Yasukuni, Schrein des ‚friedlichen Landes‘

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Yasukuni, Schrein des ‚friedlichen Landes‘
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Yasukuni Jinja — äußerlich ein ganz normaler Schrein...
Die Gebetshalle (haiden) des Yasukuni Schreins. Dahinter befindet sich, den Blicken der Öffentlichkeit entzogen die eigentliche Haupthalle (honden) sowie ein weiterer Schrein, in dem die Listen der gefallenen, im Schrein verehrten Helden aufbewahrt sind.
20. Jh. Bernhard Scheid, flickr, 2012.

Der

Yasukuni Jinja 靖国神社 (jap.)

Yasukuni Schrein, Tōkyō; Schrein zum Gedenken an Kriegsgefallene

Schrein

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Geographische Lage von Yasukuni Jinja; s.a. Geo-Glossar

in unmittelbarer Nähe des Kaiser·palastes in Tokyo ist trotz seines pazifis·tischen Namens — „Schrein des fried·lichen Landes“ oder freier: „Schrein zur Er·haltung des Friedens im Land“ — das be·kannteste Krieger·denkmal Japans. Vielen gilt er außerdem als Inbegriff des japanischen Ultra·nationalismus/ Faschismus. Der Schrein wurde 1869, also un·mittel·bar nach der

Meiji 明治 (jap.)

posthumer Name von Kaiser Mutsuhito; nach ihm wird auch die Meiji-Zeit (1868–1912) benannt

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-Restauration, unter der Bezeichnung Tōkyō Shōkon-sha („Schrein zur Herbeirufung der [Helden]seelen“) ge·gründet. Seine heutige Gestalt und seinen heutigen Namen erhielt er 1879. Er be·her·bergte von Anfang an keine all·gemein be·kannte Gottheit, sondern sollte die „Helden·seelen“ (

eirei 英霊 (jap.)

„Heldenseele“; bezeichnet v.a. die im Yasukuni Schrein verehrten Kriegshelden

Lebewesen

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) der·jeni·gen ehren, die vor 1868 für die Res·taura·tion der

Tennō 天皇 (jap.)

jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels

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-Herr·schaft ihr Leben ge·lassen hatten. Später wurden dann die Seelen der für den Tenno ge·fallenen Soldaten, an·ge·fangen vom ersten chine·sisch-japani·schen Krieg bis zum Zweiten Welt·krieg, zu

kami(jap.)

Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō

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des Yasukuni Schreins er·hoben, wobei die Namen aller Gefallenen peinlichst genau in Listen erfasst sind. Ihre Gesamt·zahl beläuft sich derzeit auf knapp zweieinhalb Millionen.
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Monumentales Torii am Beginn der Zugangsallee
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Eingang zum inneren Schreinbereich
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Triumphale Monumente

Achtung: Sie sehen eine veraltete Version von https://religion-in-japan.univie.ac.at/Handbuch/Essays/Yasukuni. Seit seiner Gründung entwickelte sich der Schrein mehr und mehr zu einem Kult·platz moderner Kriegs·helden- und Tenno-Ver·ehrung. Seine be·sondere Nähe zum Tenno wird unter anderem durch das kaise·rliche Chrysan·themen-Wappen symbo·lisiert, das auch heute noch auf den Tüchern über dem Ein·gang zum Schrein und an vielen anderen Stellen zu sehen ist. Zugleich war der Schrein aber von Anfang an auch als Veranstaltungsort volkstümlicher Events wie Pferde·rennen, Theater und Zirkusse konzipiert.1 Auch eine Postkarte aus der Zwischen·kriegs·zeit (Abb. rechts) verdeut·licht, dass man sich sehr bemühte, die patriotische Botschaft des Schreins jeder·mann (und vor allem auch jeder Frau) zugänglich zu machen, nicht nur Soldaten oder ihren Angehörigen.

