Exzerpt:Abe 1995
Autor
Ryūichi Abé, PhD, ist Professor für japanische Religion am Reischauer Institute of Japanese Studies. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und International Affairs bevor er sich den Religionswissenschaften widmete. Seit 2004 ist er am Department für Ostasiatische Sprachen und Zivilisationen (Department of East Asian Languages and Civilizations) in Harvard tätig und unterrichtet über ostasiatischen Buddhismus, vormoderne sowie frühneuzeitliche Religionen in Japan. Der Fokus seiner Forschung liegt auf buddhistischer Sprachtheorie, Buddhismus und Literatur, die Geschichte des esoterischen Buddhismus in Japan, der Interaktion von Shinto und Buddhismus sowie Buddhismus und Gender.
Inhalt
Der Artikel bewertet die Beziehung und Interaktionen zwischen Saichō (767-822) und Kūkai (774-835), den Gründern der Tendai- und Shingon-Schulen in Japan. Die zwei Gründerfiguren kooperierten miteinander im Bestreben den esoterischen Buddhismus (Mikkyō 密教) in Japan zu etablieren. Dabei konnten beide voneinander profitieren. So ebnete Saichō Kūkai den Weg abhiseka (kanjō 灌頂) für hohe Priester des Nara buddhistischen Establishments und Würdenträger am imperialen Hof durchzuführen und Kūkai unterrichtete Saichō und dessen Anhänger im esoterischen Buddhismus und lieh Saichō Mikkyō-Texte.
Maßgeblich für die Geschichte des Buddhismus in Japan war, laut Abé, jedoch weniger die Kooperation sondern vielmehr die Art und Weise wie die Beziehung zwischen Saichō und Kūkai endete. Er argumentiert, dass Saichō und Kūkai verschiedene Auffassungen zur Etablierung von Mikkyō in Japan hatten. Saichō wollte Mikkyō in seine vielschichtige Tendai-Schule integrieren, während Kūkai Mikkyō von Kengyō 顕教 (exoterischer Buddhismus) unterschied. Seine Shingon-Schule sollte eine eigene buddhistische Richtung unabhängig von den bereits in Japan existierenden Mahãyãna-Schulen (inkl. der Tendai-Schule) darstellen.
Mikkyō in Saichōs Tendai Lotus Schule
Saichō reiste 804 bis 805 für 11 Monate nach China mit dem Ziel authentische Übersetzungen des T'ien-t'ai Dharma nach Japan zu bringen. Erst im letzten Monat seiner Reise wurde er in den esoterischen Buddhisums eingeführt und erhielt zusammen mit seinem Dolmetscher und Schüler Gishin 義真 (781-833) ein abhiseka, Initiationsritus im esoterischen Buddhismus. Diese zuletzt erhaltene Überlieferungen waren von großer Bedeutung für Saichō, da diese die Grundlage für sein Bestreben Mikkyō in das Trainingsprogramm seiner Tendai-Schule aufzunehmen, darstellte.
Während der T'ang Periode wurden 2 Haupttraditionen des Mikkyō von Indien nach China weitergegeben: Die Matrix (garbha) Mandala Abstammung und die Diamanten (vajra) Mandala Abstammung. Der Autor vermutet, dass Saichō und sein Schüler in das Diamanten Mandala eingeführt wurde, wobei zu beachten ist, dass Shun-hsiao 順暁、der Saichō in den esoterischen Buddhismus einführte, selbst eine sinisierte From repräsentierte, in der die Matrix und Diamant Traditionen vereinigt wurden. Es ist demnach anzunehmen, dass Saichō über die Elemente der Diamant Tradition, die zu seiner Initiation dazugehörte, unwissend war und ihm erst nach seinem Studium von Mikkyō zusammen mit Kūkai die Bedeutung der Diamant Tradition bewusst wurde. Saichōs Interpretation von Shun-hisaos Überlieferung wandelte sich und entwickelte sich weiter als sich sein Verständnis für den esoterischen Buddhismus vertiefte, vor allem durch den Kontakt mit Kūkai. Dadurch erkannte er selbst, dass seine Präsentation und Studium von Mikkyō in China nur sehr limitiert war.
Trotzdem ist zu erwähnen, dass Saichōs Import von Mikkyō nicht unwichtig war. Bereits im 9. Monat des Jahres 805 führte Saichō auf geheiß von Kanmu Tennō, ein vom Staat gesponsortes abhiseka am Takaosan-ji durch. Dies war das erste in Japan durchgeführte Mikkyō Initiationsritual. 4 Monate später im 1. Monat 806 gewann Saichōs Tendai Lotus Schule öffentliche Aufmerksamkeit duch ein Edikt von Kanmu Tennō, welches zwei jährliche Weihekandidaten (nenbundosha 年分度者) aus Saichōs Schule erlaubte. Dieses Edikt gab an, dass die Weihekandidaten zwischen zwei Curricula geteilt wurden, dem shanagō 遮那業 Kurs, das Mikkyō Curriculum repräsentierend, und dem shikangō 止観業 Kurs, das Tendai-Curriculum repräsentierend. Die Tendai Lotus Schule war also gleichermaßen basierend auf Mikkyō und Tendai. Durch Saichōs neue Schule erhielt Mikkyō zuerst Aufmerksamkeit am imperialen Hof und wurde zu einem geeigneten Studienobjekt im japanischen Buddhismus.
