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Einer der größten Einschnitte in der Geschichte der japanischen Religion besteht in der Einführung eines Klostersystems durch den Buddhismus. Im Japanischen ist das Wort {{g|shukke}}  ein ehemals sehr gebräuchlicher Ausdruck für den Eintritt in den Mönchs- oder Nonnenstand. Er bedeutet wörtlich „Verlassen des Hauses“. Damit ist weniger ein Haus im baulichen Sinne gemeint, sondern eine Familie. Wer Mönch wird, verlässt seine Familie und damit alle weltlichen (gesellschaftlichen) Verpflichtungen und begibt sich unter eine neue Ordnung. Nach dieser Ordnung steht nicht mehr das Wohl der leiblichen Familie im Zentrum, sondern das Wohl der Mönchsgemeinde oder die eigene spirituelle Vervollkommnung. Ausdruck dieses Wechsels ist der Zölibat. Er ist wahrscheinlich weniger mit der Idee sexueller Askese verbunden (sie wird zumindest in Japan nie besonders betont) als mit dem Verzicht auf das Familiendenken, das in Japan, wie in anderen vormodernen Gesellschaften auch, einen extrem wichtigen Stellenwert hatte. Spannungen zwischen sozialen Verpflichtungen gegenüber der Familie (Stichwort „kindliche Pietät“) und den Verpflichtungen als Mönch sind daher nicht zufällig ein immer wiederkehrendes Thema der buddhistischen Erzählliteratur Japans. Sich der Familienethik zu entziehen und der Mönchsethik zu unterwerfen, stellte in der Gesellschaft des japanischen Altertums einen erheblichen Einschnitt dar, der keinesfalls immer von der eigenen Familie gutgeheißen wurde. Darüber hinaus symbolisiert das Klosterwesen eine Ordnung, die der weltlichen Ordnung einen kritischen Spiegel vorhält. Diese Idee einer religiösen Gegenwelt wurde in Japan erst durch den Buddhismus ins Leben gerufen.   
 
Einer der größten Einschnitte in der Geschichte der japanischen Religion besteht in der Einführung eines Klostersystems durch den Buddhismus. Im Japanischen ist das Wort {{g|shukke}}  ein ehemals sehr gebräuchlicher Ausdruck für den Eintritt in den Mönchs- oder Nonnenstand. Er bedeutet wörtlich „Verlassen des Hauses“. Damit ist weniger ein Haus im baulichen Sinne gemeint, sondern eine Familie. Wer Mönch wird, verlässt seine Familie und damit alle weltlichen (gesellschaftlichen) Verpflichtungen und begibt sich unter eine neue Ordnung. Nach dieser Ordnung steht nicht mehr das Wohl der leiblichen Familie im Zentrum, sondern das Wohl der Mönchsgemeinde oder die eigene spirituelle Vervollkommnung. Ausdruck dieses Wechsels ist der Zölibat. Er ist wahrscheinlich weniger mit der Idee sexueller Askese verbunden (sie wird zumindest in Japan nie besonders betont) als mit dem Verzicht auf das Familiendenken, das in Japan, wie in anderen vormodernen Gesellschaften auch, einen extrem wichtigen Stellenwert hatte. Spannungen zwischen sozialen Verpflichtungen gegenüber der Familie (Stichwort „kindliche Pietät“) und den Verpflichtungen als Mönch sind daher nicht zufällig ein immer wiederkehrendes Thema der buddhistischen Erzählliteratur Japans. Sich der Familienethik zu entziehen und der Mönchsethik zu unterwerfen, stellte in der Gesellschaft des japanischen Altertums einen erheblichen Einschnitt dar, der keinesfalls immer von der eigenen Familie gutgeheißen wurde. Darüber hinaus symbolisiert das Klosterwesen eine Ordnung, die der weltlichen Ordnung einen kritischen Spiegel vorhält. Diese Idee einer religiösen Gegenwelt wurde in Japan erst durch den Buddhismus ins Leben gerufen.   
  

Version vom 26. März 2022, 17:58 Uhr

Einleitung:Japanische Religionsgeschichte

Vorlage:Fln der japanischen Religionsgeschichte gebührt dem Buddhismus ein ganz besonderer Platz. Es lässt sich sogar behaupten, dass sich Religion im Sinne eines das ganze Land erfassenden Systems von festgelegten Glaubensformen erst mit dem Buddhismus in Japan verbreitete. Zu den Neuerungen, die der Buddhismus brachte (und die für uns fast selbstverständlich zum Begriff Religion dazugehören), zählen: die Trennung von weltlicher und geistlicher Autorität (der Herrscher steht nicht zwangsläufig dem religiösen Kult vor); ein überregional organisierter Klerus; eine orthodoxe Theologie; ein einheitliches Ritualwesen; die Errichtung von religiösen Bauwerken, Statuen, und vieles andere mehr. All das gab es im vor-buddhistischen Japan entweder gar nicht oder nur in Ansätzen. Es ist beispielsweise wahrscheinlich, dass Bauten zu Ehren der japanischen kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō], also Schreine, erst durch das Beispiel des Buddhismus ihre heute bekannte Form erhielten.

Die geschichtliche Rolle des Buddhismus in Japan

Xuanzang kamakura.jpg
1 Pildermönch Xuanzang
Der chinesische Mönch Xuanzang (7. Jh.), eine Schlüsselfigur für die Übertragung des Buddhismus nach Ostasien, auf seiner berühmten Reise nach Indien. Er trägt eine Art Rucksack, voll mit Schriften, die er nach China bringen wird. Auch in der Hand hält er eine Schriftrolle und einen Fliegenwedel. Ungewöhnlich ist seine Kette, die aus tierischen Totenköpfen zu bestehen scheint. Das Motiv findet sich in vielen Variationen, die schon in China entstanden. 
14.Jh. Tokyo National Museum.

