Exzerpt:Eguchi 1991
Exzerpt:
Über den Autor
Eguchi Shigeyuki 江口 重幸 (1951-), erhielt 1977 seinen Abschluss an der medizinischen Fakultät der Universität Tokio. Darauffolgend war er unter anderem im Nagahama Red Cross Krankenhaus (Präfektur Shiga) und im Toshima Krankenhaus (Tokio) beschäftigt. Seit 1994 ist er im Musashino Krankenhaus (Tokio) tätig und dort außerdem Ehrenvizepräsident und Direktor für Bildung und Forschung. Neben täglicher klinischer Praxis sind seine Schwerpunkte medizinische Anthropologie, Kulturelle Psychiatrie, Geschichte der Psychiatrie (mit Schwerpunkt auf das 19. Jh.) und die klinische Psychiatrie. Außerdem ist er bekannt durch seine Forschung zu dissoziativer Störung. [1]
Einleitung
In diesem Artikel beschreibt Eguchi die Thematik von kitsune tsuki, also die „Bessesenheit eines Fuchsgeistes“, mithilfe eines sowohl ethnografischen als auch eines psychologischen Ansatzes. Er möchte dadurch unter anderem genauer verdeutlichen, was vor sich geht, wenn ein Fall von kitsune tsuki unter Berücksichtigung von medizinischem Pluralismus zu einem psychologischen Fall wird und als psychologische Krankheit angesehen wird. Bei diesem Ansatz sollte ebenso in Betracht gezogen werden, dass eine Krankheit, wie in diesem Fall kitsune tsuki auch als laufender Prozess angesehen wird, vergleichbar mit dem laufenden Prozess von Kultur und Gesellschaft, somit ist es auch wichtig mehrere Sichtweisen zu begründen. Eguchi versucht dies unter anderem anhand zweier Fallstudien genauer zu erklären und begründet anschließend, ob traditionelle (religiöse) Rituale oder psychiatrische Behandlungen für eine Heilung von kitsune tsuki sinnvoll sind.
Kulturgebundenes Syndrom im Kontext von Kitsune tsuki
Die bei kitsune tsuki beschriebenen Symptome sind verschiedenste, abweichende Verhaltensmuster, dabei wurde schon von Früh an durch religiöse Rituale kaji kitō (加持祈祷) versucht, Heilung zu erzielen. Auch nach der Meiji-Zeit blieb die traditionelle Volksansicht häufig bestehen. Aus diesem Grund sollte in diesem Artikel zunächst das Phänomen des Kulturgebundenem Syndroms näher erläutert werden. Anhand von diesem Ansatz wird ein Vergleich angestellt: kitsune tsuki in einer Gesellschaft oder einem Land ist äquivalent zu Schizophrenie in einem anderen Land, also eine Art „Übersetzung“. Unter dieser Berücksichtigung müsste kitsune tsuki also in westlicher Psychiatrie als unklassifizierbar gelten, um als Kulturgebundenes System bezeichnet werden zu können. Während dieser Vergleich aufgestellt wird, wurde zudem genauer auf die Kritik von Ethnozentrismus eingegangen, da als Standard häufig ein „Westlicher“ angesehen wird. Daher sollte laut Eguchi in diesen mehrdeutigen Vergleich miteinbezogen werden, ob es eine Art psychische Krankheit zu einer solchen Zeit, ohne moderne Psychiatrie gegeben haben kann und was überhaupt als gleichbedeutend gesehen werden kann. Ein Ansatz, welcher sowohl Berichte klinischer Psychiatrie als auch ethnologische Berichte miteinbezieht.
Fallstudien
Die beiden Fallstudien beziehen sich auf Takao (Patient in 1978) und Fumie (Patientin in 1981), welche beide aus der Region Kusuhara stammen. Diese ist der größte Ort in der Umgebung, umfasst etwa 126 Haushalte und befasst sich zum größten Teil mit Forstwirtschaft. Besonders zu erwähnen ist das Gemeinschaftsgefühl durch religiöse Bindung, welche im Alltag integriert ist und unter anderem religiöse Rituale umfasst. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die spezielle Mythologie und deren Geschichten, in welchem Füchse ebenfalls einen festen Platz in dieser Region haben. Ebenfalls wichtig ist die kyōgen-Aufführung tsuri gitsune. Füchse werden in der Region außerdem häufig gesehen und gehört und sind somit in der sowohl mythologischen als auch in der realen Welt und im Leben der Bewohner integriert.
