I-02

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Wie es dazu kam, dass jemand eine Füchsin zur Frau nahm und mit ihr ein Kind zeugte
SNKBT 30: 7-8, Bohner 1934: 65-66, Nakamura 1997: 104-105

Einst zur Regierungszeit des Kaisers Kinmei 欽明天皇 (es ist dies der Himmlische Herrscher Ame-kuni-Oshihiraki-Hironiwa no Mikoto), der vom Palast Shikishima no Kanasashi aus das Land regierte) machte sich ein Mann aus dem Landkreis Ōno 大乃郡 in der Provinz Mino 三乃国 [1] auf den Weg, um eine gute Frau (yoki omina 好き嬢) zu finden. Da begegnete ihm auf einer weiten Ebene eine hübsche Frau (yoki omina 姝き女). Sie blickte ihn liebevoll und vertraulich (馴く)an. Er erwiderte ihren Blick und sprach: "Wohin des Wegs, schöne Frau (yoki omina 雅き嬢)?" Sie antwortete: "Ich suche einen guten Mann (yoki otoko 能き壮)." [2]Und der Mann erwiderte: "Willst du nicht meine Frau werden?" Worauf sie zur Antwort gab: "Einverstanden (yurusamu)." Darauf nahm er sie mit sich nach Hause, wo sie zusammen wohnten.

Bald wurde die Frau schwanger und gebar einen Jungen. Zu dieser Zeit, am 15. Tag des 12. Monats, brachte auch die Hündin des Hauses ein Junges zur Welt. Der Welpe ging beständig auf seine Herrin (ie no toji 家室) los und bellte sie wütend an. Die Herrin des Hauses fürchtete sich und bedrängte den Herrn des Hauses (iegimi 家長): "Schlag diesen Hund tot (打ち殺せ)!" Doch er hatte Mitleid (患) und tötete den Hund nicht, trotz ihrer Bitte.

Um die Zeit des 2. oder 3. Monats, als der jährliche Steuerreis[3] gestampft wurde, begab sich die Herrin des Hauses ins Mörserhaus (usuya 碓室), um den Frauen, welche den Reis stampften (稲春), eine Zwischenmahlzeit zu bringen. Da rannte ihr der junge Hund nach und wollte sie beißen. Sie aber verlor vor Schreck die Fassung, wurde zu einem Fuchs (kitsune 野干), sprang auf einen Zaun (magaki 籬)[4] und verharrte dort. Als der Hausherr sie [so] sah, sprach er: "Da uns beiden[5] ein Kind geboren wurde, werde ich dich nie vergessen. Komm wie immer und leg dich zu mir (毎に来りて相寐よ)." Daher gehorchte sie den Worten ihres Mannes, kam und legte sich zu ihm (kite neki). (Auf Grund dessen wurde sie kitsune (支都禰) genannt.)[6]Dann legte sie ein Kleid mit rot gefärbtem Saum an (das heutige Pfirsichblütengewand)[7] und entschwand schön und anmutig (窈窕), den Saum des Keides hinter sich ziehend. Der Mann schaute ihrer verschwindenden Gestalt nach und sang ein Liebeslied:

Mein ganzes Sehnen
will mich schier erdrücken,
da einen Moment
ich von fern sie erblickte
und sie gleich wieder entschwand.
こひはみな わがうへにおちぬ たまかぎる
はろかにみえて いにしこゆゑに[8]

Aus diesem Grunde nannte er das Kind, das ihnen beiden geboren wurde, „Kitsune“. Außerdem erhielt das Kind den Familiennamen (kabane 姓) "Kitsune no Atahi" 狐直[9] Dieser Sohn[10] war äußerst kräftig und konnte so schnell laufen, wie ein Vogel fliegt. Dies ist der Ursprung (moto 根本) der Kitsune no Atahi aus der Provinz Mino.



  1. Die Provinz Mino entspricht dem heutigen Südteil der Präfektur Gifu. Das Land war in Provinzen geteilt, welche dann noch in Distrikte geteilt waren. Anfang des 8. Jahrhunderts waren es 66 Provinzen mit insgesamt 592 Distrikten (Nakamura).
  2. B. (Ein Weib bin ich, das auf dem Weg ist, die rechte Verbindung [en] zu suchen) — ähnlich Naumann — stützt sich offenbar auf eine andere Textversion
  3. Jedes Jahr bis Ende August mussten die Steuern in Form von Reis, welcher im Herbst des Vorjahres geerntet wurde, zur Hauptstadt gebracht werden (Nakamura).
  4. Hecke (Nakamura); Zaun (Bohner); Korb (Greenen); Hecke (Naumann).
  5. 汝と我れとの中に zwischen dir und mir
  6. „Komm (ki) wie gewöhnlich (tsune)“ (Bohner); „come and sleep“ (Nakamura).
  7. 棑花裳 Bohner: „Pfirsichblütenschurzgewand“, N. „pink“
  8. In jeder Übersetzung wird das Lied anders interpretiert. Es folgt dem klassischen 31 Silben Reimschema: 5-7[hier:8]-5-7-7.
  9. Der Name "Kitsune no Atahi" wird im Shinsen Shojiroku (Auflistung von Titeln und Familiennamen) nicht gelistet, allerdings ist "atahi" ein erblicher Titel, welcher der Familie eines lokalen Gouverneurs übertragen wurde.
  10. 是の人. In der Übersetzung von Bohner ist von männlichen Nachkommen die Rede, während es bei Nakamura nur um den Sohn selbst geht.


