Ikonographie: Unterschied zwischen den Versionen

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In Japan übernahm man in der Regel sowohl die Stilrichtungen als auch die ikonographische Symbolik der chinesischen Buddha-Statuen, in der Frühzeit kamen auch die Bildhauer selbst aus China oder Korea. Daher ähneln japanische Statuen sehr stark chinesischen oder koreanischen, die wiederum Varianten von indischen oder zentral-asiatischen Grundmustern sind. Die allmählichen, subtilen Ausprägungen eines spezifisch japanischen Stils sind auf den ersten Blick nur schwer erkennbar. Es ist auch nicht einfach, das Alter einer buddhistischen Figur abzuschätzen. Lediglich der schlichte Stil aus der Frühzeit des japanischen Buddhismus (6.–8. Jh.) lässt sich verhältnismäßig leicht identifizieren. In der {{g|Heian}}-Zeit (9.–11. Jh.) entstand schließlich der klassisch-japanische Stil, der besonderen Wert auf die innere Ruhe legt, die von den Skulpturen ausgeht, auf individuelle oder dynamische Merkmale jedoch weitgehend verzichtet.
 
In Japan übernahm man in der Regel sowohl die Stilrichtungen als auch die ikonographische Symbolik der chinesischen Buddha-Statuen, in der Frühzeit kamen auch die Bildhauer selbst aus China oder Korea. Daher ähneln japanische Statuen sehr stark chinesischen oder koreanischen, die wiederum Varianten von indischen oder zentral-asiatischen Grundmustern sind. Die allmählichen, subtilen Ausprägungen eines spezifisch japanischen Stils sind auf den ersten Blick nur schwer erkennbar. Es ist auch nicht einfach, das Alter einer buddhistischen Figur abzuschätzen. Lediglich der schlichte Stil aus der Frühzeit des japanischen Buddhismus (6.–8. Jh.) lässt sich verhältnismäßig leicht identifizieren. In der {{g|Heian}}-Zeit (9.–11. Jh.) entstand schließlich der klassisch-japanische Stil, der besonderen Wert auf die innere Ruhe legt, die von den Skulpturen ausgeht, auf individuelle oder dynamische Merkmale jedoch weitgehend verzichtet.
  
Die {{g|Kamakura}}-Zeit (12.–14. Jh.) gilt als die Blütezeit der buddhistischen Bildhauerkunst. Aus dieser Periode sind sogar die Biographien der Künstler bekannt, während man sonst kaum mehr als den Namen der Maler und Bildhauer kennt. Die berühmtesten Statuen der Kamakura-Zeit entstammen der sogenannten Kei-Schule, deren Mitglieger häufig die Silbe „''kei''“ im Namen tragen. Ihre kreativsten Neuerungen liegen in dynamischen, psychologisch raffinierten Darstellungen, die in der realistischen Darstellung von zornvollen Gottheiten und Dämonen am deutlichsten hervortritt. Aber auch zahlreiche Portraitskulpturen von hochrangigen Mönchen stammen aus der Kamakura-Zeit.
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Die {{g|Kamakura}}-Zeit (12.–14. Jh.) gilt als die Blütezeit der buddhistischen Bildhauerkunst. Aus dieser Periode sind sogar die Biographien der Künstler bekannt, während man sonst kaum mehr als den Namen der Maler und Bildhauer kennt. Die berühmtesten Statuen der Kamakura-Zeit entstammen der sogenannten {{g|keiha|Kei}}-Schule, deren Mitglieder häufig die Silbe „''kei''“ im Namen tragen. Ihre kreativsten Neuerungen liegen in dynamischen, psychologisch raffinierten Darstellungen, die in der realistischen Darstellung von zornvollen Gottheiten und Dämonen am deutlichsten hervortritt. Aber auch zahlreiche Portraitskulpturen von hochrangigen Mönchen stammen aus der Kamakura-Zeit.
  
