viele Japaner bereitwillig für ihren [[Gott-Kaiser]] in den Tod stürzten. | ||
==Religiöse Veränderungen== | ==Religiöse Veränderungen== | ||
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− | + | Die nationalistisch-patriotische Bewegung, die den Tennō wieder in den Blickpunkt der Politik gebracht hatte, war eng mit shintoistischen Strömungen verwoben, die eine Reinigung des Shinto von buddhistischen Einflüssen anstrebten. Sie wollten ''saisei itchi'' 祭政一致 herbeiführen – die Vereinigung von Kult und Herrschaft. Da die Bedeutung des Tennō zu großen Teilen in den [[Meiji Tennō - Als mythischer Machthaber | Legenden des Shinto]] fußte, war es zwangsläufig notwendig, mit dem Tennō auch den Shinto wieder stärker in den Fokus zu rücken. | |
− | Die nationalistisch-patriotische Bewegung, die den Tennō wieder in den Blickpunkt der Politik gebracht hatte, war eng mit shintoistischen Strömungen verwoben, die eine Reinigung des Shinto von buddhistischen Einflüssen anstrebten. Sie wollten saisei itchi herbeiführen – die Vereinigung von Kult und Herrschaft. Da die Bedeutung des Tennō zu großen Teilen in den [[Meiji Tennō - Als mythischer Machthaber | Legenden des Shinto]] fußte, war es zwangsläufig notwendig, mit dem Tennō auch den Shinto wieder stärker in den Fokus zu rücken. | ||
− | Seit seiner Ankunft in Japan hatte der Buddhismus zunehmend die religiöse Vorherrschaft übernommen und auch den Shinto stark beeinflusst. Diese Einflüsse wollte man nun so schnell wie möglich beseitigen, um wieder zu einem „Ur-Shinto“ zurückzukehren. In einigen Regionen kam es in diesem Zusammenhang zu regelrechten Tempelstürmungen, bei denen Kult- und Kunstgegenstände zerstört wurden. Von der Regierung wurde das | + | Seit seiner Ankunft in Japan hatte der Buddhismus zunehmend die religiöse Vorherrschaft übernommen und auch den Shinto stark beeinflusst. Diese Einflüsse wollte man nun so schnell wie möglich beseitigen, um wieder zu einem „Ur-Shinto“ zurückzukehren. In einigen Regionen kam es in diesem Zusammenhang zu regelrechten Tempelstürmungen, bei denen Kult- und Kunstgegenstände zerstört wurden. Von der Regierung wurde das Jingi-kan 神祇官, das Amt für Schreinwesen gegründet. Dessen Bedeutung, Kompetenzen und auch Name änderten sich im Laufe der Jahre mehrfach. Es lief jedoch immer darauf hinaus, dass der Shinto von einer staatlichen Stelle aus geleitet und organisiert wurde. Damit wurde er unter den anderen im Land verbreiteten Religionen herausgehoben. |
− | Um Struktur in das neue System zu bringen, wurden alle Schreine in eine Hierarchie eingeordnet, an deren Spitze der [[Der Großschrein von Ise | Ise-Schrein]] stand. Außerdem wurde festgelegt, dass jeder Bürger Mitglied in einer Schreingemeinde werden musste. Da diese Regelung kaum einen praktischen Nutzen hatte, wurde sie allerdings bald wieder aufgehoben. Um saisei itchi umzusetzen, wurde der Shinto zur Staatsreligion erhoben. | + | Um Struktur in das neue System zu bringen, wurden alle Schreine in eine Hierarchie eingeordnet, an deren Spitze der [[Der Großschrein von Ise | Ise-Schrein]] 伊勢神宮 stand. Außerdem wurde festgelegt, dass jeder Bürger Mitglied in einer Schreingemeinde werden musste. Da diese Regelung kaum einen praktischen Nutzen hatte, wurde sie allerdings bald wieder aufgehoben. Um ''saisei itchi'' umzusetzen, wurde der Shinto zur Staatsreligion erhoben. |
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+ | [D]er Shinto in seiner Form als Staatsreligion [stellte] eine ideale Verständnis-Matrix für die Modernisierung Japans bereit. Dank der ihm eigenen Kombination von inhaltlicher Leere mit einer Betonung des äußeren Rahmens bekräftigte und erneuerte er die Anschauungen, mittels derer fremde Konzepte und Systeme in Japan rezipiert werden konnten, ohne die eigene Identität zu beeinträchtigen. | ||
+ | | quelle = Lokowandt 2001, S. 48–51. | ||
