Mythen/Goetter der Erde/Trickster: Unterschied zwischen den Versionen

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Der bekannte Mythenforscher Mircea Eliade definierte die seiner Meinung nach arche·typische Gestalt des Tricksters folgendermaßen:
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Der bekannte Mythenforscher Mircea Eliade definierte die seiner Meinung nach arche·typische Gestalt des Tricksters anhand von Beispielen aus Nordamerika folgendermaßen:
 
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Seine Persönlichkeit ist ambivalent und seine Rolle zwiespältig, in der Mehr·zahl der mytho·logischen Traditionen ist er für das Vor·handen·sein des Todes und den jetzigen Zu·stand der Welt ver·ant·wort·lich. Er ist aber auch ein Ver·wandler und Kulturheros, denn man sagt von ihm, er habe das Feuer und andere nützliche Dinge ge·stohlen und die Ungeheuer, die die Erde verwüsteten, vernichtet.
 
Seine Persönlichkeit ist ambivalent und seine Rolle zwiespältig, in der Mehr·zahl der mytho·logischen Traditionen ist er für das Vor·handen·sein des Todes und den jetzigen Zu·stand der Welt ver·ant·wort·lich. Er ist aber auch ein Ver·wandler und Kulturheros, denn man sagt von ihm, er habe das Feuer und andere nützliche Dinge ge·stohlen und die Ungeheuer, die die Erde verwüsteten, vernichtet.
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Ein weiterer charakteristischer Zug des Tricksters ist seine ambivalente Haltung gegenüber dem Heiligen. Er karikiert und parodiert scha·ma·nis·tische Erfahrungen oder priesterliche Rituale. Die Schutzgeister des Schamanen werden von ihm auf groteske Weise mit seinen Ex·kre·men·ten identifiziert, und er parodiert den ekstatischen Flug des Schamanen, obwohl er selbst am Ende immer her·unter·fällt. Es ist klar, daß dieses paradoxe Benehmen eine zwei·fache Bedeutung hat: Der Trickster macht sich über das Heilige, die Priester und die Scha·ma·nen lustig, die Lächer·lich·keit richtet sich aber auch gegen ihn selbst. Wenn er nicht der hart·näckige und listen·reiche Feind des Schöpfergottes ist (wie in den kalifornischen Mythen), dann erweist er sich als eine schwer zu definierende Persön·lich·keit, intelligent und dumm zugleich, den Göttern nahe durch seine „Uranfänglichkeit“ und seine Kräfte, aber den Menschen noch näher durch seinen ge·fräßigen Hunger, seine außer·ge·wöhn·liche Sexualität und seine Amoralität.
 
Ein weiterer charakteristischer Zug des Tricksters ist seine ambivalente Haltung gegenüber dem Heiligen. Er karikiert und parodiert scha·ma·nis·tische Erfahrungen oder priesterliche Rituale. Die Schutzgeister des Schamanen werden von ihm auf groteske Weise mit seinen Ex·kre·men·ten identifiziert, und er parodiert den ekstatischen Flug des Schamanen, obwohl er selbst am Ende immer her·unter·fällt. Es ist klar, daß dieses paradoxe Benehmen eine zwei·fache Bedeutung hat: Der Trickster macht sich über das Heilige, die Priester und die Scha·ma·nen lustig, die Lächer·lich·keit richtet sich aber auch gegen ihn selbst. Wenn er nicht der hart·näckige und listen·reiche Feind des Schöpfergottes ist (wie in den kalifornischen Mythen), dann erweist er sich als eine schwer zu definierende Persön·lich·keit, intelligent und dumm zugleich, den Göttern nahe durch seine „Uranfänglichkeit“ und seine Kräfte, aber den Menschen noch näher durch seinen ge·fräßigen Hunger, seine außer·ge·wöhn·liche Sexualität und seine Amoralität.
|quelle=Aus: Mircea Eliade, ''Die Sehnsucht nach dem Ursprung''. Frankfurt am Main 1989 (Erstauflage 1969)
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Gewisse charakteristische Züge der menschlichen Verhältnisse von heute sind die Folge der Einmischung des Tricksters in den Akt der Schöpfung. Er triumphiert zum Beispiel über Monstren, ohne sich als Heros zu gebärden: Viele Dinge gelingen, aber ebenso viele mißlingen ihm; er organisiert und vollendet die Welt, aber mit so vielen Irrtümern und Ungeschick·lichkeiten, daß schließlich nichts vollkommen zustande kommt. In dieser Hinsicht kann man in der Figur des Tricksters eine Projektion des Menschen sehen, der eine neue Art der Religion sucht.
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|quelle= Mircea Eliade (1969), zitiert nach Hartmut Dietz, ''[http://www.physiologus.de/trickster.htm Neuer Physiologus]'' (2011/12/01).
 