 
Später, vielleicht bedingt durch einen allgemeinen Bedeutungsverlust buddhistischer Tempel, entstanden nur noch wenige bildhauerische Werke von vergleichbarer Qualität. Zu neuartigen Überschneidungen von Kunst- und Religionsgeschichte kam es vor allem im [[Geschichte/Zen | Zen-Buddhismus]], der die monochromen, oft humorvollen Tuschebilder von buddhistischen [[Ikonographie/Heilige|Heiligen und Patriarchen]] hervorbrachte, sowie im neunzehnten Jahrhundert in der Kunst der {{g|ukiyoe}} (Holzblock-Drucke), die u.a. die einheimischen Gottheiten als graphisches Sujet „entdeckten“.
 
Später, vielleicht bedingt durch einen allgemeinen Bedeutungsverlust buddhistischer Tempel, entstanden nur noch wenige bildhauerische Werke von vergleichbarer Qualität. Zu neuartigen Überschneidungen von Kunst- und Religionsgeschichte kam es vor allem im [[Geschichte/Zen | Zen-Buddhismus]], der die monochromen, oft humorvollen Tuschebilder von buddhistischen [[Ikonographie/Heilige|Heiligen und Patriarchen]] hervorbrachte, sowie im neunzehnten Jahrhundert in der Kunst der {{g|ukiyoe}} (Holzblock-Drucke), die u.a. die einheimischen Gottheiten als graphisches Sujet „entdeckten“.

Version vom 2. März 2021, 13:36 Uhr

Einleitung: Die religiöse Ikonographie Japans

Vorlage:WmaxX Vorlage:Flie japanische religiöse Bilderwelt ist stark vom Buddhismus geprägt, daher sind die höchsten buddhistischen Wesen, Buddhas [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] und Bodhisattvas [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)], auch am häufigsten abgebildet. Doch die Buddhas lassen auch Gottheiten anderer Religionen zu: Zusammen mit den einheimischen japanischen Göttern (kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]) und importierten Gottheiten aus Indien, China und Korea formen sie ein Pantheon, in dem die Grenzen zwischen den einzelnen Konfessionen und Religionen verschwinden. In diesem Kapitel werden die wichtigsten, am häufigsten anzutreffenden Gestalten dieses japanischen Pantheons vorgestellt und ihre ikonographischen Erkennungsmerkmale kurz beschrieben. Es handelt sich allerdings nur um einen kleinen Ausschnitt dessen, was man an Figuren und Themen in der Religion Japans vorfindet.

Kapitelübersicht

Auf den folgenden Seiten werden zunächst die Begriffe Mandala und Mudrā vorgestellt, um die man bei der Besprechung buddhistischer Kunst nicht herumkommt. Danach folgen Einzelseiten zu den wichtigsten Vertretern des buddhistischen Pantheons, wobei sich die Reihenfolge an den Gruppierungen orientiert, die auf dieser Seite erläutert sind. Die kami, die in der japanischen Kunst erstaunlich selten thematisiert werden, kommen gegen Ende des Kapitels zu Wort. Als Überleitung ist die Seite der Sieben Glücksgötter anzusehen. Den Schluss bilden die Abbildungen buddhistischer Heiliger und Mönche in realistischer Menschengestalt. Im Kapitel Mythen, gibt es darüber hinaus Beschreibungen von Geistern und Dämonen sowie von Tieren und Fabelwesen mit überirdischen Fähigkeiten.

Gruppierungen

Zunächst soll es einmal darum gehen, in der verwirrenden Vielfalt buddhistischer Figuren eine Art Orientierung zu finden. In der japanischen Kunstgeschichte gibt es zu diesem Zweck vier hierarchisch angeordnete Kategorien: Nyorai (Buddha), bosatsu (Bodhisattva), myōō (Vidyārāja) und tenbu (Deva).

Nyorai oder Buddha-Gruppe

Amida nyorai zu.jpg
1 Amida Nyorai
Buddha Amida Nyorai in seiner klassischen Haltung, sitzend und mit der mudra der Meditation. Die Abbildung geht auf das älteste japanische Handbuch der buddhistischen Ikonographie zurück. Das Werk ist unter den Titeln Zuzōshō („Abriss von Skizzen [buddhistischer] Statuen“) oder Jikkan-shō („Abriss in zehn Bänden“) bekannt und wird wahlweise Byōdōbō Yōgon (1075–1151) oder Shōjōbō Ejū (1060–1144) zugeschrieben. In jedem Fall gehörte der Autor der Shingon-Schule an. Die Details der Darstellungen haben sich seit der ersten Abfassung des Werkes bemerkenswert wenig geändert. Die vorliegende Abbildung entstammt der Abschrift einer Abschrift des originalen Zuzōshō und wurde laut Kolophon 1702 (Genroku 15) angefertigt.
Edo-Zeit, 1702. Ryukoku University Library.