Einer der größten Einschnitte in der Geschichte der japanischen Religion besteht in der Einführung eines Klostersystems durch den Buddhismus. Im Japanischen ist das Wort shukke [shukke (jap.) 出家 buddh. Mönch; wtl. „der das Haus/die Familie verlässt“] ein ehemals sehr gebräuchlicher Ausdruck für den Eintritt in den Mönchs- oder Nonnenstand. Er bedeutet wörtlich „Verlassen des Hauses“. Damit ist weniger ein Haus im baulichen Sinne gemeint, sondern eine Familie. Wer Mönch wird, verlässt seine Familie und damit alle weltlichen (gesellschaftlichen) Verpflichtungen und begibt sich unter eine neue Ordnung. Nach dieser Ordnung steht nicht mehr das Wohl der leiblichen Familie im Zentrum, sondern das Wohl der Mönchsgemeinde oder die eigene spirituelle Vervollkommnung. Ausdruck dieses Wechsels ist der Zölibat. Er ist wahrscheinlich weniger mit der Idee sexueller Askese verbunden (sie wird zumindest in Japan nie besonders betont) als mit dem Verzicht auf das Familiendenken, das in Japan, wie in anderen vormodernen Gesellschaften auch, einen extrem wichtigen Stellenwert hatte. Spannungen zwischen sozialen Verpflichtungen gegenüber der Familie (Stichwort „kindliche Pietät“) und den Verpflichtungen als Mönch sind daher nicht zufällig ein immer wiederkehrendes Thema der buddhistischen Erzählliteratur Japans. Sich der Familienethik zu entziehen und der Mönchsethik zu unterwerfen, stellte in der Gesellschaft des japanischen Altertums einen erheblichen Einschnitt dar, der keinesfalls immer von der eigenen Familie gutgeheißen wurde. Darüber hinaus symbolisiert das Klosterwesen eine Ordnung, die der weltlichen Ordnung einen kritischen Spiegel vorhält. Diese Idee einer religiösen Gegenwelt wurde in Japan erst durch den Buddhismus ins Leben gerufen.

Natürlich kam es aber — ähnlich wie in Europa — auch in Japan zu Vermischungen von geistlicher und weltlicher Macht: Mächtige Adelsfamilien schickten ihre jüngeren Söhne, die nicht für die Fortsetzung der Familie benötigt wurden, ins Kloster, um auch dort ihren Einfluss geltend zu machen. Ganz allgemein lässt sich feststellen, dass sich die Strenge der buddhistischen Mönchsgebote lockerte, je selbstverständlicher der Buddhismus zum Bestandteil der japanischen Kultur wurde. Heute ist etwa der Zölibat im japanischen Buddhismus nicht mehr obligat, auch das generelle Alkoholverbot des Buddhismus wird sehr locker gehandhabt (s. dazu auch Kap. Tempel, Mönche).

Im Unterschied zum Shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami], wo eine Trennung von weltlicher und geistlicher Macht bis heute verschwommen ist (schließlich gilt der Tennō [Tennō (jap.) 天皇 jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels] als oberster Priester des Shintō), legte der Buddhismus aber von Anfang an Wert auf eine autonome geistliche Hierarchie, die dem Staat, oder besser gesagt dem kaiserlichen Hof, nur eine bedingte Einflussnahme gestattete. Die Klöster entwickelten sich so zu einer Sphäre, in der neue kulturelle Errungenschaften erstmals erprobt und geübt werden konnten. Innovationen auf dem Gebiet der Architektur, der bildenden Kunst, der Dichtung und der Schriftlichkeit nahmen nicht selten in buddhistischen Klöstern ihren Anfang. Nach und nach drangen diese Innovationen auch in den weltlichen Bereich vor und machten den Buddhismus, vor allem in seiner Frühzeit, zum Motor des zivilisatorischen Fortschritts in Japan. Verständlicherweise wirkte sich diese kulturelle Kraft des Buddhismus auch auf die einheimischen Glaubensformen aus. Es entstanden „shintōistische“ Kultstätten, Statuen, rituelle Praktiken und klerikale Organisationsformen, die ohne das Beispiel des Buddhismus entweder ganz andere Züge angenommen hätten oder gar nicht existieren würden.

Kapitelübersicht

Die ersten zwei Drittel des vorliegenden Kapitels „Religionsgeschichte“ sind vor allem der Ausbreitung des Buddhismus und seiner Wechselwirkung mit dem Glauben an einheimische Götter bis zum Beginn der Frühen Neuzeit (um 1600) gewidmet.

Ab der Frühen Neuzeit treten neben dem Buddhismus neue, unabhängige Denk- und Glaubensrichtungen auf:

Verweise

Verwandte Themen

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Xuanzang kamakura.jpg
    Der chinesische Mönch Xuanzang (7. Jh.), eine Schlüsselfigur für die Übertragung des Buddhismus nach Ostasien, auf seiner berühmten Reise nach Indien. Er trägt eine Art Rucksack, voll mit Schriften, die er nach China bringen wird. Auch in der Hand hält er eine Schriftrolle und einen Fliegenwedel. Ungewöhnlich ist seine Kette, die aus tierischen Totenköpfen zu bestehen scheint. Das Motiv findet sich in vielen Variationen, die schon in China entstanden. 
    14.Jh. Tokyo National Museum.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • kami^ Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
  • Shintō 神道 ^ Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami
  • shukke 出家 ^ buddh. Mönch; wtl. „der das Haus/die Familie verlässt“
  • Tennō 天皇 ^ jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels