Geschichte/Neue Religionen: Unterschied zwischen den Versionen

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Unter den alten Neuen Religionen möchte ich als Beispiel die Tenri-Schule ({{g|tenrikyou}}) anführen. Sie wurde 1838 von der damals 41-jährigen {{g|Nakayamamiki}} nach einer gött·lichen Offenbarung gegründet. Ihre An·hänger sehen in Nakayama einen lebendigen Schrein, in den sich die höchste Gott·heit eingenistet hat und durch den sie spricht. Nakayama wird von den Gläubigen ehrfürchtig als ''oya-sama'' (ehrwürdige Mutter) bezeichnet. In ihrer Lehre finden sich be·kannte Motive aus Shintō und Bud·dhis·mus wieder, all·ge·mein wird die Tenri-kyō aller·dings zu den Shintō-artigen Neuen Religionen ge·zählt. Wichtig ist vor allem eine klösterlich an·mutende Ab·folge von rituellen Ge·sängen, die auch von Laien·anhängern über den ganzen Tag ver·teilt regel·mäßig prakti·ziert werden. Gläubige sind weiters dazu an·ge·halten, ihre Zu·gehörig·keit durch eine Art Uniform zum Aus·druck zu bringen. Schließ·lich legt die Tenri-kyō besonderen Wert auf Sauber·keit, nicht nur inner·lich sondern auch im wört·lichen Sinn. Das Zentrum der Glau·bens·richtung ist ein riesiges Holz·bau·werk im Stil bud·dhis·tischer Tempel unweit von {{g|nara}}. Rundherum  ist mittlerweile die Stadt Tenri ent·standen, die u.a. auch über eine eigene Universität verfügt. Die Universität zieht auf·grund ihrer reich·haltigen Bibliothek auch Wissen·schaftler außer·halb der Tenri-kyō an. Die Betonung der Bildung in der Tenri-kyō steht in einem merk·würdigen Gegen·satz zu der sehr einfach und bei·nahe naiv anmutenden Struktur der Religion.
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Unter den alten Neuen Religionen möchte ich als Beispiel die Tenri-Schule ({{g|tenrikyou}}) anführen. Sie wurde 1838 von der damals 41-jährigen {{g|Nakayamamiki}} nach einer gött·lichen Offen·barung gegründet. Ihre An·hänger sehen in Nakayama einen lebendigen Schrein, in den sich die höchste Gott·heit eingenistet hat und durch den sie spricht. Nakayama wird von den Gläubigen ehrfürchtig als ''oya-sama'' (ehrwürdige Mutter) bezeichnet. In ihrer Lehre finden sich be·kannte Motive aus Shintō und Bud·dhis·mus wieder, all·ge·mein wird die Tenri-kyō aller·dings zu den Shintō-artigen Neuen Religionen ge·zählt. Wichtig ist vor allem eine klösterlich an·mutende Ab·folge von rituellen Ge·sängen, die auch von Laien·anhängern über den ganzen Tag ver·teilt regel·mäßig prakti·ziert werden. Gläubige sind weiters dazu an·ge·halten, ihre Zu·gehörig·keit durch eine Art Uniform zum Aus·druck zu bringen. Schließ·lich legt die Tenri-kyō besonderen Wert auf Sauber·keit, nicht nur inner·lich sondern auch im wört·lichen Sinn. Das Zentrum der Glau·bens·richtung ist ein riesiges Holz·bau·werk im Stil bud·dhis·tischer Tempel unweit von {{g|nara}}. Rundherum  ist mittlerweile die Stadt Tenri ent·standen, die u.a. auch über eine eigene Universität verfügt. Die Universität zieht auf·grund ihrer reich·haltigen Bibliothek auch Wissen·schaftler außer·halb der Tenri-kyō an. Die Betonung der Bildung in der Tenri-kyō steht in einem merk·würdigen Gegen·satz zu der sehr einfach und bei·nahe naiv anmutenden Struktur der Religion.
  
 
Wie auch in anderen „shintō-artigen“ Neuen Religionen, steht der {{g|Tennou}} nicht im Zentrum der Ver·ehrung. Wenn die Tenri-kyō sich auch eindeutig als japanische Religion versteht, hat sie im Ausland eine erfolgreiche Missions·tätigkeit ent·wickelt. Insgesamt hat sich die Tenri-kyō weit·gehend in das traditionelle Bild von Religion ein·ge·fügt und hat für die meisten Japaner kaum einen sonder·baren oder ver·dächtigen Anstrich. Aus·länder wie ich fühlen sich an·ge·sichts der gleich an·ge·zogenen, gleicher·maßen freund·lichen und gleicher·maßen auf Sau·ber·keit bedachten Gläubigen·massen in Tenri allerdings doch un·will·kürlich an Aldous Huxleys ''Brave New World'' erinnert.
 
