Mythen/Daemonen: Unterschied zwischen den Versionen

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{{fl|M}}onster sind in der Kultur Japans allgegenwärtig. Heute bezeichnet man sie gern als {{g|youkai}}, doch gibt es auch ältere Sammelbezeichnungen wie etwa {{g|hyakki}}, wtl. „hundert Geister“. Das Zeichen ''ki'' 鬼 steht hier, in seiner sino-japa·nischen Aus·sprache, für Geister·wesen aller Art.<!--
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{{fl|M}}onster sind in der Kultur Japans allgegenwärtig. Heute bezeichnet man sie gern als {{g|youkai}}, doch gibt es auch ältere Sammelbezeichnungen wie etwa {{g|hyakki}}, wtl. „hundert Geister“. Das Zeichen ''ki'' 鬼 steht hier, in seiner sino-japanischen Aussprache, für Geisterwesen aller Art.<!--
 
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Nach einer ety·molo·gischen Er·klä·rung soll sich das Zeichen 鬼 von einem Leich·nam herleiten. Somit wären ''ki'' im Grunde Toten·geister oder umgekehrt, alle Menschen würden nach dem Tod zu ''ki'' werden. Laut Kikuchi Noritaka entspricht dies tat·säch·lich der ursprüng·lichen chinesischen Auf·fassung. Kikuchi 2011, S. 19.
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Nach einer etymologischen Erklärung soll sich das Zeichen 鬼 von einem Leichnam herleiten. Somit wären ''ki'' im Grunde Totengeister oder umgekehrt, alle Menschen würden nach dem Tod zu ''ki'' werden. Laut Kikuchi Noritaka entspricht dies tatsächlich der ursprünglichen chinesischen Auffassung. Kikuchi 2011, S. 19.
 
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-->In der Lesung {{g|oni}} bezeich·net das·selbe Zeichen eine kon·kre·tere Figur, die auf dieser Seite zusammen mit dem Wasser·geist {{g|kappa}} als Reprä·sentant der ''yōkai'' genauer vor·gestellt werden soll.  
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-->In der Lesung {{g|oni}} bezeichnet dasselbe Zeichen eine konkretere Figur, die auf dieser Seite zusammen mit dem Wassergeist {{g|kappa}} als Repräsentant der ''yōkai'' genauer vorgestellt werden soll.  
  
 
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''Oni'' sind von men·schen·ähn·licher Gestalt, tragen jedoch Hörner, raub·tier·ar·tige Zähne und Krallen. Ihre Haut ist manch·mal feuer·rot, manchmal aber auch grün oder blau. Der typische ''oni'' ist außer·dem mit einem eisen·be·schla·genen Knüppel ({{g|kanabou}}) und einem Len·den·schurz aus Tiger·fell aus·ge·stattet.
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''Oni'' sind von menschenähnlicher Gestalt, tragen jedoch Hörner, raubtierartige Zähne und Krallen. Ihre Haut ist manchmal feuerrot, manchmal aber auch grün oder blau. Der typische ''oni'' ist außerdem mit einem eisenbeschlagenen Knüppel ({{g|kanabou}}) und einem Lendenschurz aus Tigerfell ausgestattet.
  
Diese Ikono·graphie geht auf buddhis·tische Dämonen zurück, die sich bis zu den indischen {{s|Rakshasa}} (jap. {{g|rasetsu}}) zurück·verfolgen lassen. Manche dieser Dämonen sind Gegen·spieler des Buddhismus und haben z.B. die un·dank·bare Auf·gabe, den Vier Him·melswäch·tern ({{g|shitennou}}) als Podest zu dienen ({{g|amanojaku}}). Andere verdingen sich als  Fol·ter·knech·te ({{g|gokusotsu}}) in der bud·dhis·tischen [[Mythen/Hoellen/Hoellenbilder|Hölle]]. Parallelen zu christ·lichen Teufeln sind daher nicht von der Hand zu weisen.  
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Diese Ikonographie geht auf buddhistische Dämonen zurück, die sich bis zu den indischen {{s|Rakshasa}} (jap. {{g|rasetsu}}) zurückverfolgen lassen. Manche dieser Dämonen sind Gegenspieler des Buddhismus und haben z.B. die undankbare Aufgabe, den Vier Himmelswächtern ({{g|shitennou}}) als Podest zu dienen ({{g|amanojaku}}). Andere verdingen sich als  Folterknechte ({{g|gokusotsu}}) in der buddhistischen [[Mythen/Hoellen/Hoellenbilder|Hölle]]. Parallelen zu christlichen Teufeln sind daher nicht von der Hand zu weisen.  
  
 
===„Böse“ ''oni''===
 
===„Böse“ ''oni''===
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Die  religiöse Ideologie hin·ter den Dar·stel·lun·gen der buddhis·tischen Dämo·nen ist zweifel·los ver·schie·den vom Christen·tum: Wäh·rend christ·liche Teufel „böse“ sind und dem Willen Gottes zu·wider·han·deln, sind die bud·dhis·tischen Fol·ter·knechte ein „not·wen·diges Übel“ und tun nichts ande·res als ihre Pflicht (zumin·dest so·lange sie ihren Dienst in der Hölle ver·richten). Psycho·logisch macht das aber kaum einen Unter·schied: ''Oni'' sind, wie Teufel, Gegen·spieler der Men·schen und werden dement·spre·chend als Men·schen mit tie·rischen De·forma·tionen (Hörner, Reiß·zähne, Klauen) dar·ge·stellt.
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Die  religiöse Ideologie hinter den Darstellungen der buddhistischen Dämonen ist zweifellos verschieden vom Christentum: Während christliche Teufel „böse“ sind und dem Willen Gottes zuwiderhandeln, sind die buddhistischen Folterknechte ein „notwendiges Übel“ und tun nichts anderes als ihre Pflicht (zumindest solange sie ihren Dienst in der Hölle verrichten). Psychologisch macht das aber kaum einen Unterschied: ''Oni'' sind, wie Teufel, Gegenspieler der Menschen und werden dementsprechend als Menschen mit tierischen Deformationen (Hörner, Reißzähne, Klauen) dargestellt.
  
In der japa·nischen Sagenwelt begegnet man tat·säch·lich auch wirk·lich „bösen“ ''oni''. Beson·ders in den Mär·chen und Legen·den der {{g|Heian}}-Zeit ist immer wieder davon die Rede, dass Men·schen (in erster Linie Frauen) von ''oni'' „mit einem Biss“ ver·schlun·gen werden. Die be·rühm·teste dieser Men·schen·fres·ser-Geschich·ten han·delt von einem ''oni'' namens {{g|Shutendouji}}. Er haust in den Bergen und raubt vor·zugs·weise schöne Frauen, die er ver·sklavt, miss·braucht und schließ·lich auf·frisst. Erst dem tap·feren Krieger {{g|minamotonoyorimitsu}} und seinen vier Vasal·len gelingt es nach vielen Aben·teuern, Shuten Dōji zur Strecke zu bringen. Diese Ge·schichte exis·tiert in un·zäh·ligen Varian·ten. Sie präsen·tiert den ''oni'' als einen Dämon, der absolut böse und gefähr·lich, jedoch — im Gegen·satz zum Teufel — nicht un·sterb·lich ist.
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In der japanischen Sagenwelt begegnet man tatsächlich auch wirklich „bösen“ ''oni''. Besonders in den Märchen und Legenden der {{g|Heian}}-Zeit ist immer wieder davon die Rede, dass Menschen (in erster Linie Frauen) von ''oni'' „mit einem Biss“ verschlungen werden. Die berühmteste dieser Menschenfresser-Geschichten handelt von einem ''oni'' namens {{g|Shutendouji}}. Er haust in den Bergen und raubt vorzugsweise schöne Frauen, die er versklavt, missbraucht und schließlich auffrisst. Erst dem tapferen Krieger {{g|minamotonoyorimitsu}} und seinen vier Vasallen gelingt es nach vielen Abenteuern, Shuten Dōji zur Strecke zu bringen. Diese Geschichte, die bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit dem Kampf des griechischen Helden {{g|Odysseus}} und dem Zyklopen Polyphem aufweist,<!--
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--><ref>In Homers ''Odyssee'' landet Odysseus auf seinen Irrfahrten u.a. auf der Insel der riesenhaften Zyklopen, dringt mit einigen Gefährten in die Höhle des Polyphem ein und soll zur Strafe aufgegessen werden.  Es gelingt Odysseus jedoch den Zyklopen betrunken zu machen und im Schlaf zu blenden. Auch Raikō schleicht sich bei Shuten Dōji ein, bringt Sake als Gastgeschenk und überwältigt den betrunkenen Dämon im Schlaf. </ref> existiert in unzähligen Varianten. Sie präsentiert den ''oni'' als einen Dämon, der absolut böse und gefährlich, jedoch — im Gegensatz zum Teufel — nicht unsterblich ist.
 