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Nyorai [nyorai (jap.) 如来 Buddha-Titel; skt. tathagata] ist ein Ehrentitel eines Buddhas, die Übersetzung von skt. tathagata [tathāgata (skt.) तथागत „Der so Gekommene“, Ehrentitel eines Buddhas (jap. nyorai 如来)]. Buddhas sind streng genommen keine Götter, werden aber ähnlich wie Götter dargestellt. Trotz der verschiedenen Namen sind die meisten Buddhas äußerlich (und wohl auch innerlich) beinahe identisch. In den buddhistischen Schriften werden ihnen 32 Merkmale zugesprochen, durch die sie sich von gewöhnlichen Sterblichen unterscheiden. In den bildlichen Darstellungen sind davon meist nur einige zu sehen, z.B. der Schädelauswuchs (Sitz besonderer spiritueller Fähigkeiten); das Stirnmal (eigentlich eine weiße leuchtende Haarlocke zwischen den Augenbrauen, meist als kleine Erhebung dargestellt); oder die lang gedehnten Ohrläppchen.

Abgesehen davon weisen die meisten Buddhas folgende Gemeinsamkeiten auf: einfaches Mönchsgewand, entspannte Körperhaltung, entspannte Gesichtszüge, kein (oder kaum) Schmuck. Buddhas sitzen häufig im Meditations- oder Lotos-Sitz, es gibt aber auch stehende Buddha-Statuen, die dann meistens von zwei Bodhisattvas flankiert sind. Die Darstellung des Körpers ist im Allgemeinen schlicht und realistisch. Nur wenige Buddhas besitzen individuelle Merkmale. Daher lassen sie sich oft nur durch unterschiedliche Handzeichen (mudra [mudrā (skt.) मुद्रा „Siegel“, Gebetsgeste (jap. inzō 印相)]) unterscheiden. In diesen Kapiteln wird auf die Buddhas Amida, Dainichi und Shaka genauer eingegangen. Besonders im Altertum war neben diesen auch Yakushi Nyorai [Yakushi Nyorai (jap.) 薬師如来 Buddha der Medizin; skt. Bhaisajyaguru], der „heilende Buddha“ oder „Buddha der Medizin“ von großer Bedeutung.

Bosatsu oder Bodhisattva-Gruppe

Nyoirin jukkansho.jpg
2 Kannon Bosatsu
Bodhisattva Kannon auf einem Felsen sitzend und mit sechs Armen, ein Wunscherfüllungsjuwel (nyoi no tama) zur Brust haltend. Die Abbildung geht auf eine relativ frühe Kopie des Jikkanshō 十巻抄 („Abriss in zehn Bänden“) zurück. Dieses älteste japanische Handbuch der buddhistischen Ikonographie stammt aus dem 11. Jahrhundert ist auch unter dem Titel Zuzōshō 図像抄 („Abriss von Skizzen [buddhistischer] Statuen“) bekannt. Hier handelt es sich um eine Kopie durch Ingen 印玄, einen Mönch des Ninna-ji in Kyōto.
Werk von Ingen. Kamakura-Zeit, 14. Jh. Kūkai mandara: Kōbō Daishi to Kōya-san (Katalog), Reihōkan 2006, S. 116, Abb. 41-1.

