Essays/Jindo und Shinto: Unterschied zwischen den Versionen

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{{titel | ''Shintō'' und ''jindō''<span class{{=}}"hide">:</span> <span class{{=}}"bottom">Zum Begriffsinhalt des „Weges der Kami“</span>}}
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| ''Jindō'' und ''shintō'': Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der ''kami''‘
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In den 80er Jahren unterzog der einflussreiche Religionshistoriker {{g|kurodatoshio|Kuroda Toshio}} den Begriff „Shintō“ einer historischen Kritik und stellte die Existenz von Shintō als einer eigenständigen Religion damit erstmals grundsätzlich in Frage. Seither wird „Shintō“ von vielen Religionsspezialisten  nur noch in Anführungszeichen gebraucht. Das drückt Vorsicht und einen Bedarf nach einer neuen Konzeption von Shintō aus, zumindest im akademischen Bereich. Versuche, tatsächlich eine Neudefinition zu wagen, sind allerdings spärlich. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung stellt die „''jindō''-These“ des Shintō-Spezialisten {{g|teeuwenmark}} dar. Teeuwen versucht dabei, die Entstehung des Begriffs Shintō historisch dort fest zu machen, wo er auch eine sprachliche Verschiebung, nämlich eine Änderung der Lesung von {{g|jindou|''jindō''}} zu {{g|shintou|''shintō''}} aus den Quellen herauslesen zu können meint. Die Implikationen dieses Gedankens inklusive einiger Reaktionen seitens der Fachwelt und eigener Überlegungen sind das Thema dieses Essays.<ref>
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Dieser Artikel ist aus einem Manuskript für einen Vortrag entstanden, den der [[Bernhard Scheid|Autor dieses Handbuchs]] bei einem Workshop des ''Arbeitskreises Japanische Religionen'' zum Thema „Herausbildung religiöser Begrifflichkeiten in Japan“ hielt. (Universität Tübingen, Seminar für Japanologie, 7. Mai 2010.)</ref>
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==Kurodas Shintō-Kritik==
  
{{fl|S}}eit {{glossar:kurodatoshio|Kuroda Toshios}} Kritik des Shinto Begriffs in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahr·hunderts wird dieser unter Religions·spezialisten vor·zugs·weise nur noch in An·führungs&shy;zeichen gebraucht. Das drückt Vorsicht und einen Bedarf nach einer neuen Konzeption von Shinto aus, zumindest im akademischen Bereich. Versuche, tat·sächlich eine Neu·definition zu wagen, sind aller·dings spärlich. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung stellt die „''jindō''-These“ des Shinto-Spezialisten Mark Teeuwen dar. Teeuwen versucht dabei, die Ent·stehung des Begriffs {{glossar:shintou|Shinto}} historisch dort fest zu machen, wo er auch eine sprachliche Ver·schiebung, nämlich eine Änderung der Lesung von ''jindō'' zu ''shintō'' aus den Quellen her·aus·lesen zu können meint. Die Implikationen dieses Gedankens inklusive einiger Reaktionen seitens der Fach·welt und eigener Über·legungen sind das Thema dieses Vor·trags.<ref>Dieser Artikel ist aus einem Manuskript für einen Vortrag entstanden, den [[Bernhard Scheid|ich]] bei einem Workshop des ''Arbeits·kreises Japanische Religionen'' zum Thema „Her·aus·bildung religiöser Begriff·lich·keiten in Japan“ hielt. (Universität Tübingen, Seminar für Japanologie, 7. Mai 2010)</ref>
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| shendao.jpg
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| „Götter-Weg“ in Taiwan
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Zunächst ganz kurz zu Kuroda: In seinem Artikel „Shintō in the history of Japanese religion“ aus dem Jahr 1981<ref>
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Der Artikel (Kuroda 1981) wurde von James Dobbins und Suzanne Gay auf der Grundlage eines japanischen Manuskripts übersetzt, das erst zwei Jahre später auf Japanisch, als Kapitel von Kurodas ''Ōbō to Buppō'' 王法と仏法 (Kuroda 1983: 52–78), veröffentlicht wurde.
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fasst er vorhergehende Untersuchungen zum Begriff Shintō und seiner Verwendung (namentlich von {{g|Tsudasoukichi}}) zusammen und zieht daraus den Schluss, dass es das Wort ''shintō'' zwar tatsächlich schon seit dem Altertum gibt, dass es aber nicht die Bedeutung hatte, die man heute damit verknüpft, nämlich „japanische Religion“ oder gar „japanische Urreligion“. Vielmehr sei der Ausdruck in erster Linie auf einzelne Gottheiten bezogen und würde keine systematisierte eigenständige Religion bezeichnen. Auch sei er nicht oder nur mit Einschränkungen als Gegenbegriff zum Buddhismus zu sehen. Im Unterschied zu früheren Autoren<ref>
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Kritik am Shintō Begriff ist auch schon vor Kuroda laut geworden, selbst in der Ära des Staatsshintō. So schrieb etwa Oka Masao 岡正雄 in seiner 1933 auf Deutsch verfassten Dissertation ''Die Kulturschichten Alt-Japans'', folgende bemerkenswerte Feststellung:
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:Schon der primitive Shintō, welcher gewöhnlich als eigentliche Religion Japans bezeichnet wird, war sicherlich nicht einheitlich, eher kann er als unsystematische Verschmelzung aller um Christi Geburt in Japan vorhandenen und eingeführten Religionen angesprochen werden. Es geht daher nicht an, den Shintō als eine selbstständige Religion zu behandeln (Oka 2012 [1933]: 289).
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Ähnlich äußert sich {{gb|naumannnelly|Nelly Naumann}} in ihren „Bemerkungen zum sogenannten Ur-Shintō“ (Naumann 1970).
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leitet Kuroda aus dieser Erkenntnis eine fundamentale Kritik an eben jener Vorstellung einer eigenständigen, auf die japanischen {{g|Kami|''kami''}} ausgerichteten Religion namens Shintō ab: Eine solche hätte es in historischer Zeit erst gegeben, als sie im Zuge der {{g|Meiji}}-Restauration ({{g|meijiishin}}) und der gewaltsamen Trennung von ''kami'' und {{s|buddha|Buddhas}} sozusagen von oben herab verordnet wurde.
  
==Kurodas Shinto Kritik==
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Zugespitzt lässt sich Kurodas Shintō-These so formulieren: Shintō ist, von einzelnen theologischen Spekulationen einmal abgesehen, eine Erfindung der Moderne. In den tausend Jahren davor waren Schreinkulte in den japanischen Buddhismus eingebettet. Die gängige Darstellung einer ununterbrochenen shintōistischen Traditionslinie oder die Vorstellung von Shintō als unbewusstes Stratum, das der japanischen Kultur zugrunde liegt, sind nach Kuroda nichts anderes als Projektionen der Ideologie des [[Staatsshintō]] ({{g|kokkashintou}}) in die Vergangenheit.<ref>
Zunächst ganz kurz zu Kuroda: In seinem Artikel „Shinto in the history of Japanese religion“ aus dem Jahr 1981 <ref>Der Artikel (Kuroda 1981) wurde von James Dobbins und Suzanne Gay auf der Grund·lage eines japanischen Manuskripts übersetzt, das erst zwei Jahre später auf Japanisch, als Kapitel von Kurodas ''Ōbō to Buppō'' 王法と仏法 (Kuroda 1983: 52–78), veröffentlicht wurde.</ref> fasst er vorher·gehende Unter·suchungen zum Begriff Shinto und seiner Verwendung (namentlich von {{glossar:Tsudasoukichi}}) zusammen und zieht daraus den Schluss, dass es das Wort zwar tatsächlich schon seit dem Alter·tum gibt, dass es aber nicht die Be·deutung hatte, die man heute damit verknüpft, nämlich „japanische Religion“ oder gar „japanische Ur·religion“. Vielmehr sei der Aus·druck in erster Linie auf einzelne Gott·heiten bezogen und würde keine systematisierte eigenständige Religion bezeichnen. Auch sei er nicht oder nur mit Ein·schränk·ungen als Gegen·begriff zum Bud·dhis·mus zu sehen. Im Unterschied zu früheren Autoren
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Kuroda 1981: 1–3 und 19–21.</ref>
<ref>Kritik am Shinto Begriff ist auch schon vor Kuroda laut geworden, selbst in der Ära des Staatsshinto. So schrieb etwa Oka Masao 岡正雄 in seiner 1933 auf Deutsch verfassten Dissertation ''Die Kultur·schichten Alt-Japans'', folgende bemerkenswerte Feststellung:  
 
:Schon der primitive Shintō, welcher gewöhnlich als eigentliche Religion Japans bezeichnet wird, war sicherlich nicht einheitlich, eher kann er als unsystematische Ver·schmelz·ung aller um Christi Geburt in Japan vor·handenen und ein·geführten Religionen an·gesprochen werden. Es geht daher nicht an, den Shintō als eine selbst·ständige Religion zu behandeln. (Oka 1933: 323.)
 
Ähnlich äußert sich Nelly Naumann in ihren „Bemerkungen zum sogenannten Ur-Shinto“ (Naumann 1970).</ref>
 
leitet Kuroda aus dieser Erkenntnis eine fundamentale Kritik an eben jener Vor·stellung einer eigen&shy;ständigen, auf die japanischen {{glossar:Kami|Kami}} aus·gerichteten Religion namens Shinto ab: Eine solche hätte es in historischer Zeit erst gegeben, als sie im Zuge der {{Glossar:Meiji}}-Restauration und der gewaltsamen Trennung von Kami und {{skt:buddha|Buddhas}} sozusagen von oben herab verordnet wurde.
 
  
Zugespitzt lässt sich Kurodas Shinto These so formulieren: Shinto ist, von einzelnen theologischen Spekulationen einmal abgesehen, eine Erfindung der Moderne. In den tausend Jahren davor waren Schrein·kulte in den japanischen Bud·dhis·mus eingebettet. Die gängige Darstellung einer ungebrochenen shintoistischen Traditions&shy;linie oder die Vorstellung von Shinto als unbewusstes Stratum, das der japanischen Kultur zugrunde liegt, sind nach Kuroda nichts anderes als Projektionen der Ideologie des Staats·shinto in die Ver·gangen·heit.<ref>Kuroda 1981: 1–3 und 19–21.</ref>
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Angefangen von {{g|grapardallan}} haben zahlreiche westliche Japanologen Kurodas Dekonstuktion des Shintō-Begriffs zum Ausgangspunkt eigener Studien gemacht. Für viele, einschließlich meiner selbst, ergibt sich jedoch früher oder später die Frage, wieso die ''kami'' überhaupt in der kollektiven Erinnerung Japans verblieben und wie es dazu kam, dass sie zum Objekt einer nicht-buddhistischen Religion wurden, wann auch immer diese entstand. Darüber hinaus gibt es im Feld des Shintō zumindest auf rituellem Gebiet offenbar doch einige erstaunlich alte und beständige Traditionen. Auch dieses beharrliche Beibehalten nicht-buddhistischer ritueller Gebräuche kann Kurodas Kritik nicht befriedigend erklären. Doch vielleicht sind es gerade diese ungeklärten Punkte, die Kurodas radikale Kritik zum Katalysator zahlreicher neuerer Forschungen — etwa  Forschungen zur  Genese jener theologischen Spekulationen, die den modernen Shintō vorbereiteten, oder zur Koexistenz von ''kami''- und Buddha-Kulten ({{g|shinbutsushuugou}}) — werden ließen.<ref>
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Zur Kuroda Rezeption s. u.a. James Dobbins 1996: ''The Legacy of Kuroda Toshio''. Sammelbände mit westlichen Beiträgen zur von Kuroda Toshio aufgeworfenen Shintō-Problematik sind vor allem der Initiative Mark Teeuwens zu verdanken. Vgl. Breen und Teeuwen 2000: ''Shintō in History: Ways of the Kami''; Teeuwen und Scheid 2002, ''Tracing Shintō in the History of Kami Worship''; Teeuwen und Rambelli 2003: ''Kami and Buddhas: Honji suijaku as a Combinatory Paradigm''; Scheid und Teeuwen 2006: ''The Concept of Secrecy in Japanese Religion''; oder Faure, Como und Iyanaga 2009: ''Rethinking Medieval Shintō''.
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Trotz einer neuen thematischen Ausrichtung auf solche Fragen blieb es in der westlichen Forschung allerdings bislang bei Einzelstudien.
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| shikinensengu.jpg
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| Weg einer Gottheit (Ise)
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Angefangen von Allan Grapard haben zahlreiche westliche Japanologen Kurodas Dekonstuktion des Shinto-Begriffs zum Aus·gangs·punkt eigener Studien gemacht. Für viele, einschließ·lich meiner selbst, ergibt sich jedoch früher oder später die Frage, wieso die Kami über·haupt in der kollektiven Erinne·rung Japans verblieben und wie es dazu kam, dass sie zum Objekt einer nicht-bud·dhis·tischen Religion wurden, wann auch immer diese entstand. Darüber hinaus gibt es im Feld des Shinto zumindest auf rituellem Gebiet offenbar doch einige erstaunlich alte und beständige Traditionen. Auch dieses beharr·liche Bei·behalten nicht-bud·dhis·tischer ritueller Gebräuche kann Kurodas Kritik nicht be·friedi·gend erklären. Doch viel·leicht sind es gerade diese un·geklärten Punkte, die Kurodas radikale Kritik zum Kataly·sator zahl·reicher neuerer Forschungen — etwa  Forschungen zur  Genese jener theo·logi·schen Spe·kula·tionen, die den moder·nen Shinto vorbe·reiteten, oder zur Koexistenz von Kami- und Buddha-Kulten ({{glossar:shinbutsushuugou}}) — werden ließen.
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==Teeuwens ''jindō''-These==
<ref>Zur Kuroda Rezeption s. u.a. James Dobbins 1996: ''The Legacy of Kuroda Toshio''. Sammelbände mit westlichen Beiträgen zur von Kuroda Toshio auf·geworfenen Shinto-Problematik sind vor allem der Initiative Mark Teeuwens zu verdanken. Vgl. Breen und Teeuwen 2000: ''Shinto in History: Ways of the Kami''; Teeuwen und Scheid 2002, ''Tracing Shinto in the History of Kami Worship''; Teeuwen und Rambelli 2003: ''Kami and Buddhas: Honji suijaku as a Combinatory Paradigm''; Scheid und Teeuwen 2006: ''The Concept of Secrecy in Japanese Religion''; oder Faure, Como und Iyanaga 2009: ''Rethinking Medieval Shintō''.</ref>
 