    
 
    
 
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Anderer·seits gibt es bereits im dreizehnten Jahr·hundert Dar·stel·lungen von ''oni'', die eher tölpel·haft als dämonisch wirken und in dieser Hinsicht stark an den Teufel in deutschen Märchen erinnern. So erzählt ein  Märchen von einem alten Holz·sammler mit einer entstel·lenden Geschwulst, der zufällig Zeuge eines nächt·lichen Festes der ''oni'' wird. Sie feiern, tinken und tanzen „ganz wie wir Menschen“. Nur ihr äs·the·tischer Geschmack ist ein anderer: Als die ''oni'' den Holz·sammler entdecken, nehmen sie seine Beule als Pfand, damit er wieder zu ihnen zurück·kommen muss. Auf diese Weise wird der Alte von seiner Beule befreit. (s. die [[{{FULLPAGENAME}}/Beule|Übersetzung]] der Geschichte.)  
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Andererseits gibt es bereits im dreizehnten Jahrhundert Darstellungen von ''oni'', die eher tölpelhaft als dämonisch wirken und in dieser Hinsicht stark an den Teufel in deutschen Märchen erinnern. So erzählt ein  Märchen von einem alten Holzsammler mit einer entstellenden Geschwulst, der zufällig Zeuge eines nächtlichen Festes der ''oni'' wird. Sie feiern, trinken und tanzen „ganz wie wir Menschen“. Nur ihr ästhetischer Geschmack ist ein anderer: Als die ''oni'' den Holzsammler entdecken, nehmen sie seine Beule als Pfand, damit er wieder zu ihnen zurückkommen muss. Auf diese Weise wird der Alte von seiner Beule befreit. (s. die [[{{FULLPAGENAME}}/Beule|Übersetzung]] der Geschichte.)  
  
Wie sich in diesem Märchen bereits andeutet, haben sich die furcht·ein·flößen·den Züge der ''oni'' mit der Zeit immer mehr ab·ge·nützt, sie werden zu·neh·mend eher als ruppige Bar·baren denn als schreck·liche Monster dar·gestellt. Auf Edo-zeit·lichen {{g|ukiyoe}} wirken die ''oni'' daher meist eher komisch als dämonisch.
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Wie sich in diesem Märchen bereits andeutet, haben sich die furchteinflößenden Züge der ''oni'' mit der Zeit immer mehr abgenützt, sie werden zunehmend eher als ruppige Barbaren denn als schreckliche Monster dargestellt. Auf Edo{{q|glossarlink edo? [[Benutzer:TheresaH|TheresaH]] 12:40, 15. Jul. 2022 (CEST)}}-zeitlichen {{g|ukiyoe}} wirken die ''oni'' daher meist eher komisch als dämonisch.
  
 
===„Gute“ ''oni''===  
 
===„Gute“ ''oni''===  
Neben ihrer un·frei·willigen Komik gibt es auch das Phänomen, dass ''oni'' — wie im übrigen fast alle ja·pa·nischen Monster —  zu echten Sym·pathie·trägern werden können. Oder anders aus·gedrückt:
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Neben ihrer unfreiwilligen Komik gibt es auch das Phänomen, dass ''oni'' — wie im Übrigen fast alle japanischen Monster —  zu echten Sympathieträgern werden können. Oder anders ausgedrückt:
Es gibt Gestal·ten, die genauso wie ''oni'' aus·sehen, aber keines·wegs böse oder feindselig sind. Dazu zählen zunächst einmal die [[Ikonographie/Waechtergoetter/Wind_und_Donner |Wind- und Donner·götter]]. Sie stehen für respekt·ein·flößende Natur·kräfte, die den Men·schen ebenso Heil wie Unheil bringen können.  
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Es gibt Gestalten, die genauso wie ''oni'' aussehen, aber keineswegs böse oder feindselig sind. Dazu zählen zunächst einmal die [[Ikonographie/Waechtergoetter/Wind_und_Donner |Wind- und Donnergötter]]. Sie stehen für respekteinflößende Naturkräfte, die den Menschen ebenso Heil wie Unheil bringen können.  
  
 
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| Tsuno Daishi
 
| Tsuno Daishi
 
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Darüber hinaus gibt es einzelne ''oni''-Gestalten, die es mit den Men·schen ein·deutig gut meinen. So erzählt etwa eine Legende, dass der emi·nente Mönch {{g|Ryougen}} (912–985) —  einer der wich·tigsten Patriar·chen des {{g|Tendaishuu|Tendai Buddhismus}} — die Hörner eines ''oni'' gehabt haben soll. Ryōgen wird daher im Volks·mund auch als Tsuno Daishi, „Groß·meister Horn“ oder „gehörn·ter Groß·meister“ bezeichnet. Eine weitere Legende berichtet, dass Ryōgen einen Seuchen·gott in Gestalt eines ''oni'' bekämpfte, indem er sein Aussehen annahm. Von da an diente die Abbildung dieses ''oni''  als Talisman ({{g|ofuda}}), um Krankheiten und ähnliches zu verhindern — gleichsam eine ho·möo·pathische Bekämpfung von Seuchen·göttern. Noch heute werden ''o-fuda'' mit dem Bild des Tsuno Daishi in diversen Tendai Tempeln verkauft. Man soll sie zu [[Alltag/Jahr|Neujahr]] an der Eingangs·tür oder im Flur seines Hauses aufkleben ([[Essays/Tsuno Daishi|mehr dazu ...]]).  
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Darüber hinaus gibt es einzelne ''oni''-Gestalten, die es mit den Menschen eindeutig gut meinen. So erzählt man sich in Japan noch heute, dass der eminente Mönch {{g|Ryougen}} (912–985) —  einer der wichtigsten Patriarchen des {{g|Tendaishuu|Tendai Buddhismus}} — die Hörner eines ''oni'' gehabt haben soll. Eine Legende berichtet weiter, dass Ryōgen einen Seuchengott in Gestalt eines ''oni'' bekämpfte, und dabei selbst das Aussehen eines Dämons annahm. Von da an diente die Abbildung dieses ''oni''  als Talisman ({{g|ofuda}}), um Krankheiten und ähnliches zu verhindern — gleichsam eine homöopathische Bekämpfung von Seuchengöttern. Ryōgen wird daher im Volksmund auch als Tsuno Daishi{{q|glossarlink tsuno daishi? [[Benutzer:TheresaH|TheresaH]] 12:40, 15. Jul. 2022 (CEST)}}, „Großmeister Horn“ oder „gehörnter Großmeister“ bezeichnet. Noch heute werden ''o-fuda'' mit dem Bild des Tsuno Daishi in diversen Tendai Tempeln verkauft. Man soll sie zu [[Alltag/Jahr|Neujahr]] an der Eingangstür oder im Flur seines Hauses aufkleben ([[Essays/Tsuno Daishi|mehr dazu ...]]).  
  