Das Wort bosatsu [bosatsu (jap.) 菩薩 Bodhisattva, buddhistische Heilsgestalt] geht auf den Sanskritbegriff Bodhisattva [Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)] zurück und bedeutet „Erleuchteter“. Bodhisattvas sind eine Schöpfung des Mahayana [Mahāyāna (skt.) महायान „Großes Fahrzeug“, buddhistische Richtung (jap. daijō bukkyō 大乗)] Buddhismus und verkörpern nach dieser Lehre die unmittelbare Vorstufe zur Existenz als Buddha. Funktionell sind sie in mancher Hinsicht mit christlichen Heiligen zu vergleichen. Mit ihrer Hilfe versuchte der Mahayana Buddhismus — im Gegensatz zu den ältesten buddhistischen Schulrichtungen — den Weg zur Buddhawerdung auch für die buddhistischen Laien gangbar und attraktiv erscheinen zu lassen.

Bodhisattvas sind zwar vollkommen erleuchtet, aber noch nicht ins Nirvana [Nirvāṇa (skt.) निर्वाण „Erloschen, ausgelöscht“, Ort der Erlösung von allem Leid, absolutes Jenseits (jap. Nehan 涅槃)] eingegangen, und stehen somit gleichsam mit einem Bein im Diesseits. Sie sind leichter zugänglich als die weltabgewandten Buddhas. Voll von mildem Verständnis für menschliche Schwächen sind sie jederzeit bereit, den Gläubigen bei der Überwindung schlechten Karmas [Karma (skt.) कर्म „Tat“, auch „konsequente Folge“; moralische Bilanz der gesetzten Handlungen (jap. 業)] zur Seite zu stehen.

Zu den bekanntesten japanischen Bodhisattvas zählen Kannon Bosatsu [Kannon Bosatsu (jap.) 観音菩薩 Bodhisattva Avalokiteshvara, wtl. „der den Klang der Welt erhört“; „Bodhisattva des Mitleids“; s.a. Kannon, Guanyin;], Jizō Bosatsu [Jizō Bosatsu (jap.) 地蔵菩薩 Bodhisattva (Bosatsu); skr. Kṣitigarbha, „Speicher oder Mutterleib der Erde“ (vgl. Jizō)], Seishi Bosatsu [Seishi Bosatsu (jap.) 勢至菩薩 Bodhisattva Mahasthamaprapta; Begleiter Amidas] und Fugen Bosatsu [Fugen Bosatsu (jap.) 普賢菩薩 Bodhisattva Samantabhadra; Begleiter des Shaka Nyorai]. Oft wirken sie prächtiger als Buddhas, auch können sie vier, sechs oder gar „tausend“ Arme besitzen und sind mit zahlreichen Schmuckstücken und Gegenständen ausgestattet. Ähnlich den christlichen Heiligen kann ein Bodhisattva die Hauptverehrungsfigur eines Tempels (honzon [honzon (jap.) 本尊 Hauptheiligtum eines Tempels]) darstellen. Daher sind Bodhisattvas im allgemeinen Bewusstsein der Japaner ebenso bekannt und oft sogar populärer als so mancher Buddha. Wenn sie aber mit Buddhas zusammen dargestellt sind, wird allein durch die Größenunterschiede klar, wer höher steht. In diesem Kapitel wird auf Kannon und Jizō genauer eingegangen.

Myōō oder Vidyārāja-Gruppe

Fudo22.jpg
3 Fudō Myōō
Fudō Myōō mit Schwert und Flammen-Nimbus. Kopie des verlorenen Zuzōshō (1239).
Edo-Zeit, 1702. Ryūgoku University Library.

Myōō [myōō (jap.) 明王 wtl. Licht-König, auch „Mantra-König“ oder „Weisheits-König“; meist zornvoll dargestellte Schutzgottheit; skt. vidyaraja] (skt. Vidyārāja [vidyārāja (skt.) विद्याराज „Mantra-König, Weisheits-König“ (jap. myōō 明王)]) bedeutet „Mantra-König“ und verrät damit bereits eine Nahebeziehung zu esoterischen Gebetsformeln (Mantren [mantra (skt.) मन्त्र Gebetsformel (jap. shingon 真言)]). Im Unterschied zu Buddhas und Bodhisattvas tragen myōō fast immer grimmige Züge und Waffen. Der in Japan bekannteste Mantra-König ist Fudō Myōō [Fudō Myōō (jap.) 不動明王 prominentester japanischer myōō (Mantra-König), wtl. „der Unbewegliche“], man trifft aber auch immer wieder auf Aizen Myōō [Aizen Myōō (jap.) 愛染明王 wtl. Mantra-König der Liebe; einer der bekanntesten myōō Japans], oder die Gruppe der Fünf Großen Myōō.