Trotz einer neuen thema·tischen Aus·rich·tung auf solche Fragen blieb es in der westlichen Forschung allerdings bislang bei Einzelstudien.
 
  
==Teeuwens ''jindō''-These==
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Eine der wenigen Arbeiten, die Kurodas Ansatz systematisch aufnimmt und erweitert, ist Mark Teeuwens Aufsatz „From ''jindō'' to Shintō: A concept takes shape“ aus dem Jahr 2002. Ähnlich Kuroda widmet sich Teeuwen vorwiegend der Begriffsgeschichte von Shintō, allerdings bereichert um neues Material seitens der jüngeren japanischen Forschung und ein theoretisches Instrumentarium, das vom deutschen Historiker {{g|koselleckreinhart}} (1923–2006) stammt. In seiner „Begriffsgeschichte“ des Shintō geht es Teeuwen darum:
Eine der wenigen Arbeiten, die Kurodas Ansatz systematisch aufnimmt und erweitert, ist Mark Teeuwens Aufsatz „From ''jindō'' to Shinto: A concept takes shape“ aus dem Jahr 2002. Ähnlich Kuroda widmet sich Teeuwen vor·wiegend der Begriffs·geschichte von Shinto, allerdings bereichert um neues Material seitens der jüngeren japanischen Forschung und ein theoretisches Instrumentarium, das vom deutschen Historiker Reinhart Koselleck (1923–2006) stammt. In seiner „Begriffs·geschichte“ des Shinto geht es Teeuwen darum:
 
 
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…to lay bare the emergence of Shinto as a theological concept through an analysis of the semantic development of the term 神道 (''jindō'', ''shintō'', ''kami no michi'') in historical sources.  
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…to lay bare the emergence of Shintō as a theological concept through an analysis of the semantic development of the term 神道 (''jindō'', ''shintō'', ''kami no michi'') in historical sources.  
 
<ref>Teeuwen 2002: 234.</ref>
 
<ref>Teeuwen 2002: 234.</ref>
 
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Mit Koselleck sieht Teeuwen einen ent·scheidenden Unter·schied zwischen bloßen „Worten“ und „Be·griffen“ (''concepts'' in Teeuwens Übersetzung): Worte können klar definiert (bzw. auf konkrete Gegen·stände bezogen) werden, Begriffe lediglich inter·pretiert. Begriffe sind abstrakt und wandelbar, aber gerade deshalb auch geschichts&shy;mächtig. Sie werden von ge·schicht·lichen Entwicklungen beeinflusst, haben aber auch umgekehrt die Fähigkeit, Entwicklungen zu beeinflussen.  
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Mit Koselleck sieht Teeuwen einen entscheidenden Unterschied zwischen bloßen „Worten“ und „Begriffen“ (''concepts'' in Teeuwens Übersetzung): Worte können klar definiert (bzw. auf konkrete Gegenstände bezogen) werden, Begriffe lediglich interpretiert. Begriffe sind abstrakt und wandelbar, aber gerade deshalb auch geschichtsmächtig. Sie werden von geschichtlichen Entwicklungen beeinflusst, haben aber auch umgekehrt die Fähigkeit, Entwicklungen zu beeinflussen.<ref>
<ref>Teeuwen beruft sich hier auf Koselleck 1979.</ref>
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Teeuwen beruft sich hier auf Koselleck 1979.
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Auf der Grundlage dieser Unter·scheidung geht Teeuwen nun der Frage nach, wann „Shinto“ zu einem „Begriff“ wurde, der den abstrakten Rahmen für eine Reihe theologischer und schließlich auch politischer Inter·pre·ta·tionen bildete. Als Quellen dienen ihm vor allem neuere japanische Arbeiten, die die Ver·wendung von ''shintō'' wesentlich genauer und umfassender dokumentieren als die Arbeiten, die Kuroda zugrunde lagen.  
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Auf der Grundlage dieser Unterscheidung geht Teeuwen nun der Frage nach, wann „Shintō“ zu einem „Begriff“ wurde, der den abstrakten Rahmen für eine Reihe theologischer und schließlich auch politischer Interpretationen bildete. Als Quellen dienen ihm vor allem neuere japanische Arbeiten, die die Verwendung von ''shintō'' wesentlich genauer und umfassender dokumentieren als die Arbeiten, die Kuroda zugrunde lagen.<ref>
<ref>Im besonderen Studien von Murei Hitoshi (Murei 2000), Mitsuhashi Takeshi (Mitsuhashi 1996) und Yoshida Kazuhiko (Yoshida 1996).</ref>  
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Im besonderen Studien von Murei Hitoshi (Murei 2000), Mitsuhashi Takeshi (Mitsuhashi 1996) und Yoshida Kazuhiko (Yoshida 1996).
Aus diesem Material zieht Teeuwen einige Schlussfolgerungen, die geeignet sind, der Diskussion um den Begriff Shinto eine neue Wendung zu geben.
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Aus diesem Material zieht Teeuwen einige Schlussfolgerungen, die der Diskussion um den Begriff Shintō eine neue Wendung geben.
  
===Von ''jindō'' zu Shinto===
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=== Von ''jindō'' zu Shintō ===
Bezüglich des japanischen Altertums stellt Teeuwen die These auf, dass ''shintō'' anfänglich ein bud·dhis·tischer Begriff war, der in einem bud·dhis·tischen Kontext verwendet und dort auf nicht-bud·dhis·tische lokale Gott·heiten, also Kami, angewandt wurde. Die berühmten vier Er·wähn·ungen von ''shintō'' im {{glossar:Nihonshoki}} (verfasst 720) schreibt er z.B. einem buddhistischen Mitautor dieses Werkes zu.
 
<ref>Teeuwen 2002: 238-240.</ref>
 
In Texten aus der frühen Heian-Zeit findet sich der Begriff dann nach·weislich in hohem Ausmaß bei bud·dhis·tischen Autoren, v.a. wenn es um die Bekehrung von Schrein·gott·heiten geht. Z.B. klagt die Gottheit des Tado Schreins, dass sie aufgrund karmischer Ver·strickung im Weg der Kami (''shintō'') wieder·geboren wurde. <ref>Teeuwen 2002: 241.</ref>
 
Für diese Klagen lassen sich im übrigen chinesische Textvorlagen finden.
 
<ref>Im speziellen die Mönchs·biographien ''Gaosengzhuan'' 高僧伝 und ''Xu Gaosengzhuan'' 続高僧伝 aus dem sechsten Jahr·hundert. Teeuwen stützt sich hierbei auf Yoshida Kazuhiko 1996.</ref>
 
Dies ist insofern bemerkens&shy;wert, als damit die Behauptung, die buddhistische Bekehrung ein·heimischer Götter sei eine spezifisch japanische Ent·wicklung, in Zweifel gezogen wird. Der Bud·dhis·mus kam also offenbar bereits mit einer bestimmten ''shintō''-Vor·stellung im Gepäck von China nach Japan und wandte diese dann auf die japanischen Kami an.
 
  
Das {{Glossar:Konjakumonogatari}} aus der späten Heian Zeit ist das früheste Werk, das eine {{Glossar:Furigana}}-Lesung unseres Ausdrucks enthält, nämlich ''jindō''. Es handelt sich dabei um die {{glossar:goon}} Lesung der Zeichen ''kami'' 神 und ''michi'' 道, wie dies bei bud·dhis·tischen Texten zu erwarten ist. Es ist dies ein erster Beleg, aus dem Teeuwen die These ableitet, dass der zunächst bud·dhis·tische Fach·terminus für ''kami'' und ''michi'' im Altertum nicht ''shintō'', sondern ''jindō'' gelesen wurden. Dies wäre nicht weiter von allzu großer Bedeutung, wenn nicht, wie Teeuwen meint, diese Aus·sprache, oder genauer der Wechsel der Aussprache von ''jindō'' zu ''shintō'', mit dem Über·gang „vom Wort zum Begriff“ verbunden wäre.
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Bezüglich des japanischen Altertums stellt Teeuwen die These auf, dass ''shintō'' anfänglich ein buddhistischer Begriff war, der in einem buddhistischen Kontext verwendet und dort auf nicht-buddhistische lokale Gottheiten, also ''kami'', angewandt wurde. Die viel zitierten vier Erwähnungen des Wortes „''shintō''“ im {{g|Nihonshoki}} (verfasst 720) schreibt er z.B. einem buddhistischen Mitautor dieses Werkes zu.<ref>
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Teeuwen 2002: 238-240.
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In Texten aus der frühen {{g|Heian}}-Zeit findet sich der Begriff dann nachweislich in hohem Ausmaß bei buddhistischen Autoren, v.a. wenn es um die Bekehrung von Schreingottheiten geht. Z.B. klagt die Gottheit des {{g|Tadotaisha|Tado}} Schreins, dass sie aufgrund karmischer Verstrickung im Weg der ''kami'' (''shintō'') wiedergeboren wurde.<ref>
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Teeuwen 2002: 241.
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Für diese Klagen lassen sich im übrigen chinesische Textvorlagen finden.<ref>
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Im speziellen die Mönchsbiographien ''Gaosengzhuan'' 高僧伝 und ''Xu Gaosengzhuan'' 続高僧伝 aus dem sechsten Jahrhundert. Teeuwen stützt sich hierbei auf Yoshida Kazuhiko 1996.
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Dies ist insofern bemerkenswert, als damit die Behauptung, die buddhistische Bekehrung einheimischer Götter sei eine spezifisch japanische Entwicklung, in Zweifel gezogen wird. Der Buddhismus kam also offenbar bereits mit einer bestimmten ''shintō''-Vorstellung im Gepäck von China nach Japan und wandte diese dann auf die japanischen ''kami'' an.  
  
Die wichtigste Textstelle, die diese Annahme belegt, ist ein Zitat aus einer {{glossar:Nihongi}}-Exegese des bud·dhis·tischen Mönchs {{Glossar:Ryouhen}} aus dem Jahr 1419:  
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Das {{g|Konjakumonogatari}} aus der späten Heian Zeit ist das früheste Werk, das eine {{g|Furigana}}-Lesung unseres Ausdrucks enthält, nämlich ''jindō''. Es handelt sich dabei um die {{g|goon}} Lesung der Zeichen ''kami'' 神 und ''michi'' 道, wie dies bei buddhistischen Texten zu erwarten ist. Es ist dies ein erster Beleg, aus dem Teeuwen die These ableitet, dass der zunächst buddhistische Fachterminus für ''kami'' und ''michi'' im Altertum nicht ''shintō'', sondern ''jindō'' gelesen wurde. Dies wäre nicht weiter von allzu großer Bedeutung, wenn nicht, wie Teeuwen meint, diese Aussprache, oder genauer der Wechsel der Aussprache von ''jindō'' zu ''shintō'', mit dem Übergang „vom Wort zum Begriff“ verbunden wäre.
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Die wichtigste Textstelle, die diese Annahme belegt, ist ein Zitat aus einer {{g|Nihongi}}-Exegese des buddhistischen Mönchs {{g|Ryouhen}} aus dem Jahr 1419:  
 
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On the term 神道: we do not read this ''jindō'' but ''shintō'', without voicing, to indicate its straightforward character (''sugu naru gi''). Straightforward means that it is just as it is (''ari no mama'').
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On the term 神道: we do not read this ''jindō'' but ''shintō'', without voicing, to indicate its straightforward character (''sugu naru gi''). Straightforward means that it is just as it is (''ari no mama'').<ref>
<ref>''Nihon shoki kan daiichi kikigaki'' 日本書紀巻第一聞書, nach Mitsuhashi 1996: 110–111; Ü.: Teeuwen 2002: 242.</ref>
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''Nihon shoki kan daiichi kikigaki'' 日本書紀巻第一聞書, nach Mitsuhashi 1996: 110–111; Ü.: Teeuwen 2002: 242.</ref>
 
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Hier mahnt Ryōhen, dass das Wort eben ''shintō'' und nicht ''jindō'' aus·ge·sprochen werden soll. Die stimmlose Variante wird von Ryōhen als „klar“, „unverfälscht“, „direkt“ charakterisiert.  
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Hier mahnt Ryōhen, dass das Wort eben ''shintō'' und nicht ''jindō'' ausgesprochen werden soll. Die stimmlose Variante wird von Ryōhen als „klar“, „unverfälscht“, „direkt“ charakterisiert.  
  