Wie auch in anderen „shintō-artigen“ Neuen Religionen, steht der {{g|Tennou}} nicht im Zentrum der Ver·ehrung. Wenn die Tenri-kyō sich auch eindeutig als japanische Religion versteht, hat sie im Ausland eine erfolgreiche Missions·tätigkeit ent·wickelt. Insgesamt hat sich die Tenri-kyō weit·gehend in das traditionelle Bild von Religion ein·ge·fügt und hat für die meisten Japaner kaum einen sonder·baren oder ver·dächtigen Anstrich. Aus·länder wie ich fühlen sich an·ge·sichts der gleich an·ge·zogenen, gleicher·maßen freund·lichen und gleicher·maßen auf Sau·ber·keit bedachten Gläubigen·massen in Tenri allerdings doch un·will·kürlich an Aldous Huxleys ''Brave New World'' erinnert.
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Die  erfolgreichste und zahlen·mäßig stärkste Neu·religion Japans ist die bud·dhis·tische {{g|soukagakkai}} („Wertvermehrungs Gesellschaft“), die 1930 als Laien·bewegung der {{g|Nichiren}}-Schule ge·gründet wurde, sich allerdings erst nach dem 2. Weltkrieg massenwirksam verbreitete. Die Sōka Gakkai zählt heute inner·halb Japans ge·schätzte fünf Millionen Anhänger, ist aber auch im Aus·land missio·narisch tätig und soll etwa eine Million nicht-japanische Mit·glieder haben. Die Grup·pierung zeichnete sich be·sonders in ihrer Anfangs·zeit durch eine straffe innere Organisation und eine oft als „militant“ kritisierte Missio·nie·rungs·strategie aus, die sich auf Nichirens Motto „Brechen und Unter·werfen“ ({{g|shakubuku}}) beruft. Diese Strategie führte zu einer Polarisierung in über·zeugte Anhänger und er·bitterte Gegner der Sōka Gakkai, die bis heute anhält, ob·wohl die Militanz der Grup·pierung zu·mindest in ihrem Auf·tritt nach außen heute weit·gehend verschwunden ist.  
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Die  erfolgreichste und zahlen·mäßig stärkste Neu·religion Japans ist die bud·dhis·tische {{g|soukagakkai}} („Wertvermehrungs Gesellschaft“), die 1930 als Laien·bewegung der {{g|Nichiren}}-Schule ge·gründet wurde, sich allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg massenwirksam verbreitete. Die Sōka Gakkai zählt heute inner·halb Japans ge·schätzte fünf Millionen Anhänger, ist aber auch im Aus·land missio·narisch tätig und soll etwa eine Million nicht-japanische Mit·glieder haben. Die Grup·pierung zeichnete sich be·sonders in ihrer Anfangs·zeit durch eine straffe innere Organisation und eine oft als „militant“ kritisierte Missio·nie·rungs·strategie aus, die sich auf Nichirens Motto „Brechen und Unter·werfen“ ({{g|shakubuku}}) beruft. Diese Strategie führte zu einer Polarisierung in über·zeugte Anhänger und er·bitterte Gegner der Sōka Gakkai, die bis heute anhält, ob·wohl die Militanz der Grup·pierung zu·mindest in ihrem Auf·tritt nach außen heute weit·gehend verschwunden ist.  
  