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==Antike Sagenwelt==
 
Gestalten, die Eliades Trickster-Archetyp nahe kommen, finden sich auch in den Mythen der europäischen Antike, allen voran in der Figur des Prometheus, der den Menschen nach einer Über·lieferung sogar selbst aus Lehm er·schafft und ihn schließ·lich durch List in den Besitz des Feuers bringt. All dies gegen den aus·drück·lichen Befehl des Göttervaters Zeus. Auch andere griechische (Halb-)Götter rebellieren mit List und Tücke gegen die Ordnung der Götter, etwa Tantalos, der den Göttern, um ihre All·wissen·heit zu testen, seinen eigenen Sohn zur Mahl·zeit vorsetzt, oder Sisyphos, ein notorischer Lügner, der kurz·zeitig sogar den Tod außer Gefecht setzt. Sie alle werden in den griechischen Mythen mit drastischen Strafen belegt, die sich vor allem durch ihre Permanenz auszeichnen: Prometheus' Leber wächst immer nach, damit sie erneut von einem Adler ge·fressen werden kann, Sisyphos' Stein rollt immer wieder den Berg hin·unter, bevor er es geschafft hat, ihn bis zum Gipfel zu bringen, Tantalos hungert und durstet umgeben von Köstlichkeiten, die er gerade nicht mehr erreichen kann.
 
Gestalten, die Eliades Trickster-Archetyp nahe kommen, finden sich auch in den Mythen der europäischen Antike, allen voran in der Figur des Prometheus, der den Menschen nach einer Über·lieferung sogar selbst aus Lehm er·schafft und ihn schließ·lich durch List in den Besitz des Feuers bringt. All dies gegen den aus·drück·lichen Befehl des Göttervaters Zeus. Auch andere griechische (Halb-)Götter rebellieren mit List und Tücke gegen die Ordnung der Götter, etwa Tantalos, der den Göttern, um ihre All·wissen·heit zu testen, seinen eigenen Sohn zur Mahl·zeit vorsetzt, oder Sisyphos, ein notorischer Lügner, der kurz·zeitig sogar den Tod außer Gefecht setzt. Sie alle werden in den griechischen Mythen mit drastischen Strafen belegt, die sich vor allem durch ihre Permanenz auszeichnen: Prometheus' Leber wächst immer nach, damit sie erneut von einem Adler ge·fressen werden kann, Sisyphos' Stein rollt immer wieder den Berg hin·unter, bevor er es geschafft hat, ihn bis zum Gipfel zu bringen, Tantalos hungert und durstet umgeben von Köstlichkeiten, die er gerade nicht mehr erreichen kann.
  
 
Gerade am Beispiel des Prometheus drängt sich die Idee auf, dass er stell·ver·tretend für die Entweihung büßen muss, welche die mensch·liche Kultur gegenüber der gött·lichen Ordnung darstellt. Auch in der biblischen Erbsünde, bzw. dem Kreuzestod Christi kann man diese Idee von mensch·licher Kultur als Frevel finden (Jesus über·nimmt dabei eine theologisch transzendierte Tricksterrolle, in der die komische Seite fehlt).
 
