Mythen/Jenseits/Totenreich: Unterschied zwischen den Versionen

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#WEITERLEITUNG [[Mythen/Jenseits/Totengericht]]
{{titel | Das buddhistische Totenreich<span class{{=}}bottom>und seine Zehn Könige </span>}}
 
 
 
{{fl|W}}enn ein Mensch stirbt, folgt laut gängigen buddhistischen Vorstellungen eine bestimmte Zeit, in der Lohn und Strafe seiner irdischen Existenz nach den Gesetzen des {{skt:karma}} festgestellt werden. Diese Übergangs·periode, die u.a. als das „mittlere Dunkel“ ({{glossar:chuuin}}) bezeichnet wird, entscheidet über Ort und Form der zukünftigen Wieder·geburt.
 
Sie bildet also das eigentliche Totenreich und wird in den meisten buddhis·tischen Richtungen mit besonderer ritueller Aufmerk·samkeit bedacht. Im chinesischen Buddhismus entstand zudem die Vorstellung von einer Art Karma-Gerichts·hof. Er wurde von zehn Richter·königen ({{glossar:juuou}}) beherrscht, die das Totenreich regierten und — zu mindestens in den Anfängen dieser Konzeption — ihrerseits entweder von Buddha {{skt:Shakyamuni}} oder von Bodhi·sattva {{glossar:jizou}} angeführt wurden. 
 
 
 
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|jizo dunhuang.jpg
 
|Jizō und die Zehn Könige (China, 9. Jh.)
 
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|jizo usuki.jpg
 
|Jizō und die Zehn Könige (Japan, 12. Jh.)
 
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Die Vorstellung von den Zehn Königen wurde vor allem durch einen in vielen Ver·sionen über·lieferten Text ver·breitet, der land·läufig als ''Sutra der Zehn Könige'' (jap. {{glossar:juuoukyou}}) bekannt ist. Die Urform des Textes entstand in der chine·sischen {{g|Tang}}-Zeit, wahr·schein·lich im 8. oder 9. Jahrhundert. Die ältesten Kopien des Textes und der begleitenden Abbildungen finden sich in {{glossar:dunhuang}}, also im Nordwesten Chinas, wo über die Seiden·straße auch der Buddhismus in China Eingang fand.<!--
 
--><ref>
 
Teiser, ''The Scripture on the Ten Kings'', S. 9. Chinesische Vorläufer lassen sich bis in das Jahr 664 zurück verfolgen (idid., S. 48).
 
</ref>
 
Die Zehn Könige sind demnach eindeutig in China entstanden. In Japan wurde die Toten·welt schließlich in Werken wie dem {{glossar:oujouyoushuu}} (985) oder dem {{g|Jizoujuuoukyou}} (um 1200?) weiter aus·differen·ziert.
 
 
 
== Furcht und Terror ==
 
 
 
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| Datsueba_mak.jpg
 
| Folterszene_2.jpg|  lr3= -40
 
| Folterszene_8.jpg
 
| caption= Folterszenen am Gericht der Zehn Könige, Edo-Zeit
 
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}}
 
Die Zehn Könige herrschten je·weils über einen eige·nen Gerichts·hof und wurden be·reits auf den frühes·ten Dar·stel·lungen in chine·sischen Amts·roben dar·ge·stellt. Ihnen zur Seite standen Kerker·ge·hilfen, die als Misch·wesen von Mensch und Tier er·schie·nen und jeder·zeit zu sadis·tischen Foltern auf·gelegt waren. Das karmische Gericht wurde mit der Zeit mit immer grausameren Schrecken ausgestattet. Die Seelen der Ver·stor·be·nen – um nicht zu sagen „die armen Sünder“ – schienen vor diesem Gericht beinahe chancen·los. Ihre Behand·lung unter·schied sich nur gering·fügig von den Qualen der Hölle, wo sie mit größter Wahr·schein·lich·keit landen würden. Betrachtet man insbesondere die Darstellungen aus späterer Zeit, so ist von Nirvana, Barm·herzig·keit und Er·ret·tung aller Lebe·wesen keine Rede mehr. Mit barocker Lust an schaurigen Details schildern buddhistische Künstler das Totengericht als einen Ort, wo es nur noch darum geht, dem schlimms·ten Terror zu ent·kommen. Nicht die Hoffnung auf ein Ende des Leids, sondern die Furcht vor schlimmen Strafen soll die Gläubigen motivieren, die buddhistischen Gebote zu befolgen.
 
