Geschichte/Neo-Konfuzianismus: Unterschied zwischen den Versionen

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Während der Buddhismus der frühen {{glossar:edo}}-Zeit immer stärker zu einem Vollzugsorgan der staatlichen Verwaltung wurde, erwachte innerhalb der intellektuellen Avantgarde ein neues Interesse am Konfuzianismus einerseits und an der Idee eines eigenständigen japanischen Shinto andererseits. China, das durch die Abschließungspolitik ({{Glossar:Sakoku}}) der Tokugawa in unerreichbare Ferne gerückt war, wurde von vielen Gelehrten als zivilisatorisches Leitbild wiederentdeckt, während andere in der mythischen Vergangenheit Japans nach einem idealen Gesellschaftsmodell suchten. Gemeinsam war beiden Strömungen, dass sie dem Buddhismus grundsätzlich kritisch gegenüber standen, auch wenn viele Intellektuelle ihre Kenntnisse in buddhistischen Klöstern erworben hatten oder gar als buddhistische Mönche tätig waren.
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Während der Buddhismus der frühen {{glossar:edo}}-Zeit immer stärker zu einem Voll·zugs·organ der staat·lichen Ver·waltung wurde, erwachte innerhalb der intellektuellen Avant·garde ein neues Interesse am Konfuzianismus einer·seits und an der Idee eines eigen·ständigen japanischen Shinto andererseits. China, das durch die Abschließungspolitik ({{Glossar:Sakoku}}) der Tokugawa in un·erreich·bare Ferne gerückt war, wurde von vielen Gelehrten als zivilisatorisches Leitbild wieder·ent·deckt, während andere in der mythischen Ver·gangen·heit Japans nach einem idealen Gesell·schafts·modell suchten. Gemeinsam war beiden Strömungen, dass sie dem Buddhismus grundsätzlich kritisch gegen·über standen, auch wenn viele Intellektuelle ihre Kenntnisse in bud·dhis·tischen Klöstern er·worben hatten oder gar als buddhistische Mönche tätig waren.
  
Unter den Einflüssen aus China übte v.a. der sogenannte Neo-Konfuzianismus in Gestalt der Lehren des chinesischen Philosophen {{glossar:zhuxi}} (auch Chu Hsi, 1130–1200, jap. Shushi) eine große Anziehungskraft auf die intellektuelle Avantgarde der frühen Edo-Zeit aus. Im Gegensatz zum klassischen Konfuzianismus, der ja im wesentlichen eine Philosophie der staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten darstellt und sich daher vor allem auf das Diesseits bezieht, beschäftigte sich Zhu Xi auch mit Fragen des Übernatürlichen und der Religion und entwickelte ein Erklärungsmodell des Kosmos, das viele Berührungspunkte mit dem Buddhismus aufweist. Zugleich bediente er sich aber auch klassischer konfuzianischer Konzepte, vor allem der Kategorien „öffentlich ({{glossar:kou|''kō, ōyake''}}) = gemeinnützig“ und „privat ({{glossar:shi|''shi'', ''watakushi''}}) = eigennützig“. Unter konfuzianischen Gesichtspunkten ist nur das von Wert, was dem allgemeinen Wohl der Öffentlichkeit dient, „öffentlich“ ist somit gleichbedeutend „gut“. Sämtliche private Interessen werden dagegen potentiell schädlich für Gesellschaft und Staat aufgefasst und werden entsprechend negativ bewertet.
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Unter den Einflüssen aus China übte v.a. der sogenannte Neo-Konfuzianismus in Ge·stalt der Lehren des chinesischen Philosophen {{glossar:zhuxi}} (auch Chu Hsi, 1130–1200, jap. Shushi) eine große An·ziehungs·kraft auf die intellektuelle Avantgarde der frühen Edo-Zeit aus. Im Gegensatz zum klassischen Konfuzianismus, der ja im wesent·lichen eine Philosophie der staats·bürger·lichen Rechte und Pflichten dar·stellt und sich daher vor allem auf das Dies·seits bezieht, be·schäftigte sich Zhu Xi auch mit Fragen des Über·natür·lichen und der Religion und ent·wickelte ein Erklärungs·modell des Kosmos, das viele Be·rührungs·punkte mit dem Buddhismus auf·weist. Zugleich be·diente er sich aber auch klassischer konfuzianischer Konzepte, vor allem der Kategorien „öffentlich ({{glossar:kou|''kō, ōyake''}}) = gemeinnützig“ und „privat ({{glossar:shi|''shi'', ''watakushi''}}) = eigennützig“. Unter konfuzianischen Gesichtspunkten ist nur das von Wert, was dem allgemeinen Wohl der Öffent·lich·keit dient, „öffentlich“ ist somit gleichbedeutend „gut“. Sämtliche private Interessen werden da·ge·gen potentiell schäd·lich für Gesellschaft und Staat auf·ge·fasst und werden entsprechend negativ bewertet.
  