Der Schrein unterstand bis 1945 dem Militär. Nach 1945 wurde seine Priesterschaft in eine unabhängige Religions·ge·mein·schaft umgewandelt, ähnlich einer ge·wöhn·lichen shintoistischen Institution. Allerdings be·her·bergt das Schrein·ge·lände nach wie vor ein heeres·ge·schicht·liches Museum, vor·nehmlich mit Exponaten aus dem Zweiten Welt·krieg, in dem die japanische Eroberungs·politik sehr professionell, aber aus einem sehr einseitig-japanischen Blickpunkt dargestellt wird, ohne auf die Schattenseiten des Krieges einzugehen. Wirtschaft·lich werden die Schrein·aktivitäten von „unabhängigen Sponsoren“ unter·stützt, meist private Vereine, denen jedoch namhafte Vertreter des öffent·lichen Lebens und der Politik vorstehen.

Zu einem wirklich heißen politischen Thema wurde der Schrein im Jahr 1978, als die so·ge·nannten „Shōwa Märtyrer“ in den Kreis der verehrten Gott·heiten des Schreins auf·ge·nommen wurden. Viele dieser „Märtyrer“ waren als Kriegsverbrecher der obersten Klasse hin·ge·richtet worden, unter ihnen auch

Tōjō Hideki 東條英機 (jap.)

1884–1948; General und Premierminister während des 2. WKs; verurteilter Kriegsverbrecher; kami des Yasukuni Schreins

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(1884–1948), der als Ober·befehls·haber und Premierminister während des Zweiten Welt·kriegs die Spitze so·wohl der politischen als auch der militärischen Macht Japans darstellte.
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Schauraum des War Memorial Museums im Yasukuni Schrein.
Bilder von im Schrein vergöttlichten Soldaten.
Im Vordergrund rechts der japanische Oberbefehlshaber im Zweiten Weltkrieg, Tōjō Hideki.
Bilder von im Schrein vergöttlichten Soldaten. Im Vordergrund rechts Tōjō Hideki, der während der meisten Zeit des Pazifischen Krieges (1941–44) Heerführer und Premierminister in Personalunion war und nach dem Krieg als Kriegsverbrecher der Obersten Klasse hingerichtet wurde.
Yamamoto Munesuke, 2005.

Jahrestag der Kapitulation

Der bekannteste — wenn auch nicht der höchste — Feiertag des Schreins ist seit dem Ende des zweiten Weltkriegs der 15. August, der Jahres·tag der japanischen Kapitulations·erklärung, also das Kriegsende. Offiziell wird der Feiertag als Friedens·feier bezeichnet. Der Schrein unterhält sogar einen Taubenschlag für weiße Tauben, die am 15. August demonstrativ freigesetzt werden. Doch ebenso wie der Name des Schreins hat auch dieses Fest eine ambivalente Beziehung zum Frieden, wenn man etwa die zahl·rei·chen Kriegs·vetera·nen und rechts·radikalen Grup·pie·rungen in Betracht zieht, die an diesem Tag (von der Polizei vor Gegen·demons·tra·tion geschützt) an die angeblich glor·reichen Zeiten des Krieges und/oder ihre persön·lichen Opfer für das Vater·land erin·nern. Regel·mäßig wird bei dieser Gele·gen·heit auch für eine Verfas·sungs·änderung demons·triert, um Japan vom dort festge·schrie·benen Verzicht auf Krieg (Artikel 9) zu befreien. Ebenso wie der Schrein selbst dienen also auch die Feiern zum Jahres·tag des Kriegs·endes weniger einer pazifis·tischen Hoffnung auf Frieden, als revan·chis·tischen Wunsch·phantasien, die auf eine Ver·herr·lichung des Milita·rismus und eine Leugnung der japanischen Kriegsver·brechen im Zweiten Weltkrieg hinaus·laufen.