Auch in moder·ner Zeit hat sich ein reli·giöser Führer in gewisser Weise mit den ''oni'' iden·ti·fiziert, indem er sich den selt·samen Vor·namen ''oni''-saburō zulegte: Deguchi Onisaburō, 1871–1948, Mit·be·gründer der [[Geschichte/Neue Religionen |neu·reli·giösen Rich·tung]] Ōmoto-kyō.</ref>
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In moderner Zeit hat sich ein religiöser Führer sogar selbst den seltsamen Vornamen „Dämonendiener“ (''oni-saburō''{{q|glossar oni-saburo? [[Benutzer:TheresaH|TheresaH]] 12:40, 15. Jul. 2022 (CEST)}}) zugelegt: {{g|Deguchionisaburou}}, 1871–1948, Mitbegründer der [[Geschichte/Neue Religionen |neureligiösen Richtung]] {{g|oomoto}}.  
  
 
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Auch auf den prächtig verzierten Dach·schin·deln bud·dhis·tischer Tempel grinst einem  häufig eine ''oni''-Maske entgegen. Diese ver·kör·pert wohl keine bös·willige Kraft, sondern dient eher dem Schutz vor einer solchen. Wie schon bei den Wäch·ter·göt·tern begeg·net man hier dem Glauben, dass böse Geister am effek·tivsten von ebenso gestal·teten Wächtern im eigenen Lager ver·trie·ben werden können.  
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Auch auf den prächtig verzierten Dachschindeln buddhistischer Tempel grinst einem  häufig eine ''oni''-Maske entgegen ({{g|onigawara}}). Oni werden auch gerne als Dachträger eingesetzt, ähnlich wie die hierzulande bekannten Atlanten. Diese Figuren verkörpern wohl keine böswillige Kraft, sondern dienen eher dem Schutz vor einer solchen. Wie schon bei den Wächtergöttern begegnet man hier dem Glauben, dass böse Geister am effektivsten von ebenso gestalteten Wächtern im eigenen Lager vertrieben werden können.  
  
Das Aussehen allein sagt also noch nicht, ob es sich wirk·lich um einen böswilligen ''oni'' handelt oder nicht. Diese Ambivalenz im Auf·treten der ''oni'' lässt es ratsam erscheinen, anstelle von „Teufel“ den neutral·eren Begriff „Dämon“ für die Über·setzung von ''oni'' zu wählen.
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Das Aussehen allein sagt also noch nicht, ob es sich wirklich um einen böswilligen ''oni'' handelt oder nicht. Diese Ambivalenz im Auftreten der ''oni'' lässt es ratsam erscheinen, anstelle von „Teufel“ den neutraleren Begriff „Dämon“ für die Übersetzung von ''oni'' zu wählen.
  
 
===Das Dämonentor===
 
===Das Dämonentor===
  
Einer alten chine·sischen Vor·stel·lung zufolge kommen böse Geister oder Dämonen üblicher·weise aus dem Nord·osten. Diese Himmels·richtung wird daher auch  als „Dämonen·tor“ ({{g|kimon}}) be·zeich·net. Im ja·pa·nischen Altertum wurde diese Vor·stel·lung so ernst genommen, dass man sich bemühte, den Nord·osten von Städten und Palästen mit religiösen Institu·tionen zu besetzen. In Kyōto erhielt etwa der Kloster·berg {{g|hieizan|Hiei}} im Nord·osten der Stadt die Funktion zuge·sprochen, böse Geister abzu·wehren.
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Einer alten chinesischen Vorstellung zufolge kommen böse Geister oder Dämonen üblicherweise aus dem Nordosten. Diese Himmelsrichtung wird daher auch  als „Dämonentor“ ({{g|kimon}}) bezeichnet. Im japanischen Altertum wurde diese Vorstellung so ernst genommen, dass man sich bemühte, den Nordosten von Städten und Palästen mit religiösen Institutionen zu besetzen. In Kyōto erhielt etwa der Klosterberg {{g|hieizan|Hiei}} im Nordosten der Stadt die Funktion zugesprochen, böse Geister abzuwehren.
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|Toriyamas ''oni''
 
|Toriyamas ''oni''
 
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Der Edo-zeit·liche Maler und Ge·spen·ster·for·scher {{g|Toriyamasekien}} leitete aus dieser Tatsache auch eine durch·aus ein·leuchtende Begrün·dung für das spezifische Aussehen der ''oni'' ab. Er wies darauf hin, dass die tieri·schen Ele·mente der ''oni'' vor allem dem Rind und dem Tiger ent·nom·men sind. Zugleich be·zeich·net man den Nord·osten im [[Mythen/Symboltiere/Tierkreis|System der Tierkreiszeichen]], das auch in der tradi·tionel·len Kalender·kunde ange·wendet wird, als {{g|ushitora}}, also wörtlich als „Rind-Tiger“. Insofern ist es nach Toriyama nur natür·lich, dass die Dämonen, die aus der „Rind-Tiger“ Rich·tung kommen, auch das Aus·sehen von „Rind-Tigern“ haben.  
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Der Edo-zeitliche Maler und Gespensterforscher {{g|Toriyamasekien}} leitete aus dieser Tatsache auch eine durchaus einleuchtende Begründung für das spezifische Aussehen der ''oni'' ab. Er wies darauf hin, dass die tierischen Elemente der ''oni'' vor allem dem Rind und dem Tiger entnommen sind. Zugleich bezeichnet man den Nordosten im [[Mythen/Symboltiere/Tierkreis|System der Tierkreiszeichen]], das auch in der traditionellen Kalenderkunde angewendet wird, als {{g|ushitora}}, also wörtlich als „Rind-Tiger“. Insofern ist es nach Toriyama nur natürlich, dass die Dämonen, die aus der „Rind-Tiger“ Richtung kommen, auch das Aussehen von „Rind-Tigern“ haben.  
  
Tat·säch·lich finden sich Rinder·hörner und Tiger·fell-Tangas auch bei hinduis·tischen und buddhis·tischen Dämonen (s. Anmerkungen zum Höllenfürst [[Mythen/Jenseits/Enma|Enma]]). Doch enthält Toriyamas Begrün·dung, unab·hängig von ihrer  histo·rischen Stich·haltig·keit, einen Hinweis auf die Ver·mischung von bud·dhis·tischen und nicht-buddhis·tischen Traditionen. Man kann daher davon ausgehen, dass der charak·teris·tische japa·nische ''oni'' nicht nur bud·dhis·tische, sondern auch chine·sische Ele·men·te in sich aufge·nommen hat.
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Tatsächlich finden sich Rinderhörner und Tigerfell-Tangas auch bei hinduistischen und buddhistischen Dämonen (s. Anmerkungen zum Höllenfürst [[Mythen/Jenseits/Enma|Enma]]). Doch enthält Toriyamas Begründung, unabhängig von ihrer  historischen Stichhaltigkeit, einen Hinweis auf die Vermischung von buddhistischen und nicht-buddhistischen Traditionen. Man kann daher davon ausgehen, dass der charakteristische japanische ''oni'' nicht nur buddhistische, sondern auch chinesische Elemente in sich aufgenommen hat.
  
 
===''Oni'' wa soto===
 
===''Oni'' wa soto===
  
Noch heute findet man in Japan  länd·liche Volks·fes·te ({{g|matsuri}}), die  er·staun·lich stark an „Perchten·läufe“ und ähn·liche Prozes·sionen teufel·artiger Gestalten im alpinen Raum erinnern. Meist finden diese Feiern zu Beginn des [[Alltag/Jahr|Neuen Jahres]] statt. Im Schutz von ''oni''-Masken richten Gruppen von Burschen Schaber·nack an, der in manchen Fällen ziemlich auf·dring·lich und unan·genehm werden kann, aber nur auf den Fest·tag beschränkt ist. In Japan wie in Europa ver·körpern diese Masken den Winter, der rituell ver·trieben werden soll.  
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Noch heute findet man in Japan  ländliche Volksfeste ({{g|matsuri}}), die  erstaunlich stark an „Perchtenläufe“ und ähnliche Prozessionen teufelartiger Gestalten im alpinen Raum erinnern. Meist finden diese Feiern zu Beginn des [[Alltag/Jahr|Neuen Jahres]] statt. Im Schutz von ''oni''-Masken richten Gruppen von Burschen Schabernack an, der in manchen Fällen ziemlich aufdringlich und unangenehm werden kann, aber nur auf den Festtag beschränkt ist. In Japan wie in Europa verkörpern diese Masken den Winter, der rituell vertrieben werden soll.  
  