Für die Edo-zeitlichen Gelehrten stellten die Kategorien öffentlich und privat den Ausgangspunkt einer fundamentalen Kritik an den hergebrachten Formen des Buddhismus dar. Eine unmittelbare Konsequenz dieser Kritik war die zunehmende Ablehnung esoterisch-buddhistischer Wissensvermittlung: Geheimlehren, die nur mündlich von Meister zu Schüler weitergegeben werden durften, galten den Konfuzianern als etwas „Privates“ oder „Eigennütziges“, das abzulehnen war. Religiöse Wahrheiten sollten der Öffentlichkeit dienen und allgemein zugänglich sein. Die damals weit verbreiteten Formen des esoterischen Buddhismus wurden aus der Sicht der konfuzianischen Kritik zum Inbegriff eigennütziger Geheimniskrämerei.
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Für die Edo-zeitlichen Gelehrten stellten die Kategorien öffent·lich und privat den Aus·gangs·punkt einer fundamentalen Kritik an den her·ge·brachten Formen des Buddhismus dar. Eine unmittelbare Konsequenz dieser Kritik war die zunehmende Ablehnung esoterisch-buddhistischer Wissensvermittlung: Geheimlehren, die nur mündlich von Meister zu Schüler weitergegeben werden durften, galten den Konfuzianern als etwas „Privates“ oder „Eigennütziges“, das abzulehnen war. Religiöse Wahrheiten sollten der Öffentlichkeit dienen und allgemein zu·gäng·lich sein. Die damals weit ver·breiteten Formen des esoterischen Buddhismus wurden aus der Sicht der konfuzianischen Kritik zum Inbegriff eigen·nütziger Geheimniskrämerei.
  
Andererseits fühlten sich viele Intellektuelle zum Shinto hingezogen, da der Neo-Konfuzianismus allein weder ihre spirituellen Bedürfnisse noch ihre Suche nach einer nationalen Identität befriedigen konnte. Die durch den [[Geschichte:Shinto_Mittelalter | Yoshida Shinto]] bereits seit Ende des fünfzehnten Jahrhunderts propagierte Idee eines reinen Shinto, der weder von chinesischen noch von indischen Gedanken getrübt sei, fiel in der frühen Edo-Zeit auf fruchtbaren Boden und begann, auch außerhalb des Einflussbereichs der Yoshida Priester Früchte zu treiben. Obwohl von der Grundhaltung her xenophob und daher auch gegen China gerichtet, sahen shintoistische Erneuerer der frühen Edo-Zeit im Buddhimus ihren Hauptgegner und sympathisierten daher mit der Buddhismuskritik der Konfuzianer. Umgekehrt entwickelten die namhaftesten Vertreter des japanischen Neo-Konfuzianismus wie {{glossar:hayashirazan}} (1583-1657) und {{glossar:yamazakiansai}} (1618-1682) jeweils auch ihre eigenen Visionen einer shintoistischen Lehre.
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Andererseits fühlten sich viele Intellektuelle zum Shinto hin·ge·zogen, da der Neo-Konfuzianismus allein weder ihre spirituellen Bedürfnisse noch ihre Suche nach einer nationalen Identität befriedigen konnte. Die durch den [[Geschichte:Shinto_Mittelalter | Yoshida Shinto]] bereits seit Ende des fünf·zehnten Jahr·hunderts propagierte Idee eines reinen Shinto, der weder von chinesischen noch von indischen Gedanken getrübt sei, fiel in der frühen Edo-Zeit auf frucht·baren Boden und be·gann, auch außer·halb des Einfluss·bereichs der Yoshida Priester Früchte zu treiben. Obwohl von der Grund·haltung her xenophob und daher auch gegen China gerichtet, sahen shintoistische Er·neuerer der frühen Edo-Zeit im Buddhimus ihren Haupt·gegner und sympathisierten daher mit der Buddhismuskritik der Konfuzianer. Umgekehrt entwickelten die namhaftesten Ver·treter des japanischen Neo-Konfuzianismus wie {{glossar:hayashirazan}} (1583-1657) und {{glossar:yamazakiansai}} (1618-1682) jeweils auch ihre eigenen Visionen einer shintoistischen Lehre.
  
