Geschichte/Kokugaku: Unterschied zwischen den Versionen

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{{fl|E}}ine Folge des erwähnten Einflusses [[Geschichte/Neo-Konfuzianismus | neo-konfuzianischer Gedanken]] in der {{g|edo}}-Zeit war ein vermehrtes Interesse an Geschichte und eine neue Leseart geschichtlicher Quellen. Im esoterisch-buddhistischen Diskurs des japanischen Mittelalters durchforstete man alte Texte beständig nach zahlen- und zeichenmystischen Übereinstimmungen mit den eigenen religiösen Lehren. Man konnte auf diese Weise auch in solchen Texten religiöse Offenbarungen finden, die ideengeschichtlich nichts mit der eigenen Richtung zu tun hatten. Buddhistische {{s|sutra|Sutren}}, chinesische Klassiker und einheimische Mythen wurden sowohl von den Angehörigen verschiedener buddhistischer Richtungen, als auch von den frühen Shintōisten auf diese Weise fast wahllos zur Bestätigung des jeweiligen Standpunkts herangezogen.
  
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Unter konfuzianischem Einfluss wurde diese Praxis schrittweise in den Hinter·grund ge·drängt (obwohl auch die Anhänger {{glossar:zhuxi}} nicht immer ganz frei davon waren). Gegen Ende des sieb·zehnten Jahr·hunderts trat mit der „Lehre vom Alten“ ({{glossar:kogaku}}) eine Denk·schule auf, die eine Ent·mystifizierung der Ge·schichte und der klassischen Schriften forderte. Man be·mühte sich darum, den ur·sprüng·lichen Sinn der klassischen Schriften wieder zu ent·decken und die Fracht der mystifizierenden Inter·preta·tionen, die sich um diese Texte ge·bildet hatten, über Bord zu werfen. Das Interesse der ''kogaku'' war dabei auf das klassische China ge·richtet, doch be·reitete sie methodisch die spätere {{glossar:kokugaku}} „Lehre [unseres] Landes“ (also die Lehre Japans) vor. Beide Schulen wandten sich zu·nächst der kritisch-philologischen Analyse alter Texte zu. Im Gegen·satz zu ''kogaku'' lehnte jedoch die ''kokugaku'' chinesisches Denken und chinesische Texte als „fremd“ ab und konzentrierte sich ganz auf das, was als un·ver·fälscht Japanisch wahr·ge·nommen wurde.
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Unter konfuzianischem Einfluss wurde diese Praxis schrittweise in den Hintergrund gedrängt (obwohl auch die Anhänger des {{g|zhuxi}} nicht immer ganz frei davon waren). Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts trat mit der „Lehre vom Alten“ ({{g|kogaku}}) eine Denkschule auf, die eine Entmystifizierung der Geschichte und der klassischen Schriften forderte. Man bemühte sich darum, den ursprünglichen Sinn der klassischen Schriften wieder zu entdecken und die Fracht der mystifizierenden Interpretationen, die sich um diese Texte gebildet hatten, über Bord zu werfen. Das Interesse der ''kogaku'' war dabei auf das klassische China gerichtet, doch bereitete sie methodisch die spätere {{g|kokugaku}} „Lehre [unseres] Landes“ (also die Lehre Japans) vor. Beide Schulen wandten sich zunächst der kritisch-philologischen Analyse alter Texte zu. Im Gegensatz zu ''kogaku'' lehnte jedoch die ''kokugaku'' chinesisches Denken und chinesische Texte als „fremd“ ab und konzentrierte sich ganz auf das, was als unverfälscht Japanisch wahrgenommen wurde.
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:* {{g|keichuu}} (1640–1701), ein {{g|Shingonshuu | Shingon}}-Mönch, gilt als Vorläufer der ''kokugaku''. Er studiert zunächst das Sanskrit und seine Grammatik, bevor er sich der japanischen Klassik zuwendet, und entwickelt auf beiden Gebieten eine neue Herangehensweise, die für spätere ''kokugaku''-Gelehrte wichtige Ansätze enthält.