Gerade am Beispiel des Prometheus drängt sich die Idee auf, dass er stell·ver·tretend für die Entweihung büßen muss, welche die mensch·liche Kultur gegenüber der gött·lichen Ordnung darstellt. Auch in der biblischen Erbsünde, bzw. dem Kreuzestod Christi kann man diese Idee von mensch·licher Kultur als Frevel finden (Jesus über·nimmt dabei eine theologisch transzendierte Tricksterrolle, in der die komische Seite fehlt).
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==Trickster in Japan==
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{{glossar:Susanoo}}, der etwas missratene Sohn des japanischen Urgötterpaares {{glossar:Izanagi}} und {{glossar:Izanagi}}, besitzt fast alle von Eiade auf·ge·zählten Eigen·schaften eines Tricksters, aller·dings treten sie nicht gleich·zeitig zu Tage, sondern in auf einander folgenden Episoden. Zu·nächst begeht er Missetaten, die u.a. die Ent·weihung von Heiligem implizieren, v.a. durch die Verunreinigung von {{glossar:Amaterasu|Amaterasus}} Palast mit den eigenen Exkrementen. Zur Strafe werden ihm die Nägel aus·ge·rissen, dann muss er aufwendige Opfergaben leisten und schließ·lich wird er aus dem Himmel ver·bannt. Diese Strafen sind grausam, aber be·grenzt. Er muss nicht wie seine griechischen Kollegen alle Zeiten hindurch leiden.
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Stattdessen kann sich Susanoo in der irdischen Welt eine neue Existenz aufbauen und wird in dieser Rolle zum Kulturheros. Als Kulturheros verliert  er seine subversiven Züge.  Seine List, mit der er die tyrannische Schlange {{glossar:Yamatanoorochi}} un·schäd·lich macht, ist eben·so·wenig gegen die Ordnung der Götter gerichtet, wie die sonstigen Wohl·taten, die er für die Menschen ersinnt (nach einer Version erschafft er nützliche Bäume und Getreide). Seine Identität als Tunichtgut und seine Identität als Wohltäter der Menschheit werden im japanischen Mythos in getrennten Episoden zum Ausdruck gebracht, als ob der Gott im Zuge seiner Bestrafung eine Charakterwandlung durchgemacht hätte. Menschliche Kultur an sich ist mit der Ordnung der (himmlischen) Götter kompatibel.
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Schluss·end·lich endet Susanoo als Herr über die Unterwelt und erfüllt damit ein weiteres Kriterium Eliades, die Nähe zum Tod. 
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kurzzeitig die Herrschaft auf Erden und spielt dabei vor allem das von Eliade angeführte Element der „außer·ge·wöhn·lichen Sexualität“ aus. Schließlich  muss er dem „himmlischen Enkelsohn“ {{glossar:amaterasu}}s weichen, doch vermag er mit vielen Tricks, seine Abdankung hinaus zu zögern. Schlussendlich  zieht auch er sich in eine Art Unterwelt zurück.
  
{{glossar:Susanoo}}, der japanische Trickster, besitzt fast alle der von Eiade auf·ge·zählten Eigen·schaften, aller·dings treten sie nicht gleich·zeitig zu Tage, sondern in auf einander folgenden Episoden. Zu·nächst begeht er Missetaten, die u.a. die Ent·weihung von Heiligem implizieren, v.a. durch die Verunreinigung von {{glossar:Amaterasu|Amaterasus}} Palast mit den eigenen Exkrementen. Zur Strafe werden ihm die Nägel aus·ge·rissen, dann muss er aufwendige Opfergaben leisten und schließ·lich wird er aus dem Himmel ver·bannt. Diese Strafen sind grausam, aber be·grenzt. Er muss nicht wie seine griechischen Kollegen alle Zeiten hindurch leiden.
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Auch Prinz {{glossar:yamatotakeru}} ist eine Gestalt mit tricksterartigen Zügen. Als Sohn des (mythologischen) Keikō Tennō fällt er allerdings nicht mehr in das sogenannte Göttliche Zeitalter. Schon als Kind mit über·mensch·lichen Kräften ausgestattet, tötet er seinen älteren Bruder aufgrund eines lächerlichen Miss·ver·ständ·nisses. Seinem Vater wird der Sohn unheimlich und er schickt ihn in scheinbar aus·sichts·lose Feldzüge, die Yamato Takeru allerdings souverän meistert und damit zum Macht·gewinn des frühen {{glossar:Yamato}}-Reiches beiträgt. Die Ambivalenz des Tricksters ist im Fall Yamato Takerus auf einen Vater-Sohn Konflikt herunter gebrochen, der beinahe in einem Happy End zu enden scheint. Letztlich führt jedoch Leichtsinn dazu, dass Takeru in der Begegnung mit einer feindlichen Gottheit den Kürzeren zieht. Sein früher Tod wird in gewisser Weise dadurch wett·gemacht, dass er als einer der letzten mytho·logischen Gestalten Verehrung als Schrein·gottheit genießt.  
  