Somit bildete sich also eine anti-buddhistische Front aus neo-konfuzianischen Intellektuellen und Shinto-Priestern, die immer wieder von einzelnen Feudalherren unterstützt wurde. In einzelnen Daimyaten wurde sogar das [[Geschichte:Terauke | ''terauke'' System]], also die Zwangsmitgliedschaft bei einem lokalen Tempel, durch eine Art ''jinja-uke'', also die Zwangsmitgliedschaft bei einem lokalen Schrein ersetzt. Zu den prominentesten Förderern der shinto-konfuzianischen Reformideen zählten Hoshina Masayuki (1611-72), Daimyō von Aizu und Regent des Shogun Ietsuna, oder Tokugawa Mitsukuni (1628-1700), Daimyō von Mito und Mäzen der neo-konfuzianischen Mito-Schule.
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Somit bildete sich also eine anti-buddhistische Front aus neo-konfuzianischen Intellektuellen und Shinto-Priestern, die immer wieder von einzelnen Feudalherren unterstützt wurde. In einzelnen Daimyaten wurde sogar das [[Geschichte:Terauke | ''terauke'' System]], also die Zwangs·mit·glied·schaft bei einem lokalen Tempel, durch eine Art ''jinja-uke'', also die Zwangs·mit·glied·schaft bei einem lokalen Schrein ersetzt. Zu den promi·nentesten Förderern der shinto-konfuzianischen Reformideen zählten Hoshina Masayuki (1611-72), Daimyō von Aizu und Regent des Shogun Ietsuna, oder Tokugawa Mitsukuni (1628-1700), Daimyō von Mito und Mäzen der neo-konfuzianischen Mito-Schule.
  
Dennoch kann man meiner Ansicht nach nicht sagen, dass der Neo-Konfuzianismus die offizielle Staatsideologie der Tokugawa darstellte, wie in der älteren Fachliteratur häufig angenommen. In religiösen Fragen machte sich das Shogunat eine politische Linie zu eigen, die einerseits autoritär, andererseits aber pragmatisch und eklektizistisch war: Buddhismus ja, aber in „gezähmter Form“. Dazu wo immer brauchbar auch Konfuzianismus und Shinto. In dieser ideologischen Unbestimmtheit liegt wahrscheinlich der größte Unterschied der Tokugawa Religionspolitik zu den zeitgleichen Entwicklungen in Europa. Obwohl da wie dort ähnliche, d.h. inquisitorische Methoden der ideologischen Kontrolle eingesetzt wurden, gründete diese Kontrolle im Fall des Christentums auf einer rigiden Dogmatik, im Fall Japan hingegen auf einem pragmatisch erstellten Katalog verbotener Lehren. Es gab natürlich dogmatische neo-konfuzianische Staatsdenker, doch ihre Theorien waren lediglich so etwas wie ein intellektuelles Experimentierfeld der frühen Edo-Zeit, das die tatsächliche religiöse und religionspolitische Praxis nur am Rande betraf.
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Dennoch kann man meiner Ansicht nach nicht sagen, dass der Neo-Konfuzianismus die offizielle Staats·ideologie der Tokugawa dar·stellte, wie in der älteren Fach·literatur häufig an·ge·nommen. In religiösen Fragen machte sich das Shogunat eine politische Linie zu eigen, die einer·seits autoritär, anderer·seits aber pragmatisch und eklektizistisch war: Bud·dhis·mus ja, aber in „gezähmter Form“. Dazu wo immer brauch·bar auch Konfuzianismus und Shinto. In dieser ideologischen Un·be·stimmt·heit liegt wahr·schein·lich der größte Unter·schied der Tokugawa Religions·politik zu den zeit·gleichen Ent·wicklungen in Europa. Obwohl da wie dort ähn·liche, d.h. inquisitorische Methoden der ideologischen Kontrolle ein·gesetzt wurden, gründete diese Kontrolle im Fall des Christentums auf einer rigiden Dogmatik, im Fall Japan hin·gegen auf einem pragmatisch er·stellten Katalog ver·botener Lehren. Es gab natürlich dogmatische neo-konfuzianische Staats·denker, doch ihre Theorien waren ledig·lich so etwas wie ein intellektuelles Experimentier·feld der frühen Edo-Zeit, das die tat·säch·liche religiöse und religionspolitische Praxis nur am Rande betraf.
  
 
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Version vom 27. September 2010, 15:46 Uhr

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Neo-Konfuzianismus und konfuzianischer Shinto

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Während der Buddhismus der frühen

Edo 江戸 (jap.)

Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);

Ort, Epoche

Der Begriff „Edo“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

Bilder

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Geographische Lage

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Geographische Lage von Edo; s.a. Geo-Glossar

-Zeit immer stärker zu einem Voll·zugs·organ der staat·lichen Ver·waltung wurde, erwachte innerhalb der intellektuellen Avant·garde ein neues Interesse am Konfuzianismus einer·seits und an der Idee eines eigen·ständigen japanischen Shinto andererseits. China, das durch die Abschließungspolitik (

sakoku 鎖国 (jap.)

Abschließung des Landes in der Edo-Zeit, 1639–1853

Konzept, Epoche

Der Begriff „sakoku“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) der Tokugawa in un·erreich·bare Ferne gerückt war, wurde von vielen Gelehrten als zivilisatorisches Leitbild wieder·ent·deckt, während andere in der mythischen Ver·gangen·heit Japans nach einem idealen Gesell·schafts·modell suchten. Gemeinsam war beiden Strömungen, dass sie dem Buddhismus grundsätzlich kritisch gegen·über standen, auch wenn viele Intellektuelle ihre Kenntnisse in bud·dhis·tischen Klöstern er·worben hatten oder gar als buddhistische Mönche tätig waren.

Unter den Einflüssen aus China übte v.a. der sogenannte Neo-Konfuzianismus in Ge·stalt der Lehren des chinesischen Philosophen

Zhu Xi 朱熹 (chin.)

1130–1200; chin. Philosoph; Begründer des Neo-Konfuzianismus

Gelehrte Person

Der Begriff „Zhu Xi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

Bilder

  • Zhuxi 1578.jpg
  • Zhuxi guoxu.jpg

(auch Chu Hsi, 1130–1200, jap. Shushi) eine große An·ziehungs·kraft auf die intellektuelle Avantgarde der frühen Edo-Zeit aus. Im Gegensatz zum klassischen Konfuzianismus, der ja im wesent·lichen eine Philosophie der staats·bürger·lichen Rechte und Pflichten dar·stellt und sich daher vor allem auf das Dies·seits bezieht, be·schäftigte sich Zhu Xi auch mit Fragen des Über·natür·lichen und der Religion und ent·wickelte ein Erklärungs·modell des Kosmos, das viele Be·rührungs·punkte mit dem Buddhismus auf·weist. Zugleich be·diente er sich aber auch klassischer konfuzianischer Konzepte, vor allem der Kategorien „öffentlich (

(jap.)

„öffentlich“

Konzept

Der Begriff „“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) = gemeinnützig“ und „privat (

shi(jap.)

„privat“

Konzept

Der Begriff „shi“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) = eigennützig“. Unter konfuzianischen Gesichtspunkten ist nur das von Wert, was dem allgemeinen Wohl der Öffent·lich·keit dient, „öffentlich“ ist somit gleichbedeutend „gut“. Sämtliche private Interessen werden da·ge·gen potentiell schäd·lich für Gesellschaft und Staat auf·ge·fasst und werden entsprechend negativ bewertet.

Für die Edo-zeitlichen Gelehrten stellten die Kategorien öffent·lich und privat den Aus·gangs·punkt einer fundamentalen Kritik an den her·ge·brachten Formen des Buddhismus dar. Eine unmittelbare Konsequenz dieser Kritik war die zunehmende Ablehnung esoterisch-buddhistischer Wissensvermittlung: Geheimlehren, die nur mündlich von Meister zu Schüler weitergegeben werden durften, galten den Konfuzianern als etwas „Privates“ oder „Eigennütziges“, das abzulehnen war. Religiöse Wahrheiten sollten der Öffentlichkeit dienen und allgemein zu·gäng·lich sein. Die damals weit ver·breiteten Formen des esoterischen Buddhismus wurden aus der Sicht der konfuzianischen Kritik zum Inbegriff eigen·nütziger Geheimniskrämerei.