Aus diesem Zitat geht hervor, dass ''jindō'' zu dieser Zeit offenbar die gängige Lesung war, während Ryōhen eine neue, ungewohnte Lesung ins Spiel bringt. Der bewusste Versuch, den Begriff neu zu akzentuieren, geht Hand in Hand mit zahl·reichen Neuinter&shy;pretationen, die weiter unten noch genauer aufgezeigt werden. Daher unter·scheidet sich der Aus·druck ''jindō'', laut Teeuwen, nicht nur in der Aus·sprache vom späteren Shinto, er ist überdies kein „Begriff“ im Koselleck‘schen Sinn. ''Jindō'' bezeichnet also konkrete, einzelne Kami-bezogene Praktiken und Vor·stellungen, nicht ihre abstrakte Gesamt·heit oder ein ihnen zugrunde liegendes System.  
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Aus diesem Zitat geht hervor, dass ''jindō'' zu dieser Zeit offenbar die gängige Lesung war, während Ryōhen eine neue, ungewohnte Lesung ins Spiel bringt. Der bewusste Versuch, den Begriff neu zu akzentuieren, geht Hand in Hand mit zahlreichen Neuinterpretationen, die weiter unten noch genauer aufgezeigt werden. Daher unterscheidet sich der Ausdruck ''jindō'', laut Teeuwen, nicht nur in der Aussprache vom späteren Shintō, er ist überdies kein „Begriff“ im Koselleck‘schen Sinn. ''Jindō'' bezeichnet lediglich konkrete, einzelne ''kami''-bezogene Praktiken und Vorstellungen, nicht ihre abstrakte Gesamtheit oder ein ihnen zugrunde liegendes System.  
  
Zusammen·fassend charakterisiert Teeuwen den alter·tümlichen ''jindō'' als einen buddhistischen Terminus, der eher abwertend die ein·heimischen Götter, die ihnen zu·ge·dachten Kulte, oder den Bereich der Kami als eine Form der Wiedergeburt bezeichnete.  
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Zusammenfassend charakterisiert Teeuwen den altertümlichen ''jindō'' als einen buddhistischen Terminus, der eher abwertend die einheimischen Götter, die ihnen zugedachten Kulte, oder den Bereich der ''kami'' als eine Form der Wiedergeburt bezeichnete.<ref>
<ref>Teeuwen 2002: 247.</ref>  
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Teeuwen 2002: 247.
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Daher ist er auch in offiziellen Texten selten zu finden.
 
Daher ist er auch in offiziellen Texten selten zu finden.
  
Dem buddhistischen ''jindō'' steht das Kompositum {{glossar:jingi}}, wtl. „Götter des Himmels und der Erde“, gegenüber. Es besitzt eine ähnliche Be·deu·tung und ist natürlich ebenfalls dem Chinesischen ent·nommen, ent·springt aber einem offiziellen, „konfuzianischen“ Diskurs. Diesen Ausdruck findet man im Altertum viel häufiger
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Dem buddhistischen ''jindō'' steht das Kompositum {{g|jingi}}, wtl. „Götter des Himmels und der Erde“, gegenüber. Es besitzt eine ähnliche Bedeutung und ist natürlich ebenfalls dem Chinesischen entnommen, entspringt aber einem offiziellen, „konfuzianischen“ Diskurs. Diesen Ausdruck findet man im Altertum viel häufiger<ref>
<ref>Z.B. in den Bezeichnungen ''jingi-kan'' für das höfische „Götteramt“ oder ''jingi-ryō'' für die Gesetze, die dieses Amt und die höfischen Schrein·angelegen·heiten regeln.</ref>  
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Z.B. in den Bezeichnungen ''jingi-kan'' für das höfische „Götteramt“ oder ''jingi-ryō'' für die Gesetze, die dieses Amt und die höfischen Schreinangelegenheiten regeln.
und er ist eindeutig positiv konnotiert. Noch im 20. Jahrhundert verwenden einige japanische Autoren als Alternative zu ''shintō'' die Bezeichnung {{glossar:jingidou}}. Für das Altertum besteht nach Teeuwen jedoch eine klare Trennung zwischen den diskursiven Sphären von ''jindō'' und ''jingi'', auch wenn damit unter Um·ständen die gleichen Phäno·mene bezeichnet werden. ''Jindō'' ist also bud·dhis·tisch konnotiert, ''jingi'' höfisch.
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<ref>Teeuwen 2002: 243. In diesem Punkt unterscheidet sich Teeuwen’s Auffassung von den erwähnten „Bemerkungen“ Nelly Naumann’s, die ''shintō'' in eben jenem Sinn versteht, den Teeuwen dem Kompositum ''jingi'' zuschreibt (Naumann 1970: 13). </ref>   
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und er ist eindeutig positiv konnotiert. Noch im 20. Jahrhundert verwenden einige japanische Autoren als Alternative zu ''shintō'' die Bezeichnung {{g|jingidou}}. Für das Altertum besteht nach Teeuwen jedoch eine klare Trennung zwischen den diskursiven Sphären von ''jindō'' und ''jingi'', auch wenn damit unter Umständen die gleichen Phänomene bezeichnet werden. ''Jindō'' ist also buddhistisch konnotiert, ''jingi'' höfisch.<ref>
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Teeuwen 2002: 243. In diesem Punkt unterscheidet sich Teeuwen’s Auffassung von den erwähnten „Bemerkungen“ Nelly Naumann’s, die ''shintō'' in eben jenem Sinn versteht, den Teeuwen dem Kompositum ''jingi'' zuschreibt (Naumann 1970: 13).  
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Der „Begriff Shinto“, der sich laut Teeuwen Hand in Hand mit dem Aus·sprache·wandel verbreitet, äußert sich konkret in folgenden historischen Phänomenen:  
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Der „Begriff Shintō“, der sich laut Teeuwen Hand in Hand mit dem Aussprachewandel verbreitet, äußert sich konkret in folgenden historischen Phänomenen:  
*Shinto wird im vierzehnten und fünfzehnten Jahr·hundert vermehrt zum Gegen·stand theologischer und kosmologischer Spekulationen, zu einem Schlüssel·begriff für der Welt zugrunde liegende Prinzipien, die dem Bud·dhis·mus vorausgehen.  
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*Shintō wird im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert vermehrt zum Gegenstand Theologischer und kosmologischer Spekulationen, zu einem Schlüsselbegriff für der Welt zugrunde liegende Prinzipien, die dem Buddhismus vorausgehen.  
*Shinto taucht auf einmal in Werk·titeln und in den Selbst·bezeichnungen shintoistischer Schulen auf.<ref>Teeuwen 2002: 255.</ref>
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*Shintō taucht auf einmal in Werktiteln und in den Selbstbezeichnungen shintōistischer Schulen auf.<ref>Teeuwen 2002: 255.</ref>
*Schließlich (und damit sind wir bereits beim {{Glossar:Yoshidashintou}} und den Shinto Schulen der Edo-Zeit) wird Shinto zu einem Gegen·begriff zum Bud·dhis·mus und zu einer Klammer für einen eigenen, nationalen „Weg“ (freilich ohne dass die theologischen Unter·schiede und Grenzen zu anderen „Wegen“ oder Religionen genau definiert wären).
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*Schließlich (und damit sind wir bereits beim {{g|Yoshidashintou|Yoshida Shintō}} und den Shintō-Schulen der {{g|Edo}}-Zeit) wird Shintō zu einem Gegenbegriff zum Buddhismus und zu einer Klammer für einen eigenen, nationalen „Weg“ (freilich ohne dass die theologischen Unterschiede und Grenzen zu anderen „Wegen“ oder Religionen genau definiert wären).
  
Es bedarf kaum einer Erwähnung, dass diese Ver·änderungen nicht allein auf die zitierte Text·stelle des Ryōhen zurück·zu·führen sind und dass dieser wohl auch nicht der erste war, der für die „ungetrübte“ Aus·sprache ''shintō'' plädierte. Es mag ähnliche frühere Text·zitate geben, die uns bislang un·bekannt sind. Aber mit dieser Text·stelle gelingt Teeuwen ein faktischer Beleg für eine bewusst vollzogene Veränderung im Diskurs über ''jindō''/Shinto.
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Diese Veränderungen sind natürlich nicht allein auf die zitierte Textstelle des Ryōhen zurückzuführen. Ryōhen war wohl auch nicht der erste, der für die „ungetrübte“ Aussprache ''shintō'' plädierte. Es mag ähnliche frühere Textzitate geben, die uns bislang unbekannt sind. Aber mit dieser Textstelle gelingt Teeuwen ein faktischer Beleg für eine bewusst vollzogene Veränderung im Diskurs über ''jindō''/Shintō.
  
===Die Aufwertung von ''jindō''===
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===Die Aufwertung der ''kami''===
Etliche Entwicklungen deuten den Begriffswandel bereits an und bereiten ihn vor. Teeuwen zählt dazu in erster Linie die Auf·wertung von ''jindō'' (bzw. der Kami allgemein) innerhalb der sog. {{glossar:honjisuijaku}} Konzeption. Also jener Auf·fassung, die die Kami als „sicht·bare Spuren“ der Buddhas versteht, während man die Bud·dhas als solche nicht wahr·nehmen kann. Im Zuge der ''honji-suijaku'' Konzeption werden ins·besondere {{glossar:Amaterasu}}, später aber auch andere Kami oder die Kami schlechthin, als primordiales Prinzip interpretiert, und den Buddhas gleich oder gar höher gestellt, ohne dass dies eine Abwendung vom Buddhismus bedeutet hätte. Der Heian-zeitliche Gelehrte {{glossar:Ooemasafusa}} ist ein wichtiger Vertreter und Verbreiter dieser Auffassung,
 
<ref>Teeuwen 2002: 245–246.</ref>
 
die sich allerdings auf keinen einzelnen Autor zurück·führen lässt und in Ansätzen bereits zu Beginn der Heian-Zeit existiert. Die meisten ''honji-suijaku'' Texte stammen im übrigen von buddhistischen Mönchen.
 