Stattdessen kann er sich in der irdischen Welt eine neue Existenz aufbauen und wird erst dadurch zum Kulturheros. Schluss·end·lich endet er als Herr über die Unterwelt. Diese Rolle ist durchaus nicht subversiv. Seine List, mit der er die tyrannische Schlange {{glossar:Yamatanoorochi}} un·schäd·lich macht, ist eben·so·wenig gegen die Ordnung der Götter gerichtet, wie die sonstigen Wohl·taten, die er für die Menschen ersinnt (nach einer Version erschafft er nützliche Bäume und Getreide). Seine Identität als Tunichtgut und seine Identität als Wohltäter der Menschheit werden im japanischen Mythos also nicht in eine ur·säch·liche Verbindung mit einander gebracht.
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Die Gestalt des Tricksters ist den japanischen Mythen also keineswegs fremd. Fast alle von Eliade geschilderten Elemente lassen sich finden, lediglich der im Trickster sichtbare Wider·spruch zwischen göttlicher und menschlicher Ordnung ist kaum zu erkennen. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass die bekannten Mythen·fassungen in erster Linie aus den offiziellen Reichs·chroniken stammen (vgl. [[Texte|Mythentexte]]) und dort zweifellos im Hinblick auf die Legitimation des Kaiser·hauses hin „geschönt“ wurden. Vielleicht ist der „ödipale“ Konflikt zwischen Göttern und Menschen aber doch nicht so universiell, wie Eliade annahm.  
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|Mircea Eliade, ''Die Sehnsucht nach dem Ursprung''. Frankfurt am Main 1989 (Erstauflage 1969)
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Version vom 1. Dezember 2011, 22:33 Uhr

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Japanische Trickster

Mircea Eliade

Eliade.jpg
Mircea Eliade (1907-1986)
Illustration von Ben Heine

Der bekannte Mythenforscher Mircea Eliade definierte die seiner Meinung nach arche·typische Gestalt des Tricksters anhand von Beispielen aus Nordamerika folgendermaßen:

Seine Persönlichkeit ist ambivalent und seine Rolle zwiespältig, in der Mehr·zahl der mytho·logischen Traditionen ist er für das Vor·handen·sein des Todes und den jetzigen Zu·stand der Welt ver·ant·wort·lich. Er ist aber auch ein Ver·wandler und Kulturheros, denn man sagt von ihm, er habe das Feuer und andere nützliche Dinge ge·stohlen und die Ungeheuer, die die Erde verwüsteten, vernichtet.

Aber auch als Kulturheros bewahrt er die spezifischen Züge eines Betrügers. Wenn er das Feuer oder ein anderes dem Menschen un·be·dingt not·wen·diges Gut stiehlt, das ein göttliches Wesen eifer·süchtig hütet (Sonne, Wasser, Wild, Fische), so gelingt ihm das nicht auf heroische Weise, sondern mittels Schlau·heit oder Betrug. Der Erfolg seiner Bemühungen wird oft durch seine Un·ge·schick·lich·keit in Frage gestellt (die Erde wird etwa durch Feuer oder Flut vernichtet).

Nur mit List oder Täuschung gelingt es ihm, die Menschen von den kanni·balischen Ungeheuern zu befreien.

