Alltag/Yamabushi/Itako: Unterschied zwischen den Versionen

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{{fl|I}}{{g|Itako | ''tako''}} sind blinde Medien („Shamaninnen“), die in einem Ritual namens {{g|Kuchiyose}} („Herbeirufung des Mundes“) die Toten aus dem Jen·seits her·bei·rufen und ihnen ihre Stimme leihen. Auf diese Weise kann man mit den Seelen ver·stor·bener Ver·wand·ter in Kontakt treten. Der Kult der ''itako'' war in der {{g|edo}}-Zeit weit verbreitet (s.u.), wird heute allerdings nur noch in Nord-Japan praktiziert. Dort stellt er einen Be·stand·teil des tra·di·tio·nellen [[Alltag/Totenriten|Bestattungsbrauchtums]] dar. Darüber hinaus finden zweimal jährlich (20.–24.7. und 9.–11.10.) am {{g|Osorezan}}, einem Berg am nördlichsten Zipfel der Hauptinsel Honshū, religiöse Feste ({{g|Matsuri}}) statt, bei denen auch ''itako'' ihre Dienste an·bieten. Die Bilder auf dieser Seite stammen von solchen Anlässen.
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{{fl|I}}{{g|Itako | ''tako''}} sind blinde Medien („Shamaninnen“), die in einem Ritual namens {{g|Kuchiyose}} („Herbei·rufung des Mundes“) die Toten aus dem Jen·seits her·bei·rufen und ihnen ihre Stimme leihen. Auf diese Weise kann man mit den Seelen ver·stor·bener Ver·wand·ter in Kontakt treten. Der Kult der ''itako'' war in der {{g|edo}}-Zeit weit verbreitet (s.u.), wird heute aller·dings nur noch in Nord-Japan praktiziert. Dort stellt er einen Be·stand·teil des tra·di·tio·nellen [[Alltag/Totenriten|Bestattungsbrauchtums]] dar. Darüber hinaus finden zweimal jährlich (20.–24.7. und 9.–11.10.) am {{g|Osorezan}}, einem Berg am nördlichsten Zipfel der Haupt·insel Honshū, religiöse Feste ({{g|Matsuri}}) statt, bei denen auch ''itako'' ihre Dienste an·bieten. Die Bilder auf dieser Seite stammen von solchen Anlässen.
  
 
== ''Itako'' des Osore-zan ==
 
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Die ''itako'' verfügen über einen eigenen, nur halb ver·ständ·lichen Sprech·gesang, durch den sie die Bot·schaften der Ver·stor·benen über·mitteln. Bei den Massen·events am Osore-zan werden zunächst Erkun·digun·gen über den Ver·stor·benen einge·zogen, sowohl hinsicht·lich seiner Bezie·hung zu den jewei·ligen Hinter·bliebenen als auch hin·sichtlich der Um·stände seines Ablebens. Die Berichte der Toten folgen dann, sofern ver·ständlich, ganz offen·sicht·lich vor·gefer·tigten Mustern.<!--
 
Die ''itako'' verfügen über einen eigenen, nur halb ver·ständ·lichen Sprech·gesang, durch den sie die Bot·schaften der Ver·stor·benen über·mitteln. Bei den Massen·events am Osore-zan werden zunächst Erkun·digun·gen über den Ver·stor·benen einge·zogen, sowohl hinsicht·lich seiner Bezie·hung zu den jewei·ligen Hinter·bliebenen als auch hin·sichtlich der Um·stände seines Ablebens. Die Berichte der Toten folgen dann, sofern ver·ständlich, ganz offen·sicht·lich vor·gefer·tigten Mustern.<!--
 
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So berichtet Carmen Blacker von ihren Feldforschungen am Osore-zan in den späten 1950er Jahren, dass Tote des Weltkriegs, die von den ''itako'' damals noch häufig aus dem Jenseits herbeigerufen wurden, standardmäßig erzählten, dass sie nun im {{g|Yasukunijinja|Yasukuni}} Schrein in Tōkyō ihre Ruhe gefunden hätten (Blacker 1975, S. 160).
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So berichtet Carmen Blacker von ihren Feld·forschungen am Osore-zan in den späten 1950er Jahren, dass Tote des Weltkriegs, die von den ''itako'' damals noch häufig aus dem Jenseits herbei·gerufen wurden, standardmäßig erzählten, dass sie nun im {{g|Yasukunijinja|Yasukuni}} Schrein in Tōkyō ihre Ruhe gefunden hätten (Blacker 1975, S. 160).
</ref> Dennoch sind die Kunden der ''itako'' meist sehr ergriffen und erhalten durch sie seelischen Trost.
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</ref> Dennoch sind die Kunden der ''itako'' meist sehr er·grif·fen und erhalten durch sie seelischen Trost.
 