:* {{glossar:kadaazumamaro}} (1669–1736) wurde rück·blickend als der eigent·liche Begründer der ''kokugaku'' angesehen, da er 1728 um eine Ge·nehmigung zur Er·richtung einer ent·sprechenden Schule an·ge·sucht haben soll. In Azumamaros Ansuchen an das Shogunat ist explizit von dem Ziel die Rede, den alten „Weg Japans“ zu studieren, der durch die Einflüsse von Buddhismus und Konfuzianismus in Ver·gessen·heit geraten sei. Neuere Forschungen er·achten dieses Dokument zwar für eine nach·trägliche Fälschung (McNally 2005), die Ziele der Kokugaku werden darin aber in jedem Fall klar um·rissen.
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:* {{g|kadaazumamaro}} (1669–1736) wurde lange als der eigentliche Begründer der ''kokugaku'' angesehen, da er 1728 um eine Genehmigung zur Errichtung einer entsprechenden Schule angesucht haben soll. In Azumamaros Ansuchen an das Shōgunat ist explizit von dem Ziel die Rede, den alten „Weg Japans“ zu studieren, der durch die Einflüsse von Buddhismus und Konfuzianismus in Vergessenheit geraten sei. Neuere Forschungen erachten dieses Dokument zwar für eine nachträgliche Fälschung (McNally 2005), die Ziele der ''kokugaku'' werden darin aber in jedem Fall klar umrissen.
:* {{glossar:kamonomabuchi}} (1697–1769) aus der Priester·familie des Kamo Schreins erschließt die älteste japanische Gedichte-Sammlung ''Manyōshū''. Die meisten seiner Schüler, u.a. der Dichter Ueda Akinari, führen sein be·sonderes Interesse für die älteste japanische Poetik weiter fort.
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:* {{g|kamonomabuchi}} (1697–1769) aus der Priesterfamilie des {{g|Kamojinja|Kamo}} Schreins erschließt die älteste japanische Gedichte-Sammlung {{g|Manyoushuu}}. Die meisten seiner Schüler, u.a. der Dichter {{g|Uedaakinari}}, führen sein besonderes Interesse für die älteste japanische Poetik weiter fort.
:* {{glossar:motoorinorinaga}} (1730–1801), ein Schüler Mabuchis, der im Brotberuf Arzt ist, wendet sich dem japanischen Mythos zu. Seine philologische Ent·schlüsselung des {{glossar:kojiki}} (''Kojiki-den'') gilt als sein Haupt·werk und zu·gleich als intellektueller Höhe·punkt der ''kokugaku''. Mit seiner Forschung ver·sucht er, das Denken und die Religion der alten Vor·fahren wieder·zu·erwecken. Neben seinen un·leug·baren Er·rungen·schaften auf dem Gebiet der philologischen Rekonstruktion und Analyse sind seine Studien auch von einem diffusen religiösen Sendungs·be·wusst·sein getragen.
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:* {{g|motoorinorinaga}} (1730–1801), ein Schüler Mabuchis, der im Brotberuf Arzt ist, wendet sich dem japanischen Mythos zu. Seine philologische Entschlüsselung des {{g|kojiki}} (''Kojiki-den'') gilt als sein Hauptwerk und zugleich als intellektueller Höhepunkt der ''kokugaku''. Mit seiner Forschung versucht er, das Denken und die Religion der alten Vorfahren wiederzuerwecken. Neben seinen unleugbaren Errungenschaften auf dem Gebiet der philologischen Rekonstruktion und Analyse sind seine Studien auch von einem diffusen religiösen Sendungsbewusstsein getragen.
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:* {{g|hirataatsutane}} (1776–1843) rückt den politisch-religiösen Aspekt der ''kokugaku'' weiter in den Vordergrund. Unter ihm mutiert die Bewegung von einer Gelehrtengesellschaft zu einer politischen Initiative, aus der die ersten konkreten Pläne zur Wiedererrichtung der Tennō-Herrschaft und damit zur {{g|meiji}}-Restauration entstehen. Wie Norinaga bemüht auch er sich um eine Wiederfindung des vorbuddhistischen Shintō.
  