Ein weiterer charakteristischer Zug des Tricksters ist seine ambivalente Haltung gegenüber dem Heiligen. Er karikiert und parodiert scha·ma·nis·tische Erfahrungen oder priesterliche Rituale. Die Schutzgeister des Schamanen werden von ihm auf groteske Weise mit seinen Ex·kre·men·ten identifiziert, und er parodiert den ekstatischen Flug des Schamanen, obwohl er selbst am Ende immer her·unter·fällt. Es ist klar, daß dieses paradoxe Benehmen eine zwei·fache Bedeutung hat: Der Trickster macht sich über das Heilige, die Priester und die Scha·ma·nen lustig, die Lächer·lich·keit richtet sich aber auch gegen ihn selbst. Wenn er nicht der hart·näckige und listen·reiche Feind des Schöpfergottes ist (wie in den kalifornischen Mythen), dann erweist er sich als eine schwer zu definierende Persön·lich·keit, intelligent und dumm zugleich, den Göttern nahe durch seine „Uranfänglichkeit“ und seine Kräfte, aber den Menschen noch näher durch seinen ge·fräßigen Hunger, seine außer·ge·wöhn·liche Sexualität und seine Amoralität.

[...]

Gewisse charakteristische Züge der menschlichen Verhältnisse von heute sind die Folge der Einmischung des Tricksters in den Akt der Schöpfung. Er triumphiert zum Beispiel über Monstren, ohne sich als Heros zu gebärden: Viele Dinge gelingen, aber ebenso viele mißlingen ihm; er organisiert und vollendet die Welt, aber mit so vielen Irrtümern und Ungeschick·lichkeiten, daß schließlich nichts vollkommen zustande kommt. In dieser Hinsicht kann man in der Figur des Tricksters eine Projektion des Menschen sehen, der eine neue Art der Religion sucht.

Mircea Eliade (1969), zitiert nach Hartmut Dietz, Neuer Physiologus (2011/12/01).

Antike Sagenwelt

Gestalten, die Eliades Trickster-Archetyp nahe kommen, finden sich auch in den Mythen der europäischen Antike, allen voran in der Figur des Prometheus, der den Menschen nach einer Über·lieferung sogar selbst aus Lehm er·schafft und ihn schließ·lich durch List in den Besitz des Feuers bringt. All dies gegen den aus·drück·lichen Befehl des Göttervaters Zeus. Auch andere griechische (Halb-)Götter rebellieren mit List und Tücke gegen die Ordnung der Götter, etwa Tantalos, der den Göttern, um ihre All·wissen·heit zu testen, seinen eigenen Sohn zur Mahl·zeit vorsetzt, oder Sisyphos, ein notorischer Lügner, der kurz·zeitig sogar den Tod außer Gefecht setzt. Sie alle werden in den griechischen Mythen mit drastischen Strafen belegt, die sich vor allem durch ihre Permanenz auszeichnen: Prometheus' Leber wächst immer nach, damit sie erneut von einem Adler ge·fressen werden kann, Sisyphos' Stein rollt immer wieder den Berg hin·unter, bevor er es geschafft hat, ihn bis zum Gipfel zu bringen, Tantalos hungert und durstet umgeben von Köstlichkeiten, die er gerade nicht mehr erreichen kann.

Gerade am Beispiel des Prometheus drängt sich die Idee auf, dass er stell·ver·tretend für die Entweihung büßen muss, welche die mensch·liche Kultur gegenüber der gött·lichen Ordnung darstellt. Auch in der biblischen Erbsünde, bzw. dem Kreuzestod Christi kann man diese Idee von mensch·licher Kultur als Frevel finden (Jesus über·nimmt dabei eine theologisch transzendierte Tricksterrolle, in der die komische Seite fehlt).

Trickster in Japan

Susanoo 須佐之男/素戔男 (jap.)

mytholog. Gottheit; Trickster-Gott, Sturmgott, Mondgott; Bruder der Amaterasu

Der Begriff „Susanoo“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

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, der etwas missratene Sohn des japanischen Urgötterpaares

Izanagi 伊耶那岐/伊奘諾 (jap.)

