Exzerpt:Farris 2006
Themengruppe | Exzerpte |
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Behandeltes Werk |
Autor
William Wayne Farris wurde am 18. Jänner 1951 in East St. Louis, Illinois, USA geboren. Er erlangte sein Doktorat der Philosophie in Japanischer Geschichte an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts 1981. Es folgten einige Gastprofessuren, so unter anderem 1998 an der Harvad University, 1991-1992 and der Universität von Kyoto und 2000 an der Keio Universität in Tokio. Ab 2004 hatte er den Lehrstuhl als „Sen Soshitsu XV Distinguished Professor for traditional Japanese Culture and History“ and der Universität Hawaii, Honolulu für 12 Jahre inne und ist nun Professor (Emeritus). In seiner Forschung beschäftigte er sich vornehmlich mit dem vormodernen Japan.
Einführung
Dieses Buch Beschäftigt mit dem Bevölkerungswachstum von Japan während des Mittelalters und einigen Einflussfaktoren auf dieses. Anders als die gemeinhin übliche Einteilung in Perioden, verwendet Farris für seine Ausführungen ein Schema, welches sich nach entscheidenden Tendenzen des Wachstums der Bevölkerung richtet. Die betrachteten drei Abschnitte sind folgende: Frühe Mittelalter (1150-1280), „Muromachi Optimum“ (1280-1450) und die Zeit der streitenden Reiche (1450-1600).
Vor seinen Ausführungen weißt Farris noch einmal dezidiert auf die unzureichende Datenlage hin, die nur indirekt auf die von ihm gewonnenen Erkenntnisse schließen lassen. Nach Vorstellung von früheren Abhandlungen und Hauptthesen zum Thema, leitet er die für ihn entscheidende These „Growth starting in the Middle“ ein und welche Einflussfaktoren weiters zur Betrachtung herangezogen werden (Krankheit, Hunger, Krieg).
Es folgt eine kurze Abhandlung der Bevölkerungsentwicklung vor dem Mittelalter, zu denen Farris weitere, umfangreiche Werke verfasst hat (siehe weiterführende Literatur).
1150-1280
Zu dieser Zeit ist eine Bestimmung der Bevölkerungsgröße schwierig und kann nur indirekt über eine Ableitung von registrierten Feldgrößen erfolgen. Farris tut dies durch die Einbeziehung unterschiedlichster Regionen Japans und nach Abwägung verschiedenster Faktoren (z.B. gesteigerte Felderträge seit Heian-Zeit, unterschiedliche bzw. geänderte Hohlmaße zur Bestimmung des Ertrages) und schlussfolgert eine geschätzte Bevölkerungszahl von 5,7 bis 6,2 Millionen für das späte 13. Jahrhundert. Die urbane Bevölkerung, die sich hauptsächlich auf Kyoto und Kamakura verteilte, dürfte um die 200.000 Personen betragen haben.
Im Folgenden geht er auf diese Zeit entscheidenden wachstumshemmenden Faktoren ein, nämlich Kriege, Epidemien und Hungersnöte. Zweiteres betreffend, kommt es zunehmenden zu einer Änderung der Struktur der Epidemien, von einer die gesamte Bevölkerung betreffend langsam zu einer „Kinderkrankheit“. Sie werden also Endemisch durch eine vermehrte Immunität (Ausnahme Influenza) und wirken daher weniger sozial, politisch und ökonomisch disruptiv. Die Ausbrüche sind daher seltener und weniger tödlich.