 
Nach den ersten Erfolgen in der Nachkriegszeit entstand aus der Sōka Gakkai eine eigene politische Partei, die {{g|koumeitou}} (Partei der „öffentlichen Sauberkeit“, gegr. 1964, 1998 Neu·gründung als „New Kōmeitō“). Sie ist tendenziell konservativ aus·gerichtet, setzt sich aber ebenso wie die Sōka Gakkai be·sonders für die Er·haltung von Frieden und „Humanität“ ein. Auch haben beide, Sōka Gakkai und Kōmeitō, eine traditionell kritische Haltung gegen·über jeder Form des [[Geschichte/Staatsshinto|Staats·shintō]]. Heute be·steht zwischen der Neuen Kōmeitō und der Sōka Gakkai kein formaler Zu·sammen·hang mehr, doch taucht die gegenseitige Be·ein·flussung von Religion und Politik, die von der japanischen Verfassung be·sonders streng ge·ahndet wird, immer wieder in Diskussionen rund um die Sōka Gakkai auf. In den 1990er Jahren ist es überdies zu einem Zerwürfnis zwischen Sōka Gakkai und anderen Fraktionen des Nichiren-Bud·dhis·mus ge·kommen, was aber nichts daran ändert, dass die Lehren Nichirens und des {{g|hokekyou|Lotos Sutras}} nach wie vor im Zentrum der Sōka Gakkai stehen.
 
Nach den ersten Erfolgen in der Nachkriegszeit entstand aus der Sōka Gakkai eine eigene politische Partei, die {{g|koumeitou}} (Partei der „öffentlichen Sauberkeit“, gegr. 1964, 1998 Neu·gründung als „New Kōmeitō“). Sie ist tendenziell konservativ aus·gerichtet, setzt sich aber ebenso wie die Sōka Gakkai be·sonders für die Er·haltung von Frieden und „Humanität“ ein. Auch haben beide, Sōka Gakkai und Kōmeitō, eine traditionell kritische Haltung gegen·über jeder Form des [[Geschichte/Staatsshinto|Staats·shintō]]. Heute be·steht zwischen der Neuen Kōmeitō und der Sōka Gakkai kein formaler Zu·sammen·hang mehr, doch taucht die gegenseitige Be·ein·flussung von Religion und Politik, die von der japanischen Verfassung be·sonders streng ge·ahndet wird, immer wieder in Diskussionen rund um die Sōka Gakkai auf. In den 1990er Jahren ist es überdies zu einem Zerwürfnis zwischen Sōka Gakkai und anderen Fraktionen des Nichiren-Bud·dhis·mus ge·kommen, was aber nichts daran ändert, dass die Lehren Nichirens und des {{g|hokekyou|Lotos Sutras}} nach wie vor im Zentrum der Sōka Gakkai stehen.

Version vom 28. Juli 2020, 21:10 Uhr

Neue Religionen

Vorlage:Fline in Japans religiöser Land·schaft nicht zu übe·rsehen·de Ent·wick·lung der letzten 150 Jahre ist das Auf·kom·men so·ge·nannter Neuer Religionen. Heute zählen etwa 300 Gruppie·run·gen dazu. Der Aus·druck „Neue Religio·nen“ (shinshūkyō [shinshūkyō (jap.) 新宗教 wtl. neue Religion oder Neureligion, wobei die ältesten der sog. Neureligionen im 19. Jh. entstanden]) ist selbst be·reits in die Jahre ge·kom·men und be·zeich·net daher nicht un·be·dingt die aller·neues·ten Trends. Die ältesten „Neuen Religionen“ ent·standen bereits im frühen neun·zehn·ten Jahr·hundert, in der politisch insta·bilien Bakumatsu [bakumatsu (jap.) 幕末 Ende des Tokugawa-Shōgunats, 1853–1867; wtl. Ende der Zeltregierung (bakufu)]-Zeit. Da man diese Be·we·gungen meist weder dem Bud·dhis·mus noch dem Shintō ein·deu·tig zu·ord·nen kann, hat sich der un·be·stimmte Begriff „Neue Religion“ als prak·tisch er·wiesen.

Sukyomahikari.jpg
1 Seikai Shōhonzan, ein neureligiöser Tempel
Haupttempel der Sekte Sukyō Mahikari (Verehrung des Lichts), errichtet 1979.
1979. Religious Information Center.

Viele Neue Religionen, die nach Beginn der japa·nischen Moder·ni·sierung/ Verwest·lichung (1868) entstanden, be·kennen sich zu einem mono·theistischen Gottes·begriff: Der Eine Gott ist der Schöpfer aller Dinge, alle Menschen sind seine Kinder. Christliche Ein·flüsse sind dabei un·ver·kenn·bar. Die Neue Religion Seichō-no-ie [Seichō-no-ie (jap.) 生長の家 wtl. „Haus des Wachstums“, eine Neureligion, gegründet 1930] zählt z.B. das Johannes Evangelium zu ihren heiligen Büchern. Andere identifizieren die einzige Gott·heit mit der Sonnen·göttin Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise] und wollen alle Religionen der Welt durch die Sonnen·ver·ehrung vereinigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Be·wegungen weisen drüber hinaus auch Einflüsse aus dem indischen und tibetischen Bud·dhis·mus auf.