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− | + | Shinto als Staatsreligion funktionierte jedoch nur bedingt, unter anderem aufgrund der erwähnten „inhaltlichen Leere“. Außerdem steht der Gedanke einer Staatsreligion im Widerspruch zu der Verfassung von 1889, die Religionsfreiheit festschrieb, wenn auch hauptsächlich als Zugeständnis an den Westen. Dort wollte man sichergehen, dass es keine Verfolgung der japanischen Christen gab. Um also der Verfassung gerecht zu werden, erklärte die Regierung, der Shinto sei keine Religion. Diese Erklärung schloss jedoch nicht die dreizehn offiziell anerkannten „Shinto-Sekten“ mit ein. Sie konnten weiterhin als Religion praktiziert werden, solange sie verfassungskonform waren. Der Shinto dieser Zeit wird wegen seiner Instrumentalisierung durch die Politik meist auch als „Staats-Shinto“ bezeichnet. | |
+ | ==Veränderungen in Technik und Wissenschaft== | ||
− | + | Auch in der Wissenschaft richtet sich Japan in dieser Zeit stark am Westen aus, Experten aus den westlichen Ländern sollten Japan helfen, seinen Entwicklungsrückstand so schnell wie möglich aufzuholen. Diese Experten nannte man in Japan ''oyatoi gaikokujin'' お雇い外国人 („angestellte Ausländer“). An der Universität von Tokyo waren Ende des 19. Jahrhunderts etwa 100 ''oyatoi gaikokujin'' beschäftigt. | |
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− | + | Besonders in der Medizin wurde dabei großes Vertrauen in deutsche Wissenschaftler gesetzt. 1870 bat die japanische Regierung den preußischen Ministerresidenten Max von Brandt, bei seiner Regierung um die Entsendung zweier Ärzte nach Japan zu ersuchen. Diese sollten innerhalb von drei Jahren die Medizinschule in Tokyo nach deutschem Vorbild aufbauen. Von Brandt riet seiner Regierung damals ''„zwei Obermilitärärzte zu entsenden, weil dieselben als der Kriegerkaste angehörig, Aussichten hätten, gleich von vorneherein höheres Ansehen zu genießen“''. Diesem Ratschlag folgend entsandte die mittlerweile deutsche Regierung 1871 Oberstabsarzt Leopold Müller und Marinestabsarzt Theodor Hoffmann nach Japan. | |
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− | Besonders in der Medizin wurde dabei großes Vertrauen in deutsche Wissenschaftler gesetzt. 1870 bat die japanische Regierung den preußischen Ministerresidenten Max von Brandt, bei seiner Regierung um die Entsendung zweier Ärzte nach Japan zu ersuchen. Diese sollten innerhalb von drei Jahren die Medizinschule in Tokyo nach deutschem Vorbild aufbauen. Von Brandt riet seiner Regierung damals ''„zwei Obermilitärärzte zu entsenden, weil dieselben als der Kriegerkaste angehörig, Aussichten hätten, gleich von vorneherein höheres Ansehen zu genießen“''. Diesem Ratschlag folgend entsandte die mittlerweile deutsche Regierung 1871 Oberstabsarzt Leopold Müller und Marinestabsarzt Theodor Hoffmann nach Japan. | ||
Die Verträge der ''oyatoi gaikokujin'' wurden meistens über zwei bis drei Jahre abgeschlossen und in der Regel danach nicht mehr verlängert. In vielen Fällen bestand auch von Seiten der Europäer wenig Interesse, diese Verträge zu verlängern, da sie sich in der japanischen Gesellschaft unwohl fühlten. Einige ''oyatoi gaikokujin'' wie der deutsche Arzt Erwin Baelz oder der italienische Druckgraphiker Eduardo Chiossone (verantwortlich für das Design der ersten japanischen Banknoten oder das offizielle Portrait des Tenno) blieben jedoch bis ins hohe Alter bzw. bis an ihr Lebensende in Japan. | Die Verträge der ''oyatoi gaikokujin'' wurden meistens über zwei bis drei Jahre abgeschlossen und in der Regel danach nicht mehr verlängert. In vielen Fällen bestand auch von Seiten der Europäer wenig Interesse, diese Verträge zu verlängern, da sie sich in der japanischen Gesellschaft unwohl fühlten. Einige ''oyatoi gaikokujin'' wie der deutsche Arzt Erwin Baelz oder der italienische Druckgraphiker Eduardo Chiossone (verantwortlich für das Design der ersten japanischen Banknoten oder das offizielle Portrait des Tenno) blieben jedoch bis ins hohe Alter bzw. bis an ihr Lebensende in Japan. | ||
