I-21

Aus Nihon Ryo-Wiki
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Wie es dazu kam, dass jemand sein Pferd mitleidlos zu schwere Last tragen ließ und dies noch in diesem Leben schlimm vergolten bekam
SNKBT 30: 34-35;217, Bohner 1934: 89, Nakamura 1997: 132-133

Vor langer Zeit[1] lebte in der Provinz Kawachi 河内 ein Melonenverkäufer[2]. Sein Name war Ishiwake 石別. Er belud sein Pferd so schwer, dass es dessen Kraft überstieg, und als das Pferd nicht mehr weiter ging, wurde er wütend und trieb es voran, indem er es peitschte (uchiohitsukafu 捶ち駆ふ). Das Pferd war so erschöpft vom Tragen der schweren Last, dass ihm Tränen aus beiden Augen traten. Als alle Melonen verkauft waren [und er das Pferd nicht mehr brauchte], tötete er dieses. Nachdem er viele Male Pferde auf diese [grausame] Weise getötet hatte, fielen ihm beide Augen aus dem Kopf (nukeirite 抜け入りて) und wurden gekocht (niraru 煮らる), als er gerade in einen Kessel mit kochendem Wasser blickte.

Die karmische Vergeltung von Taten in diesem Leben (genpō 現報)[3] [geschieht][4] schon in überaus naher Zeit. Man sollte[5] [daher] an Karma glauben. Auch wenn wir [in manchen Lebewesen] nur Tiere sehen, so könnten es doch auch unsere [verstorbenen] [6] Eltern sein, denn wir werden in sechs Welten und auf vier Arten (rokudō shishō 六道四生)[7] geboren. Daraus folgt, dass man [niemals] [8] ohne Mitleid sein sollte[9].



  1. ob sich das Schriftzeichen "alt" (mukashi 昔) auf die ganze Begebenheit bezieht ist nicht eindeutig zu klären
  2. Da in der Geschichte keinerlei Hinweise auf das Geschlecht der handelnden Person vorkommen, ist eine eindeutige Zuschreibung nicht möglich. Es wurde daher wilkürlich angenommen, dass es sich um einen Mann, der Melonen verkauft, handelt.
  3. siehe auch sanbō 三報.
  4. wörtlich: ist
  5. ~beshi 可し = … tun müssen; … tun sollen; … tun werden; … tun können
  6. wörtlich: früheren
  7. die vier Arten der Geburt (Bauch/Ei/Flüssigkeit/Transformation) und die sechs Daseinsformen (Hölle/Hungergeister/Tiere/Asura/Menschen/Götter)[1]
  8. wörtlich: nicht
  9. "sein darf" wäre auch eine mögliche Übersetzung


Hintergrund

  • Zeit: k.A.(vor 782 u.Z.)
  • Ort: (im alten) Kawachi 河内 (Provinz in der Region Kinai)
  • Personen: Person namens Ishiwake 石別, ein Pferd

Ursache und Wirkung

eine Person quält und tötet Pferde, worauf sie ihr Augenlicht verliert

Anmerkungen

ad Überschrift: Eine Alternative Überschrift, welche den belehrenden Charakter klarer ausdrückt, könnte wie folgt lauten: Wer[1] sein Pferd mitleidlos zu schwere Last tragen lässt, der bekommt es noch in diesem Leben[2] schlimm vergolten.

ad Hintergrund:

Die Angabe des Ortes mit "alte Provinz Kawachi" — bei Bohner Kahachi, der Verschriftlichung des Zeichens 河 nach vormodernen Regeln folgend (かわち [かはち] vgl. Daijirin); im japansichen Original (Bungo-Version) kafuchinokuni (河内国) (SNKBT 30:34) — lässt vermuten, dass damit die Zeit vor der Teilung, Aufhebung und Wiederherstellung der Provinz Kawachi zwischen 716 und 770 gemeint ist. Da Kawachi vermutlich im siebten Jahrhundert gegründet wurde, lässt sich die Zeit ein wenig einschränken. Möglich ist jedoch auch, dass sich "alt" (mukashi 昔) auf die ganze Begebenheit bezieht und der Einleitung eines Märchens gleicht, keinen Informationsgehalt besitzt. Als zweiten Anhaltspunkt kann noch gewertet werden, dass ein Pferd in der Geschichte vorkommt und viele Forscher annehmen, das diese erst nach dem siebten Jahrhundert von weiten Teilen der Bevölkerung genutzt wurden (Nakamura:132)