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Yasukuni Veterane und Möchtegern-Veterane

Spiel mit der politischen Provokation

In den 70er Jahren begannen auch einzelne Premierminister mit der Praxis, dem Schrein am 15. August einen Besuch ab·zu·statten. Zwar hat bisher jeder Premier·minister betont, dass dies ein rein privater Besuch sei, aber der Pomp und das Dekorum derartiger „infor·meller“ Besuche lassen einen ganz anderen Eindruck entstehen. Daher rufen solche Yasukuni-Besuche jedes Mal eben·so·viel Empörung wie Zu·stimmung hervor und polari·sieren nicht nur die japa·nische Wähler·schaft, sondern auch die Welt·öffent·lich·keit. Vor allem China und Korea reagieren sehr empfind·lich auf Besuche von offiziellen Amts·trägern beim Yasukuni Schrein, was aber Politiker·typen, die sich als „starker Mann“ gerieren möchten, umsehr mehr herausfordert. Den größten Unmut erregte dies·bezüglich

Koizumi Jun'ichirō 小泉純一郎 (jap.)

1942–; japanischer Premierminister; (r. 2001–2006)

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, der während seiner fünf·jährigen Amtszeit (2001–2006) jährlich zum Yasukuni Schrein pilgerte. Ganz offen·sicht·lich versprach er sich davon einen populis·tischen Prestige·gewinn, vor allem im rechten poli·tischen Lager, wo die Botschaft verstanden wurde: Rehabilitierung des Yasukuni Schreins als nationales Symbol, Relatitivierung der negativen Sicht auf die Kriegs·ver·gangen·heit Japans, Revision der Verfassung.2

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Kaiser Hirohito (1969) und Koizumi Jun'ichirō (2002) im Yasukuni Schrein

Den ersten international beachteten Tabubruch dieser Art setzte 1985 ein anderer „starker Mann“,

Nakasone Yasuhiro 中曽根康弘 (jap.)

1918–2019; japanischer Premierminister, r. 1982–1987

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, der dies jedoch angesichts der unerwartet heftigen außenpolitischen Verstimmungen, die er mit dem Schreinbesuch hervorrief, nicht mehr wiederholte. Ähnlich verhielten sich auch die meisten Premier·minister nach ihm. Koizumi war aber offensichtlich seine Popularität wichtiger als ein einvernehmliches Verhältnis mit China. Umfragen in der japanischen Bevölkerung haben zwar er·geben, dass nur etwa 20% der Japaner für einen Besuch ihres Premiers beim Yasukuni Schrein sind, aber offen·sicht·lich ist auch nur eine Minderheit wirklich empört über einen derartigen Akt, sodass ein Besuch des Premier·ministers insgesamt doch einen Stimmengewinn erzeugen kann.

Die gesetzliche Trennung von Religion und Staat

Die von den Amerikanern maßgeblich beeinflusste japanische Nachkriegsverfassung sieht eine besonders strikte Trennung von Religion und Staat vor, mit dem expliziten Ziel, die Verflechtung von Religion und Nationalismus, wie sie u.a. im Yasukuni Schrein gegeben war, zu unterbinden. Die Liberal-Demokra·tische Partei, die die politische Landschaft Japans seit dem Zweiten Weltkrieg fast durchgehend beherrscht und der auch Nakasone und Koizumi angehören, unter·nimmt hingegen regelmäßige Versuche, einen Gesetzes·antrag im Parlament durch·zu·bringen, der den Yasukuni Schrein als nicht-religiöse Institution ein·stuft, um ihn auf diese Weise wieder in den Genuss staat·licher Unter·stützun·gen zu bringen. Es spricht für das Funktionieren des japanischen Rechtsstaates, dass dieses Vorhaben bislang nicht gelungen ist. Hin·gegen wurde die Frage, ob der Besuch eines Premier·ministers im Yasukuni Schrein ver·fas·sungs·konform sei oder nicht, bereits mehrmals vom Obersten Gerichts·hof ab·schlägig be·ant·wortet: Der Besuch eines Premiers, in der Form wie er etwa durch Koizumi unter·nommen wurde, stellt daher einen Bruch der Verfassung dar.3