  
Eine weitere Inspiration, die zum Begriffswandel von ''jindō'' führt, geht von daoistischen Quellen aus, insbesondere dem {{glossar:Yijing}}, mit dem berühmten „Shinto“- (oder genauer {{glossar:shendao}}-)Zitat:  
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Etliche Entwicklungen deuten den Begriffswandel bereits an und bereiten ihn vor. Teeuwen zählt dazu in erster Linie die Aufwertung von ''jindō'' (bzw. der ''kami'' allgemein) innerhalb der sog. {{g|honjisuijaku}} Konzeption. Also jener Auffassung, die die ''kami'' als „sichtbare Spuren“ der Buddhas versteht. In der späteren Phase der ''honji-suijaku'' Konzeption werden insbesondere {{g|Amaterasu}}, aber auch andere ''kami'' oder die ''kami'' schlechthin, als primordiales Prinzip interpretiert und den Buddhas gleich oder gar höher gestellt, ohne dass dies eine Abwendung vom Buddhismus bedeutet hätte. Der Heian-zeitliche Gelehrte {{g|Ooenomasafusa}} ist ein wichtiger Vertreter und Verbreiter dieser Auffassung,<ref>
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Teeuwen 2002: 245–246.
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die sich allerdings auf keinen einzelnen Autor zurückführen lässt und in Ansätzen bereits zu Beginn der Heian-Zeit existiert. Die meisten ''honji-suijaku'' Texte stammen im übrigen von buddhistischen Mönchen.
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Eine weitere Inspiration, die zum Begriffswandel von ''jindō'' führt, geht von daoistischen Quellen aus, insbesondere dem {{g|Yijing}}, mit dem berühmten „Shintō“- (oder genauer {{g|shendao}}-)Zitat:  
 
{{zitat|text=
 
{{zitat|text=
When we contemplate the ''shendao'' of heaven, we see how the four seasons proceed without error. The sages have laid down their teaching in accordance with this ''shendao'', and all under heaven yield submission to them.
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When we contemplate the ''shendao'' of heaven, we see how the four seasons proceed without error. The sages have laid down their teaching in accordance with this ''shendao'', and all under heaven yield submission to them.<ref>
<ref>Teeuwen 2002: 254</ref>
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Teeuwen 2002: 254.</ref>
 
}}
 
}}
Ausgehend von dieser Textstelle, in der der „Göttliche Weg“ (''shendao'') als Synonym des daoistischen Weges auftritt, öffnet sich in Japan das Tor zu Spe·ku·la·tionen über den Weg der Kami und die kosmolgischen Prinzipien des Daoismus. Diese sind aber eben nicht Teil des frühen ''jindō'' Begriffs. Daher weist Teeuwen die ver·breitete Ansicht, das ''Nihon shoki'' hätte seinen Begriff dem ''Yijing'' entnommen, auch zurück.
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Ausgehend von dieser Textstelle, in der der „Göttliche Weg“ (''shendao'') als Synonym des daoistischen Weges auftritt, öffnet sich in Japan das Tor zu Spekulationen über den Weg der ''kami'' und die kosmologischen Prinzipien des Daoismus. Diese sind aber eben nicht Teil des frühen ''jindō'' Begriffs. Daher weist Teeuwen die verbreitete Ansicht, das ''Nihon shoki'' hätte seinen Begriff dem ''Yijing'' entnommen, auch zurück.<ref>
<ref>Teeuwen 2002: 257.</ref>
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Teeuwen 2002: 257.
Für die Entwicklung des mittelalterlichen Shinto-Konzepts spielt der Daoismus hingegen eine außerordentlich wichtige Rolle.  
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Für die Entwicklung des mittelalterlichen Shintō-Konzepts spielt der {{g|doukyou2|Daoismus}} hingegen eine außerordentlich wichtige Rolle.  
  
Letztlich ergeben sich aus der Aufspaltung in ''jindō'', ''jingi'' und Shinto mehrere Bereiche der „Kami-Religion“, die analytisch ge·trennt betrachtet werden müssen: Das ''jingi''-System, also die höfischen Kulte für die Kami; lokale Schrein·kulte und Praxisformen; und ''jindō'' als buddhistischer Diskurs über die Kami, aus dem schließlich der „Begriff Shinto“ entsteht. Erst nachdem dieser Begriff Shinto ent·standen ist, kommt es unter der Ägide höfischer Priester wie der {{Glossar:Yoshidaurabe}} zu einer Synthese von Shinto und — wenn man so will — ''jingi-dō'', also höfischem „Shinto“. Dies leitet die konzeptionelle Ab·spaltung von Shinto und Bud·dhis·mus ein. Diese in die Praxis umzusetzen blieb aber in der Tat der Moderne vorbehalten, wie schon Kuroda Toshio hervorgehoben hat.
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Letztlich ergeben sich aus der Aufspaltung in ''jindō'', ''jingi'' und Shintō mehrere Bereiche der „''kami''-Religion“, die analytisch getrennt betrachtet werden müssen: 1) Das ''jingi''-System, also die höfischen Kulte für die ''kami''; 2) lokale Schreinkulte und Praxisformen; und 3) ''jindō'' als buddhistischer Diskurs über die ''kami'', aus dem schließlich der „Begriff Shintō“ entsteht. Erst nachdem dieser Begriff Shintō entstanden ist, kommt es unter der Ägide höfischer Priester wie der {{g|Yoshidaurabe}} zu einer Synthese von Shintō und — wenn man so will — ''jingi-dō'', also höfischem „Shintō“. Dies leitet die konzeptionelle Abspaltung von Shintō und Buddhismus ein. Diese in die Praxis umzusetzen blieb aber in der Tat der Moderne vorbehalten, wie schon Kuroda Toshio hervorgehoben hat.
  
==Reaktionen==
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== Reaktionen ==
Die akademischen Mühlen mahlen langsam und Teeuwens Thesen sind erst nach und nach in Fach·kreisen wahr·genommen und diskutiert worden. Einen Anlass bot z.B. ein Shinto Symposium an der Columbia Universität 2007, bei dem Teeuwen seine ''jindō''-These ein weiteres Mal präsentierte.
 
<ref>Das ''Symposium on Medieval Shintō'' unter der Ägide von Bernard Faure fand von 26.–29. April 2007 am Center for Japanese Religion der Columbia University in New York statt. Ein Band mit Bei·trägen des Symposiums ist 2009 erschienen (Faure/Como/Iyanaga 2009). Viele Teil·nehmer waren bereits drei Jahre zuvor bei einer ähnlichen Ver·anstaltung in Wien (''The Culture of Secrecy in Japanese Religion'') zu·sammen·getroffen und stehen durch die aus dieser Ver·anstaltung her·vor·gegangene Mailing Liste ''kuden-ML'' in fachlicher Verbindung. </ref>
 
Vor allem von den japanischen Zuhörern, unter denen prominente Wissen·schaftler wie Sueki Fumihiko oder Abe Yasurō vertreten waren, kamen lebhaft vorgetragene Einwände, die sich in erster Linie auf die Frage konzentrierten, in wie weit die Aus·sprache ''jindō'' linguistisch haltbar sei. Dieser Aspekt wurde von Sueki auch in der bilingualen Mailing-Liste ''kuden-ML'' auf·ge·griffen, wo er einräumte, dass die Aus·sprache ''jindō'' durchaus plausibel sei. Die Unter·scheidung von ''shintō'' und ''jindō'' sei jedoch nur schwer in japanischer Text·form aus·zu·drücken, da man sich ja in beiden Fällen der gleichen Kanji bediene. Aus diesem Grunde sei ''jindō'' als Terminus in der heutigen japanischen Religions·wissen·schaft nicht wirklich praktikabel.
 
<ref>Beitrag zur kuden-ML vom 11.5. 2007, Betreff: „jindo“.</ref>
 
Ein anderer Teilnehmer, Iyanaga Nobumi, äußerte sich in ''kuden-ML'' wesentlich zustimmender.
 
  
Dass Teeuwens These auch im Umfeld der Shinto-Universität Kokugakuin Daigaku wahr·genommen wird, lässt sich aus der Tatsache ent·nehmen, dass diese den Artikel im Rahmen ihres „Center of Excellence“ Programmes ins Japanische über·setzen ließ und die Über·setzung unentgeltlich im Internet anbietet.
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Die akademischen Mühlen mahlen langsam und Teeuwens Thesen sind erst nach und nach in Fachkreisen wahrgenommen und diskutiert worden. Einen Anlass bot z.B. ein Shintō Symposium an der Columbia Universität 2007, bei dem Teeuwen seine ''jindō''-These ein weiteres Mal präsentierte.<ref>
<ref>„[http://21coe.kokugakuin.ac.jp/articlesintranslation/ Articles in Translation]“ (Kokugakuin Daigaku online).</ref>  
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Das ''Symposium on Medieval Shintō'' unter der Ägide von Bernard Faure fand von 26.–29. April 2007 am Center for Japanese Religion der Columbia University in New York statt. Ein Band mit Beiträgen des Symposiums ist 2009 erschienen (Faure/Como/Iyanaga 2009). Viele Teilnehmer waren bereits drei Jahre zuvor bei einer ähnlichen Veranstaltung in Wien (''The Culture of Secrecy in Japanese Religion'') zusammengetroffen und stehen durch die aus dieser Veranstaltung hervorgegangene Mailing Liste ''kuden-ML'' in fachlicher Verbindung.  
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Vor allem von den japanischen Zuhörern, unter denen prominente Wissenschaftler wie {{g|Suekifumihiko}} oder {{g|Abeyasurou}} vertreten waren, kamen lebhaft vorgetragene Einwände, die sich in erster Linie auf die Frage konzentrierten, in wie weit die Aussprache ''jindō'' linguistisch haltbar sei. Dieser Aspekt wurde von Sueki auch in der bilingualen Mailing-Liste ''kuden-ML'' aufgegriffen, wo er einräumte, dass die Aussprache ''jindō'' durchaus plausibel sei. Die Unterscheidung von ''shintō'' und ''jindō'' sei jedoch nur schwer in japanischer Textform auszudrücken, da man sich ja in beiden Fällen der gleichen Kanji bediene. Aus diesem Grunde sei ''jindō'' als Terminus in der heutigen japanischen Religionswissenschaft nicht wirklich praktikabel.<ref>
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Beitrag zur kuden-ML vom 11.5. 2007, Betreff: „jindo“.
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Ein anderer Teilnehmer, {{g|Iyanaganobumi}}, äußerte sich auf ''kuden-ML'' wesentlich zustimmender.
  
Zu einer breiteren inhaltlichen Auseinandersetzung hat sich bisher aber meines Wissens lediglich Kadoya Atsushi aufgerafft, der ebenfalls 2007 am Columbia Symposium teilnahm. In einem 2009 veröffent·lichten Artikel steuert er in erster Linie Material bei, das Teeuwens These weiter unterstützt. So weist er unter anderem auf den Autor Ikō Myōan hin, einen Sprachgelehrten des 16. Jahr·hunderts, der ganz ähnlich wie Teeuwen’s Ryōhen ebenfalls auf die nicht-nigorierte Aussprache ''shintō'' anstelle von ''jindō'' pocht.
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Dass Teeuwens These auch im Umfeld der Shintō-Universität {{g|Kokugakuindaigaku}} wahrgenommen wird, lässt sich aus der Tatsache entnehmen, dass diese den Artikel im Rahmen ihres „Center of Excellence“ Programmes ins Japanische übersetzen ließ und die Übersetzung unentgeltlich im Internet anbietet.<ref>
<ref>Kadoya 2009: 38-39.</ref>
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„[http://21coe.kokugakuin.ac.jp/articlesintranslation/ Articles in Translation]“ (Kokugakuin Daigaku online).</ref>  
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts dürfte sich ''shintō'' jedenfalls durch·gesetzt haben, wie das japanisch-portugiesische Wörter·buch aus dem Jahr 1603 belegt, indem es lediglich die Lesungen ''shintō'' und ''kami no michi'' enthält. Dennoch gibt es bis Mitte der Edo-Zeit japanische Wörter·bücher, die nach wie vor die Lesung ''jindō'' enthalten.
 
<ref>Kadoya 2009: 37.</ref>
 
  
Ein weiterer Punkt, den Kadoya in die Diskussion einbringt, ist die im japanischen Mittel·alter beliebte Gleich·setzung von 神 ''shin'' (''kami'') und 心 ''shin'' (''kokoro''), an der sich eine Reihe von Spekulationen über die Identität von Geist/Seele und den Kami entspinnen. Kadoya meint, dass diese Gleich·setzung einen weiteren Anreiz dargestellt haben könnte, die stimmlose Aussprache ''shin'', dem stimmhaften ''jin'' vorzuziehen.
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Zu einer breiteren inhaltlichen Auseinandersetzung hat sich bisher aber meines Wissens lediglich {{g|kadoyaatsushi}} aufgerafft, der ebenfalls 2007 am Columbia Symposium teilnahm. In einem 2009 veröffentlichten Artikel steuert er in erster Linie Material bei, das Teeuwens These weiter unterstützt. So weist er unter anderem auf den Autor {{g|Ikoumyouan}} hin, einen Sprachgelehrten des 16. Jahrhunderts, der ganz ähnlich wie Teeuwen’s Ryōhen ebenfalls auf der nicht-nigorierten Aussprache ''shintō'' anstelle von ''jindō'' besteht.<ref>
<ref>Kadoya 2009: 42.</ref>
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Kadoya 2009: 38-39.
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Anfang des siebzehnten Jahrhunderts dürfte sich ''shintō'' jedenfalls durchgesetzt haben, wie das japanisch-portugiesische Wörterbuch {{g|nippojisho}} aus dem Jahr 1603 belegt, indem es lediglich die Lesungen ''shintō'' und ''kami no michi'' enthält. Dennoch gibt es bis Mitte der Edo-Zeit japanische Wörterbücher, die nach wie vor die Lesung ''jindō'' enthalten.<ref>
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Kadoya 2009: 37.
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Ein weiterer Punkt, den Kadoya in die Diskussion einbringt, ist die im japanischen Mittelalter beliebte Gleichsetzung von 神 ''shin'' (''kami'') und 心 ''shin'' (''kokoro''), an der sich eine Reihe von Spekulationen über die Identität von Geist/Seele und den ''kami'' entspinnen. Kadoya meint, dass dieses theologische Wortspiel einen weiteren Anreiz dargestellt haben könnte, die stimmlose Aussprache ''shin'', dem stimmhaften ''jin'' vorzuziehen.<ref>
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Kadoya 2009: 42.
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Alles in allem erfährt die ''jindō''-These jedenfalls in Kadoyas Aufsatz durchaus eine Bestätigung.  
 