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Ähnlich wie die {{g|Yamabushi}}, sind auch die ''itako'' zumeist mit be·stimm·ten Tempeln oder Schreinen affiliiert, ohne jedoch ein·deutig dem Buddhis·mus oder dem Shintō zuge·ordnet werden zu können.<ref>Knecht 1997.</ref> Während die ''itako'' heute vor allem Totengeister her·bei·rufen, welche auch als {{g|hotoke}} (wtl. Buddhas) an·ge·spro·chen werden, ist ihr tra·di·tio·nelles Repertoire reich·hal·tiger und umfasst auch das Herabrufen von {{g|kami}}, also von Schreingottheiten.<!--
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Ähnlich wie die {{g|Yamabushi}}, sind auch die ''itako'' zumeist mit be·stimm·ten Tempeln oder Schreinen affi·liiert, ohne jedoch ein·deutig dem Buddhis·mus oder dem Shintō zuge·ordnet werden zu können.<ref>Knecht 1997.</ref> Während die ''itako'' heute vor allem Toten·geister her·bei·rufen, welche auch als {{g|hotoke}} (wtl. Buddhas) an·ge·spro·chen werden, ist ihr tra·di·tio·nelles Reper·toire reich·hal·tiger und umfasst auch das Herab·rufen von {{g|kami}}, also von Schreingottheiten.<!--
 
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== Geisterseherinnen in der Edo- und Meiji-Zeit ==
 
== Geisterseherinnen in der Edo- und Meiji-Zeit ==
  
''Itako'' sind die Erbinnen einer einst weit verbreiteten Kultur von fah·ren·den Künstlern, Heilern und Schaustellern, die in der Edo-Zeit zu fixen Gilden zu·sam·men·wuch·sen. Zu diesen gehörten unter anderem auch ''yamabushi'', Yin-Yang Meister ({{g|onmyouji}}), blinde Sängerinnen ({{g|goze}}) oder Schrein·pries·ter·innen ({{g|miko}}), die verschiedene Tänze und Gesänge vorführten. Shamaninnen, die sich wie die ''itako'' auf Geis·ter·be·schwö·run·gen spe·zia·li·sierten, wurden damals ebenfalls als ''miko'' bezeichnet. Diese ''miko'' wurden in Ostjapan von Edo aus kontrolliert, und zwar von einem gewissen {{g|Tamurahachidaiyuu}}, der seinen Sitz im Sanja-Schrein, dem heutigen {{g|Asakusajinja}} hatte.<!--
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''Itako'' sind die Erbinnen einer einst weit ver·breiteten Kultur von fah·ren·den Künstlern, Heilern und Schaustellern, die in der Edo-Zeit zu fixen Gilden zu·sam·men·wuch·sen. Zu diesen gehörten unter anderem auch ''yamabushi'', Yin-Yang Meister ({{g|onmyouji}}), blinde Sänger·innen ({{g|goze}}) oder Schrein·pries·ter·innen ({{g|miko}}), die verschiedene Tänze und Gesänge vorführten. Shaman·innen, die sich wie die ''itako'' auf Geis·ter·be·schwö·run·gen spe·zia·li·sierten, wurden damals eben·falls als ''miko'' bezeichnet. Diese ''miko'' wurden in Ostjapan von Edo aus kon·trol·liert, und zwar von einem gewissen {{g|Tamurahachidaiyuu}}, der seinen Sitz im Sanja-Schrein, dem heutigen {{g|Asakusajinja}} hatte.<!--
 
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Ähnlich wie im Kabuki Theater, war Tamura Hachidaiyū zunächst ein individueller Name, der ab dem acht·zehn·ten Jahr·hun·dert, als  sich die Tradition gefestigt hatte, erblich wei·ter·ge·ge·ben wurde (Groemer 2007).
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Ähnlich wie im Kabuki Theater, war Tamura Hachidaiyū zunächst ein individueller Name, der ab dem acht·zehn·ten Jahr·hun·dert, als  sich die Tradition ge·festigt hatte, erblich wei·ter·ge·ge·ben wurde (Groemer 2007).
 