Myōō spielen vor allem im esoterischen Buddhismus eine wichtige Rolle. Sie gelten hier streng genommen nicht als eigene Gestalten, sondern als zornvolle, furchteinflößende Erscheinungsformen von Buddhas und Bodhisattvas. Da diese Erscheinungsformen allerdings unter Namen bekannt sind, die keine Rückschlüsse auf den eigentlichen Buddha oder Bodhisattva zulassen, funktionieren sie als eigene Figurengruppe, die sich durch zornvolle, furchteinflößende Merkmale auszeichnet. Buddhistisch ausgedrückt: der unerleuchtet Laie nimmt sie als individuelle Figuren war, der Eingeweihte erkennt sie als Aspekte eines Buddha. Diese zornvollen Figuren sind vor allem aus den tantristischen [tantra (skt.) तन्त्र „Gewebe“, Lehrschrift des esoterischen Buddhismus (ähnlich sutra, aber meist mit rituellem Inhalt)] Traditionen des tibetischen Buddhismus bekannt, sie waren und sind aber auch in Japan, v.a. im Shingon-shū [Shingon-shū (jap.) 真言宗 Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan] Buddhismus stark präsent. Mehr dazu auf der myōō-Seite.

Tenbu oder Deva-Gruppe

Bishamon hokekyo.jpg
4 Bishamon-ten
Bishamon-ten in klassischer Form, mit Pagode und Dreizack, auf einem Dämon stehend. Darstellung aus einer illustrierten Fassung des 25. Kapitels des Lotos Sutra (Hoke-kyō), in dem es um die Vorzüge von Bodhisattva Kannon geht. Obwohl Bishamon-ten zumeist als eigenständige Figur bzw. als Anführer der Vier Himmlischen Könige (Shi-Tennō) auftritt, verrät das Lotos Sutra, dass auch Kannon imstande ist, die Form des Bishamon anzunehmen. Die Identitäten der buddhistischen Wesenheiten sind daher äußerst fließend.
Werk von Sugawara Mitsushige. Kamakura-Zeit. Metropolitan Museum of Art.

Die Angehörigen dieser Gruppe sind meist ursprünglich indische Götter (deva [deva (skt.) देव „Gottheit“, oberste Klasse indischer Götter (jap. -ten 天 oder tenbu 天部)]), die der Buddhismus als Beschützer des Dharma [Dharma (skt.) धर्म Gesetz (des Universums), Lehre (des Buddha) (jap. 法)] in sein Pantheon aufnahm und als solche nach Ostasien brachte. Der Begriff „deva“ wurde in China meist mit tian (jp. -ten [-ten (jap.) wtl. Himmel; Göttertitel für eine eine aus Indien übernommene Gottheit (skt. deva)]), wtl. „Himmel“, übersetzt, daher spricht man auch von der „Himmels-Gruppe“ (tenbu [tenbu (jap.) 天部 Gruppe der indischen bzw. aus Indien übernommene Gottheiten im japanischen Buddhismus (skt. deva)]). Manche devas werden aber auch, gleich den myōō, als „König“ (ō) bezeichnet. Zu den bekanntesten zählen Enma-ten [Enma (jap.) 閻魔 skt. Yama; König oder Richter der Unterwelt; auch Enra; meist als Enma-ten oder Enma-ō angesprochen], Bishamon-ten [Bishamon-ten (jap.) 毘沙門天 Himmelswächter des Nordens, Glücksgott; abgeleitet von einem indischen Gott des Reichtums, Vaishravana] oder die niō [niō (jap.) 仁王 Wächterfigur, Torwächter]. Sie haben meistens Wächterfunktionen (z.B. Wächter des Tempeltores), es können ihnen aber auch eigene Tempel geweiht sein. Unter den tenbu gibt es aber auch betont weibliche Figuren wie z.B. Benzai-ten [Benzaiten (jap.) 弁才天/弁財天 Glücksgöttin im Ensemble der Sieben Glücksgötter (Shichi Fukujin); Gottheit des Wassers, der Musik und der Beredsamkeit; skt. Sarasvati; auch: Benten]. Manche dieser Götter sind im Laufe der Geschichte in Japan zu populären kami, also zu Shintō-Gottheiten, mutiert und haben dabei ihre schreckenerregenden Züge verloren. Mehr dazu auf der Tenbu-Seite.