Alles in allem erfährt die ''jindō''-These jedenfalls in Kadoyas Aufsatz durchaus eine Bestätigung.  
  
Schließlich hat auch ein westlicher Autor, nämlich Michael Como (ebenfalls ein Teil·nehmer des Columbia Symposiums), Teeuwens These aufgegriffen, indem er sie ohne allzu große Umschweife in den Titel seines Aufsatzes „Immigrant gods on the road to ''jindō''“ (Como 2009) intergrierte.
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Schließlich hat auch ein westlicher Autor, nämlich {{g|comomichael}} (ebenfalls ein Teilnehmer des Columbia Symposiums), Teeuwens These aufgegriffen, indem er sie ohne allzu große Umschweife in den Titel seines Aufsatzes „Immigrant gods on the road to ''jindō''“ (Como 2009) integrierte.
  
 
==Schlussbemerkung==
 
==Schlussbemerkung==
Ich selbst habe, wie unschwer zu erkennen sein wird, natürlich eben·falls große Sympathien für die ''jindō''-These. In erster Linie eröffnet sie nämlich einen Be·griff, mit dem sich die seit Kuroda unsichere Haltung gegenüber „Shinto“ konzeptionell meistern lässt. Un·abhängig, wann genau ''jindō'' durch ''shintō'' ersetzt wurde, kann ''jindō'' für uns heute zu einem Begriff (im Koselleck’schen Sinn) für „Shinto avant la lettre“ werden. Es wäre zudem ein Begriff, der auf „emischen“ Vor·stellungen beruht, also nicht allein auf einer wie immer gearteten theoretischen An·nahme beruht. Dennoch müssten wir uns bewusst bleiben, dass dieser ''jindō''-Begriff nicht identisch sein kann mit dem, was ehemals darunter ver·standen wurde, weil er für uns zwangs·läufig zu einem abstrakten Container einer nicht mehr unmittelbar erfahr·baren Wirk·lich·keit wird. Wie auch immer die Quellen·lage aussieht, werden wir überdies wohl nie mit Sicherheit behaupten können, dass es die Aus·sprache ''shintō'' vor dem Mittelalter '''nicht''' gegeben hat. Es sollte daher der linguistischen Diskussion keine über·triebene Bedeutung bei·ge·messen werden. Wichtiger scheint mir das Faktum, dass es einzelne mittel·alterliche Autoren gibt, die bewusst eine bestimmte Aus·sprache bevorzugen, um eine bestimmte Bedeutung zu unter·streichen. Im Sinne dieser Autoren kann ''jindō'' für uns zu einem Begriff werden, der den bud·dhis·tischen Diskurs über die Kami im Altertum bezeichnet.
 
  
Persönliche Einwände gegen Teeuwens Thesen habe ich allenfalls hinsichtlich der Unterscheidung von Wort und Begriff. Wie ich an anderer Stelle vorgeschlagen habe (Scheid 2009), scheinen mir die Begriffe „Primär·religion“ und „sekundäre Religion“, wie sie z.B. Jan Assmann verwendet, besser geeignet, um die Tragweite des Begriffswandels von Shinto (bzw. von ''jindō'' zu Shinto) im Verlauf des Mittelalters theoretisch zu charakterisieren.
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Ich selbst habe, wie unschwer zu erkennen sein wird, natürlich ebenfalls große Sympathien für die ''jindō''-These. In erster Linie eröffnet sie nämlich einen Begriff, mit dem sich die seit Kuroda unsichere Haltung gegenüber „Shintō“ konzeptionell meistern lässt. Unabhängig, wann genau ''jindō'' durch ''shintō'' ersetzt wurde, kann ''jindō'' für uns heute zu einem Begriff (im Koselleck’schen Sinn) für „Shintō avant la lettre“ werden. Es wäre zudem ein Begriff, der auf „emischen“ Vorstellungen beruht, also nicht allein auf einer wie immer gearteten theoretischen Annahme beruht. Dennoch müssten wir uns bewusst bleiben, dass unser ''jindō''-Begriff nicht identisch sein kann mit dem, was ehemals darunter verstanden wurde, weil er für uns zwangsläufig zu einem abstrakten Container einer nicht mehr unmittelbar erfahrbaren Wirklichkeit wird. Wie auch immer die Quellenlage aussieht, werden wir überdies wohl nie mit Sicherheit behaupten können, dass es die Aussprache ''shintō'' vor dem Mittelalter '''nicht''' gegeben hat. Es sollte daher der linguistischen Diskussion keine übertriebene Bedeutung beigemessen werden. Wichtiger scheint mir das Faktum, dass es einzelne mittelalterliche Autoren gibt, die bewusst eine bestimmte Aussprache (''shintō'') bevorzugen, um eine bestimmte Bedeutung zu unterstreichen. Indem sich diese  Autoren von ''jindō'' abgrenzen, wird daraus für uns ein Begriff, der den eigentlichen Gegenstand dieser Abgrenzung, nämlich den buddhistischen Diskurs über die ''kami'' im Altertum bezeichnet.  
<ref>S. z.B. Assmann 1999, ''Das kulturelle Gedächtnis''.</ref>
 
Dass es aber gerade in dieser Zeit zu einem entscheidenden Begriffs·wandel und damit einhergehend zu einer neuen gesell·schaftlichen Funktions·weise von „Shinto“ kam, steht auch für mich fest. Sollten sich keine gravierenden linguistischen Ein·wände gegen ''jindō'' ergeben, benötigen wir von nun an keine mühseligen Um·schreibungen oder Anführungs&shy;zeichen mehr, wenn wir diesen Wandel beschreiben, sondern können uns der Begriffe ''shintō'', ''jindō'' und ''jingi'' bedienen, um die verschiedenen Aspekte der Kami-Verehrung zu umreißen.  
 
  
Wir könnten somit die Geschichte des Shinto in eine Phase der vor·bud·dhis·tischen Religionen, eine ''jindō/jingi-dō'' Phase und eine ''shintō'' Phase unterteilen. Ironischer·weise sind in diesem Fall natürlich westliche Autoren im Vorteil, weil sich der Unter·schied nicht nur in der Aus·sprache, sondern auch im Schrift·bild ausdrückt. Wie auch Kadoya anmerkt, mag dies ein Grund dafür sein, warum die Aus·sprache des Wegs der Götter aus·gerechnet von einem westlichen Autor mit besonderer Auf·merk·samkeit bedacht wurde.
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Persönliche Einwände gegen Teeuwens Thesen habe ich allenfalls hinsichtlich der Unterscheidung von Wort und Begriff. Wie ich an anderer Stelle vorgeschlagen habe (Scheid 2009), scheinen mir die Begriffe „Primärreligion“ und „sekundäre Religion“, wie sie z.B. {{g|assmannjan}} verwendet,  besser geeignet, um die Tragweite des Begriffswandels von Shintō (bzw. von ''jindō'' zu Shintō) im Verlauf des Mittelalters theoretisch zu charakterisieren.<ref>
 
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S. z.B. Assmann 1999, ''Das kulturelle Gedächtnis''.
==Anmerkungen==
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<references/>
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Dass es aber gerade im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert  zu einem Begriffswandel und damit einhergehend zu einer neuen gesellschaftlichen Bedeutung von „Shintō“ kam, steht auch für mich fest. Sollten sich keine gravierenden linguistischen Einwände gegen ''jindō'' ergeben, benötigen wir von nun an keine mühseligen Umschreibungen oder Anführungszeichen mehr, wenn wir diesen Wandel beschreiben, sondern können uns der Begriffe ''shintō'', ''jindō'' und ''jingi'' bedienen, um die verschiedenen Aspekte und Phasen der ''kami''-Verehrung zu umreißen.  
 
 
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Wir könnten somit die Geschichte des Shintō in eine Phase der vorbuddhistischen Religionen, eine ''jindō/jingi-dō'' Phase und eine ''shintō'' Phase unterteilen. Ironischerweise sind in diesem Fall natürlich westliche Autoren im Vorteil, weil sich der Unterschied nicht nur in der Aussprache, sondern auch im Schriftbild ausdrückt. Wie auch Kadoya anmerkt, mag dies ein Grund dafür sein, warum die Aussprache des Wegs der Götter ausgerechnet von einem westlichen Autor mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht wurde.
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Version vom 6. Januar 2023, 17:31 Uhr

Jindō und shintō Zum Begriffsinhalt des ‚Weges der kami

In den 80er Jahren unterzog der einflussreiche Religionshistoriker Kuroda Toshio [Kuroda Toshio (jap.) 黒田俊雄 1923–1993; Historiker und Religionswissenschaftler] den Begriff „Shintō“ einer historischen Kritik und stellte die Existenz von Shintō als einer eigenständigen Religion damit erstmals grundsätzlich in Frage. Seither wird „Shintō“ von vielen Religionsspezialisten nur noch in Anführungszeichen gebraucht. Das drückt Vorsicht und einen Bedarf nach einer neuen Konzeption von Shintō aus, zumindest im akademischen Bereich. Versuche, tatsächlich eine Neudefinition zu wagen, sind allerdings spärlich. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung stellt die „jindō-These“ des Shintō-Spezialisten Mark Teeuwen [Teeuwen, Mark (west.) 1966–; niederländischer Japanologe und Shintō-Experte, lehrt an der Universität Oslo] dar. Teeuwen versucht dabei, die Entstehung des Begriffs Shintō historisch dort fest zu machen, wo er auch eine sprachliche Verschiebung, nämlich eine Änderung der Lesung von jindō [jindō (jap.) 神道 alternative Lesung von Shintō; vgl. Jindō und shintō] zu shintō [Shintō (jap.) 神道 Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami] aus den Quellen herauslesen zu können meint. Die Implikationen dieses Gedankens inklusive einiger Reaktionen seitens der Fachwelt und eigener Überlegungen sind das Thema dieses Essays.1

Kurodas Shintō-Kritik

Shendao.jpg
1 „Götter-Weg“ in Taiwan
Zugangsweg zu den Resten des Qingshui Schreins (jap. Shimizu Jinja 清水神社), einem unter japanischer Kolonialherrschaft in Taiwan errichteten Schrein. Auf Chinesisch kann auch ein solcher „Götterweg“ als shendao (jap. shintō) bezeichnet werden.
20. Jh. Fcuk1203, 2010, Wikimedia Commons.

Zunächst ganz kurz zu Kuroda: In seinem Artikel „Shintō in the history of Japanese religion“ aus dem Jahr 19812 fasst er vorhergehende Untersuchungen zum Begriff Shintō und seiner Verwendung (namentlich von Tsuda Sōkichi [Tsuda Sōkichi (jap.) 津田左右吉 1873–1961; jap. Historiker und Religionswissenschaftler, in der Kriegszeit wegen kritischer Geschichtsauffassung unter Berufsverbot, später rehabilitiert]) zusammen und zieht daraus den Schluss, dass es das Wort shintō zwar tatsächlich schon seit dem Altertum gibt, dass es aber nicht die Bedeutung hatte, die man heute damit verknüpft, nämlich „japanische Religion“ oder gar „japanische Urreligion“. Vielmehr sei der Ausdruck in erster Linie auf einzelne Gottheiten bezogen und würde keine systematisierte eigenständige Religion bezeichnen. Auch sei er nicht oder nur mit Einschränkungen als Gegenbegriff zum Buddhismus zu sehen. Im Unterschied zu früheren Autoren3 leitet Kuroda aus dieser Erkenntnis eine fundamentale Kritik an eben jener Vorstellung einer eigenständigen, auf die japanischen kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō] ausgerichteten Religion namens Shintō ab: Eine solche hätte es in historischer Zeit erst gegeben, als sie im Zuge der Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Restauration (Meiji Ishin [Meiji Ishin (jap.) 明治維新 Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat]) und der gewaltsamen Trennung von kami und Buddhas [Buddha (skt.) बुद्ध „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)] sozusagen von oben herab verordnet wurde.