Göttervater; auch Izanaki (ki hier männliche Endung); Bruder und Mann von Izanami

Der Begriff „Izanagi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

Bilder

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  • Uzume Sarutahiko ningyo kuniyoshi.jpeg
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und

Izanagi 伊耶那岐/伊奘諾 (jap.)

Göttervater; auch Izanaki (ki hier männliche Endung); Bruder und Mann von Izanami

Der Begriff „Izanagi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

Bilder

  • Kumano kami.jpg
  • Izanami izanagi hiroshige.jpg
  • Izanami izanagi.jpg
  • Tenno chikanobu1878 gr.jpg
  • Uzume Sarutahiko ningyo kuniyoshi.jpeg
  • Izanagi kagutsuchi.jpg

, besitzt fast alle von Eiade auf·ge·zählten Eigen·schaften eines Tricksters, aller·dings treten sie nicht gleich·zeitig zu Tage, sondern in auf einander folgenden Episoden. Zu·nächst begeht er Missetaten, die u.a. die Ent·weihung von Heiligem implizieren, v.a. durch die Verunreinigung von

Amaterasu 天照 (jap.)

Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise

Der Begriff „Amaterasu“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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  • Iwado kagura2.jpg
  • Iwado hiroshige.jpg
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  • Hibara mitsutorii.jpg
  • Ukehi 1827.jpg
  • Sarutahiko hokkei.jpg
Palast mit den eigenen Exkrementen. Zur Strafe werden ihm die Nägel aus·ge·rissen, dann muss er aufwendige Opfergaben leisten und schließ·lich wird er aus dem Himmel ver·bannt. Diese Strafen sind grausam, aber be·grenzt. Er muss nicht wie seine griechischen Kollegen alle Zeiten hindurch leiden.

Stattdessen kann sich Susanoo in der irdischen Welt eine neue Existenz aufbauen und wird in dieser Rolle zum Kulturheros. Als Kulturheros verliert er seine subversiven Züge. Seine List, mit der er die tyrannische Schlange

Yamata no Orochi 八岐大蛇 (jap.)

Mythologische Schlange (Drache) mit acht Köpfen; wtl. „achtfach gegabelte Schlange“; wird von Susanoo besiegt

Der Begriff „Yamata no Orochi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

Bilder

  • Susanoo kagura.jpg
  • 05drache.jpg
  • Susanoo kyosai.jpg
  • Susanoo yoshitoshi.jpg
un·schäd·lich macht, ist eben·so·wenig gegen die Ordnung der Götter gerichtet, wie die sonstigen Wohl·taten, die er für die Menschen ersinnt (nach einer Version erschafft er nützliche Bäume und Getreide). Seine Identität als Tunichtgut und seine Identität als Wohltäter der Menschheit werden im japanischen Mythos in getrennten Episoden zum Ausdruck gebracht, als ob der Gott im Zuge seiner Bestrafung eine Charakterwandlung durchgemacht hätte. Menschliche Kultur an sich ist mit der Ordnung der (himmlischen) Götter kompatibel. 

Schluss·end·lich endet Susanoo als Herr über die Unterwelt und erfüllt damit ein weiteres Kriterium Eliades, die Nähe zum Tod.

Susanoo schlange1.jpg
Susanoo kämpft gegen die achtköpfige Schlange
Susanoo // Farbholzschnitt, kami (Papier, Farbe) von Toyohara Chikanobu. Meiji-Zeit // Bild © Wikimedia Commons (letzter Zugriff: 2016/9/19) // Susanoo kämpft gegen die achtköpfige Schlange Yamata no Orochi, die er mit Hilfe von Sake betrunken gemacht hat.