Isowake/Ishiwake (石別): die Namenslesung der Schriftzeichen ist nicht klar: vor allem die Lesung des ersten Kanji 石 ist schwierig zu bestimmen. isowake (Nakamura: 132), ishiwake (Bohner: 89 und SNKBT 30: 34) aber auch shiwake wie in Nuteshiwake (鐸石別命), einem Sohn des Suinin Tennō, wären vorstellbar.

ad Erzählung:

Die grundsätzliche Struktur der Erzählung folgt dem Schema, dass in beinahe allen Texten des Nihon Ryoiki zur Anwendung kommt. Ein langer den Inhalt beschreibender Titel, ein narrativer Erzählkern und eine abschließende Erklärung der Moral bzw. des karmischen Prinzips. Besonders an dieser Geschichte ist vor allem, dass der letzte Teil, im Vergleich zum narrativen ersten, recht lang ist und über die konkrete Geschichte hinausgehend erklärt, warum alle Lebewesen, besonders Tiere, zu achten sind. Dies ist nicht in allen Geschichten in denen Tiere vorkommen so klar dargelegt (vgl. z.B.: I-07) und kann als Besonderheit dieser Erzählung gewertet werden (siehe Tiere).

Ein stilistisch und möglicherweise auch inhaltlich auffallender Punkt ist, dass die karmische Vergeltung in dieser Erzählung recht "wörtlich" passiert indem Ishiwake für seine Verfehlung kein Mitleid mit dem Pferd zu haben, sodass es aus beiden Augen weint (両目出淚), selbst beide Augen verliert, indem sie in einen Topf mit kochenden Wasser fallen (両目抜入於釜所煮). Ob es jedoch die Intention des Autors war diese "ausgleichende Vergeltung" auszudrücken ist schwer zu belegen. Weil diese Stelle aufgrund einer schwer zu übersetzenden bzw. recht eigentümlich anmutenden Formulierung 両目抜入 (両の目釜に抜け入れて), welche von Nakamura und Bohner als "beide Augen fallen ihm [aus dem Kopf] in den Kessel" übersetzt wurde, auch anders interpretiert werden könnte. Nun ist es im Bereich der zum Teil recht wunderlichen Erzählungen durchaus möglich, dass solch etwas Grausames geschieht, doch sei eine weitere Hypothese vorgebracht, welche eine realistischere Übersetzung zulässt. Da 抜目 Unaufmerksamkeit/Fehler/Versehen bedeutet, könnte man auch spekulieren, dass nicht seine Augen aus dem Kopf in den Kessel gefallen sind und dort gekocht wurden, sondern er aufgrund seines Fehlers in den Kessel fiel. Die Konsistenz dieser alternativen Übersetzungsidee ist jedoch noch eingehend zu prüfen, bevor sie gleichwertig zu der Bohners und Nakamuras diskutiert werden kann. Die am Ende der Geschichte erklärte System der Wiedergeburt "wir werden in sechs Welten und auf vier Arten (rokudō shishō 六道四生) geboren" bezieht sich auf die buddhistische Idee der sechs möglichen Welten des saṃsāra, sowie die vier Arten der Geburt.

Materialien


Artikel erstellt von Antonia Benedek 20:29, 10. Okt. 2010 (CEST).

Fußnoten

  1. Eigentlich ist im Japanischen Satz das Subjekt nicht enthalten, weshalb es ergänzt werden muss. "Wer" bietet sich insofern an, da es den allgemeinen Charakter der Lehrgeschichte betont und darüber hinaus den Leser direkt anspricht, so wie im zweiten Teil der Geschichte.
  2. utsutsu ni 現に könnte im Sinne von gen ni als gegenwärtig/ tatsächlich/ in diesem Leben verstanden werden, aber auch der Übersetzung von utsutsu ni folgend als Wirklichkeit/ Bewusstsein/ Geistesabwesenheit/ Verträumthei/ Träumerei/ Dämmerzustand, was der Geschichte eine andere Nuance geben würde, auf die es auch im Mittelteil der Geschichte Hinweise gibt.