Zugespitzt lässt sich Kurodas Shintō-These so formulieren: Shintō ist, von einzelnen theologischen Spekulationen einmal abgesehen, eine Erfindung der Moderne. In den tausend Jahren davor waren Schreinkulte in den japanischen Buddhismus eingebettet. Die gängige Darstellung einer ununterbrochenen shintōistischen Traditionslinie oder die Vorstellung von Shintō als unbewusstes Stratum, das der japanischen Kultur zugrunde liegt, sind nach Kuroda nichts anderes als Projektionen der Ideologie des Staatsshintō (kokka shintō [kokka shintō (jap.) 国家神道 Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK]) in die Vergangenheit.4

Angefangen von Allan Grapard [Grapard, Allan G. (west.) 1944–; franko-amerikanischer Japanologe und Shintō-Experte, lehrte u.a. an der University of California, St. Barbara] haben zahlreiche westliche Japanologen Kurodas Dekonstuktion des Shintō-Begriffs zum Ausgangspunkt eigener Studien gemacht. Für viele, einschließlich meiner selbst, ergibt sich jedoch früher oder später die Frage, wieso die kami überhaupt in der kollektiven Erinnerung Japans verblieben und wie es dazu kam, dass sie zum Objekt einer nicht-buddhistischen Religion wurden, wann auch immer diese entstand. Darüber hinaus gibt es im Feld des Shintō zumindest auf rituellem Gebiet offenbar doch einige erstaunlich alte und beständige Traditionen. Auch dieses beharrliche Beibehalten nicht-buddhistischer ritueller Gebräuche kann Kurodas Kritik nicht befriedigend erklären. Doch vielleicht sind es gerade diese ungeklärten Punkte, die Kurodas radikale Kritik zum Katalysator zahlreicher neuerer Forschungen — etwa Forschungen zur Genese jener theologischen Spekulationen, die den modernen Shintō vorbereiteten, oder zur Koexistenz von kami- und Buddha-Kulten (shinbutsu shūgō [shinbutsu shūgō (jap.) 神仏習合 Übereinstimmung von kami und Buddhas; shintō-buddhistischer Synkretismus]) — werden ließen.5 Trotz einer neuen thematischen Ausrichtung auf solche Fragen blieb es in der westlichen Forschung allerdings bislang bei Einzelstudien.

Shikinensengu.jpg
2 Weg einer Gottheit (Ise)
Anlässlich der periodischen Neuerrichtung der Schreinanlage von Ise, die alle 20 Jahre stattfindet, wird das Hauptheiligtum (go-shintai) des Schreins in einer nächtlichen Prozession zu seinem neuen Bestimmungsort gebracht. Das heilige Objekt ist durch Tücher verhüllt.
Meiji-Zeit. Schreinamt von Ise (Jingū Shichō), 2006.

Teeuwens jindō-These

Eine der wenigen Arbeiten, die Kurodas Ansatz systematisch aufnimmt und erweitert, ist Mark Teeuwens Aufsatz „From jindō to Shintō: A concept takes shape“ aus dem Jahr 2002. Ähnlich Kuroda widmet sich Teeuwen vorwiegend der Begriffsgeschichte von Shintō, allerdings bereichert um neues Material seitens der jüngeren japanischen Forschung und ein theoretisches Instrumentarium, das vom deutschen Historiker Reinhart Koselleck [Koselleck, Reinhart (west.) 1923–2006; deutscher Historiker des 20. Jahrhundert] (1923–2006) stammt. In seiner „Begriffsgeschichte“ des Shintō geht es Teeuwen darum:

…to lay bare the emergence of Shintō as a theological concept through an analysis of the semantic development of the term 神道 (jindō, shintō, kami no michi) in historical sources. 6

Mit Koselleck sieht Teeuwen einen entscheidenden Unterschied zwischen bloßen „Worten“ und „Begriffen“ (concepts in Teeuwens Übersetzung): Worte können klar definiert (bzw. auf konkrete Gegenstände bezogen) werden, Begriffe lediglich interpretiert. Begriffe sind abstrakt und wandelbar, aber gerade deshalb auch geschichtsmächtig. Sie werden von geschichtlichen Entwicklungen beeinflusst, haben aber auch umgekehrt die Fähigkeit, Entwicklungen zu beeinflussen.7

Auf der Grundlage dieser Unterscheidung geht Teeuwen nun der Frage nach, wann „Shintō“ zu einem „Begriff“ wurde, der den abstrakten Rahmen für eine Reihe theologischer und schließlich auch politischer Interpretationen bildete. Als Quellen dienen ihm vor allem neuere japanische Arbeiten, die die Verwendung von shintō wesentlich genauer und umfassender dokumentieren als die Arbeiten, die Kuroda zugrunde lagen.8 Aus diesem Material zieht Teeuwen einige Schlussfolgerungen, die der Diskussion um den Begriff Shintō eine neue Wendung geben.

Von jindō zu Shintō

Bezüglich des japanischen Altertums stellt Teeuwen die These auf, dass shintō anfänglich ein buddhistischer Begriff war, der in einem buddhistischen Kontext verwendet und dort auf nicht-buddhistische lokale Gottheiten, also kami, angewandt wurde. Die viel zitierten vier Erwähnungen des Wortes „shintō“ im Nihon shoki [Nihon shoki (jap.) 日本書紀 Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)] (verfasst 720) schreibt er z.B. einem buddhistischen Mitautor dieses Werkes zu.9 In Texten aus der frühen Heian [Heian (jap.) 平安 auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)]-Zeit findet sich der Begriff dann nachweislich in hohem Ausmaß bei buddhistischen Autoren, v.a. wenn es um die Bekehrung von Schreingottheiten geht. Z.B. klagt die Gottheit des Tado [Tado Taisha (jap.) 多度大社 Shintō-Schrein in der Stadt Kuwana in der Präfektur Mie] Schreins, dass sie aufgrund karmischer Verstrickung im Weg der kami (shintō) wiedergeboren wurde.10 Für diese Klagen lassen sich im übrigen chinesische Textvorlagen finden.11 Dies ist insofern bemerkenswert, als damit die Behauptung, die buddhistische Bekehrung einheimischer Götter sei eine spezifisch japanische Entwicklung, in Zweifel gezogen wird. Der Buddhismus kam also offenbar bereits mit einer bestimmten shintō-Vorstellung im Gepäck von China nach Japan und wandte diese dann auf die japanischen kami an.

Das Konjaku monogatari [Konjaku monogatari (jap.) 今昔物語 „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext] aus der späten Heian Zeit ist das früheste Werk, das eine furigana [furigana (jap.) 振り仮名 Lesehilfe für Kanji in Silbenschrift (kana)]-Lesung unseres Ausdrucks enthält, nämlich jindō. Es handelt sich dabei um die go-on [go-on (jap.) 呉音 wtl. „Lesung [nach dem Chinesisch] der Wu [Dynastie]“; alte chin. Lesung; bes. häufig bei buddh. Begriffen] Lesung der Zeichen kami 神 und michi 道, wie dies bei buddhistischen Texten zu erwarten ist. Es ist dies ein erster Beleg, aus dem Teeuwen die These ableitet, dass der zunächst buddhistische Fachterminus für kami und michi im Altertum nicht shintō, sondern jindō gelesen wurde. Dies wäre nicht weiter von allzu großer Bedeutung, wenn nicht, wie Teeuwen meint, diese Aussprache, oder genauer der Wechsel der Aussprache von jindō zu shintō, mit dem Übergang „vom Wort zum Begriff“ verbunden wäre.

Die wichtigste Textstelle, die diese Annahme belegt, ist ein Zitat aus einer Nihongi [Nihongi (jap.) 日本記 Kurzbezeichnung für Nihon shoki]-Exegese des buddhistischen Mönchs Ryōhen [Ryōhen (jap.) 良扁 buddh. Mönch des 15. Jh.s; Shintō-Theoretiker] aus dem Jahr 1419:

On the term 神道: we do not read this jindō but shintō, without voicing, to indicate its straightforward character (sugu naru gi). Straightforward means that it is just as it is (ari no mama).12

Hier mahnt Ryōhen, dass das Wort eben shintō und nicht jindō ausgesprochen werden soll. Die stimmlose Variante wird von Ryōhen als „klar“, „unverfälscht“, „direkt“ charakterisiert.

Aus diesem Zitat geht hervor, dass jindō zu dieser Zeit offenbar die gängige Lesung war, während Ryōhen eine neue, ungewohnte Lesung ins Spiel bringt. Der bewusste Versuch, den Begriff neu zu akzentuieren, geht Hand in Hand mit zahlreichen Neuinterpretationen, die weiter unten noch genauer aufgezeigt werden. Daher unterscheidet sich der Ausdruck jindō, laut Teeuwen, nicht nur in der Aussprache vom späteren Shintō, er ist überdies kein „Begriff“ im Koselleck‘schen Sinn. Jindō bezeichnet lediglich konkrete, einzelne kami-bezogene Praktiken und Vorstellungen, nicht ihre abstrakte Gesamtheit oder ein ihnen zugrunde liegendes System.

Zusammenfassend charakterisiert Teeuwen den altertümlichen jindō als einen buddhistischen Terminus, der eher abwertend die einheimischen Götter, die ihnen zugedachten Kulte, oder den Bereich der kami als eine Form der Wiedergeburt bezeichnete.13 Daher ist er auch in offiziellen Texten selten zu finden.

Dem buddhistischen jindō steht das Kompositum jingi [jingi (jap.) 神祇 wtl. Götter/Geister des Himmels und der Erde, chin. shenqi; in Japan zumeist Synonym von kami], wtl. „Götter des Himmels und der Erde“, gegenüber. Es besitzt eine ähnliche Bedeutung und ist natürlich ebenfalls dem Chinesischen entnommen, entspringt aber einem offiziellen, „konfuzianischen“ Diskurs. Diesen Ausdruck findet man im Altertum viel häufiger14 und er ist eindeutig positiv konnotiert. Noch im 20. Jahrhundert verwenden einige japanische Autoren als Alternative zu shintō die Bezeichnung jingi-dō [jingi-dō (jap.) 神祇道 „Weg der Götter des Himmels und der Erde“; Synonym von Shintō]. Für das Altertum besteht nach Teeuwen jedoch eine klare Trennung zwischen den diskursiven Sphären von jindō und jingi, auch wenn damit unter Umständen die gleichen Phänomene bezeichnet werden. Jindō ist also buddhistisch konnotiert, jingi höfisch.15

Der „Begriff Shintō“, der sich laut Teeuwen Hand in Hand mit dem Aussprachewandel verbreitet, äußert sich konkret in folgenden historischen Phänomenen:

  • Shintō wird im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert vermehrt zum Gegenstand Theologischer und kosmologischer Spekulationen, zu einem Schlüsselbegriff für der Welt zugrunde liegende Prinzipien, die dem Buddhismus vorausgehen.
  • Shintō taucht auf einmal in Werktiteln und in den Selbstbezeichnungen shintōistischer Schulen auf.16
  • Schließlich (und damit sind wir bereits beim Yoshida Shintō [Yoshida Shintō (jap.) 吉田神道 mittelalterl. Shintō-Richtung, begründet von Yoshida Kanetomo] und den Shintō-Schulen der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit) wird Shintō zu einem Gegenbegriff zum Buddhismus und zu einer Klammer für einen eigenen, nationalen „Weg“ (freilich ohne dass die theologischen Unterschiede und Grenzen zu anderen „Wegen“ oder Religionen genau definiert wären).

Diese Veränderungen sind natürlich nicht allein auf die zitierte Textstelle des Ryōhen zurückzuführen. Ryōhen war wohl auch nicht der erste, der für die „ungetrübte“ Aussprache shintō plädierte. Es mag ähnliche frühere Textzitate geben, die uns bislang unbekannt sind. Aber mit dieser Textstelle gelingt Teeuwen ein faktischer Beleg für eine bewusst vollzogene Veränderung im Diskurs über jindō/Shintō.

Die Aufwertung der kami

Etliche Entwicklungen deuten den Begriffswandel bereits an und bereiten ihn vor. Teeuwen zählt dazu in erster Linie die Aufwertung von jindō (bzw. der kami allgemein) innerhalb der sog. honji suijaku [honji suijaku (jap.) 本地垂迹 wtl. Grundform und herabgelassene Spur; Theorie der Identität von kami und Buddhas] Konzeption. Also jener Auffassung, die die kami als „sichtbare Spuren“ der Buddhas versteht. In der späteren Phase der honji-suijaku Konzeption werden insbesondere Amaterasu [Amaterasu (jap.) 天照 Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise], aber auch andere kami oder die kami schlechthin, als primordiales Prinzip interpretiert und den Buddhas gleich oder gar höher gestellt, ohne dass dies eine Abwendung vom Buddhismus bedeutet hätte. Der Heian-zeitliche Gelehrte Ōe no Masafusa [Ōe no Masafusa (jap.) 大江正房 1041–1111; Hofgelehrter der Heian-Zeit] ist ein wichtiger Vertreter und Verbreiter dieser Auffassung,17 die sich allerdings auf keinen einzelnen Autor zurückführen lässt und in Ansätzen bereits zu Beginn der Heian-Zeit existiert. Die meisten honji-suijaku Texte stammen im übrigen von buddhistischen Mönchen.