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+ | * [[Meiji Tennō]] | ||
+ | | literatur= <!-- verwendete Literatur --> | ||
+ | * {{Literatur:Germann 2006}} | ||
+ | * {{Literatur:Gundert 1943}} | ||
+ | * {{Literatur:Kasulis 2004}} | ||
+ | * {{Literatur:Lokowandt 2001}} | ||
+ | * {{Literatur:Pohl 2008}} | ||
+ | * {{Literatur:Vianden 1984}} | ||
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Aktuelle Version vom 18. Oktober 2021, 15:24 Uhr
Themengruppe | Geschichte (historische Ereignisse, Perioden und Fachbegriffe) |
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Ereignis | Meiji-Restauration 明治維新 |
Bemerkung | Ende des Shōgunats und Erneuerung der kaiserlichen Macht, Industrialisierung, Übernahme westlicher Ideen |
Schlagworte | bakumatsu 幕末, Matthew C. Perry, Meiji Tennō 明治天皇, Öffnung Japans, Tennō, Tokyo |
1868 endete in Japan die Herrschaft der Shogune, der Tennō beendete sein abgeschiedenes Leben in Kyoto und übernahm wieder eine aktivere Rolle in der Politik. Bis dahin hatten die Shogune geherrscht und der Kaiser war für die meisten Japaner kaum noch von Bedeutung, wenn sie sich überhaupt seiner Existenz im klaren waren. Selbst zu Zeiten der größten Kontinuität, in der Edo-Periode 江戸時代 (Tokugawa-Periode 1615–1867), hatten die Shogune es nicht gewagt, den Tennō abzusetzen, da sie ihn für die Legitimierung ihrer Herrschaft benötigten. Was in Europa die Legitimation durch Gottes Gnaden war, geschah in Japan durch den Tennō. Daher ließ sich jeder Shogun durch ihn im Amt bestätigen.
Seit Matthew C. Perry 1853 mit seiner Flotte die Öffnung des durch innere und äußere Krisen bereits geschwächten Landes erzwang, gewannen patriotische Strömungen unter dem Slogan sonnō jōi 尊皇攘夷 („ehrt den Kaiser, verjagt die Barbaren“) immer mehr Einfluss und trugen schließlich mit zum Zusammenbruch des Systems bei. In Folge des politischen Umbruchs wurde die Residenz des Meiji Tennō 明治天皇 (1852–1912, r. 1867–1912) von Kyoto nach Edo, in die Stadt der Shogune, verlegt, die man daraufhin in Tokyo („kaiserliche Residenzstadt im Osten“) umbenannte. Dies war der Beginn der Meiji-Restauration, einer Phase der japanischen Geschichte, die von rasanten Entwicklungen geprägt war und die Voraussetzungen dafür lieferte, dass sich der ehemalige Feudalstaat in die heutige Wirtschaftsnation entwickeln konnte.
Dem Wechsel der Hauptstadt folgte schnell eine Vielzahl weiterer Reformen. Unter anderem wurden Privilegien der Samurai abgeschafft und die Grundsteuern von Naturalabgaben in eine Geldsteuer umgewandelt, um den neuen Staat mit den nötigen finanziellen Mitteln zu versorgen. Des Weiteren gab es eine Bodenreform und die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht. Damit das Land nicht gänzlich im Chaos der Veränderung versank, war die Regierung zunächst bemüht, die Situation praktisch zu stabilisieren, ehe das neue System staatstheoretisch untermauert werden konnte. Eine vom Westen anerkannte Verfassung war aber ein wichtiger Schritt, um als gleichberechtigter Handelspartner angesehen zu werden. Eine solche Verfassung trat jedoch erst 1889 in Kraft, mehr als zwei Jahrzehnte nach Beginn der Reformen. Die Politiker sahen sich bei der Suche nach einem geeigneten Konzept, dass als Grundlage für die Verfassung dienen konnte, in den westlichen Ländern um. Letztendlich befand man dann die deutsche Verfassung für am besten geeignet. In anderen wichtigen Bereichen suchte sich die japanische Regierung ihre Experten in anderen europäischen Ländern, so orientierte man sich beim Aufbau einer Flotte an England und dem Aufbau der Armee an Frankreich.