 
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Während der·artige, archaisch wirkende, Bräuche in Mittel·europa auf den länd·lichen Raum beschränkt sind, gibt es die Winter-Dämonen-Austreibung  in abgeschwächter Form auch im modernen urbanen Leben Japans. So weiß in Japan jedes Kind, dass man die ''oni'' an einem bestimmten Tag mit ge·trock·neten Soja·bohnen aus dem Haus treiben muss. Dazu ruft man: „''Oni wa soto, fuku wa uchi''“ („Raus mit den ''oni'', rein mit dem Glück“). Dieser Tag fällt nach dem modernen Kalender auf den 3. Februar und heißt {{g|setsubun}}, was nichts anderes als „Tren·nung der Jahres·zeiten“ bedeutet. Nach dem traditionellen Kalender handelt es sich dabei um den  letzten Tag des Winters.  
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Während derartige, archaisch wirkende, Bräuche in Mitteleuropa auf den ländlichen Raum beschränkt sind, gibt es die Winter-Dämonen-Austreibung  in abgeschwächter Form auch im modernen urbanen Leben Japans. So weiß in Japan jedes Kind, dass man die ''oni'' an einem bestimmten Tag mit getrockneten Sojabohnen aus dem Haus treiben muss. Dazu ruft man: „''Oni wa soto, fuku wa uchi''“ („Raus mit den ''oni'', rein mit dem Glück“). Dieser Tag fällt nach dem modernen Kalender auf den 3. Februar und heißt {{g|setsubun}}, was nichts anderes als „Trennung der Jahreszeiten“ bedeutet. Nach dem traditionellen Kalender handelt es sich dabei um den  letzten Tag des Winters.  
  
Im urbanen Raum hat diese „Teufels·aus·trei·bung“ allerdings nur noch den Charakter eines lustigen Kinder·festesLiebe·volle Väter setzen dann eine selbst·ge·bastelte ''oni''-Maske auf und lassen sich von den bohnen·werfenden Kindern aus der Wohnung scheuchen.
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Im urbanen Raum hat diese „Teufelsaustreibung“ allerdings nur noch den Charakter eines lustigen KinderfestesLiebevolle Väter setzen dann eine selbstgebastelte ''oni''-Maske auf und lassen sich von den bohnenwerfenden Kindern aus der Wohnung scheuchen.
  
 
==''Kappa'', die Flussgeister==
 
==''Kappa'', die Flussgeister==
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{{g|kappa|''Kappa''}} werden in der modernen Manga-Kultur oft niedlich und putzig (jap. {{g|kawaii}}) dar·ge·stellt, was sich zum Teil aus humoristischen Darstellungen der Vergangenheit erklärt. Es handelt sich um Kobolde, die aus einer Kombi·nation von Affe und Schild·kröte ent·standen zu sein scheinen und an den Ufern von Gewäs·sern hausen. Auf vielen Ab·bil·dungen tragen sie eine Art Schild·kröten·panzer auf dem Rücken. Ihr eigen·tüm·lichstes Merkmal ist jedoch eine Delle in ihrer Schädel·decke, die zugleich die größte Schwach·stelle der ''kappa'' darstellt, denn sie muss stets mit Wasser gefüllt sein. Gelingt es also, einen ''kappa'' umzu·drehen, verliert er seine Kraft. Auch soll man ihn über·tölpeln können, indem man sich tief vor ihm verneigt. Erwidert er die Verbeu·gung, leert sich seine Delle ...
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{{g|kappa|''Kappa''}} werden in der modernen Manga-Kultur oft niedlich und putzig (jap. {{g|kawaii}}) dargestellt, was sich zum Teil aus humoristischen Darstellungen der Vergangenheit erklärt. Es handelt sich um Kobolde, die aus einer Kombination von Affe und Schildkröte entstanden zu sein scheinen und an den Ufern von Gewässern hausen. Auf vielen Abbildungen tragen sie eine Art Schildkrötenpanzer auf dem Rücken. Ihr eigentümlichstes Merkmal ist jedoch eine Delle in ihrer Schädeldecke, die zugleich die größte Schwachstelle der ''kappa'' darstellt, denn sie muss stets mit Wasser gefüllt sein. Gelingt es also, einen ''kappa'' umzudrehen, verliert er seine Kraft. Auch soll man ihn übertölpeln können, indem man sich tief vor ihm verneigt. Erwidert er die Verbeugung, leert sich seine Delle ...
  
 
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Auf älteren Dar·stel·lungen wirken ''kappa'' jedoch meist ziemlich grob und un·heim·lich. Man sagte ihnen nach, dass sie  heim·tückisch seien und ins·beson·dere Kinder gerne ins Wasser zögen, um sie zu ertränken. Andere Quellen wissen zu berichten, dass es die ''kappa'' auf einen magischen Edel·stein abgesehen haben, den sie im Anus ihrer Opfer vermuten, und diese daher nach Möglich·keit von hinten her aussaugen.   
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Auf älteren Darstellungen wirken ''kappa'' jedoch meist ziemlich grob und unheimlich. Man sagte ihnen nach, dass sie  heimtückisch seien und insbesondere Kinder gerne ins Wasser zögen, um sie zu ertränken. Andere Quellen wissen zu berichten, dass es die ''kappa'' auf einen magischen Edelstein abgesehen haben, den sie im Anus ihrer Opfer vermuten, und diese daher nach Möglichkeit von hinten her aussaugen.   
  
 
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Schließ·lich eigenen sich  ''kappa'' — wie im übrigen fast alle {{g|youkai}} — gut für die Pro·jektion sexueller Phantasien. Das obige  „Früh·lings·bild“ ({{g|shunga}}) des berühmten Frauendarstellers {{g|kitagawautamaro}} macht dies auf hinterhältige Weise explizit, indem bei genauerem Hinsehen unterhalb der lasziven Perlentaucherin ({{g|ama}}) in der Bildmitte eine zweite im Wasser auftaucht, die von zwei ''kappa''s ver·ge·waltigt wird.  
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Schließlich eigenen sich  ''kappa'' — wie im Übrigen fast alle {{g|youkai}} — gut für die Projektion sexueller Phantasien. Das obige  „Frühlingsbild“ ({{g|shunga}}) des berühmten Frauendarstellers {{g|kitagawautamaro}} macht dies auf hinterhältige Weise explizit, indem bei genauerem Hinsehen unterhalb der lasziven Perlentaucherin ({{g|ama}}) in der Bildmitte eine zweite im Wasser auftaucht, die von zwei ''kappa''s vergewaltigt wird.  
  
 
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Trotz ihres unheim·lichen Charakters werden ''kappa'' auch in länd·lichen Schreinen oder Volks·festen verehrt. Um sie günstig zu stimmen und die von ihnen ausgehen·den Gefahren abzuwehren, werden den ''kappa'' gerne Gurken dargeboten, denn Gurken gelten als ihre Lieb·lings·speise. Aus diesem Grund nennt man auch Sushi aus Reis und Gurken „''kappa''-Röllchen“ ({{g|kappamaki}}).
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Trotz ihres unheimlichen Charakters werden ''kappa'' auch in ländlichen Schreinen oder Volksfesten verehrt. Um sie günstig zu stimmen und die von ihnen ausgehenden Gefahren abzuwehren, werden den ''kappa'' gerne Gurken dargeboten, denn Gurken gelten als ihre Lieblingsspeise. Aus diesem Grund nennt man auch Sushi aus Reis und Gurken „''kappa''-Röllchen“ ({{g|kappamaki}}).
 