Stärkere Einschnitte hatten in dieser Periode Hungersnöte (Yōwa-, Kangi-, Shōga-Hungersnot), ausgelöst einerseits durch die wachsende politische Instabilität, Krieg oder ungünstige Wetterverhältnisse. Da staatliche oder Religiöse Institutionen keine Unterstützung zur Linderung vornehmen und Mangelernährung weit verbreitet, waren jeweils hohe Opferzahlen zu beklagen. Die dadurch entstanden Arbeitskräftemängel hatten auch später nach Normalisierung der Situation weitreichende Auswirkungen. Die Kriege selbst hatten auf eine Reduktion der Bevölkerungszahlen eine geringere direkte Auswirkung, erwiesen sich jedoch oft als unterstürzender Faktor für Hungersnöte aufgrund der Plünderungen, zur Bedarfsdeckung der Soldaten. Zusätzlich kam es durch herumtreibende Banden zu einem zunehmenden Verlust der Rechtsdurchsetzung, und die Entwicklungen trugen so entscheidend zum Fall von Kamakura Shōgunat bei.
Der oben bereits beschriebene Arbeitsmangel verhinderte eine entscheidende Vergrößerung der Anbaukapazitäten und folglich das Wachstum der Bevölkerung, auch unterstützend wirkende technologische Innovationen erfolgen nur schrittweise und sind gering. Ähnliche Hemmnisse nur den Mangel an Arbeitskräften gibt es bei Bauvorhaben (z.B. Wiederaufbau des Tōdaiji in Nara) und die meisten Industriezweige bleiben in ihrer Form größtenteils unverändert bestehen, allerdings nimmt der Handel nach 1250 zu.
Dazu ändert sich die Siedlungseise der bäuerlichen Bevölkerung und es kommt vermehrt zu einem Zusammenschluss in Dörfer (u.a. zur Sicherheit der Bewohner). Zuvor war diese Bevölkerung sehr mobil, weniger Ortsbezogen und es bildeten sich noch keine Stammfamilien ie heraus, sondern Strukturen waren in Abstammungslinien organisiert. Scheidungen und erneute Heiraten waren an der Tagesordnung. Frauen waren relativ unabhängig und besaßen eine Vielzahl an Rechten, doch eine Tendenz zur Mutterschaft ist bemerkbar, welche die Frau als Mutter und daher als „Erweiterung“ des Kindes betrachtet. Ein zunehmender Rechtsverlust geht mit dieser Entwicklung einher.
1280-1450
Das 14. Jahrhundert wird als ein Wendepunkt in der Entwicklung Japans angesehen. Es kommt zur Änderung der sozialen Organisation, feudale Beziehungssysteme gewinnen an Wichtigkeit und eine Bürgerschichte bildet sich heraus, während lokale Verwaltungsapparate autonomer agieren.
Farris schätzt die Bevölkerung 1450 auf ca. 9,6 bis 10,5 Millionen. Obwohl es nach wie vor zu regelmäßigen Epidemien kommt, wächst die Bevölkerung. Dies ist bedingt auch durch eine steigende Immunität und einer gesunkenen Anzahl an Ausbrüchen, wenn auch weiterhin präsent und oft mit Hungersnöten einhergehend. Diese stehen ihrerseits in starkem Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen, sind jedoch etwas in ihrer Heftigkeit zurückgegangen und im Vergleich zur vorhin beschriebenen Periode oft lokal begrenzt. Zusätzlich halfen der sich ausbildende Handelssektor und Nahrungsmittelhilfen durch stattliche oder religiöse Einrichtungen oft Nahrungsmittelknappheiten abzufedern.
Diese Zeit war jedoch auch durch eine große politische Instabilität geprägt u.a. durch Aufstände, die Auseinandersetzungen zwischen den Tenno-Dynastien um die Vorherrschaft. Kollateralschäden durch die Plünderungen der Heere erschwerten das Leben der bäuerlichen Bevölkerung. Des Weiteren konnten beide Shōgunate in der beschriebenen Periode ihre Autorität nicht mehr archipelweit durchsetzen, bzw. es kam zu einem zunehmenden Verlust dieser. Trotz diesen Hindernissen, erfolgte eine voranschreitende Urbanisierung und ein Wachstum der Bevölkerung.
Während dieser Periode kommt es zu einer schrittweisen Verbesserung vor allem in folgenden Bereichen: Landwirtschaft, Ingenieurwesen und der Bildungen von engeren Dorfgemeinschaften. Zusätzlich unterstützt durch Innovationen in Handel, Industrie und Städten, die ihrerseits positive Auswirkungen auf Kleidung, Ernährung, Hygiene und Wohnen und schließlich das Bevölkerungswachstum haben.
Durch diese Faktoren und einer gesteigerten Produktivität kommt es zur Bildung von Städten und Märkten, der Handel nimmt zu. Bedingt durch verbesserte Transportmöglichkeiten kommt es zu regionalen Spezialisierungen. Im Weiteren bestimmen Dorfgemeinschaften zunehmend das Zusammenleben der Bauern, da sie die Gemeinschaft nach eigenen Regeln organisieren und als Einheit nach außen auftreten. Auch Bildung und Rituale werden von dieser Gemeinschaft organisiert (z.B. durch Schrein-Assoziationen). Durch die Ausbildung von ie und der Fokus auf eine Fortführung von Familienlinien, änderte sich die Position der Frau, sie verliert viele ihrer Rechte und wird zunehmend als Besitz des Mannes angesehen.
1450-1600
Trotz Epidemien, Hungersnöten und Kriegen kommt zu einem signifikanten Bevölkerungswachstums und für 1600 wird eine Bevölkerung von 15-17 Millionen von Farris angenommen. Zusätzlich stieg die Urbanisierung während der 150 Jahre von 1450-1600 stärker als je zuvor und wird von Autor auf ca. 750.000 Bewohner in den Städten geschätzt.
Entscheidender Konflikt war, die wachsende Bevölkerung zu ernährend und die notwendigen Provisionen, nicht auf Kosten der Bevölkerung, für das Militär bereit zu stellen. Epidemien sahen eine erneute Verschärfung aufgrund der fast ständig andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen und das Auftauchen eines neuen Erregers (Syphilis) in Japan, welcher kurzfristig erheblichen Auswirkungen gehabt haben dürfte. Allerdings gab es auch einen Rückgang der unterschiedlichen Epidemien von 1540 bis 1600.
Hungersnöte waren weiterhin allgegenwärtig und traten in verschärfter Form alle 5,7 Jahre auf. Diese Frequenz dürfte sich aufgrund einer Verbesserung des Wetters zwischen 1540 und 1600 verringert haben. Buddhistische Organisationen unterstützen die hungernde Bevölkerung durch Nahrungsverteilung und kümmerten sich zusätzlich um die Toten.
Bedingt auch durch die schlechte Nahrungsversorgung konnten einige neue Samurai-Familien ihre Macht etablieren, während das Muromachi Shōgunat zusammenbrach und eine politische Fragmentierung zunahm. Sobald sich einzelne Herrschaftsbereiche stabilisierten und sich eine politische Einheit ausbildete, reduzierten sich die durch Hunger bedingten Todesfälle.
Des Weiteren erlaubte eine erhöhte Produktion des Agrarsektors eine bessere Versorgung der Heere, daher wurde diese gezielt von den regionalen Machthabern gefördert. In diesem Zusammenhang begünstigt nahmen Handel und Manufaktur besonders in urbanen Zentren zu, waren jedoch meist Teil einer „Kriegswirtschaft“, welche die daimyō in der Verfolgung ihrer politischen Ziele unterstützen sollte. Generell erfolgte eine gezielte Förderung von Industrien, Bauten oder Infrastruktur zu diesem Zweck.
Die Entwicklung von lokalen Gemeinschaften, die sich schon zwischen 1280 und 1450 entwickelt haben, setzten sich weiter fort und dies beinhaltete u.a. die Differenzierung nach Altersgruppe, Wichtigkeit des Haushalts als Einheit, Handhabung der Besteuerung und Organisation durch „village officials“, Organisation von Schutzmaßnahmen und religiösen Festivals etc. Die vorher schon beobachteten Veränderungen von Familien in Stammfamilien setzten sich in ganz Japan weiter fort.