Verehrung der Heldenseelen

Die Natur und der tiefere Sinn des im Yasukuni Schrein praktizierten Kultes ist unter Wissenschaftlern fast ebenso umstritten, wie die Existenz des Schreins selbst. Einerseits lässt er sich natürlich als profanes Kriegerdenkmal interpretieren, andererseits gibt es ja tatsächlich Shinto-Priester, die dort traditionelle rituelle Aufgeben verrichten, angefangen von den kaiserlichen Emissären, die dort in Vertretung des Tenno Opfergaben für die Götter in Form von Seide überbringen. Auch findet man überall auf dem Schreingelände Glücksbringer und Wächterfiguren, wie sie auch sonst für religiöse Institutionen in Japan typisch sind. Einige Religionswissenschaftler, wie z.B. Klaus Antoni (1988), vertreten daher die Meinung, der Yasukuni Schrein setze im Grunde eine lange Tradition der Totenberuhigung weiter fort.

Die Tröstung der Seelen von Verstorbenen ist zweifellos tief in der japanischen Kultur verankert. Tröstung bedeutet in diesem Fall nicht nur Andenken und Verehrung, sondern auch Beruhigung jener rächenden Impulse, die man insbesondere jenen Totenseelen unterstellt, die unter gewaltsamen oder unnatürlichen Umständen zu Tode kommen (s. dazu Gespenster und Totengeister). Klaus Antoni sieht daher auch die primäre Funktion des Yasukuni Schreins darin, entsprechende latent vorhandene Ängste gegenüber den gefallenen Soldaten zu kanalisieren. Andererseits fällt die Aufgabe der Beruhigung der Totenseele traditionellerweise dem Buddhismus zu, während sich Shinto Schreine auf der Grundlage des

kegare 穢れ (jap.)

rituelle Verunreinigung, Befleckung, Schande

Konzept

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Tabus vom Kontakt mit der Totenwelt eher fernhalten. Darüber hinaus entspringt das Bedürfnis, die Seelen der Verstorbenen zu „befrieden“, einer latenten Angst vor jedwedem Totengeist, egal ob es sich ehemals um Freund oder Feind handelt. Traditionelle Zeremonien für Kriegsopfer beziehen sich daher oft unterschiedslos auf alle Gefallenen, oder richten sich ggf. ausschließlich an die gefallenen Feinde,4 da diese ein besonderes Potential in sich tragen, als grollende Rachegeister (

onryō 怨霊 (jap.)

Rachegeist

Geist

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) wiederzukehren.

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Meiji Tennō im Yasukuni Schrein, 1895
Besuch des Meiji Tennō (im Vordergrund zu Pferd) im Yasukuni Schrein. Im Hintergrund ist die Haupthalle des Schreins zu sehen, die heute noch existiert, allerdings durch eine später errichtete Gebetshalle kaum mehr sichtbar ist.
Werk von Shinohara Kiyooki. Meiji-Zeit, 1895. Museum of Fine Arts, Boston.

Im Yasukuni Schrein scheint es hingegen auf den ersten Blick so zu sein, dass nur Soldaten, die für den Tenno ihr Leben ließen, geehrt werden. Tatsächlich war dies von Anfang an das Haupt·anliegen des Schreins,5 das sich insofern doch deutlich von der traditionellen, allgemeinen Furcht vor grollenden Toten·seelen unterscheidet. Allerdings beherbergt die Anlage einen kleinen Neben·schrein, der kaum einem Besucher auffällt, da er durch einen Zaun vor den Blicken der Allge·meinheit abge·schirmt ist. In diesem gut ver·steckten Seiten·schrein, der den Namen Chinreisha (Seelen·besänftigungs·schrein) trägt, werden tatsächlich auch die Seelen der gefallenen Feinde verehrt.6 Dieser Schrein, der erst in den 1960er Jahren errichtet wurde, stellt also so etwas wie ein Zeichen der Wiedergutmachung gegenüber getöteten Feinden dar. Insofern kann er auch als Zugeständnis an die traditionelle Form der Geister·beru·higung ange·sehen werden, in der es weniger um die Vergangen·heit geht als um die Gegenwart, in der man die Geister oder Toten·seelen anwesend und wirksam vermutet.