Zur Verbindung von Tendai und Shingon
Es ist nicht bekannt wann sich Saichō und Kūkai miteinander bekannt machten. Beide reisten mit der selben Flotte nach China, jedoch auf unterschiedlichen Schiffen. Es gibt jedoch keine Beweise, dass sie schon vor der Zeit von Saga Tennōs Regierung miteinander Kontakt hatten. Es scheint als erkannte Saichō den Verdienst Kūkais Importe von Schriften für sein Mikkyō Curriculum der Tendai Lotus Schule. Eine große Gruppe, der noch vorhanden Briefe zwischen dem Schriftverkehr von Saichō an Kūkai, handeln vom Verleih und der Kopie von Texten. Die zweite Große Gruppe an Briefen handelt von der Bitte um Mikkyō Training für Saichō selbst und seine Schüler. Formal wurde Saichō also Kūkais Schüler.
Um 812 gab es Streit und Zwietracht zwischen Saichōs Schülern und einige verließen die Tendai-Schule. Diese Vorkommnisse schwächten die die institutionelle Grundlage von Saichōs neugegründeter Schule. Während dieser Krise bat Saichō Kūkai um Kooperation, dabei betonte Saichō die Einheit von Shingon und Tendai. Saichō benötigte Kūkai um sein Wissen über Mikkyō zu erweitern und um dadurch das shanagō Programm seiner Schule zu stärken und seine Schüler vom Überlauf zu anderen Schulen zu hindern. Abé argumentiert hier auch, dass Saichōs Ansicht von der Einheit der perfekten Lehre des Tendai und Mikkyō eines der Hauptgründe für den späteren Konflikt mit Kūkai war.
Der Beginn vom Ende der Allianz
Bereits während der Zeit von Saichōs Training unter Kūkai zeigten sich erste Differenzen. Saichō wurde nochmals an die Bedeutung der dualen Transmission von Diamant und Matrix Mandala ermahnt und erhielt Kūkais Zustimmung zu abhiseka. Dabei scheint es, dass Saichō entweder trotz allem nicht die volle Bedeutung der Diamant Tradition verstand, oder bereits eine eigene Ansicht über die zwei Bereiche etablierte, in dem er der Matrix Tradition mehr Gewicht gab. Obwohl Saichō von Kūkai sowohl das abhiseka in der Diamant Tradition als auch das abhiseka in der Matrix Tradition erhielt, präferierte er die Matrix Tradition, was sich auch darin zeigt, dass viele seiner Schüler nur das Matrix abhiseka erhielten.
Ein weiteres Missverständnis zwischen Saichō und Kūkai war die Auffassung der abhiseka. Saichō war davon überzeugt, dass er das höchste abhiseka erhielt was ihn zu einem Mikkyō Meister machte, der selbst abhiseka an seine Schüler weitergeben konnte. Zusätzlich ging Saichō davon aus, dass ein dreimonatiges Training genügen würde um die benötigten hohen meditativen Methoden zu erlernen, die für die Erlangung des höchsten abhiseka benötigt wurden. Kūkai jedoch gewährte Saichō nur ein abhiseka der zweiten Ordnung. Außerdem scheint es nicht Saichōs Absicht gewesen zu sein das gesamte von Kūkais Mikkyō in seine Tendai Lotus Schule zu integrieren, sondern nur gewisse Elemente, vor allem aus der Matrix Tradition. Kūkai konnte diese selektive Adaptierung von Mikkyō nicht tolerieren.
Übermittlung von Angesicht zu Angesicht vs Übermittlung durch Schreiben
Nach seiner Rückkehr auf den Berg Hiei widmete sich Saichō weiterhin seinem Studium von Mikkyō und bat Kūkai um den Verleih von Mikkyō Texten. Kūkai war jedoch überzeugt davon, dass Mikkyō nicht durch das Kopieren von Texten erlernt werden kann sondern nur durch die Übermittlung des Wissens von Meister zu Schüler. Saichō hingegen sah kein Problem darin die Texte nur zu kopieren. Schließlich zog Kūkai eine klare Linie zwischen den zwei Schulen und definierte Saichōs Tendai Schule als exoterische Lehre unterschied sie somit von seiner Shingon Schule, der esoterischen Lehre. Von Kūkais Sicht aus, verstand Saichō nicht den qualitativen Unterschied zwischen dem Studium von Shingon und dem von Tendai. Während im Kontext des exoterischen Buddhismus das Studium von Sutren als verdienstvolle Handlung gilt, führt dieses im esoterischen Buddhismus ohne einen qualifizierten Lehrer zu Fehlinterpretationen.
Die Korrespondenz zwischen Saichō und Kūkai blieb nach Saichōs Rückkehr auf den Berg Hiei weiterhin freundlich und kooperativ, trotz der zunehmenden Uneinigkeit und Spannungen. Schließlich brach die Kooperation 816 nachdem Kūkai in einem Brief Saichō ein Ultimatum stellte, seinen Zugang zu Mikkyō zu ändern, und Saichōs Ansicht von der Gleichheit der zwei Schulen ablehnte.
In seinen letzten Lebensjahren verlagerte Saichō seinen Fokus von Mikkyō auf die Verteidigung seiner Tendai Lotus Schule und arbeitete an seinem Projekt eine Platform für einen exklusiv mahãyãnaischen Grundsatz auf dem Berg Hiei zu etablieren.