== Kokugaku und Shinto ==
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== Kokugaku und Shintō ==
  
Unter dem Einfluss der ''kokugaku'' entwickelt sich die Idee, dass Shinto seit alters her un·ver·änderlich auf die japanische Religion und Mentalität wirkt und vom Bud·dhis·mus nur über·tüncht wurde, zum Credo. Shinto und Tenno-Kult werden zu einem System ver·schmolzen, das zum Wesen der japanischen Kultur erklärt wird. Besonders inner·halb der Hirata Schule erhält die an·fäng·lich rein akademische Richtung eine explizit nationalistische Aus·richtung. Aus der Ver·klärung der Ver·gangen·heit wird eine rückwärts·gewandte, Tenno-zentristische Ideologie, die im zwanzigsten Jahr·hundert die Aus·er·wählt·heit Japans recht·fertigen und zur Legitimation der Greuel·taten des japanischen Ultra·natio·nalis·mus dienen wird. Ideen·geschicht·lich lassen sich durchaus Parallelen zur Ent·wicklung von der deutschen Romantik zum deutschen Faschismus feststellen.
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Unter dem Einfluss der ''kokugaku'' entwickelt sich die Idee, dass Shintō seit alters her unveränderlich auf die japanische Religion und Mentalität wirkt und vom Buddhismus nur übertüncht wurde, zum Credo. Shintō und Tennō-Kult werden zu einem System verschmolzen, das zum Wesen der japanischen Kultur erklärt wird. Besonders innerhalb der Hirata-Schule erhält die anfänglich rein akademische Richtung eine explizit nationalistische Ausrichtung. Aus der Verklärung der Vergangenheit wird eine rückwärtsgewandte, Tennō-zentristische Ideologie, die im zwanzigsten Jahrhundert die Auserwähltheit Japans rechtfertigen und zur Legitimation der Greueltaten des japanischen Ultranationalismus dienen wird. Ideengeschichtlich lassen sich durchaus Parallelen zur Entwicklung von der deutschen Romantik zum deutschen Faschismus feststellen.
  
Andererseits führte die Beschäftigung der ''kokugaku'' mit alten Texten zu Er·kennt·nissen, die teil·weise bis heute Geltung haben. Die Maxime der ''kokugaku'', alte Schriften nicht als göttliche Bot·schaften, sondern als Texte von Menschen für Menschen zu lesen, enthält ein aufklärerisches Potential, durch das uns die Ge·danken der ''kokugaku''-Gelehrten näher stehen, als die Spekulationen früherer Gelehrten·generationen. Vielleicht ist dies mit ein Grund dafür, dass das Shinto-Bild der ''kokugaku'' bis heute die gängigen Vor·stellungen von japanischer Religion prägt.
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Andererseits führte die Beschäftigung der ''kokugaku'' mit alten Texten zu Erkenntnissen, die teilweise bis heute Geltung haben. Die Maxime der ''kokugaku'', alte Schriften nicht als göttliche Botschaften, sondern als Texte von Menschen für Menschen zu lesen, enthält ein aufklärerisches Potential, durch das uns die Gedanken der ''kokugaku''-Gelehrten näher stehen, als die Spekulationen früherer Gelehrtengenerationen. Vielleicht ist dies mit ein Grund dafür, dass das Shintō-Bild der ''kokugaku'' bis heute die gängigen Vorstellungen von japanischer Religion prägt.
  
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* [http://www.norinagakinenkan.com/norinaga/shiryo/about.html Motoori Norinaga] (en.)<br/>Biografische Skizze; Teil der umfangreichen, aber ansonsten japanischen Website des ''[http://www.norinagakinenkan.com/ Museum of Motoori Noringa]''.
 
* [http://plato.stanford.edu/entries/kokugaku-school/ The Kokugaku (Native Studies) School], Susan Burns (en.)<br/> Eintrag  in der ''[http://plato.stanford.edu/ Stanford Encyclopedia of Philosophy]''.
 