Ikonographisch gesehen verschwimmen die Grenzen zwischen diesen Kategorien natürlich immer wieder. Buddhas und Bodhisattvas lassen sich jedoch meist recht deutlich von myōō und tenbu unterscheiden: Sie strahlen innere Ruhe, Milde und Mitgefühl aus. Tenbu und myōō sind dagegen eher furchteinflößende Gestalten. Sie sind außerdem den mildtätigen Buddhas und Bodhisattvas deutlich untergeordnet. Obwohl sie mitunter an christliche Teufel und Dämonen erinnern, darf man nicht den Fehler begehen, sie als böse oder sündhaft anzusehen. Sie bilden mit den Buddhas ein System, das milde und strenge Wege kennt, um die Lebewesen auf den rechten Weg zu führen. Oft werden devas und myōō auch als Inkarnationen oder Manifestationen, also Erscheinungen in veränderter Form, eines Buddhas oder Bodhisattvas angesehen.

Geschichtlicher Überblick der buddhistischen Ikonographie

Im Buddhismus herrschte ursprünglich, ähnlich wie in den semitischen Religionen, ein Bilderverbot. Der Buddha sollte lediglich in symbolischer Form, z.B. als Rad der Lehre, abgebildet werden. Erst unter dem Einfluss des Mahayana Buddhismus (ab dem zweiten vorchr. Jh.) verschwand dieses Verbot, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich das Mahayana besonders um die Verbreitung der Lehre unter den Laien bemüht. Die frühesten Darstellungen des Buddha stammen aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeit aus Mathura [Mathurā (skt.) मथुरा Stadt in Nordindien, zur Zeit der Kushana Dynastie (2.–3. Jh. u.Z.), wichtiges buddhistisches Zentrum; gilt auch als Geburtsstätte Krishnas] (N-Indien) und Gandhara [Gandhāra (skt.) गन्धार Königreich im heutigen Pakistan bzw. gleichnamige Stadt (auch Purushapura, heute Peshavar); nach den griechischen Eroberungen unter Alexander dem Großen unter dem Einfluss der hellenistischen Kultur, später, im 1.–3. Jh. u.Z. Hauptstadt des buddhistischen Kushana Reichs; frühes Zentrum der buddhistischen Kunst] (Pakistan). Besonders an den Statuen aus Gandhara fällt ein starker hellenistischer Einfluss auf, oft erinnern sie an Götter der griechisch-römischen Antike.

Maitreya gandhara.jpg
5 Bodhisattva, Gandhara
Hellenistische Statue des Maitreya.
Gandhara, Pakistan, 2. od. 3. Jh. u.Z. Ron Reznick (mit freundlicher Genehmigung).
Asuka bosatsu.jpg
6 Bodhisattva, Asuka-Zeit
Statue aus der Frühzeit der buddhistischen Plastik in Japan. Möglicherweise handelt es sich um Maitreya (jap. Miroku), den „Buddha der Zukunft“.
Asuka-Zeit, 7. Jh. Foundation J.-E. Berger.

Mit der Ausbreitung des Buddhismus nach China erfuhren die indischen und zentralasiatischen Motive — ebenso wie die Lehre des Buddha selbst — einige stilistische Veränderungen. Die oft sehr bewegten indischen Gestalten werden etwas ruhiger, in sich gekehrter. Viele ikonographische Details werden jedoch beibehalten und in streng kodifizierter Form von Epoche zu Epoche weiter tradiert.