Im Verlauf der Meiji-Restauration wurde die Figur des Kaisers in der stark hierarchischen Gesellschaft zu einem personifizierten Japan, damit wurde die Loyalität ihm gegenüber wichtiger Bestandteil des „Japanertums“. Derartige Vorstellungen führten mit dazu, dass sich im Zweiten Weltkrieg so viele Japaner bereitwillig für ihren Gott-Kaiser in den Tod stürzten.
Religiöse Veränderungen
Die nationalistisch-patriotische Bewegung, die den Tennō wieder in den Blickpunkt der Politik gebracht hatte, war eng mit shintoistischen Strömungen verwoben, die eine Reinigung des Shinto von buddhistischen Einflüssen anstrebten. Sie wollten saisei itchi 祭政一致 herbeiführen – die Vereinigung von Kult und Herrschaft. Da die Bedeutung des Tennō zu großen Teilen in den Legenden des Shinto fußte, war es zwangsläufig notwendig, mit dem Tennō auch den Shinto wieder stärker in den Fokus zu rücken.
Seit seiner Ankunft in Japan hatte der Buddhismus zunehmend die religiöse Vorherrschaft übernommen und auch den Shinto stark beeinflusst. Diese Einflüsse wollte man nun so schnell wie möglich beseitigen, um wieder zu einem „Ur-Shinto“ zurückzukehren. In einigen Regionen kam es in diesem Zusammenhang zu regelrechten Tempelstürmungen, bei denen Kult- und Kunstgegenstände zerstört wurden. Von der Regierung wurde das Jingi-kan 神祇官, das Amt für Schreinwesen gegründet. Dessen Bedeutung, Kompetenzen und auch Name änderten sich im Laufe der Jahre mehrfach. Es lief jedoch immer darauf hinaus, dass der Shinto von einer staatlichen Stelle aus geleitet und organisiert wurde. Damit wurde er unter den anderen im Land verbreiteten Religionen herausgehoben.
Um Struktur in das neue System zu bringen, wurden alle Schreine in eine Hierarchie eingeordnet, an deren Spitze der Ise-Schrein 伊勢神宮 stand. Außerdem wurde festgelegt, dass jeder Bürger Mitglied in einer Schreingemeinde werden musste. Da diese Regelung kaum einen praktischen Nutzen hatte, wurde sie allerdings bald wieder aufgehoben. Um saisei itchi umzusetzen, wurde der Shinto zur Staatsreligion erhoben.
[D]er Shinto in seiner Form als Staatsreligion [stellte] eine ideale Verständnis-Matrix für die Modernisierung Japans bereit. Dank der ihm eigenen Kombination von inhaltlicher Leere mit einer Betonung des äußeren Rahmens bekräftigte und erneuerte er die Anschauungen, mittels derer fremde Konzepte und Systeme in Japan rezipiert werden konnten, ohne die eigene Identität zu beeinträchtigen.
Shinto als Staatsreligion funktionierte jedoch nur bedingt, unter anderem aufgrund der erwähnten „inhaltlichen Leere“. Außerdem steht der Gedanke einer Staatsreligion im Widerspruch zu der Verfassung von 1889, die Religionsfreiheit festschrieb, wenn auch hauptsächlich als Zugeständnis an den Westen. Dort wollte man sichergehen, dass es keine Verfolgung der japanischen Christen gab. Um also der Verfassung gerecht zu werden, erklärte die Regierung, der Shinto sei keine Religion. Diese Erklärung schloss jedoch nicht die dreizehn offiziell anerkannten „Shinto-Sekten“ mit ein. Sie konnten weiterhin als Religion praktiziert werden, solange sie verfassungskonform waren. Der Shinto dieser Zeit wird wegen seiner Instrumentalisierung durch die Politik meist auch als „Staats-Shinto“ bezeichnet.
Veränderungen in Technik und Wissenschaft
Auch in der Wissenschaft richtet sich Japan in dieser Zeit stark am Westen aus, Experten aus den westlichen Ländern sollten Japan helfen, seinen Entwicklungsrückstand so schnell wie möglich aufzuholen. Diese Experten nannte man in Japan oyatoi gaikokujin お雇い外国人 („angestellte Ausländer“). An der Universität von Tokyo waren Ende des 19. Jahrhunderts etwa 100 oyatoi gaikokujin beschäftigt.
Besonders in der Medizin wurde dabei großes Vertrauen in deutsche Wissenschaftler gesetzt. 1870 bat die japanische Regierung den preußischen Ministerresidenten Max von Brandt, bei seiner Regierung um die Entsendung zweier Ärzte nach Japan zu ersuchen. Diese sollten innerhalb von drei Jahren die Medizinschule in Tokyo nach deutschem Vorbild aufbauen. Von Brandt riet seiner Regierung damals „zwei Obermilitärärzte zu entsenden, weil dieselben als der Kriegerkaste angehörig, Aussichten hätten, gleich von vorneherein höheres Ansehen zu genießen“. Diesem Ratschlag folgend entsandte die mittlerweile deutsche Regierung 1871 Oberstabsarzt Leopold Müller und Marinestabsarzt Theodor Hoffmann nach Japan.
Die Verträge der oyatoi gaikokujin wurden meistens über zwei bis drei Jahre abgeschlossen und in der Regel danach nicht mehr verlängert. In vielen Fällen bestand auch von Seiten der Europäer wenig Interesse, diese Verträge zu verlängern, da sie sich in der japanischen Gesellschaft unwohl fühlten. Einige oyatoi gaikokujin wie der deutsche Arzt Erwin Baelz oder der italienische Druckgraphiker Eduardo Chiossone (verantwortlich für das Design der ersten japanischen Banknoten oder das offizielle Portrait des Tenno) blieben jedoch bis ins hohe Alter bzw. bis an ihr Lebensende in Japan.
Verweise
Verwandte Themen
Literatur
- Susanne Germann 2006Ein Leben in Ostasien: Die unveröffentlichten Reisetagebücher des Arztes, Anthropologen und Ethnologen Erwin Baelz (1849–1913). (Schriftenreihe des Archivs der Stadt Bietigheim-Bissingen, Bd. 6.) Bonn: Bietigheim-Bissingen 2006.
- Wilhelm Gundert 1943Japanische Religionsgeschichte: Die Religionen der Japaner und Koreaner in geschichtlichem Abriß dargestellt. Stuttgart: Gundert 1943. (1. Auflage 1935.)
- Thomas Kasulis 2004Shinto: The way home. Honolulu: University of Hawai'i Press 2004.
- Ernst Lokowandt 2001Shinto: Eine Einführung. München: Iudicium 2001.
- Manfred Pohl 2008Geschichte Japans. München: Beck 2008. (4. Aufl..)
- Heinz Vianden, Josef Kreiner (Hg.) 1984„Deutsche Ärzte im Japan der Meiji-Zeit.“ In: Josef Kreiner (Hg.), Deutschland – Japan. Historische Kontakte. Bonn 1984, S. 165-168.
Bilder
Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite:
- ↑ Meiji Tennō - Porträt in militärischer Kleidung 2 Personen (Papier) von Maler: Edoardo Chiossone (1833–98); Fotograph: Maruki Riyō 丸木 利陽 (1854–1923). Meiji-Zeit, 1888
Bild © Wikipedia, Original aus Tenno Yondai No Shozo (天皇四代の肖像). Tokyo, Japan: Mainichi Shinbun Sha 毎日新聞社, November 1999. (Letzter Zugriff: 2012/10/15)Fotografie eines Gemäldes.
- ↑ Tennō Akihito Photographie. Heisei-Zeit
Bild © n-tv, picture alliance / dpa. (Letzter Zugriff: 2014/9/21)Der amtierende Kaiser Akihito 明仁 ist der 125. Tennō der Dynastie. - ↑ Meiji Schrein - Temizuya 手水舎 Schreingebäude (Holz). Taishō-Zeit; Meiji jingū, Tokyo
Bild © Andreas Pichler, Aufnahme vom 27. 5. 2008Temizuya des Meiji Schreins um sich vor dem Betreten der inneren Gebäude zu reinigen.
- ↑ Götter besiegen die Krankheiten Blockdruck (Papier, Farbe) von Ichijusai Yoshikazu. 1858; ōban-Dyptichon (2 x ca. 35x25 cm)
Bild © Privatsammlung Michael O'ClairDie Bildinschrift lautet: „Unter dem Schutz der verschiedenen Kami besiegen gute Medikamente die bösen Kranheiten.“ (S.a. Kusuri no Hakubutsukan; University of California, San Francisco)