* [http://plato.stanford.edu/entries/kokugaku-school/ The Kokugaku (Native Studies) School], Susan Burns (en.)<br/> Eintrag  in der ''[http://plato.stanford.edu/ Stanford Encyclopedia of Philosophy]''.
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Version vom 21. März 2022, 15:21 Uhr

Kokugaku Back to the roots

Vorlage:Fline Folge des erwähnten Einflusses neo-konfuzianischer Gedanken in der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit war ein vermehrtes Interesse an Geschichte und eine neue Leseart geschichtlicher Quellen. Im esoterisch-buddhistischen Diskurs des japanischen Mittelalters durchforstete man alte Texte beständig nach zahlen- und zeichenmystischen Übereinstimmungen mit den eigenen religiösen Lehren. Man konnte auf diese Weise auch in solchen Texten religiöse Offenbarungen finden, die ideengeschichtlich nichts mit der eigenen Richtung zu tun hatten. Buddhistische Sutren [sūtra (skt.) सूत्र „Faden“, Lehrrede des Buddha, kanonische Schrift (jap. kyō 経 oder kyōten 経典)], chinesische Klassiker und einheimische Mythen wurden sowohl von den Angehörigen verschiedener buddhistischer Richtungen, als auch von den frühen Shintōisten auf diese Weise fast wahllos zur Bestätigung des jeweiligen Standpunkts herangezogen.

Taimenzu2.jpg
1 Gelehrtentreffen
Das „Zusammentreffen im Traum“ zeigt die Begegnung der beiden bekanntesten Gelehrten der kokugaku, Motoori Norinaga (stehend) und Hirata Atsutane (Mitte links). Das Bild illustriert die Traumvision des Atsutane, der Norinaga in Wirklichkeit nie getroffen hatte, sich aber aufgrund seines Traums als sein Nachfolger betrachtete. Die Illustration des Traums stammt von Saitō Hikomaro (1768–1854), einem weiteren Kokugaku-Gelehrten.
Werk von Saitō Hikomaro. Edo-Zeit. Museum of Motoori Norinaga.

Unter konfuzianischem Einfluss wurde diese Praxis schrittweise in den Hintergrund gedrängt (obwohl auch die Anhänger des Zhu Xi [Zhu Xi (chin.) 朱熹 1130–1200; chin. Philosoph; Begründer des Neo-Konfuzianismus] nicht immer ganz frei davon waren). Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts trat mit der „Lehre vom Alten“ (kogaku [kogaku (jap.) 古学 „Lehre vom Alten“, neo-konfuzianische Richtung der Edo-Zeit]) eine Denkschule auf, die eine Entmystifizierung der Geschichte und der klassischen Schriften forderte. Man bemühte sich darum, den ursprünglichen Sinn der klassischen Schriften wieder zu entdecken und die Fracht der mystifizierenden Interpretationen, die sich um diese Texte gebildet hatten, über Bord zu werfen. Das Interesse der kogaku war dabei auf das klassische China gerichtet, doch bereitete sie methodisch die spätere kokugaku [kokugaku (jap.) 国学 „Lehre des Landes“, Nationale Schule, Nativismus; in der Edo-Zeit entstandene Gelehrtentradition, die ihren Fokus auf das nationale Erbe Japans richtete] „Lehre [unseres] Landes“ (also die Lehre Japans) vor. Beide Schulen wandten sich zunächst der kritisch-philologischen Analyse alter Texte zu. Im Gegensatz zu kogaku lehnte jedoch die kokugaku chinesisches Denken und chinesische Texte als „fremd“ ab und konzentrierte sich ganz auf das, was als unverfälscht Japanisch wahrgenommen wurde.

