Windgott und Donnergott
Wind- und Donnergott (Fūjin und Raijin) finden sich in der japanischen Kunst häufig als Paar. Man erkennt sie im Allgemeinen daran, dass der Windgott einen schlauchartigen Sack um die Schultern trägt, in dem er die Winde aufbewahrt, während der Donnergott von einem Kranz fliegender Trommeln umgeben ist, auf denen er bei Bedarf sein Konzert veranstaltet. Oft gibt es im Ausdruck der beiden Figuren einen ähnlichen Gegensatz, wie bei den Torwächtern (niō): Der eine aufbrausend und aggressiv (Donner), der andere zurückhaltend und bedächtig (Wind).
Kyōto, Sanjūsangen-dō. Kamakura-Zeit
Wind und Donnergott zählen u.a. zum Gefolge des Tausendarmigen Kannon. Die vielleicht schönsten Skulpturen sind daher auch im Kannon-Heiligtum Sanjūsangen-dō in Kyōto zu finden. Diese Figuren aus der Kamakura-Zeit scheinen zum Ausgangspunkt der meisten späteren Darstellungen geworden zu sein. Windgott und Donnergott bewachen u.a. auch das Tor des Kannon-Tempels Sensō-ji in Asakusa, Tōkyō.
Die ikonographischen Details, z.B. die drei- bzw. vierfingrigen Hände und Füße, bleiben auf fast allen Abbildungen gleich. Auch haben Windgott und Donnergott oft ähnliche Hörner wie die japanischen oni (Dämonen), sie sind also eigentlich bedrohliche Figuren. Es gibt auch Darstellungen von Rachegeistern in Form eines Donnergottes. Dies mag mit dem Donner in den alten Mythen zusammenhängen, wo er z.B. unter dem Namen Takemikazuchi als furchteinflößende, gefährliche Gottheit auftritt. Alles in allem sind Wind und Donner aber nicht so mächtig, wie man es aufgrund der Naturgewalten, die sie repräsentieren, erwarten würde. Vielleicht liegt das am Einfluss des Buddhismus, der es mit sich brachte, dass der eigentliche Kompetenzbereich der beiden Götter, das Wetter, anderen Wesen wie etwa den Drachen zugewiesen wurde. Gebete um Regen oder den Schutz davor scheint man daher kaum an Fūjin und Raijin gerichtet zu haben. Mit der Zeit erhielten die beiden Gestalten hingegen eine humoristische Note, z.B. auf den berühmten Wandschirmen aus der frühen Edo-Zeit:


Wikimedia Commons.


Kyōto National Museum.


Cleveland Museum of Art.


Kyōto National Museum.


Museum of Fine Art, Boston.


Museum of Fine Art, Boston.


Museum of Fine Arts, Boston.