Hintergrund

  • Zeit: Regierungszeit des Kinmei Tennō 欽明天皇
  • Ort: Distrikt Ōno 大乃郡 in der Provinz Mino 三乃国
  • Personen: ein Mann, der eine Gemahlin sucht; ein schönes Mädchen, welches sich als Fuchs entpuppt; deren beider Sohn;

Ursache und Wirkung

Dadurch, dass sich der Mann von seiner Frau, welche sich als Füchsin entpuppte, nicht abwandte oder sie gar davonjagte, gedieh seine Familie lange Zeit sehr gut. Eine gute Tat schafft über lange Zeit hinweg gutes Karma. So waren die Nachkommin der Fuchsfrau sehr kräftig und konnten so schnell laufen wie ein Vogel fliegt.

Anmerkungen

Nicht-buddhistische Erzählungen

Nakamura bezeichnet diese Erzählung in der Einführung von Nihon ryōiki 日本霊異記 als eine der „nicht buddhistischen“ Legenden in dieser Sammlung. Nakamura identifiziert diese und 3 weitere Geschichten (I-03, II-04, II-27) als „nicht buddhistisch“ und stellt thematische und strukturelle Ähnlichkeiten fest, die sie von der Mehrheit der Erzählungen in Nihon ryōiki 日本霊異記 deutlich unterscheiden lassen.

Alle 4 Erzählungen stammen aus den Provinzen Owari und Mino und basieren auf deren lokalen Tradition. Die 4 Geschichten erinnern mit ihren Inhalt mehr auf die Japanische Volksgeschichten als an die buddhistischen Legenden. Weiter besitzen die 2 Helden und 2 Heldinnen, die in den Erzählungen eine primäre Rolle spielen, eine außergewöhnliche Kraft. Die Quelle ihrer Kraft ist der Donner. Das Motiv des Donners findet man auch in der Geschichte I-01, in der man die Donnergottheit zu fangen versucht. Yanagita Kunio, japanischer Forscher und Gründer der Volkskunde in Japan, interpretiert Donner als die Verkörperung einer Himmelsgottheit amatsukami 天つ神, von der man die Kraft erhält, was jedenfalls mehr mit der schintoistischer als mit der buddhistischen Tradition in Japan übereinstimmt (deswegen „nicht buddhistisch“). (Nakamura 1997:73)

Es gibt 4 weitere Erzählungen in dieser Sammlung , die sich laut Nakamura als „nicht buddhistische“ Legenden beschreiben lassen: I-25, II-33, II-41, III-31.

Übernatürliche Geburt

Bei der Analyse dieser 8 Geschichten (I-02, I-03, II-04, II-27, I-25, II-33, II-41, III-31) erfahren wir, dass sich bei 5 Helden und 3 Heldinnen ein Bezug auf Donner feststellen lässt. In der Mehrheit der Geschichten erfolgt eine Kraft-Übertragung von einer Himmelsgottheit (amatsukami 天つ神). Alle Erzählungen, wo eine Frau (Heldin) die primäre Rolle spielt, nehmen Bezug auf die Sexualität der Frau und betonen das Motiv der übernatürlichen Geburt: I-02, II-33, II-41, III-31. Das Motiv der der übernatürlichen Geburt wiederholt sich in den Japanischen Volksgeschichten und Mythen und symbolisiert die Übertragung der Kraft durch die Geburt (Blutsverbindung zwischen dem Meschen und kami 神). Die Symbolik der Frau als ein Mediator einer solchen Übertragung erklärt das japanische Phänomen der weiblichen Schamaninnen und Priesterinnen. (Nakamura 1997:74)

Divine marriage

Ein weiteres Motiv, das wir in dieser Erzählung beobachten können, und das sich in den Japanischen Mythen wiederholt, ist das Motiv von "divine marriage", einer Heirat zwischen einem Menschen und einer Gottheit (meistens handelt sich um eine männliche Himmelsgottheit und ein irdisches Mädchen), das man unter anderen in dem Koreanischen Mythos von Hyŏkkŏses Heirat mit einem irdischen Wesen und dem Mythos von der Heirat zwischen Nigihayahi und Nagasune-hikos Schwester findet. Weitere Beispiele aus der Japanischen Mythologie findet man unter anderen in Kojiki, wobei das Berühmteste davon das Mythos von der Heirat zwischen Amewakahiko und Ōkuninushis Tochter wäre.

Wie in dieser Erzählung (I-02), erscheint die Gottheit vor der Heirat in der Japanischen Mythologie oft in einer menschlichen Form. Die Heirat endet meistens mit der Trennung der Eheleute nach der Geburt, oder nach dem der Mensch die wirkliche Form der Gottheit erblickt (ein Tabu bricht). Beispiele finden wir zum Beispiel in einer Geschichte aus Hitachi fudoki, in der die menschliche Frau mit einer Schlange schwanger wird oder dem Mythos von Ōtatanekos Geburt. Dieses Motiv ist kein Phänomen der Japanischen Mythologie. Die wahrscheinlich bekannteste Erzählung, an deren Ende das Liebespaar trennen muss, weil das Tabu gebrochen wurde, ist der Griechische Mythos von Eros und Psyche.

Materialien


Artikel erstellt von Simone Kahofer 16:53, 11. Okt. 2010 (CEST).