Deguchi nao.jpg
2 Deguchi Nao
Deguchi Nao ist die Gründerin der neureligiösen Sekte Ōmoto. Sie stammte aus einer verarmten Tischlerfamilie.
Oomoto.
Gründerin der Neureligion Ōmoto

Bei aller Viel·falt haben die meisten Neuen Religionen ein Merkmal, das sie von den tradi·tio·nellen Formen ab·hebt, nämlich die starke Ein·be·ziehung der Laien. Viele sind über·haupt als Laien·be·wegungen aus bereits exis·tie·render Rich·tungen ent·standen. Regel·mäßige Gottes·dienste, wie sie im Chris·ten·tum zwar ge·bräuch·lich, im tradi·tionellen Bud·dhis·mus aber un·ge·wöhnlich sind, zählen ebenso zu den Kenn·zeichen Neuer Religionen wie von allen Gläubigen befolgte tägliche Rituale und Gebete. Auch die Gründer der Neuen Religionen sind in der Regel charismatische Laien, nicht selten Frauen, wie z.B. Deguchi Nao [Deguchi Nao (jap.) 出口なお 1837–1918; Gründerin der Shintō-nahen Neureligion Ōmoto]. Diesen Gründer·figuren wird ein messia·nischer Charakter zu·ge·sprochen, sie gelten als Mittler und Ver·künder einer Heils·lehre, die von nun an die Mensch·heit retten soll.

Nicht nur auf dem Gebiet des Zeremoniells, auch ökonomisch ist der Beitrag der ein·zelnen Gläubigen zu den neuen Reli·gions·ge·mein·schaf·ten meist über·propor·tional hoch. Einzelne neureligiöse Gemeinschaften ver·fügen daher über be·acht·liche öko·nomi·sche Resourcen, was sich in Form von spekta·kulären Tempel·bauten, aber auch im Besitz von Museen und Bildungs·institutionen äußern kann. Einige Reli·gions·grün·der neueren Typs, wie etwa Fukami Tōshū [Fukami Tōshū (jap.) 深見東州 1951–; Gründer der Shintō-nahen Neureligion WorldMate; auch bekannt als Handa Haruhisa und Fukami Seizan] von WorldMate, ver·suchen erst gar nicht, den Ver·dacht der Ge·schäfte·macherei von sich zu weisen, sondern erklären ökono·mischen Erfolg zum Be·weis ihrer spirituellen Fähig·keiten.

Beispiele

Tenri-kyō

Tenri.jpg
3 Gottesdienst der Tenri-kyō
Anhänger der Tenri-kyō bei einer Messe im Haupttempel.
Tenrikyo Kyunsang Church, über Internet Archive.

Unter den alten Neuen Religionen möchte ich als Beispiel die Tenri-Schule (Tenri-kyō [Tenri-kyō (jap.) 天理教 „Schule des Himmlischen Prinzips“; neureligiöse Gruppierung, gegr. 1838]) anführen. Sie wurde 1838 von der damals 41-jährigen Nakayama Miki [Nakayama Miki (jap.) 中山みき 1798–1887; Gründerin der Shintō-nahen Neureligion Tenrikyō, 1838] nach einer gött·lichen Offen·barung gegründet. Ihre An·hänger sehen in Nakayama einen lebendigen Schrein, in den sich die höchste Gott·heit eingenistet hat und durch den sie spricht. Nakayama wird von den Gläubigen ehrfürchtig als oya-sama (ehrwürdige Mutter) bezeichnet. In ihrer Lehre finden sich be·kannte Motive aus Shintō und Bud·dhis·mus wieder, all·ge·mein wird die Tenri-kyō aller·dings zu den Shintō-artigen Neuen Religionen ge·zählt. Wichtig ist vor allem eine klösterlich an·mutende Ab·folge von rituellen Ge·sängen, die auch von Laien·anhängern über den ganzen Tag ver·teilt regel·mäßig prakti·ziert werden. Gläubige sind weiters dazu an·ge·halten, ihre Zu·gehörig·keit durch eine Art Uniform zum Aus·druck zu bringen. Schließ·lich legt die Tenri-kyō besonderen Wert auf Sauber·keit, nicht nur inner·lich sondern auch im wört·lichen Sinn. Das Zentrum der Glau·bens·richtung ist ein riesiges Holz·bau·werk im Stil bud·dhis·tischer Tempel unweit von Nara [Nara (jap.) 奈良 Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō]. Rundherum ist mittlerweile die Stadt Tenri ent·standen, die u.a. auch über eine eigene Universität verfügt. Die Universität zieht auf·grund ihrer reich·haltigen Bibliothek auch Wissen·schaftler außer·halb der Tenri-kyō an. Die Betonung der Bildung in der Tenri-kyō steht in einem merk·würdigen Gegen·satz zu der sehr einfach und bei·nahe naiv anmutenden Struktur der Religion.