Museum of Fine Arts, Boston.
Frühformen
Frühere Darstellungen und Erwähnungen zeigen, dass insbsondere der Donnergott ehemals eine mächtigere Stellung inne hatte, als in den liebevoll-komischen Darstellungen der Edo-Zeit. Er brachte es in Japan zwar nie zu einer ähnlich beherrschenden Position wie Zeus, Jupiter oder Thor im europäischen Kontext, aber es gibt Hinweise, dass mächtige Lokalgottheiten oder gefährliche Rachegötter ursprünglich als Donnergötter gedacht wurden: Die Legendensammlung Nihon ryōiki aus dem frühen neunten Jahrhundert erzählt zum Beispiel von einem wackeren Helden, der einen Donnergott zähmt, während bereits in der ältesten japanischen Chronik, dem Kojiki (720), von rächenden Donnergottheiten die Rede ist (Izanami Edpisode). In der Heian-Zeit offenbart sich der rächende Aspekt der Donnergottheiten darin, dass „Zürnende Geister“ (goryō) wie etwa Sugawara no Michizane in dieser Gestalt erscheinen, wenn sie Schaden über die undankbare Nachwelt herabrufen wollen. All diese Aspekte kommen in den späteren, buddhistisch geprägten Darstellungen von Donner und Wind nur noch abgemildert bzw. humoristisch gebrochen zum Ausdruck.
Verweise
Bilder
Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite:
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Figur des Windgottes (Fūjin) aus dem Gefolge des tausendarmigen Kannon. Kamakura-Zeit
Sanjūsangen-dō, Scan aus dem Tempelkatalog. - ^
Figur des Raijin aus dem Gefolge des tausendarmigen Kannon. Wenn man will, kann man in dieser Figur bereits die humorvollen Züge erkennen, die sich in späteren Darstellungen von Wind und Donner durchsetzen. Kamakura-Zeit
Sanjūsangen-dō, Scan aus dem Tempelkatalog. - ^
Wind- und Donnergott (Fūjin und Raijin). Die Vorlage zu diesem Bild stammt von Tawaraya Sōtatsu. Werk von Ogata Kōrin (1658–1716). Edo-Zeit, 17. Jh.
Wikimedia Commons. - ^
Vor lauter überschäumender Energie sind die Hände dieses Donnergottes (Raijin) in eine anatomisch unmögliche Stellung verdreht. Werk von Tawaraya Sōtatsu. Frühe Edo-Zeit, 17. Jh.
Kyōto National Museum. - ^
Dieser Donnergott (Raijin) befindet sich allein auf einem sechsteiligen Wandschirm. Er wirkt etwas wilder als das berühmte Wind- und Donner-Paar des gleichen Meisters, trägt aber ähnliche, fast comic-haft überzeichnete Züge. Werk von Tawaraya Sōtatsu (Werkstatt) (ca. 1600-1640). Frühe Edo-Zeit
Cleveland Museum of Art. - ^
Darstellung des Fūjin. Werk von Tawaraya Sōtatsu. Frühe Edo-Zeit, 17. Jh.
Kyōto National Museum.
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Darstellung des Windgottes Fūjin als Personifizierung des Trigramms „Wind“ (Xun 巽) aus dem Yijing. Den acht Trigrammen sind unter anderem Elemente der Natur zugeordnet, z.B. Wind und Donner. Außerdem stehen die Trigramme auch für Himmelsrichtungen und werden auf verschiedene Weise mit den Zwölf Tierkreiszeichen in Verbindung gebracht. Der Tierbegleiter des Gottes ist hier der Hahn. Werk von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861). Edo-Zeit
Museum of Fine Art, Boston. - ^
Darstellung des Donnergottes Raijin als Personifizierung des Trigramms „Donner“ (Zhen 震) aus dem Yijing. Den acht Trigrammen sind unter anderem Elemente der Natur zugeordnet, z.B. Wind und Donner. Außerdem stehen die Trigramme auch für Himmelsrichtungen und werden auf verschiedene Weise mit den Zwölf Tierkreiszeichen in Verbindung gebracht. Der Tierbegleiter des Gottes ist hier der Hund. Werk von Utagawa Kuniyoshi (1797–1861).
Museum of Fine Art, Boston. - ^
Der Donnergott Raijin bei einer Trommel-Performance. Werk von Kawanabe Kyōsai. 1892
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Darstellung des Raijin auf einem Seidenrollbild. Werk von Kawanabe Kyōsai (1831–1889). Meiji-Zeit
Museum of Fine Arts, Boston. - ^
Abbildung des Fūjin auf einem Seidenrollbild. Werk von Kawanabe Kyōsai (1831–1889). Meiji-Zeit
Museum of Fine Arts, Boston.
Glossar
Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite:
- Kannon 観音 ^ auch Kanzeon 観世音, wtl. der den Klang der Welt erhört; skt. Avalokiteśvara; chin. Guanyin; als Bodhisattva des Mitleids bekannt
- Nihon ryōiki 日本霊異記 ^ „Wundersame Begebenheiten aus Japan“; buddhistische Legendensammlung von Kyōkai (Anfang 9. Jh.)
- Sanjūsangen-dō 三十三間堂 ^ 33 Klafter Halle; Kannon-Tempelhalle in Kyōto; offizieller buddhistischer Tempelname: Rengeō-in
- Sugawara no Michizane 菅原道真 ^ 845–903, Heian-zeitl. Staatsmann und Gelehrter; posthum als Tenman Tenjin vergöttlicht, heute Gott der Gelehrsamkeit
- Takemikazuchi 建御雷 ^ Mythologischer Schwertgott (wtl. Gewittergott); Ahnengottheit der Fujiwara; u.a. in den Schreinen Kashima und Kasuga verehrt
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- Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘
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- Bilder, Glossare
Diese Seite:
„Windgott und Donnergott.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001