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Seine Kontrolle erstreckte sich im acht·zehn·ten Jahr·hun·dert auf über 800 Familien, deren weib·liche Mitglieder vor·wie·gend als Geis·ter·se·he·rinnen tätig waren, während sich die Männer zumeist mit dem Handel von Talismanen ({{g|ofuda}}) verdingten. Beide mussten dem Hachidayū einen Teil ihrer Einkünfte abtreten. Obwohl viele dieser Priesterinnen blind waren, scheint dies keine unbedingte Voraussetzung für die  ''kuchiyose'' Praxis gewesen zu sein. Im Norden Japans bestand aller·dings schon in der Edo-Zeit eine feste Verbindung zwischen Blind·heit und ''kuchiyose''.<ref>Groemer 2007, S. 46, Fn. 2.</ref>
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Seine Kontrolle er·streckte sich im acht·zehn·ten Jahr·hun·dert auf über 800 Familien, deren weib·liche Mitglieder vor·wie·gend als Geis·ter·se·he·rinnen tätig waren, während sich die Männer zumeist mit dem Handel von Talismanen ({{g|ofuda}}) verdingten. Beide mussten dem Hachidayū einen Teil ihrer Einkünfte abtreten. Obwohl viele dieser Priesterinnen blind waren, scheint dies keine un·bedingte Voraus·setzung für die  ''kuchiyose'' Praxis gewesen zu sein. Im Norden Japans bestand aller·dings schon in der Edo-Zeit eine feste Ver·bindung zwischen Blind·heit und ''kuchiyose''.<ref>Groemer 2007, S. 46, Fn. 2.</ref>
  
 
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Hinsichtlich der Bezeichnung gab es früher wie heute große Un·ter·schie·de. Ein in Nord-Japan selbst geläufiger Terminus for Geis·ter·se·he·rin·nen ist ''kamisama'', ein Wort, das zugleich auch „Gottheit“ oder „Chef“ bedeuten kann. {{g|Azusa|''Azusa''}} bezeichnet zunächst eine bestimmte Baumart, die als Katalpe oder Trompetenbaum übersetzt wird, allerdings scheinen verschiedene botanische Bezeichnung in ''azusa'' zusammengefasst zu sein. Aus diesen Hölzern fertigten japanische „Shamanen“ und „Shamaninnen“ jedenfalls Bögen an, die sie in ''kuchiyose''-Riten einsetzten. Diese Bögen wurden als ''azusa-yumi'' oder kurz als  ''azusa'' bezeichnet. ''Azusa miko'' waren also Shamaninnen, die mit ''azusa'' (oder Katalpa-Bögen)  Geister beschwörten.  
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Hinsichtlich der Be·zeichnung gab es früher wie heute große Un·ter·schie·de. Ein in Nord-Japan selbst geläufiger Terminus for Geis·ter·se·he·rin·nen ist ''kamisama'', ein Wort, das zugleich auch „Gottheit“ oder „Chef“ bedeuten kann. {{g|Azusa|''Azusa''}} bezeichnet zunächst eine bestimmte Baumart, die als Katalpe oder Trompetenbaum übersetzt wird, allerdings scheinen ver·schiedene botanische Be·zeich·nung in ''azusa'' zusammengefasst zu sein. Aus diesen Hölzern fertigten ja·panische „Shamanen“ und „Shamaninnen“ jeden·falls Bögen an, die sie in ''kuchiyose''-Riten ein·setzten. Diese Bögen wurden als ''azusa-yumi'' oder kurz als  ''azusa'' bezeichnet. ''Azusa miko'' waren also Shamaninnen, die mit ''azusa'' (oder Katalpa-Bögen)  Geister beschwörten.  
 
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Der Katalpa Bogen, der mit einem Bambusrohr zum Klingen gebracht wurde, war das klassische Instrument, mit dem man die Her·bei·ru·fung von Göttern und Geistern begleitete.<ref>Groemer 2007, S. 39.</ref> Laut einer literarischen Be·schrei·bung eines Geis·ter·be·schwö·rungs-Rituals von {{g|Santoukyouden}} (1761–1816), bestanden die Botschaften von Verstorbenen, die durch den Mund der Shamaninnen zu hören waren, vor allem aus Be·schrei·bun·gen der bud·dhis·tischen [[mythen/Hoellen|Hölle]].  
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Der Katalpa Bogen, der mit einem Bambus·rohr zum Klingen gebracht wurde, war das klassische Instrument, mit dem man die Her·bei·ru·fung von Göttern und Geistern be·gleitete.<ref>Groemer 2007, S. 39.</ref> Laut einer literarischen Be·schrei·bung eines Geis·ter·be·schwö·rungs-Rituals von {{g|Santoukyouden}} (1761–1816), bestanden die Bot·schaften von Ver·storbenen, die durch den Mund der Shaman·innen zu hören waren, vor allem aus Be·schrei·bun·gen der bud·dhis·tischen [[mythen/Hoellen|Hölle]].  
  