In Japan übernahm man in der Regel sowohl die Stilrichtungen als auch die ikonographische Symbolik der chinesischen Buddha-Statuen, in der Frühzeit kamen auch die Bildhauer selbst aus China oder Korea. Daher ähneln japanische Statuen sehr stark chinesischen oder koreanischen, die wiederum Varianten von indischen oder zentral-asiatischen Grundmustern sind. Die allmählichen, subtilen Ausprägungen eines spezifisch japanischen Stils sind auf den ersten Blick nur schwer erkennbar. Es ist auch nicht einfach, das Alter einer buddhistischen Figur abzuschätzen. Lediglich der schlichte Stil aus der Frühzeit des japanischen Buddhismus (6.–8. Jh.) lässt sich verhältnismäßig leicht identifizieren. In der Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit (9.–11. Jh.) entstand schließlich der klassisch-japanische Stil, der besonderen Wert auf die innere Ruhe legt, die von den Skulpturen ausgeht, auf individuelle oder dynamische Merkmale jedoch weitgehend verzichtet.

Die Kamakura [Kamakura (jap.) 鎌倉 Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)]-Zeit (12.–14. Jh.) gilt als die Blütezeit der buddhistischen Bildhauerkunst. Aus dieser Periode sind sogar die Biographien der Künstler bekannt, während man sonst kaum mehr als den Namen der Maler und Bildhauer kennt. Die berühmtesten Statuen der Kamakura-Zeit entstammen der sogenannten Kei [Kei-ha (jap.) 慶派 Buddh. Bildhauerschule des japanischen Mittelalters; benannt nach ihren berühmtesten Vertretern Unkei und Kaikei]-Schule, deren Mitglieder häufig die Silbe „kei“ im Namen tragen. Ihre kreativsten Neuerungen liegen in dynamischen, psychologisch raffinierten Darstellungen, die in der realistischen Darstellung von zornvollen Gottheiten und Dämonen am deutlichsten hervortritt. Aber auch zahlreiche Portraitskulpturen von hochrangigen Mönchen stammen aus der Kamakura-Zeit.

Später, vielleicht bedingt durch einen allgemeinen Bedeutungsverlust buddhistischer Tempel, entstanden nur noch wenige bildhauerische Werke von vergleichbarer Qualität. Zu neuartigen Überschneidungen von Kunst- und Religionsgeschichte kam es vor allem im Zen-Buddhismus, der die monochromen, oft humorvollen Tuschebilder von buddhistischen Heiligen und Patriarchen hervorbrachte, sowie im neunzehnten Jahrhundert in der Kunst der ukiyo-e [ukiyo-e (jap.) 浮世絵 „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit] (Holzblock-Drucke), die u.a. die einheimischen Gottheiten als graphisches Sujet „entdeckten“.

Verweise

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Gabriele Greve, Buddhastatuen, Who is Who: Ein Wegweiser zur Ikonografie von japanischen Buddhastatuen. Kamakura: Paradise Publishers, 1994. [2. Auflage. S.a. online-Fassung.]
Gabriele Greve, Buddhistische Kultgegenstände Japans. Kamakura: Paradise Publishers, 1996. [S.a. online-Fassung.]