Es gibt also Hinweise, dass sich der Schrein — wenngleich verschämt — an traditionelle Formen des Toten·geden·kens angepasst hat, im Vorder·grund stehen allerdings auch aus hiesigen Krieger·denkmals·kulten bekannte Motive einer Ehrung der Gefallenen, die untrennbar mit der Glorifizierung des Krieges an sich verbunden sind. Dass sich Japan an der Schwelle zur Modernisierung des Shinto bediente, um seine Kriegs·gefal·lenen zu glorifizieren, liegt also meiner Ansicht nach weniger an unterschwelligen Ängsten, die religiös beseitigt werden sollten. Eher bot sich der Shinto als eine Tradition des Herrscherkults an, die seit der

Heian 平安 (jap.)

auch Heian-kyō 平安京, „Stadt des Friedens“; politisches Zentrum 794–1185 (= Heian-Zeit)

Ort, Epoche

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Geographische Lage von Heian; s.a. Geo-Glossar

-Zeit am Kaiserhof gepflegt wurde, allerdings mit einigen gravierenden Änderungen an dieser Tradition, die im folgenden Abschnitt besprochen werden.

Ōmura Masujirō und die Schizophrenie des Nationalismus

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Geldschein mit Yasukuni Motiv, 1943

Der Yasukuni Schrein ist für fast alle Japaner ein Symbolort des japanischen Natio·nalis·mus und der Tennoverehrung, und zwar gleicher·maßen für seine Befür·worter und seine Gegner. Für eine große Gruppe ist er außerdem der Ort des persönlichen Andenkens an gefallene Anverwandte und genau darin liegt auch die Schwierigkeit, seine Auflösung zu fordern. Über derartigen Konflikten wird leicht vergessen, dass der Schrein unter allen bekann·ten Schreinen Japans nicht nur einer der weltlichsten, sondern auch einer der „westlichsten“ ist. Während die Hauptgebäude selbst nach mehr oder weniger traditionellem Muster errichtet wurden, lässt sich dieser westliche Einfluss beispiels·weise anhand der nach westlichen Vor·bildern gestaltete Zugangs·allee der Anlage identifizieren. Dieser Einfluss wird noch deutlicher, wenn man sich die Statue genauer ansieht, die neben dem übergroßen Torii einen prominenten Blickfang der Zugangsallee darstellt. Stolz teilt dazu die Website des Yasukuni-Schreins mit, dass es sich um das erste japanische Bronze·monu·ment im west·lichen Stil aus dem Jahr 1893 handelt. In der Tat war die Herstellung der Statue ein sorgfältig geplantes Großprojekt, mit dem das Japan der Meiji-Zeit offenbar unter Beweis stellen wollte, dass es technologisch mit dem Westen mithalten konnte. Zu diesem Zweck wurde ein junger Bildhauer, Ōkuma Ujihiro (1856–1934), für zwei Jahre nach Europa geschickt, um sich dort die nötigen Kenntnisse zur Anfertigung der Statue anzueignen.

Wer aber sollte mit soviel Aufwand verewigt werden? Es ist der „Vaters der moder·nen japa·nischen Armee“

Ōmura Masujirō 大村益次郎 (jap.)

1824–1869; Vizekriegsminister der frühen Meiji Regierung, Reformer des Militärwesens nach westlichem Muster

Der Begriff „Ōmura Masujirō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

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, der auch als geistiger Vater des Yasukuni Schreins angesehen werden kann. Die heutigen Bewunderer dieses Ōmura Masujirō übersehen allerdings zumeist geflissentlich, dass dieser wegen seiner modernistischen Ideen im Jahr 1869 von genau jenen xenophoben Loyalisten des Tenno umgebracht wurde, deren geistige Nachfahren heute zu den energischsten Unterstützern des Schreins zählen.

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Statue des Ōmura Masujirō im Yasukuni Schrein, 1945
Postkarte aus der Zwischenkriegszeit. Im Vordergrund die Statue Ōmuras, damals mit Kanonen „verziert“. Im Hintergrund das zweite torii und das shinmon des Yasukuni Schreins.
Frühe Shōwa-Zeit, vor 1945. East Asia Image Collection, Digital Image Collections at Lafayette.