Wie auch in anderen „shintō-artigen“ Neuen Religionen, steht der Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels] nicht im Zentrum der Ver·ehrung. Wenn die Tenri-kyō sich auch eindeutig als japanische Religion versteht, hat sie im Ausland eine erfolgreiche Missions·tätigkeit ent·wickelt. Insgesamt hat sich die Tenri-kyō weit·gehend in das traditionelle Bild von Religion ein·ge·fügt und hat für die meisten Japaner kaum einen sonder·baren oder ver·dächtigen Anstrich. Aus·länder wie ich fühlen sich an·ge·sichts der gleich an·ge·zogenen, gleicher·maßen freund·lichen und gleicher·maßen auf Sau·ber·keit bedachten Gläubigen·massen in Tenri allerdings doch un·will·kürlich an Aldous Huxleys Brave New World erinnert.

Sōka Gakkai

Vorlage:Sidebox3 Die erfolgreichste und zahlen·mäßig stärkste Neu·religion Japans ist die bud·dhis·tische Sōka Gakkai [Sōka Gakkai (jap.) 創価学会 wtl. in etwa „Organisation zum Studium vermehrter Werte“; neu-religiöse buddhistische Laienorganisation, gegr. 1930] („Wertvermehrungs Gesellschaft“), die 1930 als Laien·bewegung der Nichiren [Nichiren (jap.) 日蓮 1222–1282; Begründer des Nichiren Buddhismus]-Schule ge·gründet wurde, sich allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg massenwirksam verbreitete. Die Sōka Gakkai zählt heute inner·halb Japans ge·schätzte fünf Millionen Anhänger, ist aber auch im Aus·land missio·narisch tätig und soll etwa eine Million nicht-japanische Mit·glieder haben. Die Grup·pierung zeichnete sich be·sonders in ihrer Anfangs·zeit durch eine straffe innere Organisation und eine oft als „militant“ kritisierte Missio·nie·rungs·strategie aus, die sich auf Nichirens Motto „Brechen und Unter·werfen“ (shakubuku [shakubuku (jap.) 折伏 „brechen und unterwerfen“; Motto des Schulgrüders Nichiren]) beruft. Diese Strategie führte zu einer Polarisierung in über·zeugte Anhänger und er·bitterte Gegner der Sōka Gakkai, die bis heute anhält, ob·wohl die Militanz der Grup·pierung zu·mindest in ihrem Auf·tritt nach außen heute weit·gehend verschwunden ist.

Nach den ersten Erfolgen in der Nachkriegszeit entstand aus der Sōka Gakkai eine eigene politische Partei, die Kōmeitō [Kōmeitō (jap.) 公明党 „Partei der öffentlichen Sauberkeit“, buddhistisch orientierte politische Parlamentspartei] (Partei der „öffentlichen Sauberkeit“, gegr. 1964, 1998 Neu·gründung als „New Kōmeitō“). Sie ist tendenziell konservativ aus·gerichtet, setzt sich aber ebenso wie die Sōka Gakkai be·sonders für die Er·haltung von Frieden und „Humanität“ ein. Auch haben beide, Sōka Gakkai und Kōmeitō, eine traditionell kritische Haltung gegen·über jeder Form des Staats·shintō. Heute be·steht zwischen der Neuen Kōmeitō und der Sōka Gakkai kein formaler Zu·sammen·hang mehr, doch taucht die gegenseitige Be·ein·flussung von Religion und Politik, die von der japanischen Verfassung be·sonders streng ge·ahndet wird, immer wieder in Diskussionen rund um die Sōka Gakkai auf. In den 1990er Jahren ist es überdies zu einem Zerwürfnis zwischen Sōka Gakkai und anderen Fraktionen des Nichiren-Bud·dhis·mus ge·kommen, was aber nichts daran ändert, dass die Lehren Nichirens und des Lotos Sutras [Hoke-kyō (jap.) 法華経 Lotos Sutra; skt. Saddharma pundarika sutra; jap. auch Hokkekyō oder Myōhō renge kyō; zählt zu den einflussreichsten Texten des Mahayana-Buddhismus, älteste Fassungen dürften im ersten Jh. v.u.Z. entstanden sein.] nach wie vor im Zentrum der Sōka Gakkai stehen.