In

Ōkuninushi 大国主 (jap.)

mythol. Gottheit; wtl. Großer Meister des Landes

Der Begriff „Ōkuninushi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

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  • Izumo toyokuni.jpg
  • Inaba shirousagi jishujinja.jpg
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  • Okuninushi hokusai.jpg
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  • Okuninushi sukunabikona kuniyoshi.jpg

, einem Sohn des Susanoo, begegnen wir einer weiteren japanischen Trickstergestalt. Seine Streiche und Tricks richten sich vorerst nicht gegen die höchsten Götter, sondern nur gegen die eigene Familie einschließlich seines Vaters (s. Sidepage Ōkuninushi). Er übernimmt

kurzzeitig die Herrschaft auf Erden und spielt dabei vor allem das von Eliade angeführte Element der „außer·ge·wöhn·lichen Sexualität“ aus. Schließlich muss er dem „himmlischen Enkelsohn“

Amaterasu 天照 (jap.)

Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise

Der Begriff „Amaterasu“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

Bilder

  • Amaterasu kunisada.jpg
  • Iwado hiroshige.jpg
  • Hibara mitsutorii.jpg
  • Iwado kagura2.jpg
  • Sankei torii.jpg
  • Uzume toyokuni.jpg
  • Eejanaika kyosai.jpg
  • Sarutahiko hokkei.jpg
  • Izumo toyokuni.jpg
  • Hibara torii.jpg
  • Ukehi 1827.jpg
  • Tenshodaijin mnl.jpg
  • Amaterasu ofuda.jpg
  • Amaterasu eitaku.jpg
  • Tenno chikanobu1878 gr.jpg
  • Uzume kosugi.jpg
  • Amaterasu gakutei.jpg

s weichen, doch vermag er mit vielen Tricks, seine Abdankung hinaus zu zögern. Schlussendlich zieht auch er sich in eine Art Unterwelt zurück.

Auch Prinz

Yamato Takeru 倭建/日本武 (jap.)

Mythologischer Prinz, Sohn des Keikō Tennō; wtl. der Held/der Tapfere von Yamato

Fiktive Person

Der Begriff „Yamato Takeru“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

ist eine Gestalt mit tricksterartigen Zügen. Als Sohn des (mythologischen) Keikō Tennō fällt er allerdings nicht mehr in das sogenannte Göttliche Zeitalter. Schon als Kind mit über·mensch·lichen Kräften ausgestattet, tötet er seinen älteren Bruder aufgrund eines lächerlichen Miss·ver·ständ·nisses. Seinem Vater wird der Sohn unheimlich und er schickt ihn in scheinbar aus·sichts·lose Feldzüge, die Yamato Takeru allerdings souverän meistert und damit zum Macht·gewinn des frühen

Yamato 大和/倭 (jap.)

Kernland der Tennō-Dynastie in Zentraljapan (Präfektur Nara); archaischer Name für Japan

Ort, Geschichte

Der Begriff „Yamato“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

Bilder

  • Jinmu Feldzug.png
  • Jinmu tosei.png

-Reiches beiträgt. Die Ambivalenz des Tricksters ist im Fall Yamato Takerus auf einen Vater-Sohn Konflikt herunter gebrochen, der beinahe in einem Happy End zu enden scheint. Letztlich führt jedoch Leichtsinn dazu, dass Takeru in der Begegnung mit einer feindlichen Gottheit den Kürzeren zieht. Sein früher Tod wird in gewisser Weise dadurch wett·gemacht, dass er als einer der letzten mytho·logischen Gestalten Verehrung als Schrein·gottheit genießt.

Die Gestalt des Tricksters ist den japanischen Mythen also keineswegs fremd. Fast alle von Eliade geschilderten Elemente lassen sich finden, lediglich der im Trickster sichtbare Wider·spruch zwischen göttlicher und menschlicher Ordnung ist kaum zu erkennen. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass die bekannten Mythen·fassungen in erster Linie aus den offiziellen Reichs·chroniken stammen (vgl. Mythentexte) und dort zweifellos im Hinblick auf die Legitimation des Kaiser·hauses hin „geschönt“ wurden. Vielleicht ist der „ödipale“ Konflikt zwischen Göttern und Menschen aber doch nicht so universiell, wie Eliade annahm.