Andererseits fühlten sich viele Intellektuelle zum Shinto hin·ge·zogen, da der Neo-Konfuzianismus allein weder ihre spirituellen Bedürfnisse noch ihre Suche nach einer nationalen Identität befriedigen konnte. Die durch den Yoshida Shinto bereits seit Ende des fünf·zehnten Jahr·hunderts propagierte Idee eines reinen Shinto, der weder von chinesischen noch von indischen Gedanken getrübt sei, fiel in der frühen Edo-Zeit auf frucht·baren Boden und be·gann, auch außer·halb des Einfluss·bereichs der Yoshida Priester Früchte zu treiben. Obwohl von der Grund·haltung her xenophob und daher auch gegen China gerichtet, sahen shintoistische Er·neuerer der frühen Edo-Zeit im Buddhimus ihren Haupt·gegner und sympathisierten daher mit der Buddhismuskritik der Konfuzianer. Umgekehrt entwickelten die namhaftesten Ver·treter des japanischen Neo-Konfuzianismus wie

Hayashi Razan 林羅山 (jap.)

1583–1657; neo-konfuzianischer Gelehrter

Gelehrte Person

Der Begriff „Hayashi Razan“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

Glossarseiten

Bilder

  • Hayashi razan.jpg

(1583-1657) und

Yamazaki Ansai 山崎闇斎 (jap.)

1618–1682; Neo-Konfuzianist und Shintō-Theologe

Gelehrte Person

Der Begriff „Yamazaki Ansai“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

(1618-1682) jeweils auch ihre eigenen Visionen einer shintoistischen Lehre.

Somit bildete sich also eine anti-buddhistische Front aus neo-konfuzianischen Intellektuellen und Shinto-Priestern, die immer wieder von einzelnen Feudalherren unterstützt wurde. In einzelnen Daimyaten wurde sogar das terauke System, also die Zwangs·mit·glied·schaft bei einem lokalen Tempel, durch eine Art jinja-uke, also die Zwangs·mit·glied·schaft bei einem lokalen Schrein ersetzt. Zu den promi·nentesten Förderern der shinto-konfuzianischen Reformideen zählten Hoshina Masayuki (1611-72), Daimyō von Aizu und Regent des Shogun Ietsuna, oder Tokugawa Mitsukuni (1628-1700), Daimyō von Mito und Mäzen der neo-konfuzianischen Mito-Schule.

Dennoch kann man meiner Ansicht nach nicht sagen, dass der Neo-Konfuzianismus die offizielle Staats·ideologie der Tokugawa dar·stellte, wie in der älteren Fach·literatur häufig an·ge·nommen. In religiösen Fragen machte sich das Shogunat eine politische Linie zu eigen, die einer·seits autoritär, anderer·seits aber pragmatisch und eklektizistisch war: Bud·dhis·mus ja, aber in „gezähmter Form“. Dazu wo immer brauch·bar auch Konfuzianismus und Shinto. In dieser ideologischen Un·be·stimmt·heit liegt wahr·schein·lich der größte Unter·schied der Tokugawa Religions·politik zu den zeit·gleichen Ent·wicklungen in Europa. Obwohl da wie dort ähn·liche, d.h. inquisitorische Methoden der ideologischen Kontrolle ein·gesetzt wurden, gründete diese Kontrolle im Fall des Christentums auf einer rigiden Dogmatik, im Fall Japan hin·gegen auf einem pragmatisch er·stellten Katalog ver·botener Lehren. Es gab natürlich dogmatische neo-konfuzianische Staats·denker, doch ihre Theorien waren ledig·lich so etwas wie ein intellektuelles Experimentier·feld der frühen Edo-Zeit, das die tat·säch·liche religiöse und religionspolitische Praxis nur am Rande betraf.

Okuninushi hokusai.jpg
Ōkuninushi heilt den Hasen von Inaba, dem Meeresungeheuer (wani) das Fell abgezogen haben. Hokusai interpretiert Ōkuninushi als Daikoku und die wani als Krokodile.
Werk von Katsushika Hokusai (1760–1849). Edo-Zeit. Museum of Fine Arts, Boston.