Aum-Sekte

Asahara.jpg
4 Asahara Shōkō
Der Führer der Aum-Sekte, Asahara Shōkō, auf dem Titelblatt des Time Magazine, unmittelbar nach dem Giftgasanschlag in Tōkyō 1995.
Time, Apr. 3, 1995.

Zu den bekanntesten „Neu-Neuen Religionen“ (shin shinshūkyō) zählt zweifellos die sogenannte Aum-Sekte (jap. Ōmu Shinri-kyō [Ōmu Shinri-kyō (jap.) オーム真理教 Aum Sekte, wtl. „Lehre vom Wahren Prinzip des [Mantras] Om“; neureligiöse Bewegung]) von Asahara Shōkō [Asahara Shōkō (jap.) 麻原彰晃 1955– ; Führer der Aum-Sekte; als Drahtzieher des Tōkyōter Giftgasanschlags (1995) zum Tode verurteilt], die 1995 durch einen Gift·gas·an·schlag in der Tōkyōter U-Bahn welt·weit Aufsehen er·regte. Diese Grup·pierung orientierte sich zu·nächst stark an westlich-esoterischen Be·wegungen und nahm über diesen Um·weg auch Elemente aus dem indischen und tibetischen Bud·dhis·mus auf. Es gelang ihr, die für manche Neuen Religionen typische Selbst·aus·beutung ihrer Anhänger so weit zu instru·mentali·sieren, dass sie trotz ver·gleichs·weise geringer An·hänger·schaft in den Besitz beachtlicher Reich·tümer ge·langte. Während einfache Mitglieder durch strenge Askese (z.B. Schlaf·entzug) oder Drogen weit·gehend willen·los ge·macht wurden, bildete sich inner·halb der religiösen Führungs·schichte eine para·militäri·sche Kader·schmiede, zu der auch be·gabte Wissen·schaftler zählten. Nach ersten Missions·erfolgen ver·suchte sich Asahara Anfang der 90er Jahre auch in Japans Politik. Als er bei Wahlen scheiterte, ent·wickel·te er mit seinem Führungs·stab terroris·tische Strategien, um die Gesell·schaft in seinem Sinne zu beein·flussen. 1995, nach dem Gift·gas·anschlag tauchte Asahara unter, konnte aber fest·ge·nommen werden und wurde mit mehreren anderen Anhängern zum Tode verurteilt.

Wie viele andere Neue Religionen missionierte auch die Aum Shinrikyō kräftig im Aus·land, v.a. in Russ·land fand sie zahl·reiche An·hänger. Nach dem Giftgas·anschlag und der Verurtei·lung Asaharas kam es zu einer Art Neu·gründung unter dem Namen „Aleph“, die sich von den krimi·nellen Aktionen der Aum distanzierte.

Insgesamt hat der Aum Skandal nicht nur zum Ende der Aum-Sekte, sondern zu einem generellen Rückgang der Neuen Religionen in Japan geführt (Reader 2012).

Verweise

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Ian Reader, Religious Violence in Contemporary Japan: The Case of Aum Shinrikyo. London: Curzon, 2000.
Ian Reader, „Secularisation, R.I.P.? Nonsense!: The ‘Rush Hour Away from the Gods’ and the Decline of Religion in Contemporary Japan“. Journal of Religion in Japan 1 (2012), 7–36.
Birgit Staemmler, Chinkon kishin: Mediated Spirit Possession in Japanese New Religions. Berlin: Lit. Verlag, 2009.
Birgit Staemmler, Ulrich Dehn (Hg.), Establishing the Revolutionary: An Introduction to New Religions in Japan. (Bunka, Bd. 20.) Wien, Berlin: Lit, 2011.
Iris Wieczorek, „Religion und Politik in Japan: Soka gakkai und Komeito“. In: Buddhismus in Geschichte und Gegenwart, Bd. 6. Universität Hamburg: Asien-Afrika-Institut, 2001, 77–104. (Online.) [Online publiziertes Vortragsmanuskript.]