   
 
   
 
{{ThisWay|Mythen/Imaginaere Tiere}}
 
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Version vom 15. Juli 2022, 12:40 Uhr

Oni und kappa

Vorlage:Flonster sind in der Kultur Japans allgegenwärtig. Heute bezeichnet man sie gern als yōkai [yōkai (jap.) 妖怪 Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster], doch gibt es auch ältere Sammelbezeichnungen wie etwa hyakki [hyakki (jap.) 百鬼 wtl. „hundert Geister“; Sammelbezeichnung für Geisterwesen], wtl. „hundert Geister“. Das Zeichen ki 鬼 steht hier, in seiner sino-japanischen Aussprache, für Geisterwesen aller Art.1 In der Lesung oni [oni (jap.) Dämon, „Teufel“; in sino-japanischer Aussprache (ki) ein allgemeiner Ausdruck für Geister] bezeichnet dasselbe Zeichen eine konkretere Figur, die auf dieser Seite zusammen mit dem Wassergeist kappa [kappa (jap.) 河童 Flussgeist, wtl. „Flussjunge“] als Repräsentant der yōkai genauer vorgestellt werden soll.

Hyakkiyako.jpg
1 Parade der Hundert Geister
Die Szene beruht auf dem Glauben an die sogenannten tsukumogami, Geister (yōkai), die aus altem Hausrat (insbesondere bereits hundert Jahre alte Gegenstände) entstanden sind. Die hier abgebildete Parade dieser Geister wurde zum Vorbild für zahllose ähnliche Darstellungen.
Werk von Tosa Mitsunobu (1434?–1525). Muromachi-Zeit. Bildquelle: PrTimes.

Oni, japanische Teufel?

Oni shohaku.jpg
2 Blauer oni
Darstellung der Legende des „Knaben vom Schneeberg“ (Sekizan dōji). Es handelt sich dabei um eine frühere Existenz des Buddhas Shakyamuni, der sich einem Dämon (oni) in den Bergen des Himalaya zum Fraß anbietet.
Werk von Soga Shōhaku (1730–1781). Edo-Zeit, 1764. Bildquelle: Muian, über Internet Archive.

Oni sind von menschenähnlicher Gestalt, tragen jedoch Hörner, raubtierartige Zähne und Krallen. Ihre Haut ist manchmal feuerrot, manchmal aber auch grün oder blau. Der typische oni ist außerdem mit einem eisenbeschlagenen Knüppel (kanabō [kanabō (jap.) 金棒 mit Spitzen versehener Knüppel oder Schlagstock, der im feudalen Japan als Waffe von Samurai gebraucht wurde (in der Mythologie auch von oni)]) und einem Lendenschurz aus Tigerfell ausgestattet.

Diese Ikonographie geht auf buddhistische Dämonen zurück, die sich bis zu den indischen rakshasa [rākṣasa (skt.) राक्षस indischer Dämon (jap. rasetsu 羅刹)] (jap. rasetsu [rasetsu (jap.) 羅刹 von skt. rakshasa; menschenfressende Dämonenrasse des indischen Pantheons]) zurückverfolgen lassen. Manche dieser Dämonen sind Gegenspieler des Buddhismus und haben z.B. die undankbare Aufgabe, den Vier Himmelswächtern (Shi-Tennō [Shi-Tennō (jap.) 四天王 wtl. Vier Himmelskönige, die aber eher als Himmelswächter auftreten und jeweils eine Himmelsrichtung beschützen; angeführt von Bishamon-ten, dem Wächter des Nordens; der Ausdruck wird auch für diverse Gruppen von vier Kriegern angewendet]) als Podest zu dienen (ama no jaku [ama no jaku (jap.) 天邪鬼 buddhistischer Dämon, wtl. „böser Himmelsgeist“]). Andere verdingen sich als Folterknechte (gokusotsu [gokusotsu (jap.) 獄卒 Folterknechte der buddhistischen Hölle]) in der buddhistischen Hölle. Parallelen zu christlichen Teufeln sind daher nicht von der Hand zu weisen.

„Böse“ oni

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3 Shuten Dōji
Das Bild stammt aus einer Serie über die Heldentaten des Minamoto no Yorimitsu, deren berühmteste darin besteht, dass er mit seinen vier Getreuen den menschenfressenden Dämon (oni) Shuten Dōji zu Fall bringt.
Werk von Torii Kiyomasu. Edo-Zeit, um 1700. Museum of Fine Arts, Boston.

Die religiöse Ideologie hinter den Darstellungen der buddhistischen Dämonen ist zweifellos verschieden vom Christentum: Während christliche Teufel „böse“ sind und dem Willen Gottes zuwiderhandeln, sind die buddhistischen Folterknechte ein „notwendiges Übel“ und tun nichts anderes als ihre Pflicht (zumindest solange sie ihren Dienst in der Hölle verrichten). Psychologisch macht das aber kaum einen Unterschied: Oni sind, wie Teufel, Gegenspieler der Menschen und werden dementsprechend als Menschen mit tierischen Deformationen (Hörner, Reißzähne, Klauen) dargestellt.

In der japanischen Sagenwelt begegnet man tatsächlich auch wirklich „bösen“ oni. Besonders in den Märchen und Legenden der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit ist immer wieder davon die Rede, dass Menschen (in erster Linie Frauen) von oni „mit einem Biss“ verschlungen werden. Die berühmteste dieser Menschenfresser-Geschichten handelt von einem oni namens Shuten Dōji [Shuten Dōji (jap.) 酒顛童子 wtl. etwa Sauf-Knabe; berüchtigter Dämon (oni) der Heian-Zeit]. Er haust in den Bergen und raubt vorzugsweise schöne Frauen, die er versklavt, missbraucht und schließlich auffrisst. Erst dem tapferen Krieger Minamoto no Yorimitsu [Minamoto no Yorimitsu (jap.) 源頼光 948–1021, auch Minamoto Raikō; Krieger aus der Dynastie der Minamoto; zusammen mit seinen vier Vasallen, die auch als Shi-Tennō bezeichnet werden, ist er Held zahlreicher Legenden] und seinen vier Vasallen gelingt es nach vielen Abenteuern, Shuten Dōji zur Strecke zu bringen. Diese Geschichte, die bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit dem Kampf des griechischen Helden Odysseus [Odysseus (west.) Ὀδυσσεύς griechische Sagenfigur, bekannt durch seine Rolle im Kampf um Troja (Illias) und seine Irrfahrten (Odyssee)] und dem Zyklopen Polyphem aufweist,2 existiert in unzähligen Varianten. Sie präsentiert den oni als einen Dämon, der absolut böse und gefährlich, jedoch — im Gegensatz zum Teufel — nicht unsterblich ist.

Vorlage:Sidebox3 Andererseits gibt es bereits im dreizehnten Jahrhundert Darstellungen von oni, die eher tölpelhaft als dämonisch wirken und in dieser Hinsicht stark an den Teufel in deutschen Märchen erinnern. So erzählt ein Märchen von einem alten Holzsammler mit einer entstellenden Geschwulst, der zufällig Zeuge eines nächtlichen Festes der oni wird. Sie feiern, trinken und tanzen „ganz wie wir Menschen“. Nur ihr ästhetischer Geschmack ist ein anderer: Als die oni den Holzsammler entdecken, nehmen sie seine Beule als Pfand, damit er wieder zu ihnen zurückkommen muss. Auf diese Weise wird der Alte von seiner Beule befreit. (s. die Übersetzung der Geschichte.)

Wie sich in diesem Märchen bereits andeutet, haben sich die furchteinflößenden Züge der oni mit der Zeit immer mehr abgenützt, sie werden zunehmend eher als ruppige Barbaren denn als schreckliche Monster dargestellt. Auf Edo-zeitlichen ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit] wirken die oni daher meist eher komisch als dämonisch.

„Gute“ oni

Neben ihrer unfreiwilligen Komik gibt es auch das Phänomen, dass oni — wie im Übrigen fast alle japanischen Monster — zu echten Sympathieträgern werden können. Oder anders ausgedrückt: Es gibt Gestalten, die genauso wie oni aussehen, aber keineswegs böse oder feindselig sind. Dazu zählen zunächst einmal die Wind- und Donnergötter. Sie stehen für respekteinflößende Naturkräfte, die den Menschen ebenso Heil wie Unheil bringen können.

Tsuno daishi.jpg
4 Ryōgen als Dämon
Seltene Darstellung des „Gehörnten Großmeisters“ (Tsuno Daishi) als „realistischer“ oni. Die Wunschperle auf seinem Kopf identifiziert ihn als menschenfreundliche Schutzgottheit.
19. Jh. Tomoe Steineck, Martina Wernsdörfer, Raji Steineck, WegZeichen: Japanische Kult- und Pilgerbilder. Die Sammlung Wilfried Spinner (1854–1918). Zürich: VMZ (Ausstellungskatalog), Abb. 9 (mit freundlicher Genehmigung).

Vorlage:Sidebox3 Darüber hinaus gibt es einzelne oni-Gestalten, die es mit den Menschen eindeutig gut meinen. So erzählt man sich in Japan noch heute, dass der eminente Mönch Ryōgen [Ryōgen (jap.) 良源 912–985; 18. Abt (zasu) der Tendai-Schule; unter Namen wie Jie Daishi, Ganzan Daishi, Tsuno Daishi oder Mame Daishi auch als Schutzheiliger populär] (912–985) — einer der wichtigsten Patriarchen des Tendai Buddhismus [Tendai-shū (jap.) 天台宗 Tendai-Schule, chin. Tiantai] — die Hörner eines oni gehabt haben soll. Eine Legende berichtet weiter, dass Ryōgen einen Seuchengott in Gestalt eines oni bekämpfte, und dabei selbst das Aussehen eines Dämons annahm. Von da an diente die Abbildung dieses oni als Talisman (o-fuda [o-fuda (jap.) お札 Amulett oder Talisman in Gestalt eines symbolischen Zeichens, meist aus Papier; auch shinsatsu; das Zeichen 札 kann auch „Geldschein“ bedeuten, wird dann aber sinojap. satsu ausgesprochen;]), um Krankheiten und ähnliches zu verhindern — gleichsam eine homöopathische Bekämpfung von Seuchengöttern. Ryōgen wird daher im Volksmund auch als Tsuno Daishi, „Großmeister Horn“ oder „gehörnter Großmeister“ bezeichnet. Noch heute werden o-fuda mit dem Bild des Tsuno Daishi in diversen Tendai Tempeln verkauft. Man soll sie zu Neujahr an der Eingangstür oder im Flur seines Hauses aufkleben (mehr dazu ...).

In moderner Zeit hat sich ein religiöser Führer sogar selbst den seltsamen Vornamen „Dämonendiener“ (oni-saburō) zugelegt: Deguchi Onisaburō [Deguchi Onisaburō (jap.) 出口鬼三郎 1871–1948; Mitbegründer der neurel. Bewegung Ōmoto], 1871–1948, Mitbegründer der neureligiösen Richtung Ōmoto [Ōmoto (jap.) 大本 neurel. Bewegung (shinshūkyō), entstanden um 1900].

Onigawara.jpg
5 oni-Dachdekor
Dachziegel des Kasuga Taisha in Form eines oni (onigawara)
Miguel Michán, flickr 2009.
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6 oni-Dachträger
Dämon (oni) als Träger des Firstbalkens eines Tempels auf Berg Kōya.
Eckehard Derschmidt, 2014 (mit freundlicher Genehmigung).

Auch auf den prächtig verzierten Dachschindeln buddhistischer Tempel grinst einem häufig eine oni-Maske entgegen (onigawara [onigawara (jap.) 鬼瓦 Dachdekorelement eines traditionellen Bauwerks in Form einer Dämonenmaske (oni)]). Oni werden auch gerne als Dachträger eingesetzt, ähnlich wie die hierzulande bekannten Atlanten. Diese Figuren verkörpern wohl keine böswillige Kraft, sondern dienen eher dem Schutz vor einer solchen. Wie schon bei den Wächtergöttern begegnet man hier dem Glauben, dass böse Geister am effektivsten von ebenso gestalteten Wächtern im eigenen Lager vertrieben werden können.

Das Aussehen allein sagt also noch nicht, ob es sich wirklich um einen böswilligen oni handelt oder nicht. Diese Ambivalenz im Auftreten der oni lässt es ratsam erscheinen, anstelle von „Teufel“ den neutraleren Begriff „Dämon“ für die Übersetzung von oni zu wählen.

Das Dämonentor

Einer alten chinesischen Vorstellung zufolge kommen böse Geister oder Dämonen üblicherweise aus dem Nordosten. Diese Himmelsrichtung wird daher auch als „Dämonentor“ (kimon [kimon (jap.) 鬼門 „Dämonentor“, Nord-Osten; nach alter Vorstellung die Richtung, aus der die Dämonen kommen]) bezeichnet. Im japanischen Altertum wurde diese Vorstellung so ernst genommen, dass man sich bemühte, den Nordosten von Städten und Palästen mit religiösen Institutionen zu besetzen. In Kyōto erhielt etwa der Klosterberg Hiei [Hiei-zan (jap.) 比叡山 Klosterberg Hiei bei Kyōto, traditionelles Zentrum des Tendai Buddhismus] im Nordosten der Stadt die Funktion zugesprochen, böse Geister abzuwehren.

Oni sekien2.jpg
7 Toriyamas oni
Der beigefügte Text erklärt den Zusammenhang zwischen dem Aussehen des oni und der Himmelsrichtung ushi-tora (Rind-Tiger = NW = „Dämonentor“).
Werk von Toriyama Sekien. Edo-Zeit, 1779. British Museum.

Der Edo-zeitliche Maler und Gespensterforscher Toriyama Sekien [Toriyama Sekien (jap.) 鳥山石燕 1712–1788; Künstler und Gelehrter; vor allem bekannt für seine illustrierten Gespenster-Enzyklopädien] leitete aus dieser Tatsache auch eine durchaus einleuchtende Begründung für das spezifische Aussehen der oni ab. Er wies darauf hin, dass die tierischen Elemente der oni vor allem dem Rind und dem Tiger entnommen sind. Zugleich bezeichnet man den Nordosten im System der Tierkreiszeichen, das auch in der traditionellen Kalenderkunde angewendet wird, als ushitora [ushitora (jap.) 丑寅 wtl. Rind-Tiger; bezeichnung für den Nord-Osten im System der Tierkreiszeichen], also wörtlich als „Rind-Tiger“. Insofern ist es nach Toriyama nur natürlich, dass die Dämonen, die aus der „Rind-Tiger“ Richtung kommen, auch das Aussehen von „Rind-Tigern“ haben.

Tatsächlich finden sich Rinderhörner und Tigerfell-Tangas auch bei hinduistischen und buddhistischen Dämonen (s. Anmerkungen zum Höllenfürst Enma). Doch enthält Toriyamas Begründung, unabhängig von ihrer historischen Stichhaltigkeit, einen Hinweis auf die Vermischung von buddhistischen und nicht-buddhistischen Traditionen. Man kann daher davon ausgehen, dass der charakteristische japanische oni nicht nur buddhistische, sondern auch chinesische Elemente in sich aufgenommen hat.

Oni wa soto

Noch heute findet man in Japan ländliche Volksfeste (matsuri [matsuri (jap.) religiöses (Volks-)Fest]), die erstaunlich stark an „Perchtenläufe“ und ähnliche Prozessionen teufelartiger Gestalten im alpinen Raum erinnern. Meist finden diese Feiern zu Beginn des Neuen Jahres statt. Im Schutz von oni-Masken richten Gruppen von Burschen Schabernack an, der in manchen Fällen ziemlich aufdringlich und unangenehm werden kann, aber nur auf den Festtag beschränkt ist. In Japan wie in Europa verkörpern diese Masken den Winter, der rituell vertrieben werden soll.

Oni shibata.jpg
8Oni wa soto, fuku wa uchi...“
Illustration des volkstümlichen Brauches, die oni zum setsubun-Fest mit Bohnen aus dem Haus zu treiben um das Glück einzuladen. Das Glück ist hier in Form der Göttin Otafuku dargestellt.
Werk von Shibata Zeshin (1807–1891). Hatena Fotolife, Etsuko and Joe Price Collection.