Eine weitere Inspiration, die zum Begriffswandel von jindō führt, geht von daoistischen Quellen aus, insbesondere dem Yijing [Yijing (chin.) 易経 „Buch/Leitfaden der Wandlungen“ (chin. Klassiker); jap. Ekikyō], mit dem berühmten „Shintō“- (oder genauer shendao [shendao (chin.) 神道 Göttl. Weg, Weg der Götter; chin. Aussprache von jap. shintō]-)Zitat:

When we contemplate the shendao of heaven, we see how the four seasons proceed without error. The sages have laid down their teaching in accordance with this shendao, and all under heaven yield submission to them.18

Ausgehend von dieser Textstelle, in der der „Göttliche Weg“ (shendao) als Synonym des daoistischen Weges auftritt, öffnet sich in Japan das Tor zu Spekulationen über den Weg der kami und die kosmologischen Prinzipien des Daoismus. Diese sind aber eben nicht Teil des frühen jindō Begriffs. Daher weist Teeuwen die verbreitete Ansicht, das Nihon shoki hätte seinen Begriff dem Yijing entnommen, auch zurück.19 Für die Entwicklung des mittelalterlichen Shintō-Konzepts spielt der Daoismus [Dōkyō (jap.) 道教 Daoismus, wtl. Lehre des Weges, chin. Daojiao; philosophisch-rel. Strömung Chinas; s.a. ] hingegen eine außerordentlich wichtige Rolle.

Letztlich ergeben sich aus der Aufspaltung in jindō, jingi und Shintō mehrere Bereiche der „kami-Religion“, die analytisch getrennt betrachtet werden müssen: 1) Das jingi-System, also die höfischen Kulte für die kami; 2) lokale Schreinkulte und Praxisformen; und 3) jindō als buddhistischer Diskurs über die kami, aus dem schließlich der „Begriff Shintō“ entsteht. Erst nachdem dieser Begriff Shintō entstanden ist, kommt es unter der Ägide höfischer Priester wie der Yoshida Urabe [Yoshida Urabe (jap.) 吉田卜部 höfische Priester Familie; genau genommen die Yoshida-Linie der Urabe Priesterdynastie] zu einer Synthese von Shintō und — wenn man so will — jingi-dō, also höfischem „Shintō“. Dies leitet die konzeptionelle Abspaltung von Shintō und Buddhismus ein. Diese in die Praxis umzusetzen blieb aber in der Tat der Moderne vorbehalten, wie schon Kuroda Toshio hervorgehoben hat.

Reaktionen

Die akademischen Mühlen mahlen langsam und Teeuwens Thesen sind erst nach und nach in Fachkreisen wahrgenommen und diskutiert worden. Einen Anlass bot z.B. ein Shintō Symposium an der Columbia Universität 2007, bei dem Teeuwen seine jindō-These ein weiteres Mal präsentierte.20 Vor allem von den japanischen Zuhörern, unter denen prominente Wissenschaftler wie Sueki Fumihiko [Sueki Fumihiko (jap.) 末木文美士 1949–; Spezialist für japanische Buddhismusgeschichte, Professor emeritus der Universität Tokyo.] oder Abe Yasurō [Abe Yasurō (jap.) 阿部泰郎 1953–; Spezialist für die buddhistische Literatur des japanischen Mittelalters, Universität Nagoya] vertreten waren, kamen lebhaft vorgetragene Einwände, die sich in erster Linie auf die Frage konzentrierten, in wie weit die Aussprache jindō linguistisch haltbar sei. Dieser Aspekt wurde von Sueki auch in der bilingualen Mailing-Liste kuden-ML aufgegriffen, wo er einräumte, dass die Aussprache jindō durchaus plausibel sei. Die Unterscheidung von shintō und jindō sei jedoch nur schwer in japanischer Textform auszudrücken, da man sich ja in beiden Fällen der gleichen Kanji bediene. Aus diesem Grunde sei jindō als Terminus in der heutigen japanischen Religionswissenschaft nicht wirklich praktikabel.21 Ein anderer Teilnehmer, Iyanaga Nobumi [Iyanaga Nobumi (jap.) 彌永信美 1948–; Spezialist für kulturelle Beziehungen innerhalb der buddhistischen Welt; verfasste u.a. eine Studie zu den indischen Wurzeln des japanischen Daikoku], äußerte sich auf kuden-ML wesentlich zustimmender.

Dass Teeuwens These auch im Umfeld der Shintō-Universität Kokugakuin Daigaku [Kokugakuin Daigaku (jap.) 國學院大學 Privatuniversität in Tokyo; Gründung als Ausbildungsstätte für Shintō-Priester 1882] wahrgenommen wird, lässt sich aus der Tatsache entnehmen, dass diese den Artikel im Rahmen ihres „Center of Excellence“ Programmes ins Japanische übersetzen ließ und die Übersetzung unentgeltlich im Internet anbietet.22

Zu einer breiteren inhaltlichen Auseinandersetzung hat sich bisher aber meines Wissens lediglich Kadoya Atsushi [Kadoya Atsushi (jap.) 門屋溫 1958–; japanischer Shintō-Experte, lehrt unter anderem an der Iwaki Meisei Universität] aufgerafft, der ebenfalls 2007 am Columbia Symposium teilnahm. In einem 2009 veröffentlichten Artikel steuert er in erster Linie Material bei, das Teeuwens These weiter unterstützt. So weist er unter anderem auf den Autor Ikō Myōan [Ikō Myōan (jap.) 惟高妙安 1480–1567; Sprachgelehrter] hin, einen Sprachgelehrten des 16. Jahrhunderts, der ganz ähnlich wie Teeuwen’s Ryōhen ebenfalls auf der nicht-nigorierten Aussprache shintō anstelle von jindō besteht.23 Anfang des siebzehnten Jahrhunderts dürfte sich shintō jedenfalls durchgesetzt haben, wie das japanisch-portugiesische Wörterbuch Nippo jisho [Nippo jisho (jap.) 日葡辞書 jap.-portugiesisches Wörterbuch, 1603 von jesuitischen Missionaren kompiliert; auch Vocabulario da lingoa de Iapam] aus dem Jahr 1603 belegt, indem es lediglich die Lesungen shintō und kami no michi enthält. Dennoch gibt es bis Mitte der Edo-Zeit japanische Wörterbücher, die nach wie vor die Lesung jindō enthalten.24

Ein weiterer Punkt, den Kadoya in die Diskussion einbringt, ist die im japanischen Mittelalter beliebte Gleichsetzung von 神 shin (kami) und 心 shin (kokoro), an der sich eine Reihe von Spekulationen über die Identität von Geist/Seele und den kami entspinnen. Kadoya meint, dass dieses theologische Wortspiel einen weiteren Anreiz dargestellt haben könnte, die stimmlose Aussprache shin, dem stimmhaften jin vorzuziehen.25 Alles in allem erfährt die jindō-These jedenfalls in Kadoyas Aufsatz durchaus eine Bestätigung.

Schließlich hat auch ein westlicher Autor, nämlich Michael Como [Como, Michael (west.) amerikanischer Shintō-Forscher an der Columbia University, New York] (ebenfalls ein Teilnehmer des Columbia Symposiums), Teeuwens These aufgegriffen, indem er sie ohne allzu große Umschweife in den Titel seines Aufsatzes „Immigrant gods on the road to jindō“ (Como 2009) integrierte.

Schlussbemerkung

Ich selbst habe, wie unschwer zu erkennen sein wird, natürlich ebenfalls große Sympathien für die jindō-These. In erster Linie eröffnet sie nämlich einen Begriff, mit dem sich die seit Kuroda unsichere Haltung gegenüber „Shintō“ konzeptionell meistern lässt. Unabhängig, wann genau jindō durch shintō ersetzt wurde, kann jindō für uns heute zu einem Begriff (im Koselleck’schen Sinn) für „Shintō avant la lettre“ werden. Es wäre zudem ein Begriff, der auf „emischen“ Vorstellungen beruht, also nicht allein auf einer wie immer gearteten theoretischen Annahme beruht. Dennoch müssten wir uns bewusst bleiben, dass unser jindō-Begriff nicht identisch sein kann mit dem, was ehemals darunter verstanden wurde, weil er für uns zwangsläufig zu einem abstrakten Container einer nicht mehr unmittelbar erfahrbaren Wirklichkeit wird. Wie auch immer die Quellenlage aussieht, werden wir überdies wohl nie mit Sicherheit behaupten können, dass es die Aussprache shintō vor dem Mittelalter nicht gegeben hat. Es sollte daher der linguistischen Diskussion keine übertriebene Bedeutung beigemessen werden. Wichtiger scheint mir das Faktum, dass es einzelne mittelalterliche Autoren gibt, die bewusst eine bestimmte Aussprache (shintō) bevorzugen, um eine bestimmte Bedeutung zu unterstreichen. Indem sich diese Autoren von jindō abgrenzen, wird daraus für uns ein Begriff, der den eigentlichen Gegenstand dieser Abgrenzung, nämlich den buddhistischen Diskurs über die kami im Altertum bezeichnet.

Persönliche Einwände gegen Teeuwens Thesen habe ich allenfalls hinsichtlich der Unterscheidung von Wort und Begriff. Wie ich an anderer Stelle vorgeschlagen habe (Scheid 2009), scheinen mir die Begriffe „Primärreligion“ und „sekundäre Religion“, wie sie z.B. Jan Assmann [Assmann, Jan (west.) 1938–; deutscher Ägyptologe, Religions- und Kulturwissenschaftler] verwendet, besser geeignet, um die Tragweite des Begriffswandels von Shintō (bzw. von jindō zu Shintō) im Verlauf des Mittelalters theoretisch zu charakterisieren.26 Dass es aber gerade im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert zu einem Begriffswandel und damit einhergehend zu einer neuen gesellschaftlichen Bedeutung von „Shintō“ kam, steht auch für mich fest. Sollten sich keine gravierenden linguistischen Einwände gegen jindō ergeben, benötigen wir von nun an keine mühseligen Umschreibungen oder Anführungszeichen mehr, wenn wir diesen Wandel beschreiben, sondern können uns der Begriffe shintō, jindō und jingi bedienen, um die verschiedenen Aspekte und Phasen der kami-Verehrung zu umreißen.

Wir könnten somit die Geschichte des Shintō in eine Phase der vorbuddhistischen Religionen, eine jindō/jingi-dō Phase und eine shintō Phase unterteilen. Ironischerweise sind in diesem Fall natürlich westliche Autoren im Vorteil, weil sich der Unterschied nicht nur in der Aussprache, sondern auch im Schriftbild ausdrückt. Wie auch Kadoya anmerkt, mag dies ein Grund dafür sein, warum die Aussprache des Wegs der Götter ausgerechnet von einem westlichen Autor mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht wurde.