Zunächst werden Symptome, Ablauf und Ereignisse der zwei Patienten genauer erklärt. In beiden Fällen waren die Patienten „von einem Fuchs besessen“ und wurden, nach zunächst lokalem Exorzismus von einem Priester, welcher erfolglos ausging in eine psychiatrische Einrichtung gebracht. Nach den jeweiligen Aufenthalten verschwanden Symptome, kamen jedoch wieder zurück, nachdem ihnen innerhalb der Familie geraten wurde, Medizin nicht einzunehmen und sich einer religiösen Behandlung zuzuwenden. Der Ansatz der Behandlung war daher eine limitierte Herangehensweise, welche die Interpretationen der Patienten miteinbezieht und nicht versucht zu forcieren, da dies in Farmgemeinschaften eine negative Wirkung mit sich ziehen kann.
Ein weiterer bedeutender Fall ist Miya, welche 1907 in der Region geboren wurde und durch welche sich ein neuer religiöser Kult im Dorf herauskristallisierte. Durch kuchi ware, welche sie von Zeit zu Zeit erfuhr, wurde ihr aufgetragen, Menschen zu heilen, jedoch wurde auch gedacht, es handelte sich dabei um einen Fuchs und es traten ebenso verschiedenste Phänomene beziehungsweise Symptome bei ihrem Mann und ihrem Sohn auf. Der dazugehörige Schrein etablierte sich im Kusuhara-Schrein und das Dorf wurde gespalten, auf der einen Seite waren Anhänger Miyas Religion und auf der anderen jene, welche sagten, dass sie von einem Fuchs besessen sei. Nach Bau eines daishidō kamen nach und nach mehr Leute in die Gegend von Kusuhara. Im Bezug auf Miyas Heilkräfte gab es zwei Fälle, welche, die nach ihrer Heilung Besserung aufzeigten, jedoch auch welche, die keine aufzeigten und es wurde gesagt, nach Besuch von Miyas Schrein wird man besessen.
Anhand vom Beispiel des „Kusuhara Disease“ wird erklärt, dass in dieser bestimmten Gemeinschaft eine „Krankheit“ nicht unbedingt als solche betrachtet wird und alle Arten von seltsamen Vorkommen miteinbezogen werden und schon bei Fieber religiöse Heilung praktiziert wird. Die Einbindung von Miyas Religion hat traditionelle Pattern zusätzlich verändert und psychische Krankheiten werden noch komplizierter und es entstehen neue Widersprüche zwischen den verschiedenen Formen der Diagnose und Prognose und dem Krankheitsverständnis der Menschen. Anhand von Aussagen der in den Fallstudien behandelten Patienten sieht man welche Art von „normalen Krankheitsverständnis“ die interviewten Menschen haben. Den Aussagen zufolge sind die Ursache verschiedenste religiöse Gründe wie Untreue zu Ort, Gottheit oder Glaube.
In Takaos Fall werden seine Symptome nicht als Krankheit angesehen, er wird exorziert und neue Umstände, wie auch Miyas Religion verschlimmerten seine Lage. Sowohl allein moderne Medizin als auch traditionelle religiöse Heilung führten ebenso nicht zu einer Lösung. Auch wenn man „Besessen“ ist, ist das betroffene Individuum immer noch an Kultur und Regeln innerhalb der Gemeinschaft gebunden, daher musste Takao Überzeugung für sich selbst und für sein Umfeld bilden. Ähnliches ergab sich nämlich ebenso bei Fumie.
Besonderheit hier ist die Verbindung des Komplex von Besessenheit, die Vielschichtigkeit von Religionen, das Kyōgen tsuri gitsune, welches sowohl Mythologie, Religion und Realität verbindet und eine starke kommunale Bindung.
Conclusio
In diesen Fällen findet ein kompliziertes überlappen zweier Systeme statt und es entstehen zahlreiche anomale Erscheinungen, welche nicht genau einer jeweiligen Kategorie entsprechen, diese atypische Psychose, welche man auch als kulturgebundenes Syndrom auffassen kann, ist daher nicht direkt bei alleiniger Anwendung einer der beiden Heilungsmethoden heilbar. Stimmen um den Fall und der Kontext der Kultur müssen betrachtet werden, um innerhalb dieses Kontextes Hilfe anzubieten. Zudem ergibt sich in der Medizin häufig das Problem, dass nicht versucht wird, Krankheit und Heilung als einen einzigen Prozess zu erklären, sondern als isolierte Identität behandelt wird (Dualismus).
Anmerkung
Alle vorgekommen Namen (Personen, Orte), mit Ausnahmen von Schreinen wurden im Artikel abgeändert und in diesem Exzerpt übernommen. Die Arbeit selbst beruht unter anderem auf klinischen Aufzeichnungen und Interviews.