In der frühen {{g|Meiji}}-Zeit wurde die Or·ga·ni·sation des Hachidaiyū ab·ge·schafft und die Praxis des ''kuchiyose'' insgesamt kri·mi·na·lisiert. Die rigide Vor·gangs·weise gegen alteingesessene religiöse Praktiken war eine typische Be·gleit·er·schei·nung der Mo·der·ni·sierung. Die Verfolgung führte jedoch dazu, dass sich sha·ma·nis·tische Praktiken in den [[Geschichte/Neue Religionen|Neu-Religionen]] sammelten, die in der Mitte des neun·zehn·ten Jahr·hun·derts rapide aus dem Boden schossen und ihrerseits mit Repressalien zu kämpfen hatten. Offenbar bestanden gerade in Nord-Japan tatsächlich sehr enge Beziehungen zwischen traditionellen ''miko'' und neu-religiösen Sekten.<ref>Ikegami 1994, #3</ref> Beide widersprachen dem staatsshintōistischen Grundsatz, dass Shintō-Schreine – und damit auch alle anderen {{g|kami}}-Kulte – alleine der Verehrung des Tennō-Hauses zu dienen hätten (s. [[Staatsshinto|Staatsshintō]]). Umgekehrt scheint sich in volks- und neureligiösen Bewegungen ein vielleicht unbewusster Protest gegen das System des Staatsshintō und des Tennō-Kults Ausdruck verschafft zu haben. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entspannte sich das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Volksreligion, sodass lokale Glaubensformen erneut Fuß fassen konnten.  
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In der frühen {{g|Meiji}}-Zeit wurde die Or·ga·ni·sation des Hachidaiyū ab·ge·schafft und die Praxis des ''kuchiyose'' insgesamt kri·mi·na·lisiert. Die rigide Vor·gangs·weise gegen alt·ein·geses·sene re·ligiöse Praktiken war eine typische Be·gleit·er·schei·nung der Mo·der·ni·sierung. Die Ver·folgung führte jedoch dazu, dass sich sha·ma·nis·tische Praktiken in den [[Geschichte/Neue Religionen|Neu-Religionen]] sammelten, die in der Mitte des neun·zehn·ten Jahr·hun·derts rapide aus dem Boden schossen und ihrer·seits mit Repres·salien zu kämpfen hatten. Offenbar bestanden gerade in Nord-Japan tatsächlich sehr enge Be·ziehungen zwischen tra·di·tio·nel·len ''miko'' und neu-religiösen Sekten.<ref>Ikegami 1994, #3</ref> Beide wider·sprachen dem staats·shintō·istischen Grund·satz, dass Shintō-Schreine – und damit auch alle anderen {{g|kami}}-Kulte – alleine der Ver·ehrung des Tennō-Hauses zu dienen hätten (s. [[Staatsshinto|Staatsshintō]]). Umgekehrt scheint sich in volks- und neureligiösen Bewegungen ein vielleicht un·bewusster Protest gegen das System des Staats·shintō und des Tennō-Kults Ausdruck ver·schafft zu haben. Erst mit dem Ende des Zweiten Welt·kriegs entspannte sich das Verhältnis zwischen Obrig·keit und Volks·religion, sodass lokale Glaubens·formen erneut Fuß fassen konnten.  
  
 
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Version vom 3. August 2020, 09:44 Uhr

Itako Weibliche Geisterseherinnen

Vorlage:Fl tako [itako (jap.) イタコ blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子] sind blinde Medien („Shamaninnen“), die in einem Ritual namens kuchiyose [kuchiyose (jap.) 口寄せ Geisterbeschwörung, wtl. „Herbeirufung des Mundes“] („Herbei·rufung des Mundes“) die Toten aus dem Jen·seits her·bei·rufen und ihnen ihre Stimme leihen. Auf diese Weise kann man mit den Seelen ver·stor·bener Ver·wand·ter in Kontakt treten. Der Kult der itako war in der Edo [Edo (jap.) 江戸 Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);]-Zeit weit verbreitet (s.u.), wird heute aller·dings nur noch in Nord-Japan praktiziert. Dort stellt er einen Be·stand·teil des tra·di·tio·nellen Bestattungsbrauchtums dar. Darüber hinaus finden zweimal jährlich (20.–24.7. und 9.–11.10.) am Osore-zan [Osore-zan (jap.) 恐山 „Angst-Berg“; rel. Zentrum in Aomori-ken (Nordjapan), das als Abbild der Totenwelt gilt], einem Berg am nördlichsten Zipfel der Haupt·insel Honshū, religiöse Feste (matsuri [matsuri (jap.) religiöses (Volks-)Fest]) statt, bei denen auch itako ihre Dienste an·bieten. Die Bilder auf dieser Seite stammen von solchen Anlässen.

Itako des Osore-zan

Itako.jpg
1
Ein blinde Geisterbeschwörerin itako lässt die Geister der Verstorbenen durch sich sprechen. In der Hand hält sie eine buddhistische Gebetskette (juzu), hinter ihr steht eine Trommel.
Bildquelle: H. Johnson, 2005, über Internet Archive.
Itako 2006-10-09.jpg
2
Geisterbeschwörung am Osore-zan. Das Schild verrät den Namen der itako-Priesterin: Nakamura Suwa.
2006. Wikimedia Commons, Geomr, 2006.
Itako bei der Herbeirufung der Totengeister

Die itako verfügen über einen eigenen, nur halb ver·ständ·lichen Sprech·gesang, durch den sie die Bot·schaften der Ver·stor·benen über·mitteln. Bei den Massen·events am Osore-zan werden zunächst Erkun·digun·gen über den Ver·stor·benen einge·zogen, sowohl hinsicht·lich seiner Bezie·hung zu den jewei·ligen Hinter·bliebenen als auch hin·sichtlich der Um·stände seines Ablebens. Die Berichte der Toten folgen dann, sofern ver·ständlich, ganz offen·sicht·lich vor·gefer·tigten Mustern.1 Dennoch sind die Kunden der itako meist sehr er·grif·fen und erhalten durch sie seelischen Trost.

Osorezan flickr2.jpg
3 Itako-Zelte
Zweimal im Jahr versammeln sich diverse itako-Priesterinnen am Osore-zan, einem Zentrum des Jenseitsglaubens in Nord-Japan.
Jani Patokallio, 2000.
Osorezan itakokuchiyose.jpg
4
Vor allem ältere Menschen nehmen die kuchiyose-Dienste der itako in Anspruch.
Lonely Trip, 9.10.2004.
Osorezan 15.jpg
5
Ein Zelt ist gerade besetzt, im anderen wartet ein blindes Medium auf Kunden.
The Oriental Caravan, 2005.
Itako und ihre Kunden

Ähnlich wie die yamabushi [yamabushi (jap.) 山伏 Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō], sind auch die itako zumeist mit be·stimm·ten Tempeln oder Schreinen affi·liiert, ohne jedoch ein·deutig dem Buddhis·mus oder dem Shintō zuge·ordnet werden zu können.2 Während die itako heute vor allem Toten·geister her·bei·rufen, welche auch als hotoke [hotoke (jap.) Buddha; umgangsspr. auch: Totenseele; andere Lesung: butsu; alte Schreibung: 佛] (wtl. Buddhas) an·ge·spro·chen werden, ist ihr tra·di·tio·nelles Reper·toire reich·hal·tiger und umfasst auch das Herab·rufen von kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō], also von Schreingottheiten.3

Geisterseherinnen in der Edo- und Meiji-Zeit

Itako sind die Erbinnen einer einst weit ver·breiteten Kultur von fah·ren·den Künstlern, Heilern und Schaustellern, die in der Edo-Zeit zu fixen Gilden zu·sam·men·wuch·sen. Zu diesen gehörten unter anderem auch yamabushi, Yin-Yang Meister (onmyōji [onmyōji (jap.) 陰陽師 Yin Yang Meister]), blinde Sänger·innen (goze [goze (jap.) 瞽女 blinde Musikerinnen, die sich zu Gilden zusammen schlossen und einen eigenen Rezitationsstil pflegten; bis ins 20. Jh. verbreitet]) oder Schrein·pries·ter·innen (miko [miko (jap.) 巫女 Miko, kami-Priesterin, Schreindienerin; auch: weibliche Shamanin; andere Schreibungen 神子 (Gott-Kind) oder 御子 (erhabenes Kind)]), die verschiedene Tänze und Gesänge vorführten. Shaman·innen, die sich wie die itako auf Geis·ter·be·schwö·run·gen spe·zia·li·sierten, wurden damals eben·falls als miko bezeichnet. Diese miko wurden in Ostjapan von Edo aus kon·trol·liert, und zwar von einem gewissen Tamura Hachidaiyū [Tamura Hachidaiyū (jap.) 田村八太夫 Oberhaupt einer shamanistischen Gilde während der Edo-Zeit mit Sitz in Asakusa; der Begriff war zunächst eine Art Eigenname und entwickelte sich dann zum Titel], der seinen Sitz im Sanja-Schrein, dem heutigen Asakusa Jinja [Asakusa Jinja (jap.) 浅草神社 Schrein im Bereich der Tempelanlage von Asakusa. Geweiht den drei Fischern, die den Tempel der Legende nach gründeten.] hatte.4 Seine Kontrolle er·streckte sich im acht·zehn·ten Jahr·hun·dert auf über 800 Familien, deren weib·liche Mitglieder vor·wie·gend als Geis·ter·se·he·rinnen tätig waren, während sich die Männer zumeist mit dem Handel von Talismanen (o-fuda [o-fuda (jap.) お札 Amulett oder Talisman in Gestalt eines symbolischen Zeichens, meist aus Papier; auch shinsatsu; das Zeichen 札 kann auch „Geldschein“ bedeuten, wird dann aber sinojap. satsu ausgesprochen;]) verdingten. Beide mussten dem Hachidayū einen Teil ihrer Einkünfte abtreten. Obwohl viele dieser Priesterinnen blind waren, scheint dies keine un·bedingte Voraus·setzung für die kuchiyose Praxis gewesen zu sein. Im Norden Japans bestand aller·dings schon in der Edo-Zeit eine feste Ver·bindung zwischen Blind·heit und kuchiyose.5

Azusamiko.jpg
6 Geisterbeschwörung (kuchiyose), Edo-Zeit
Illustration eines Romans von Santō Kyōden. Eine blinde Geisterbeschwörerin (miko) lässt durch ihren Mund die Geister der Verstorbenen sprechen. Dazu benützt sie einen kleinen Bogen (azusa), den man vor ihr sieht. Auch die Schale mit Blatt ist ein essenzieller Teil des Rituals. Die Bildinschrift besagt: „Die verstorbene Fujinami und einige andere Totenseelen werden durch den Katalpa-Bogen (azusa no yumi) herbeigelockt.“
Werk von Utagawa Toyokuni (1769–1825). Edo-Zeit. Waseda University Library.

Weibliche Shamaninnen wurden damals unter anderem als azusa miko [azusa miko (jap.) 梓神子 Miko mit Katalpa-Bogen (azusa); Edo-zeitl. Bezeichnung für Geisterseherinnnen (itako)] (Shamaninnen mit Katalpa Bogen) bezeichnet.6 Der Katalpa Bogen, der mit einem Bambus·rohr zum Klingen gebracht wurde, war das klassische Instrument, mit dem man die Her·bei·ru·fung von Göttern und Geistern be·gleitete.7 Laut einer literarischen Be·schrei·bung eines Geis·ter·be·schwö·rungs-Rituals von Santō Kyōden [Santō Kyōden (jap.) 山東京伝 1761–1816; Edo-zeitlicher Schriftsteller und Maler] (1761–1816), bestanden die Bot·schaften von Ver·storbenen, die durch den Mund der Shaman·innen zu hören waren, vor allem aus Be·schrei·bun·gen der bud·dhis·tischen Hölle.

In der frühen Meiji [Meiji (jap.) 明治 posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt]-Zeit wurde die Or·ga·ni·sation des Hachidaiyū ab·ge·schafft und die Praxis des kuchiyose insgesamt kri·mi·na·lisiert. Die rigide Vor·gangs·weise gegen alt·ein·geses·sene re·ligiöse Praktiken war eine typische Be·gleit·er·schei·nung der Mo·der·ni·sierung. Die Ver·folgung führte jedoch dazu, dass sich sha·ma·nis·tische Praktiken in den Neu-Religionen sammelten, die in der Mitte des neun·zehn·ten Jahr·hun·derts rapide aus dem Boden schossen und ihrer·seits mit Repres·salien zu kämpfen hatten. Offenbar bestanden gerade in Nord-Japan tatsächlich sehr enge Be·ziehungen zwischen tra·di·tio·nel·len miko und neu-religiösen Sekten.8 Beide wider·sprachen dem staats·shintō·istischen Grund·satz, dass Shintō-Schreine – und damit auch alle anderen kami [kami (jap.) Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō]-Kulte – alleine der Ver·ehrung des Tennō-Hauses zu dienen hätten (s. Staatsshintō). Umgekehrt scheint sich in volks- und neureligiösen Bewegungen ein vielleicht un·bewusster Protest gegen das System des Staats·shintō und des Tennō-Kults Ausdruck ver·schafft zu haben. Erst mit dem Ende des Zweiten Welt·kriegs entspannte sich das Verhältnis zwischen Obrig·keit und Volks·religion, sodass lokale Glaubens·formen erneut Fuß fassen konnten.

Verweise

Verwandte Themen

Fußnoten

  1. So berichtet Carmen Blacker von ihren Feld·forschungen am Osore-zan in den späten 1950er Jahren, dass Tote des Weltkriegs, die von den itako damals noch häufig aus dem Jenseits herbei·gerufen wurden, standardmäßig erzählten, dass sie nun im Yasukuni [Yasukuni Jinja (jap.) 靖国神社 Yasukuni Schrein, Tōkyō; Schrein zum Gedenken an Kriegsgefallene] Schrein in Tōkyō ihre Ruhe gefunden hätten (Blacker 1975, S. 160).
  2. Knecht 1997.
  3. Blacker 1975, S. 151.
  4. Ähnlich wie im Kabuki Theater, war Tamura Hachidaiyū zunächst ein individueller Name, der ab dem acht·zehn·ten Jahr·hun·dert, als sich die Tradition ge·festigt hatte, erblich wei·ter·ge·ge·ben wurde (Groemer 2007).
  5. Groemer 2007, S. 46, Fn. 2.
  6. Hinsichtlich der Be·zeichnung gab es früher wie heute große Un·ter·schie·de. Ein in Nord-Japan selbst geläufiger Terminus for Geis·ter·se·he·rin·nen ist kamisama, ein Wort, das zugleich auch „Gottheit“ oder „Chef“ bedeuten kann. Azusa [azusa (jap.) Katalpe oder Trompetenbaum; oft auch Bezeichnung für Bögen (azusayumi) aus diesem Holz, die bei shamanistischen Seancen zum Einsatz kommen] bezeichnet zunächst eine bestimmte Baumart, die als Katalpe oder Trompetenbaum übersetzt wird, allerdings scheinen ver·schiedene botanische Be·zeich·nung in azusa zusammengefasst zu sein. Aus diesen Hölzern fertigten ja·panische „Shamanen“ und „Shamaninnen“ jeden·falls Bögen an, die sie in kuchiyose-Riten ein·setzten. Diese Bögen wurden als azusa-yumi oder kurz als azusa bezeichnet. Azusa miko waren also Shamaninnen, die mit azusa (oder Katalpa-Bögen) Geister beschwörten.
  7. Groemer 2007, S. 39.
  8. Ikegami 1994, #3

Internetquellen

Siehe auch Internetquellen


Letzte Überprüfung der Linkadressen: Jul. 2020

Literatur

Siehe auch Literaturliste

Peter Knecht, „The ritual of kuchiyose (calling the dead)“. In: Klaus Antoni (Hg.), Rituale und ihre Urheber: Invented Traditions in der japanischen Religionsgeschichte. Hamburg: LIT Verlag, 1997, 197–213.
Gerald Groemer, „Female Shamans in Eastern Japan during the Edo Period“. Asian Folklore Studies 66 (2007), 27–53. (Online.)