Verweise

Fußnoten

  1. Dieser Artikel ist aus einem Manuskript für einen Vortrag entstanden, den der Autor dieses Handbuchs bei einem Workshop des Arbeitskreises Japanische Religionen zum Thema „Herausbildung religiöser Begrifflichkeiten in Japan“ hielt. (Universität Tübingen, Seminar für Japanologie, 7. Mai 2010.)
  2. Der Artikel (Kuroda 1981) wurde von James Dobbins und Suzanne Gay auf der Grundlage eines japanischen Manuskripts übersetzt, das erst zwei Jahre später auf Japanisch, als Kapitel von Kurodas Ōbō to Buppō 王法と仏法 (Kuroda 1983: 52–78), veröffentlicht wurde.
  3. Kritik am Shintō Begriff ist auch schon vor Kuroda laut geworden, selbst in der Ära des Staatsshintō. So schrieb etwa Oka Masao 岡正雄 in seiner 1933 auf Deutsch verfassten Dissertation Die Kulturschichten Alt-Japans, folgende bemerkenswerte Feststellung:
    Schon der primitive Shintō, welcher gewöhnlich als eigentliche Religion Japans bezeichnet wird, war sicherlich nicht einheitlich, eher kann er als unsystematische Verschmelzung aller um Christi Geburt in Japan vorhandenen und eingeführten Religionen angesprochen werden. Es geht daher nicht an, den Shintō als eine selbstständige Religion zu behandeln (Oka 2012 [1933]: 289).
    Ähnlich äußert sich Nelly Naumann in ihren „Bemerkungen zum sogenannten Ur-Shintō“ (Naumann 1970).
  4. Kuroda 1981: 1–3 und 19–21.
  5. Zur Kuroda Rezeption s. u.a. James Dobbins 1996: The Legacy of Kuroda Toshio. Sammelbände mit westlichen Beiträgen zur von Kuroda Toshio aufgeworfenen Shintō-Problematik sind vor allem der Initiative Mark Teeuwens zu verdanken. Vgl. Breen und Teeuwen 2000: Shintō in History: Ways of the Kami; Teeuwen und Scheid 2002, Tracing Shintō in the History of Kami Worship; Teeuwen und Rambelli 2003: Kami and Buddhas: Honji suijaku as a Combinatory Paradigm; Scheid und Teeuwen 2006: The Concept of Secrecy in Japanese Religion; oder Faure, Como und Iyanaga 2009: Rethinking Medieval Shintō.
  6. Teeuwen 2002: 234.
  7. Teeuwen beruft sich hier auf Koselleck 1979.
  8. Im besonderen Studien von Murei Hitoshi (Murei 2000), Mitsuhashi Takeshi (Mitsuhashi 1996) und Yoshida Kazuhiko (Yoshida 1996).
  9. Teeuwen 2002: 238-240.
  10. Teeuwen 2002: 241.
  11. Im speziellen die Mönchsbiographien Gaosengzhuan 高僧伝 und Xu Gaosengzhuan 続高僧伝 aus dem sechsten Jahrhundert. Teeuwen stützt sich hierbei auf Yoshida Kazuhiko 1996.
  12. Nihon shoki kan daiichi kikigaki 日本書紀巻第一聞書, nach Mitsuhashi 1996: 110–111; Ü.: Teeuwen 2002: 242.
  13. Teeuwen 2002: 247.
  14. Z.B. in den Bezeichnungen jingi-kan für das höfische „Götteramt“ oder jingi-ryō für die Gesetze, die dieses Amt und die höfischen Schreinangelegenheiten regeln.
  15. Teeuwen 2002: 243. In diesem Punkt unterscheidet sich Teeuwen’s Auffassung von den erwähnten „Bemerkungen“ Nelly Naumann’s, die shintō in eben jenem Sinn versteht, den Teeuwen dem Kompositum jingi zuschreibt (Naumann 1970: 13).
  16. Teeuwen 2002: 255.
  17. Teeuwen 2002: 245–246.
  18. Teeuwen 2002: 254.
  19. Teeuwen 2002: 257.
  20. Das Symposium on Medieval Shintō unter der Ägide von Bernard Faure fand von 26.–29. April 2007 am Center for Japanese Religion der Columbia University in New York statt. Ein Band mit Beiträgen des Symposiums ist 2009 erschienen (Faure/Como/Iyanaga 2009). Viele Teilnehmer waren bereits drei Jahre zuvor bei einer ähnlichen Veranstaltung in Wien (The Culture of Secrecy in Japanese Religion) zusammengetroffen und stehen durch die aus dieser Veranstaltung hervorgegangene Mailing Liste kuden-ML in fachlicher Verbindung.
  21. Beitrag zur kuden-ML vom 11.5. 2007, Betreff: „jindo“.
  22. Articles in Translation“ (Kokugakuin Daigaku online).
  23. Kadoya 2009: 38-39.
  24. Kadoya 2009: 37.
  25. Kadoya 2009: 42.
  26. S. z.B. Assmann 1999, Das kulturelle Gedächtnis.

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck, 1999. [Erstausgabe 1992.]
John Breen, Mark Teeuwen (Hg.), Shinto in History: Ways of the Kami. London: Curzon, 2000.
Michael Como, „Immigrant gods on the road to jindō“. In: Bernard Faure, Michael Como und Iyanaga Nobumi (Hg.), Rethinking Medieval Shintō. Cahiers d’Extrême-Asie 16, 2009, 49–69.
James Dobbins (Hg.), The Legacy of Kuroda Toshio. Japanese Journal of Religious Studies 23/3–4, 1996. (Online.) [Sondernummer des JJRS.]
Bernard Faure, e.a (Hg.), Rethinking Medieval Shintō. Cahiers d’Extrême-Asie 16, 2009. [Zeitschriften-Sonderband.]
Kadoya Atsushi 門屋温, „‚Shintō‘ no seiritsu o megutte: ‚Jindō‘-ron e no saikentō“ 「神道」の成立をめぐって―「ジンドウ」論への再検討. Tōyō no shisō to shūkyū 26 (2009), 30–47.
Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft: Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1979.
Kuroda Toshio, „Shinto in the History of Japanese Religion“. Journal of Japanese Studies 7:1 (1981), 1–22. (Online.) [Ü. J. Dobbins und S. Gay.]
Kuroda Toshio 黒田俊雄, „Nihon shūkyōshi-jō no shintō 日本宗教史上の神道“. In: Kuroda Toshio 黒田俊雄 (Hg.), Ōbō to buppō:chūseishi no kōzu 王法と仏法―中世史の構図. Kyoto: Hōzōkan, 1983, 52–78.
Nelly Naumann, „Einige Bemerkungen zum sogenannten Ur-Shintô“. Nachrichten der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (NOAG) 107/108 (1970), 5–13.
Mitsuhashi Takeshi 三橋健, „Kiki to shintō to iu go 記紀と神道という語“. In: Kojiki gakkai 古事記学会 (Hg.), Kojiki no sekai, jō 古事記の世界 上 (Kojiki kenkyū taikei 11). Tokyo: Takashina Shoten, 1996.
Murei Hitoshi 牟礼仁, Chūsei shintōsetsu keisei ronkō 中世神道説形成論考. Ise: Kōgakkan Daigaku Shuppanbu, 2000.
Masao Oka, Josef Kreiner, Kulturschichten in Alt-Japan. Bonn: Bier'sche Verlagsanstalt, 2012. [2 Bände; Neuedition der Dissertation von Oka Masao an der Universität Wien, 1933.]
Bernhard Scheid, „Memories of the Divine Age: Shintō seen through Jan Assmann’s concepts of religion“. In: Bernard Faure, Michael Como und Iyanaga Nobumi (Hg.), Rethinking Medieval Shintō. Cahiers d’Extrême-Asie 16, 2009, 327–341.
Bernhard Scheid, Mark Teeuwen (Hg.), The culture of secrecy in Japanese religion. London: Routledge, 2006.
Mark Teeuwen, „From jindō to Shinto: A concept takes shape“. Japanese Journal of Religious Studies 29/3–4 (2002), 233–263. (Online.)
Mark Teeuwen, Bernhard Scheid (Hg.), Tracing Shinto in the History of Kami Worship. Japanese Journal of Religious Studies 29/3–4, 2002. (Online.) [Sondernummer des JJRS.]
Mark Teeuwen, Fabio Rambelli (Hg.), Buddhas and Kami in Japan: Honji Suijaku as a Combinatory Paradigm. London, New York: RoutledgeCurzon, 2003.
Yoshida Kazuhiko 吉田一彦, „Tado jingūji to shinbutsu shūgō: Chūgoku no shinbutsu shūgō shisō no juyō o megutte 多度神宮寺と神仏習合―中国の神仏習合思想の受容をめぐって“. In: Umemura Takashi 梅村喬 (Hg.), Isewan to kodai no tōkai 伊勢湾と古代の東海. Tokyo: Meicho Shuppan, 1996.

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Shendao.jpg
    Zugangsweg zu den Resten des Qingshui Schreins (jap. Shimizu Jinja 清水神社), einem unter japanischer Kolonialherrschaft in Taiwan errichteten Schrein. Auf Chinesisch kann auch ein solcher „Götterweg“ als shendao (jap. shintō) bezeichnet werden.
    20. Jh. Fcuk1203, 2010, Wikimedia Commons.
  1. ^ 
    Shikinensengu.jpg
    Anlässlich der periodischen Neuerrichtung der Schreinanlage von Ise, die alle 20 Jahre stattfindet, wird das Hauptheiligtum (go-shintai) des Schreins in einer nächtlichen Prozession zu seinem neuen Bestimmungsort gebracht. Das heilige Objekt ist durch Tücher verhüllt.
    Meiji-Zeit. Schreinamt von Ise (Jingū Shichō), 2006.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Abe Yasurō 阿部泰郎 ^ 1953–; Spezialist für die buddhistische Literatur des japanischen Mittelalters, Universität Nagoya
  • Amaterasu 天照 ^ Sonnengottheit; Ahnherrin des Tennō-Geschlechts; Hauptgottheit von Ise
  • Assmann, Jan (west.) ^ 1938–; deutscher Ägyptologe, Religions- und Kulturwissenschaftler
  • Buddha (skt.) बुद्ध ^ „Der Erleuchtete“ (jap. butsu, hotoke 仏 oder Budda 仏陀)
  • Como, Michael (west.) ^ amerikanischer Shintō-Forscher an der Columbia University, New York
  • Dōkyō 道教 ^ Daoismus, wtl. Lehre des Weges, chin. Daojiao; philosophisch-rel. Strömung Chinas; s.a.
  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • furigana 振り仮名 ^ Lesehilfe für Kanji in Silbenschrift (kana)
  • go-on 呉音 ^ wtl. „Lesung [nach dem Chinesisch] der Wu [Dynastie]“; alte chin. Lesung; bes. häufig bei buddh. Begriffen
  • Grapard, Allan G. (west.) ^ 1944–; franko-amerikanischer Japanologe und Shintō-Experte, lehrte u.a. an der University of California, St. Barbara
  • Heian 平安 ^ auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)
  • honji suijaku 本地垂迹 ^ wtl. Grundform und herabgelassene Spur; Theorie der Identität von kami und Buddhas
  • Ikō Myōan 惟高妙安 ^ 1480–1567; Sprachgelehrter
  • Iyanaga Nobumi 彌永信美 ^ 1948–; Spezialist für kulturelle Beziehungen innerhalb der buddhistischen Welt; verfasste u.a. eine Studie zu den indischen Wurzeln des japanischen Daikoku
  • jindō 神道 ^ alternative Lesung von Shintō; vgl. Jindō und shintō
  • jingi 神祇 ^ wtl. Götter/Geister des Himmels und der Erde, chin. shenqi; in Japan zumeist Synonym von kami
  • jingi-dō 神祇道 ^ „Weg der Götter des Himmels und der Erde“; Synonym von Shintō
  • Kadoya Atsushi 門屋溫 ^ 1958–; japanischer Shintō-Experte, lehrt unter anderem an der Iwaki Meisei Universität
  • kami^ Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
  • kokka shintō 国家神道 ^ Staatsshintō, staatliche Ideologie der Moderne vor dem 2. WK
  • Kokugakuin Daigaku 國學院大學 ^ Privatuniversität in Tokyo; Gründung als Ausbildungsstätte für Shintō-Priester 1882
  • Konjaku monogatari 今昔物語 ^ „Geschichten aus alter und neuer Zeit“ (12. Jh.); umfangreiche Sammlung von Geschichten und Anekdoten, meist aus einem buddhistischen Kontext
  • Koselleck, Reinhart (west.) ^ 1923–2006; deutscher Historiker des 20. Jahrhundert
  • Kuroda Toshio 黒田俊雄 ^ 1923–1993; Historiker und Religionswissenschaftler
  • Meiji 明治 ^ posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt
  • Meiji Ishin 明治維新 ^ Meiji Restauration, wtl. Meiji-Erneuerung, umfasst den politischen Umsturz 1867–68 und die nachfolgende Konsolidierung Japans als moderner Nationalstaat
  • Nihongi 日本記 ^ Kurzbezeichnung für Nihon shoki
  • Nihon shoki 日本書紀 ^ Zweitältestes Schriftwerk und erste offizielle Reichschronik Japans (720)
  • Nippo jisho 日葡辞書 ^ jap.-portugiesisches Wörterbuch, 1603 von jesuitischen Missionaren kompiliert; auch Vocabulario da lingoa de Iapam
  • Ōe no Masafusa 大江正房 ^ 1041–1111; Hofgelehrter der Heian-Zeit
  • Ryōhen 良扁 ^ buddh. Mönch des 15. Jh.s; Shintō-Theoretiker
  • shendao (chin.) 神道 ^ Göttl. Weg, Weg der Götter; chin. Aussprache von jap. shintō
  • shinbutsu shūgō 神仏習合 ^ Übereinstimmung von kami und Buddhas; shintō-buddhistischer Synkretismus
  • Shintō 神道 ^ Shintō; wtl. Weg der Götter, Weg der kami
  • Sueki Fumihiko 末木文美士 ^ 1949–; Spezialist für japanische Buddhismusgeschichte, Professor emeritus der Universität Tokyo.
  • Tado Taisha 多度大社 ^ Shintō-Schrein in der Stadt Kuwana in der Präfektur Mie
  • Teeuwen, Mark (west.) ^ 1966–; niederländischer Japanologe und Shintō-Experte, lehrt an der Universität Oslo
  • Tsuda Sōkichi 津田左右吉 ^ 1873–1961; jap. Historiker und Religionswissenschaftler, in der Kriegszeit wegen kritischer Geschichtsauffassung unter Berufsverbot, später rehabilitiert
  • Yijing (chin.) 易経 ^ „Buch/Leitfaden der Wandlungen“ (chin. Klassiker); jap. Ekikyō
  • Yoshida Shintō 吉田神道 ^ mittelalterl. Shintō-Richtung, begründet von Yoshida Kanetomo
  • Yoshida Urabe 吉田卜部 ^ höfische Priester Familie; genau genommen die Yoshida-Linie der Urabe Priesterdynastie