Während derartige, archaisch wirkende, Bräuche in Mitteleuropa auf den ländlichen Raum beschränkt sind, gibt es die Winter-Dämonen-Austreibung in abgeschwächter Form auch im modernen urbanen Leben Japans. So weiß in Japan jedes Kind, dass man die oni an einem bestimmten Tag mit getrockneten Sojabohnen aus dem Haus treiben muss. Dazu ruft man: „Oni wa soto, fuku wa uchi“ („Raus mit den oni, rein mit dem Glück“). Dieser Tag fällt nach dem modernen Kalender auf den 3. Februar und heißt setsubun [setsubun (jap.) 節分 „Trennung der Jahreszeiten“; trad. letzter Tag einer der vier Jahreszeiten; heute meist letzter Tag des Winters (3. Februar)], was nichts anderes als „Trennung der Jahreszeiten“ bedeutet. Nach dem traditionellen Kalender handelt es sich dabei um den letzten Tag des Winters.

Im urbanen Raum hat diese „Teufelsaustreibung“ allerdings nur noch den Charakter eines lustigen Kinderfestes. Liebevolle Väter setzen dann eine selbstgebastelte oni-Maske auf und lassen sich von den bohnenwerfenden Kindern aus der Wohnung scheuchen.

Kappa, die Flussgeister

Kappa kawaii.jpg
9 Moderner kappa
Kappa-Figur aus dem Anime Kappa no Kū to natsuyasumi („Summer Days with Coo“).
Werk von Hara Keiichi. 2007. Bildquelle: unbekannt.

Kappa [kappa (jap.) 河童 Flussgeist, wtl. „Flussjunge“] werden in der modernen Manga-Kultur oft niedlich und putzig (jap. kawaii [kawaii (jap.) かわいい „süß“, „niedlich“; Kanji (nicht in Gebrauch): 可愛い (vgl. kawaii bunka)]) dargestellt, was sich zum Teil aus humoristischen Darstellungen der Vergangenheit erklärt. Es handelt sich um Kobolde, die aus einer Kombination von Affe und Schildkröte entstanden zu sein scheinen und an den Ufern von Gewässern hausen. Auf vielen Abbildungen tragen sie eine Art Schildkrötenpanzer auf dem Rücken. Ihr eigentümlichstes Merkmal ist jedoch eine Delle in ihrer Schädeldecke, die zugleich die größte Schwachstelle der kappa darstellt, denn sie muss stets mit Wasser gefüllt sein. Gelingt es also, einen kappa umzudrehen, verliert er seine Kraft. Auch soll man ihn übertölpeln können, indem man sich tief vor ihm verneigt. Erwidert er die Verbeugung, leert sich seine Delle ...

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10
Ein kappa steigt zwischen Lotosblüten und -blättern aus einem Teich.
Der Bildtext lautet: „Kappa, auch Kawatarō genannt.“ Kawatarō könnte man frei mit „Fluss-Hans“ oder „Fluss-Max“ ins Deutsche übersetzen.
Werk von Toriyama Sekien (1711–1788). Edo-Zeit. British Museum.
Kappa hokusai.jpg
11
Ein kappa fühlt sich vom blanken Hinterteil des Fischers sichtlich angezogen, vermutet er dort doch den magischen shirikodama (wtl. „Arschjuwel“). Der Fischer, der um diesen Effekt weiß, sitzt auf einer komplizierten Vorrichtung, um den kappa im richtigen Moment zu fangen.
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Bildquelle: Muian, über Internet Archive.
Kappa und Donner.jpg
12
Ein versehentlich in einen Fluss gestürzter Donnergott (Raijin) flieht vor einem Flussgeist (kappa).
Werk von Utagawa Hirokage. Edo-Zeit, 1859. Nichibunken, Kyōto.
Kappas der Edo-Zeit

Auf älteren Darstellungen wirken kappa jedoch meist ziemlich grob und unheimlich. Man sagte ihnen nach, dass sie heimtückisch seien und insbesondere Kinder gerne ins Wasser zögen, um sie zu ertränken. Andere Quellen wissen zu berichten, dass es die kappa auf einen magischen Edelstein abgesehen haben, den sie im Anus ihrer Opfer vermuten, und diese daher nach Möglichkeit von hinten her aussaugen.

Kappa shunga.jpg
13
Eine Perlentaucherin (ama) wird unter Wasser von zwei Flussgeistern (kappa) vergewaltigt, während eine andere halb erschreckt, halb neidisch zusieht. Vielleicht imaginiert sie sich aber auch nur selbst in sexuellem Kontakt mit den kappa. Perlentaucherinnen bzw. Fischerinnen sind ein beliebtes erotisches Sujet der Edo-Zeit, die Kombination mit kappa scheint jedoch Utamaros Idee gewesen zu sein. Der Band mit erotischen Bildern (shunga), dem diese Illustration angehört, erschien im übrigen anonym, doch sind sich Experten einig, dass die Illustrationen von Utamaro stammen.
Werk von Kitagawa Utamaro (1753–1806). Edo-Zeit. British Museum.
Utamaros kappa

Schließlich eigenen sich kappa — wie im Übrigen fast alle yōkai [yōkai (jap.) 妖怪 Fabelwesen, Geisterwesen, Gespenster] — gut für die Projektion sexueller Phantasien. Das obige „Frühlingsbild“ (shunga [shunga (jap.) 春画 wtl. „Frühlingsbilder“; Gemälde und Druckwerke mit expliziten sexuellen Darstellungen]) des berühmten Frauendarstellers Kitagawa Utamaro [Kitagawa Utamaro (jap.) 喜多川歌麿 1753–1806; ukiyo-e-Meister, vor allem für seine Frauenportraits berühmt] macht dies auf hinterhältige Weise explizit, indem bei genauerem Hinsehen unterhalb der lasziven Perlentaucherin (ama [ama (jap.) 海女 Traditionelle, japanische Fischersfrau bzw. Perlentaucherin; ursprünglich bezog sich der Ausdruck ama 海士 auf sämtliche Fischer, wobei Männer in Booten fischten, während Frauen tauchten; im Laufe der Zeit wurde ama auf Frauen eingegrenzt und dem entsprechend 海女 („Meerfrau“) geschrieben]) in der Bildmitte eine zweite im Wasser auftaucht, die von zwei kappas vergewaltigt wird.

Kappamaki.png
14 Kappa maki
Digitale Zeichnung von Sushi mit Gurken (kappa maki).
Bildquelle: Irasuto no sato.

Trotz ihres unheimlichen Charakters werden kappa auch in ländlichen Schreinen oder Volksfesten verehrt. Um sie günstig zu stimmen und die von ihnen ausgehenden Gefahren abzuwehren, werden den kappa gerne Gurken dargeboten, denn Gurken gelten als ihre Lieblingsspeise. Aus diesem Grund nennt man auch Sushi aus Reis und Gurken „kappa-Röllchen“ (kappa maki [kappa maki (jap.) かっぱ巻き mit Gurken gefüllte Sushi-Röllchen; Gurken gelten als die Lieblingsspeise der Flussgeister (kappa)]).

Verweise

Verwandte Themen

Fußnoten

  1. Nach einer etymologischen Erklärung soll sich das Zeichen 鬼 von einem Leichnam herleiten. Somit wären ki im Grunde Totengeister oder umgekehrt, alle Menschen würden nach dem Tod zu ki werden. Laut Kikuchi Noritaka entspricht dies tatsächlich der ursprünglichen chinesischen Auffassung. Kikuchi 2011, S. 19.
  2. In Homers Odyssee landet Odysseus auf seinen Irrfahrten u.a. auf der Insel der riesenhaften Zyklopen, dringt mit einigen Gefährten in die Höhle des Polyphem ein und soll zur Strafe aufgegessen werden. Es gelingt Odysseus jedoch den Zyklopen betrunken zu machen und im Schlaf zu blenden. Auch Raikō schleicht sich bei Shuten Dōji ein, bringt Sake als Gastgeschenk und überwältigt den betrunkenen Dämon im Schlaf.

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen

  • Gazu hyakki yakō (jap.)
    Gespenster-Enzyklopädie von Toriyama Sekien auf Wikipedia. Über Wikipedia Japan sind die Illustrationen aller vier Bände zu betrachten.
  • The Obakemono Project (Web-Archive), S.H. Morgan (en.)
    Gut recherchierte japanische Gespensterkunde, teilweise im Manga-Stil illustriert.