Bilder

Quellen und Erläuterungen zu den Bildern auf dieser Seite

  1. ^ 
    Itako.jpg
    Ein blinde Geisterbeschwörerin itako lässt die Geister der Verstorbenen durch sich sprechen. In der Hand hält sie eine buddhistische Gebetskette (juzu), hinter ihr steht eine Trommel.
    Bildquelle: H. Johnson, 2005, über Internet Archive.
  2. ^ 
    Itako 2006-10-09.jpg
    Geisterbeschwörung am Osore-zan. Das Schild verrät den Namen der itako-Priesterin: Nakamura Suwa.
    2006. Wikimedia Commons, Geomr, 2006.
  3. ^ 
    Osorezan flickr2.jpg
    Zweimal im Jahr versammeln sich diverse itako-Priesterinnen am Osore-zan, einem Zentrum des Jenseitsglaubens in Nord-Japan.
    Jani Patokallio, 2000.
  1. ^ 
    Osorezan itakokuchiyose.jpg
    Vor allem ältere Menschen nehmen die kuchiyose-Dienste der itako in Anspruch.
    Lonely Trip, 9.10.2004.
  2. ^ 
    Osorezan 15.jpg
    Ein Zelt ist gerade besetzt, im anderen wartet ein blindes Medium auf Kunden.
    The Oriental Caravan, 2005.
  3. ^ 
    Azusamiko.jpg
    Illustration eines Romans von Santō Kyōden. Eine blinde Geisterbeschwörerin (miko) lässt durch ihren Mund die Geister der Verstorbenen sprechen. Dazu benützt sie einen kleinen Bogen (azusa), den man vor ihr sieht. Auch die Schale mit Blatt ist ein essenzieller Teil des Rituals. Die Bildinschrift besagt: „Die verstorbene Fujinami und einige andere Totenseelen werden durch den Katalpa-Bogen (azusa no yumi) herbeigelockt.“
    Werk von Utagawa Toyokuni (1769–1825). Edo-Zeit. Waseda University Library.

Glossar

Namen und Fachbegriffe auf dieser Seite

  • Asakusa Jinja 浅草神社 ^ Schrein im Bereich der Tempelanlage von Asakusa. Geweiht den drei Fischern, die den Tempel der Legende nach gründeten.
  • azusa miko 梓神子 ^ Miko mit Katalpa-Bogen (azusa); Edo-zeitl. Bezeichnung für Geisterseherinnnen (itako)
  • biwa 琵琶 ^ japanische Kurzhalslaute mit vier oder fünf Saiten, wird mit einem großen Plektron angeschlagen
  • Blacker, Carmen (west.) ^ 1924–2009; britische Japanologin und Kulturanthropologin, lehrte in Cambridge
  • Edo 江戸 ^ Hauptstadt der Tokugawa-Shōgune, heute: Tōkyō; auch: Zeit der Tokugawa-Dynastie, 1600–1867 (= Edo-Zeit);
  • goze 瞽女 ^ blinde Musikerinnen, die sich zu Gilden zusammen schlossen und einen eigenen Rezitationsstil pflegten; bis ins 20. Jh. verbreitet
  • Groemer, Gerald (west.) ^ 1959–; amerikanischer Musikethnologe mit Forschungsschwerpunkt Japan, lehrt an der Universität Yamanashi
  • hotoke^ Buddha; umgangsspr. auch: Totenseele; andere Lesung: butsu; alte Schreibung: 佛
  • itako イタコ ^ blinde Priesterin oder Shamanin; früher auch ichiko 市子
  • kami^ Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
  • kuchiyose 口寄せ ^ Geisterbeschwörung, wtl. „Herbeirufung des Mundes“
  • matsuri^ religiöses (Volks-)Fest
  • Meiji 明治 ^ posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt
  • miko 巫女 ^ Miko, kami-Priesterin, Schreindienerin; auch: weibliche Shamanin; andere Schreibungen 神子 (Gott-Kind) oder 御子 (erhabenes Kind)
  • o-fuda お札 ^ Amulett oder Talisman in Gestalt eines symbolischen Zeichens, meist aus Papier; auch shinsatsu; das Zeichen 札 kann auch „Geldschein“ bedeuten, wird dann aber sinojap. satsu ausgesprochen;
  • onmyōji 陰陽師 ^ Yin Yang Meister
  • Osore-zan 恐山 ^ „Angst-Berg“; rel. Zentrum in Aomori-ken (Nordjapan), das als Abbild der Totenwelt gilt
  • Santō Kyōden 山東京伝 ^ 1761–1816; Edo-zeitlicher Schriftsteller und Maler
  • shamisen 三味線 ^ dreisaitige Langhalslaute, die mit einem großen Plektron gezupft wird
  • Tamura Hachidaiyū 田村八太夫 ^ Oberhaupt einer shamanistischen Gilde während der Edo-Zeit mit Sitz in Asakusa; der Begriff war zunächst eine Art Eigenname und entwickelte sich dann zum Titel
  • yamabushi 山伏 ^ Bergasket, wtl. der in den Bergen schläft; Praktikant des Shugendō