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Amida nyorai zu.jpg
    Buddha Amida Nyorai in seiner klassischen Haltung, sitzend und mit der mudra der Meditation. Die Abbildung geht auf das älteste japanische Handbuch der buddhistischen Ikonographie zurück. Das Werk ist unter den Titeln Zuzōshō („Abriss von Skizzen [buddhistischer] Statuen“) oder Jikkan-shō („Abriss in zehn Bänden“) bekannt und wird wahlweise Byōdōbō Yōgon (1075–1151) oder Shōjōbō Ejū (1060–1144) zugeschrieben. In jedem Fall gehörte der Autor der Shingon-Schule an. Die Details der Darstellungen haben sich seit der ersten Abfassung des Werkes bemerkenswert wenig geändert. Die vorliegende Abbildung entstammt der Abschrift einer Abschrift des originalen Zuzōshō und wurde laut Kolophon 1702 (Genroku 15) angefertigt.
    Edo-Zeit, 1702. Ryukoku University Library.
  2. ^ 
    Nyoirin jukkansho.jpg
    Bodhisattva Kannon auf einem Felsen sitzend und mit sechs Armen, ein Wunscherfüllungsjuwel (nyoi no tama) zur Brust haltend. Die Abbildung geht auf eine relativ frühe Kopie des Jikkanshō 十巻抄 („Abriss in zehn Bänden“) zurück. Dieses älteste japanische Handbuch der buddhistischen Ikonographie stammt aus dem 11. Jahrhundert ist auch unter dem Titel Zuzōshō 図像抄 („Abriss von Skizzen [buddhistischer] Statuen“) bekannt. Hier handelt es sich um eine Kopie durch Ingen 印玄, einen Mönch des Ninna-ji in Kyōto.
    Werk von Ingen. Kamakura-Zeit, 14. Jh. Kūkai mandara: Kōbō Daishi to Kōya-san (Katalog), Reihōkan 2006, S. 116, Abb. 41-1.
  3. ^ 
    Fudo22.jpg
    Fudō Myōō mit Schwert und Flammen-Nimbus. Kopie des verlorenen Zuzōshō (1239).
    Edo-Zeit, 1702. Ryūgoku University Library.
  1. ^ 
    Bishamon hokekyo.jpg
    Bishamon-ten in klassischer Form, mit Pagode und Dreizack, auf einem Dämon stehend. Darstellung aus einer illustrierten Fassung des 25. Kapitels des Lotos Sutra (Hoke-kyō), in dem es um die Vorzüge von Bodhisattva Kannon geht. Obwohl Bishamon-ten zumeist als eigenständige Figur bzw. als Anführer der Vier Himmlischen Könige (Shi-Tennō) auftritt, verrät das Lotos Sutra, dass auch Kannon imstande ist, die Form des Bishamon anzunehmen. Die Identitäten der buddhistischen Wesenheiten sind daher äußerst fließend.
    Werk von Sugawara Mitsushige. Kamakura-Zeit. Metropolitan Museum of Art.
  2. ^ 
    Maitreya gandhara.jpg
    Hellenistische Statue des Maitreya.
    Gandhara, Pakistan, 2. od. 3. Jh. u.Z. Ron Reznick (mit freundlicher Genehmigung).
  3. ^ 
    Asuka bosatsu.jpg
    Statue aus der Frühzeit der buddhistischen Plastik in Japan. Möglicherweise handelt es sich um Maitreya (jap. Miroku), den „Buddha der Zukunft“.
    Asuka-Zeit, 7. Jh. Foundation J.-E. Berger.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Bodhisattva (skt.) बोधिसत्त्व ^ „Erleuchtetes Wesen“, Vorstufe zur vollkommenen Buddhaschaft (jap. bosatsu 菩薩)
  • Buddha (skt.) बुद्ध ^ „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)
  • dharmacakra (skt.) धर्मचक्र ^ „Rad der Lehre“, Symbol des Buddhismus (jap. hōrin 法輪)
  • Gandhāra (skt.) गन्धार ^ Königreich im heutigen Pakistan bzw. gleichnamige Stadt (auch Purushapura, heute Peshavar); nach den griechischen Eroberungen unter Alexander dem Großen unter dem Einfluss der hellenistischen Kultur, später, im 1.–3. Jh. u.Z. Hauptstadt des buddhistischen Kushana Reichs; frühes Zentrum der buddhistischen Kunst
  • Heian 平安 ^ auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)
  • Kamakura 鎌倉 ^ Stadt im Süden der Kantō Ebene, Sitz des Minamoto Shōgunats 1185–1333 (= Kamakura-Zeit)
  • kami^ Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
  • Kei-ha 慶派 ^ Buddh. Bildhauerschule des japanischen Mittelalters; benannt nach ihren berühmtesten Vertretern Unkei und Kaikei
  • Mahāyāna (skt.) महायान ^ „Großes Fahrzeug“, buddhistische Richtung (jap. daijō bukkyō 大乗)
  • Mathurā (skt.) मथुरा ^ Stadt in Nordindien, zur Zeit der Kushana Dynastie (2.–3. Jh. u.Z.), wichtiges buddhistisches Zentrum; gilt auch als Geburtsstätte Krishnas
  • ukiyo-e 浮世絵 ^ „Bilder der fließenden Welt“, populäre Farbholzschnitte der Edo-Zeit