Die wichtigsten Vertreter der Kokugaku

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  • Keichū [Keichū (jap.) 契沖 1640–1701; philologischer Gelehrter, Vorläufer der kokugaku] (1640–1701), ein Shingon [Shingon-shū (jap.) 真言宗 Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan]-Mönch, gilt als Vorläufer der kokugaku. Er studiert zunächst das Sanskrit und seine Grammatik, bevor er sich der japanischen Klassik zuwendet, und entwickelt auf beiden Gebieten eine neue Herangehensweise, die für spätere kokugaku-Gelehrte wichtige Ansätze enthält.
  • Kada Azumamaro [Kada Azumamaro (jap.) 荷田春満 1669–1736; kokugaku-Gelehrter] (1669–1736) wurde lange als der eigentliche Begründer der kokugaku angesehen, da er 1728 um eine Genehmigung zur Errichtung einer entsprechenden Schule angesucht haben soll. In Azumamaros Ansuchen an das Shōgunat ist explizit von dem Ziel die Rede, den alten „Weg Japans“ zu studieren, der durch die Einflüsse von Buddhismus und Konfuzianismus in Vergessenheit geraten sei. Neuere Forschungen erachten dieses Dokument zwar für eine nachträgliche Fälschung (McNally 2005), die Ziele der kokugaku werden darin aber in jedem Fall klar umrissen.
  • Kamo no Mabuchi [Kamo no Mabuchi (jap.) 賀茂真淵 1697–1769; kokugaku-Gelehrter] (1697–1769) aus der Priesterfamilie des Kamo [Kamo Jinja (jap.) 賀茂神社 Bezeichnung für einen Schreinkomplex in Kyōto, der aus dem Kamigamo und Shimogamo Schrein besteht; das genaue Gründungsdatum ist unbekannt, wird aber im 6.-7. Jhdt. vermutet] Schreins erschließt die älteste japanische Gedichte-Sammlung Manyōshū [Manyōshū (jap.) 萬葉集/万葉集 759?; die älteste japanische Gedichtesammlung; wtl. Sammlung der zehntausend Blätter;]. Die meisten seiner Schüler, u.a. der Dichter Ueda Akinari [Ueda Akinari (jap.) 上田秋成 1734–1809; Schriftsteller und Gelehrter], führen sein besonderes Interesse für die älteste japanische Poetik weiter fort.
  • Motoori Norinaga [Motoori Norinaga (jap.) 本居宣長 1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)] (1730–1801), ein Schüler Mabuchis, der im Brotberuf Arzt ist, wendet sich dem japanischen Mythos zu. Seine philologische Entschlüsselung des Kojiki [Kojiki (jap.) 古事記 „Aufzeichnung alter Begebenheiten“; älteste jap. Chronik (712)] (Kojiki-den) gilt als sein Hauptwerk und zugleich als intellektueller Höhepunkt der kokugaku. Mit seiner Forschung versucht er, das Denken und die Religion der alten Vorfahren wiederzuerwecken. Neben seinen unleugbaren Errungenschaften auf dem Gebiet der philologischen Rekonstruktion und Analyse sind seine Studien auch von einem diffusen religiösen Sendungsbewusstsein getragen.
  • Hirata Atsutane [Hirata Atsutane (jap.) 平田篤胤 1776–1843; kokugaku-Gelehrter] (1776–1843) rückt den politisch-religiösen Aspekt der kokugaku weiter in den Vordergrund. Unter ihm mutiert die Bewegung von einer Gelehrtengesellschaft zu einer politischen Initiative, aus der die ersten konkreten Pläne zur Wiedererrichtung der Tennō-Herrschaft und damit zur Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Restauration entstehen. Wie Norinaga bemüht auch er sich um eine Wiederfindung des vorbuddhistischen Shintō.

Kokugaku und Shintō

Unter dem Einfluss der kokugaku entwickelt sich die Idee, dass Shintō seit alters her unveränderlich auf die japanische Religion und Mentalität wirkt und vom Buddhismus nur übertüncht wurde, zum Credo. Shintō und Tennō-Kult werden zu einem System verschmolzen, das zum Wesen der japanischen Kultur erklärt wird. Besonders innerhalb der Hirata-Schule erhält die anfänglich rein akademische Richtung eine explizit nationalistische Ausrichtung. Aus der Verklärung der Vergangenheit wird eine rückwärtsgewandte, Tennō-zentristische Ideologie, die im zwanzigsten Jahrhundert die Auserwähltheit Japans rechtfertigen und zur Legitimation der Greueltaten des japanischen Ultranationalismus dienen wird. Ideengeschichtlich lassen sich durchaus Parallelen zur Entwicklung von der deutschen Romantik zum deutschen Faschismus feststellen.

Andererseits führte die Beschäftigung der kokugaku mit alten Texten zu Erkenntnissen, die teilweise bis heute Geltung haben. Die Maxime der kokugaku, alte Schriften nicht als göttliche Botschaften, sondern als Texte von Menschen für Menschen zu lesen, enthält ein aufklärerisches Potential, durch das uns die Gedanken der kokugaku-Gelehrten näher stehen, als die Spekulationen früherer Gelehrtengenerationen. Vielleicht ist dies mit ein Grund dafür, dass das Shintō-Bild der kokugaku bis heute die gängigen Vorstellungen von japanischer Religion prägt.

Verweise

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Harry Harootunian, Things Seen and Unseen: Discourse and Ideology in Tokugawa Nativism. Chicago: University of Chicago Press, 1988.
Mark McNally, Proving the Way: Conflict and Practice in the History of Japanese Nativism. Cambridge, MA: Harvard University Press, 2005.
Peter Nosco, Remembering Paradise: Nativism and Nostalgia in 18th-Century Japan. Cambridge, Ma: Harvard University Press, 1990.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Taimenzu2.jpg
    Das „Zusammentreffen im Traum“ zeigt die Begegnung der beiden bekanntesten Gelehrten der kokugaku, Motoori Norinaga (stehend) und Hirata Atsutane (Mitte links). Das Bild illustriert die Traumvision des Atsutane, der Norinaga in Wirklichkeit nie getroffen hatte, sich aber aufgrund seines Traums als sein Nachfolger betrachtete. Die Illustration des Traums stammt von Saitō Hikomaro (1768–1854), einem weiteren Kokugaku-Gelehrten.
    Werk von Saitō Hikomaro. Edo-Zeit. Museum of Motoori Norinaga.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • Hirata Atsutane 平田篤胤 ^ 1776–1843; kokugaku-Gelehrter
  • Kada Azumamaro 荷田春満 ^ 1669–1736; kokugaku-Gelehrter
  • Kamo Jinja 賀茂神社 ^ Bezeichnung für einen Schreinkomplex in Kyōto, der aus dem Kamigamo und Shimogamo Schrein besteht; das genaue Gründungsdatum ist unbekannt, wird aber im 6.-7. Jhdt. vermutet
  • Kamo no Mabuchi 賀茂真淵 ^ 1697–1769; kokugaku-Gelehrter
  • Keichū 契沖 ^ 1640–1701; philologischer Gelehrter, Vorläufer der kokugaku
  • kogaku 古学 ^ „Lehre vom Alten“, neo-konfuzianische Richtung der Edo-Zeit
  • Kojiki 古事記 ^ „Aufzeichnung alter Begebenheiten“; älteste jap. Chronik (712)
  • kokugaku 国学 ^ „Lehre des Landes“, Nationale Schule, Nativismus; in der Edo-Zeit entstandene Gelehrtentradition, die ihren Fokus auf das nationale Erbe Japans richtete
  • Manyōshū 萬葉集/万葉集 ^ 759?; die älteste japanische Gedichtesammlung; wtl. Sammlung der zehntausend Blätter;
  • Meiji 明治 ^ posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt
  • Motoori Norinaga 本居宣長 ^ 1730–1801; Shintō-Gelehrter der „nationalen Schule“ (kokugaku)
  • Shingon-shū 真言宗 ^ Shingon-Schule, wtl. Schule des Wahren Wortes; wichtigste Vertreterin des esoterischen Buddhismus (mikkyō) in Japan
  • sūtra (skt.) सूत्र ^ „Faden“, Lehrrede des Buddha, kanonische Schrift (jap. kyō 経 oder kyōten 経典)
  • Ueda Akinari 上田秋成 ^ 1734–1809; Schriftsteller und Gelehrter
  • Zhu Xi (chin.) 朱熹 ^ 1130–1200; chin. Philosoph; Begründer des Neo-Konfuzianismus