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Sukyomahikari.jpg
    Haupttempel der Sekte Sukyō Mahikari (Verehrung des Lichts), errichtet 1979.
    1979. Religious Information Center.
  2. ^ 
    Deguchi nao.jpg
    Deguchi Nao ist die Gründerin der neureligiösen Sekte Ōmoto. Sie stammte aus einer verarmten Tischlerfamilie.
    Oomoto.
  1. ^ 
    Tenri.jpg
    Anhänger der Tenri-kyō bei einer Messe im Haupttempel.
    Tenrikyo Kyunsang Church, über Internet Archive.
  2. ^ 
    Asahara.jpg
    Der Führer der Aum-Sekte, Asahara Shōkō, auf dem Titelblatt des Time Magazine, unmittelbar nach dem Giftgasanschlag in Tōkyō 1995.
    Time, Apr. 3, 1995.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Aleph アレフ ^ jap. Neureligion (shinshūkyō), Nachfolgerin der Aum Sekte
  • Amaterasu 天照 ^ Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise
  • Asahara Shōkō 麻原彰晃 ^ 1955– ; Führer der Aum-Sekte; als Drahtzieher des Tōkyōter Giftgasanschlags (1995) zum Tode verurteilt
  • bakumatsu 幕末 ^ Ende des Tokugawa-Shōgunats, 1853–1867; wtl. Ende der Zeltregierung (bakufu)
  • bukkyō 仏教 ^ Lehre des Buddha, Buddhismus
  • Deguchi Nao 出口なお ^ 1837–1918; Gründerin der Shintō-nahen Neureligion Ōmoto
  • Deguchi Onisaburō 出口鬼三郎 ^ 1871–1948; Mitbegründer der neurel. Bewegung Ōmoto
  • Fukami Tōshū 深見東州 ^ 1951–; Gründer der Shintō-nahen Neureligion WorldMate; auch bekannt als Handa Haruhisa und Fukami Seizan
  • Hoke-kyō 法華経 ^ Lotos Sutra; skt. Saddharma pundarika sutra; jap. auch Hokkekyō oder Myōhō renge kyō; zählt zu den einflussreichsten Texten des Mahayana-Buddhismus, älteste Fassungen dürften im ersten Jh. v.u.Z. entstanden sein.
  • Kōmeitō 公明党 ^ „Partei der öffentlichen Sauberkeit“, buddhistisch orientierte politische Parlamentspartei
  • Nakayama Miki 中山みき ^ 1798–1887; Gründerin der Shintō-nahen Neureligion Tenrikyō, 1838
  • Nara 奈良 ^ Hauptstadt und Sitz des Tennō, 710–784 (= Nara-Zeit); auch: Heijō-kyō
  • Nichiren 日蓮 ^ 1222–1282; Begründer des Nichiren Buddhismus
  • Ōmoto 大本 ^ neurel. Bewegung (shinshūkyō), entstanden um 1900
  • Ōmu Shinri-kyō オーム真理教 ^ Aum Sekte, wtl. „Lehre vom Wahren Prinzip des [Mantras] Om“; neureligiöse Bewegung
  • Seichō-no-ie 生長の家 ^ wtl. „Haus des Wachstums“, eine Neureligion, gegründet 1930
  • shakubuku 折伏 ^ „brechen und unterwerfen“; Motto des Schulgrüders Nichiren
  • shin shinshūkyō 新新宗教 ^ „neu-neue Religion“; Bezeichnung für die jüngsten Neu-Religionen (shinshūkyō) Japans
  • shinshūkyō 新宗教 ^ wtl. neue Religion oder Neureligion, wobei die ältesten der sog. Neureligionen im 19. Jh. entstanden
  • Shintō 神道 ^ Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami
  • Sōka Gakkai 創価学会 ^ wtl. in etwa „Organisation zum Studium vermehrter Werte“; neu-religiöse buddhistische Laienorganisation, gegr. 1930
  • Tennō 天皇 ^ jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels
  • Tenri-kyō 天理教 ^ „Schule des Himmlischen Prinzips“; neureligiöse Gruppierung, gegr. 1838
  • WorldMate (west.) ^ Shintō-basierte japanische Neureligion, gegründet von Fukami Tōshū
Ende des Kapitels „Geschichte“