 
 
Die Jenseits·vor·stel·lungen des tradi·tionel·len sino-japani·schen Buddhis·mus scheinen daher ebenso angst·besetzt zu sein wie christ·liche Höllen·darstel·lungen. Barm·herzig·keit ist ledig·lich von Bodhi·sattva  {{glossar:jizou}} zu erhof·fen, der ursprünglich als eine Art Vor·gesetz·ter, mehr und mehr aber auch als ein Gegen·spieler der Zehn Könige (nach dem ''good cop/bad cop''-Prinzip) in Er·schei·nung tritt. Die Popu·lari·tät Jizōs in China und Japan ist also eng mit der Furcht vor den Zehn Königen ver·bunden.
 
 
 
== Topographie des Totenreichs ==
 
 
 
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| 10kings_dunhuang.jpg
 
| Der zweite König (China)
 
| caption=Die Totenseelen waten im Fluss der Unterwelt
 
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| hell= hell
 
}}
 
Das {{g|juuoukyou|''Sutra der Zehn Könige''}}<ref>
 
Für eine englische Übersetzung aus dem Chinesischen s. Teiser 2003, S. 197–219.
 
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gibt nicht nur über die in der Totenwelt verbrachte Zeit Auskunft, sondern enthält auch bestimmte räumliche Vorstellungen über das „mittlere Dunkel“. Der Hof des ersten Königs dient einer Sammlung der Toten in der Art eines Gefangenen·transports. Von dort werden die Delinquenten durch den Fluss Nai getrieben, wobei gehörnte Dämonen die Menge im Zaum halten. Nur einige Privilegierte (Verstorbene mit gutem Karma) dürfen eine Brücke verwenden. Danach erreichen sie den „König des ersten Flusses“ (der unter den zehn Königen die Nummer zwei ist). Von nun an beginnt die Ausforschung der spezifischen Sünden jedes Verstorbenenen: Im Hof des vierten Königs gibt es eine Karma-Waage, die gute und schlechte Taten gegen einander abwiegt. Vor dem fünften König, {{glossar:Enma}}, werden Delinquenten, die ihre Taten abstreiten, mit einem Spiegel konfrontiert, der ihre Sünden zeigt. Am Hof des Siebenten Königs wird besonderes Augenmerk auf die Spenden der Hinterbliebenen gelegt. Nach hundert Tagen, am Hof des achten Königes werden die Toten noch einmal ausge·peitscht. Nach einem Jahr wird überprüft, ob die Hinter·bliebenen nicht vielleicht eine Sutrenkopie oder ein Bildwerk gestiftet haben. Am Hof des zehnten Königs, dem „König, der das Rad der Geburten dreht“ (nach drei Jahren oder im dritten Jahr) entscheidet sich schließlich endgültig, wo die Wieder·geburt stattfinden soll.
 
 
 
Im Sutra der Zehn Könige gibt es auch eine Rahmen·handlung, die eine etwas andere Nuance des Jenseits vermittelt als die bedrohlichen Beschreibungen der Jenseits·reise. Hier tritt Enma stell·vertretend für das gesamte karmische Gericht auf und leistet gegenüber Buddha Shakyamuni verschiedene Schwüre. Aus diesen wird klar, dass es besonders auf die rituelle Aktivität der Hinter·bliebenen ankommt und dass zumindest die schlimmsten Formen der Wieder·geburt vermieden werden können, wenn die Hinter·bliebenen nur alle Totenriten richtig vollziehen und Spenden an buddhis·tische Institu·tionen richten. Umgekehrt wird angedeutet, dass die schlimmsten Vergehen nicht Vatermord oder ähnliches sind, sondern Aneignung von Tempelgut. 
 
 
 
In den frühesten Illustrationen, die dem Sutra beigefügt sind, erscheint die Hölle als schwarz ummauertes, deutlich abgegrenztes Gefängnis. Erst später weitet sie sich zu einer scheinbar grenzen·losen, unwirtlichen Land·schaft aus.  Zweifellos war sie stets ein Ort unter der Erde, da es sich wörtlich um einen  „Erdkerker“ ({{glossar:jigoku}}) handelt. Auch der Name Jizō bedeutet wörtlich „Erdbunker“ — ein Hinweis auf die lange Verbindung dieses Bodhisattvas mit dem unterirdischen Reich der Toten.
 
 
 
Unter den  Königen ist neben Enma-ō, der im ''Sutra der Zehn Könige'' als Reprä·sentant der ganzen Gruppe auftritt und daher auch als Einzelfigur verehrt wurde (s. [[Enma]]), vor allem Taizan-ō, der König des Taishan (siebenter Hof) hervor·zuheben.
 
Der Berg Taishan existiert tatsächlich in China und gilt als wichtigster der fünf heiligen Berge des {{g|doukyou2|Daoismus}}. Er ist u.a. Sitz einer Gottheit, die die Toten·welt beherrscht. Die beiden Figuren Enma und Taizan-ō sind somit ein klarer Hinweis auf die Über·blendung von chinesischen und indischen Jenseits·vorstel·lungen in der Ausge·staltung des karmischen Gerichts.
 
 
 
In Japan kam schließlich noch die „Alte, die [den Toten] die Kleider auszieht“ ({{glossar:datsueba}}) hinzu. Sie bestimmte die Schuld der Toten, indem sie ihre Kleider abwog, und vermittelte ihnen dabei bereits einen Vor·geschmack auf die kommenden Torturen.
 
 
 
== Totengericht und Totenriten ==
 
 
 
Das buddhis·tische Totenreich ist wie gesagt eine Art Fegefeuer, in dem der endgültige Ort der Wieder­·geburt noch nicht fixiert ist. Während die Totenseele das Totenreich durchwandert, haben die Hinter·­blie­benen die Möglichkeit und in gewisser Weise sogar die religiöse Pflicht, die Ent­schei­dung des karmischen Gerichts durch Riten und Opfer­gaben zu be­ein­flussen.
 
 
 
Es ist also kein Zufall, dass die Vorstellung der Zehn Könige eng an das [[Alltag/Totenriten|Ritual·wesen für die Toten]] gekop·pelt ist. Die Rituale im Diesseits finden näm·lich immer dann statt, wenn die Verstor·benen im Jenseits vor einen neuen Richter treten. Dies  geschieht  zunächst alle sieben Tage nach dem Ableben, bis sieben mal sieben Tage herum sind.<!--
 
--><ref>
 
Diese sieben mal sieben Tage finden sich schon in Indien. Eine indi·sche Erklä·rung besagt, dass sich den Wesen im Toten·reich nur alle sieben Tage die Chance bietet, in eine neue irdische Exis·tenz zu schlüpfen. Man kann also dieser Erklä·rung zu Folge auch schon nach den ersten sieben Tagen wieder·ge·boren werden (Teiser 2003, S. 24).
 
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Auch in heutigen bud·dhis·tischen Toten·riten wird diese Folge von Toten·ge·denken berück·sichtigt. Insbe·son·dere die Periode von sieben mal sieben Tagen gilt als die eigent·liche bud·dhis·tische Trauer·zeit.
 
Dann ver·lang·samt sich der Rhyth·mus und die Toten treten nur noch einmal nach hundert Tagen und dann nach einem Jahr vor einen neuen Richter. Im dritten Jahr nach dem Tod ab·sol·viert man das letzte Gericht und wird danach in ein neues Leben (in einem der Sechs Wege der Wieder·ge·burt, {{glossar:rokudou}}) entlassen.<!--
 
--><ref>
 
Die letzten drei Feiern — zum hun·dertsten Tag, zum ersten und zum zweiten Jahres·tag des Ablebens —  scheinen auf vor·bud·dhis·tische chine·sische Bräuche zurück zu gehen: Ein Hin·weis auf die Über·blen·dung von vor·bud·dhistisch-chinesischen und indischen Bräuchen im Kult der Zehn Könige. (Vgl. Teiser, S. 25–26.)
 
</ref>
 
Wie das ''Sutra der Zehn Könige'' mehrfach betont, kann man das Urteil der Richter vom Dies·seits aus min·des·tens zwei Jahre lang be·ein·flus·sen. Ja, man kann sogar für das eigene Seelen·heil Vor·sorge treffen, indem man bereits zu Leb·zeiten in eigener Sache rituelle Opfer an die Zehn Könige richtet. Kurz gesagt: Je mehr rituellen Auf·wand man betreibt, umso besser sieht es im nächsten Leben aus. Negativ formu·liert könnte man auch sagen, dass die Richter·könige mit dem dies·seiti·gen Klerus paktieren und sich durch Wohl·taten, die man diesem erweist, in·direkt be·stechen lassen.
 
 
Fairerweise muss ein·schränkend dazu gesagt werden, dass das ''Sutra der Zehn Könige'' und ähn·liche Schriften in keiner bud·dhis·tischen Schule kano·nischen Status erlang·ten. Das heißt, dass die diver·sen Sutren der Zehn Könige nie in eine {{skt:tripitaka}}-Samm·lung auf·genom·men wurden, also nicht unbe·dingt als authen·tische Worte Buddhas galten. Zweifel·los waren sich die meisten gebil·deten Mönche bewusst, dass das chine·sische Gepräge der jen·seitigen Gerichts·höfe der indischen Her·kunft von Buddhas Lehren wider·sprach.
 
Das hinderte sie jedoch nicht daran, den Kult der Zehn Könige bzw. des Richter·königs {{glossar:Enma}} tatkräftig zu verbreiten. Lediglich die japanische {{glossar:joudoshinshuu}} war stets der Meinung, dass man das Nach·leben seiner Ahnen nicht be·einflus·sen könne und lehnte schon aus diesem Grund den Glauben an die Zehn Könige kate·gorisch ab.
 
 
 
=== Dreizehn Buddhas ===
 
 
 
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| jusanbutsu.jpg
 
| Grabmonument der 13 Buddhas
 
| ref= 1
 
}}
 
In der japanischen {{glossar:Muromachi}}-Zeit fügte man den chine·si·schen Grund·mustern schließ·lich noch wei·tere Toten·ge·denk·feiern hinzu, näm·lich den sieben·ten Jahres·tag (sechs Jahre nach dem Tod), den drei·zehnten Jahres·tag und den drei·und·dreißigs·ten Jahres·tag. Dies ergab die Not·wendig·keit, drei weitere Gerichts·höfe im Toten·reich zu kon·struie·ren, sodass sich ein Set von Drei·zehn Königen ergab. Die hinzugefügten Könige erhiel·ten über·dies jeweils eine ent·spre·chende Urform, also einen {{glossar:honji}}-Buddha, woraus sich wiede·rum ein Set von Dreizehn Buddhas ergab, das eben·falls rituell ver·ehrt werden konnte.  Dar·stel·lungen dieser Dreizehn Buddhas sind noch heute ver·einzelt auf Fried·höfen zu finden.
 
 
 
Der 33. Todestag wird zwar meist nicht mehr mit dem gleichen Aufwand ge·feiert, wie die frü·he·ren Todes·gedenk·tage, in vielen japani·schen Haus·halten wird er jedoch zum Anlass genom·men,  die Toten·täfel·chen ({{glossar:ihai}}) der ent·sprechen·den Ahnen aus dem Haus·altar zu ent·fernen (da die Verstor·benen ja spä·testens jetzt eine neue Exis·tenz·form gefun·den haben).
 
 
 
{{verweise
 
|themen =
 
* [[Mythen/Jenseits|Jenseitsvorstellungen]]
 
* [[Mythen/Jenseits/Enma| König Enma]]
 
* [[Mythen/Hoellen| Höllen und Hungergeister]]
 
* [[Mythen/Hoellen/Hoellenbilder| Höllenbilder]]
 
| literatur =
 
{{Literatur:Teiser 2003}}
 
}}
 
{{ThisWay}}
 

Aktuelle Version vom 29. Mai 2022, 18:22 Uhr

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