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Kikuchi Noritaka 菊地章太, Sōgi to Nihonjin: Ihai no hikaku shūkyō-shi 葬儀と日本人: 位牌の比較宗教史. Tokyo: Chikuma Shobō, 2011.
Noriko Reider, Japanese Demon Lore: Oni from Ancient Times to the Present. Logan: Utah State University Press, 2010.
Royall Tyler (Ü.), Japanese Tales. New York: Pantheon Books, 1987.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Hyakkiyako.jpg
    Die Szene beruht auf dem Glauben an die sogenannten tsukumogami, Geister (yōkai), die aus altem Hausrat (insbesondere bereits hundert Jahre alte Gegenstände) entstanden sind. Die hier abgebildete Parade dieser Geister wurde zum Vorbild für zahllose ähnliche Darstellungen.
    Werk von Tosa Mitsunobu (1434?–1525). Muromachi-Zeit. Bildquelle: PrTimes.
  2. ^ 
    Oni shohaku.jpg
    Darstellung der Legende des „Knaben vom Schneeberg“ (Sekizan dōji). Es handelt sich dabei um eine frühere Existenz des Buddhas Shakyamuni, der sich einem Dämon (oni) in den Bergen des Himalaya zum Fraß anbietet.
    Werk von Soga Shōhaku (1730–1781). Edo-Zeit, 1764. Bildquelle: Muian, über Internet Archive.
  3. ^ 
    Shuten doji kiyomasu.jpg
    Das Bild stammt aus einer Serie über die Heldentaten des Minamoto no Yorimitsu, deren berühmteste darin besteht, dass er mit seinen vier Getreuen den menschenfressenden Dämon (oni) Shuten Dōji zu Fall bringt.
    Werk von Torii Kiyomasu. Edo-Zeit, um 1700. Museum of Fine Arts, Boston.
  4. ^ 
    Tsuno daishi.jpg
    Seltene Darstellung des „Gehörnten Großmeisters“ (Tsuno Daishi) als „realistischer“ oni. Die Wunschperle auf seinem Kopf identifiziert ihn als menschenfreundliche Schutzgottheit.
    19. Jh. Tomoe Steineck, Martina Wernsdörfer, Raji Steineck, WegZeichen: Japanische Kult- und Pilgerbilder. Die Sammlung Wilfried Spinner (1854–1918). Zürich: VMZ (Ausstellungskatalog), Abb. 9 (mit freundlicher Genehmigung).
  5. ^ 
    Onigawara.jpg
    Dachziegel des Kasuga Taisha in Form eines oni (onigawara)
    Miguel Michán, flickr 2009.
  6. ^ 
    Oni koyasan.jpg
    Dämon (oni) als Träger des Firstbalkens eines Tempels auf Berg Kōya.
    Eckehard Derschmidt, 2014 (mit freundlicher Genehmigung).
  7. ^ 
    Oni sekien2.jpg
    Der beigefügte Text erklärt den Zusammenhang zwischen dem Aussehen des oni und der Himmelsrichtung ushi-tora (Rind-Tiger = NW = „Dämonentor“).
    Werk von Toriyama Sekien. Edo-Zeit, 1779. British Museum.
  1. ^ 
    Oni shibata.jpg
    Illustration des volkstümlichen Brauches, die oni zum setsubun-Fest mit Bohnen aus dem Haus zu treiben um das Glück einzuladen. Das Glück ist hier in Form der Göttin Otafuku dargestellt.
    Werk von Shibata Zeshin (1807–1891). Hatena Fotolife, Etsuko and Joe Price Collection.
  2. ^ 
    Kappa kawaii.jpg
    Kappa-Figur aus dem Anime Kappa no Kū to natsuyasumi („Summer Days with Coo“).
    Werk von Hara Keiichi. 2007. Bildquelle: unbekannt.
  3. ^ 
    Kappa.jpg
    Ein kappa steigt zwischen Lotosblüten und -blättern aus einem Teich.

    Der Bildtext lautet: „Kappa, auch Kawatarō genannt.“ Kawatarō könnte man frei mit „Fluss-Hans“ oder „Fluss-Max“ ins Deutsche übersetzen.
    Werk von Toriyama Sekien (1711–1788). Edo-Zeit. British Museum.

  4. ^ 
    Kappa hokusai.jpg
    Ein kappa fühlt sich vom blanken Hinterteil des Fischers sichtlich angezogen, vermutet er dort doch den magischen shirikodama (wtl. „Arschjuwel“). Der Fischer, der um diesen Effekt weiß, sitzt auf einer komplizierten Vorrichtung, um den kappa im richtigen Moment zu fangen.
    Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Bildquelle: Muian, über Internet Archive.
  5. ^ 
    Kappa und Donner.jpg
    Ein versehentlich in einen Fluss gestürzter Donnergott (Raijin) flieht vor einem Flussgeist (kappa).
    Werk von Utagawa Hirokage. Edo-Zeit, 1859. Nichibunken, Kyōto.
  6. ^ 
    Kappa shunga.jpg
    Eine Perlentaucherin (ama) wird unter Wasser von zwei Flussgeistern (kappa) vergewaltigt, während eine andere halb erschreckt, halb neidisch zusieht. Vielleicht imaginiert sie sich aber auch nur selbst in sexuellem Kontakt mit den kappa. Perlentaucherinnen bzw. Fischerinnen sind ein beliebtes erotisches Sujet der Edo-Zeit, die Kombination mit kappa scheint jedoch Utamaros Idee gewesen zu sein. Der Band mit erotischen Bildern (shunga), dem diese Illustration angehört, erschien im übrigen anonym, doch sind sich Experten einig, dass die Illustrationen von Utamaro stammen.
    Werk von Kitagawa Utamaro (1753–1806). Edo-Zeit. British Museum.
  7. ^ 
    Kappamaki.png
    Digitale Zeichnung von Sushi mit Gurken (kappa maki).
    Bildquelle: Irasuto no sato.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • jigoku 地獄 ^ wtl. „[unter]irdischer Kerker“, buddhistische Hölle
  • kappa 河童 ^ Flussgeist, wtl. „Flussjunge“
  • kawaii かわいい ^ „süß“, „niedlich“; Kanji (nicht in Gebrauch): 可愛い (vgl. kawaii bunka)
  • Manga 漫画 ^ wtl. „zehntausend Bilder“; ehemals eine Art von Infotainment, heute japanische Comics
  • Minamoto no Yorimitsu 源頼光 ^ 948–1021, auch Minamoto Raikō; Krieger aus der Dynastie der Minamoto; zusammen mit seinen vier Vasallen, die auch als Shi-Tennō bezeichnet werden, ist er Held zahlreicher Legenden
  • o-fuda お札 ^ Amulett oder Talisman in Gestalt eines symbolischen Zeichens, meist aus Papier; auch shinsatsu; das Zeichen 札 kann auch „Geldschein“ bedeuten, wird dann aber sinojap. satsu ausgesprochen;
  • oni^ Dämon, „Teufel“; in sino-japanischer Aussprache (ki) ein allgemeiner Ausdruck für Geister
  • Ryōgen 良源 ^ 912–985; 18. Abt (zasu) der Tendai-Schule; unter Namen wie Jie Daishi, Ganzan Daishi, Tsuno Daishi oder Mame Daishi auch als Schutzheiliger populär
  • Shuten Dōji 酒顛童子 ^ wtl. etwa Sauf-Knabe; berüchtigter Dämon (oni) der Heian-Zeit
  • Tendai-shū 天台宗 ^ Tendai-Schule, chin. Tiantai
  • tengu 天狗 ^ wtl. Himmelshund; vogelartiger oder geflügelter Kobold, meist in den Bergen
  • Tsuno Daishi 角大師 ^ wtl. „gehörnter Großmeister“; Beinamen des Mönchs Ryōgen in seiner Gestalt als Dämon
  • yamabushi 山伏 ^ Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō
  • yūrei 幽霊 ^ Totengeist