Ōmura war bereits vor der Meiji-Restauration ein wissbegieriger Student westlichen Wissens gewesen und hatte unter den wenigen gelehrten Ausländern, die zu dieser Zeit in Japan waren (u.a. der deutsche Arzt Philipp Franz von Siebold und der amerikanische Missionar und Linguist James Curtis Hepburn) zunächst Medizin aber auch das westliche Militärwesen studiert. Er zählte zum Kern jener politischen Reformer aus Chōshū in West-Japan, die den politischen Umbruch der Meiji-Restauration vor·berei·teten, im kurzen aber heftigen Bürgerkrieg von 1868–69 (

Bōshin Sensō 戊辰戦争 (jap.)

Bōshin-Krieg (1868–1869); Bürgerkrieg zwischen Tennō-Loyalisten und Shōgunatstruppen am Beginn der Meiji-Zeit. Bōshin bezeichnet das Jahr 1868

Ereignis, Geschichte

Der Begriff „Bōshin Sensō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:

) die Truppen der Shogunats·regie·rung besiegen konnten, und danach die wich·tigsten Regie·rungs·ämter inne hatten. Aufgrund seiner strate·gischen Ver·dienste im Bōshin-Krieg wurde Ōmura de facto zum Kriegs·minis·ter der neuen Meiji-Regie·rung und plädierte in dieser Eigen·schaft für die all·ge·meine Wehr·pflicht und die Ab·schaf·fung des Samurai-Standes als Grund·voraus·setzung einer militä·rischen Reform. Obwohl diese Ideen bereits in der frühen Meiji-Zeit umgesetzt wurden, fiel Ōmura selbst noch vor ihrer Ver·wirkli·chung, 1869, einem Anschlag ehe·maliger Waffen·brüder zum Opfer, die ihre Samurai-Privilegien nicht abgeben wollten. Im gleichen Jahr, im 6. Monat 1869, hatte er außer·dem die Er·richtung eines Schreins zum Gedenken an die Seelen der Gefallenen im Bōshin-Krieg beantragt. Dieser Schrein wurde auch er·richtet und erhielt 1879 schließ·lich seinen heute bekann·ten Namen, Yasukuni.

Obwohl zu Lebzeiten kontroversiell und umstritten, gab der Erfolg Ōmuras Ideen zunächst recht. Zu diesen Ideen zählten sowohl eine Ver·allge·meine·rung der Wehr·pflicht als auch eine Ver·all·gemei·nerung der Helden·ver·ehrung. Sowohl die Kriegs·führung selbst als auch die Ehrung der Kriegs·helden sollten nun nicht mehr das Pri·vileg eines elitären Standes, der Samurai, sein. Gleich·zeitig wurde diese Ehrung durch die höchste denk·bare Auto·rität, den Tenno selbst, vor·genom·men. Der Yasukuni Schrein war damit der einzige Schrein, in dem der Tenno, der den Schrein bis zum Ende des Zweiten Welt·kriegs regel·mäßig be·suchte, An·ge·hörige der all·ge·meinen Bevöl·kerung ehrte. Die vielleicht wichtigste religions·ge·schicht·liche Inno·vation der Insti·tution Yasukuni bestand also in der Her·stel·lung einer direkten rituellen Ver·bin·dung zwischen Tenno und Volk, ein Phänomen, das in Europa seit der römi·schen Antike eine Selbst·verständ·lichkeit dar·stellt, in Japan aber ganz gegen alle bis·herigen Ge·pflogen·heiten verstieß.

So fortschrittlich diese Gedanken im neunzehnten Jahrhundert waren, so sehr wurden sie im zwanzigsten Jahr·hundert zum Problem: Die Zentra·lisie·rung und Ver·all·gemei·ne·rung des Militär·wesens stellte die Grund·vor·aus·setzung des japa·nischen Imperialis·mus dar, während die Helden·verehrung im Yasukuni Schrein zum Modell dessen wurde, was man heute Staatsshinto nennt. Wie man diese Ent·wick·lungen bewer·tet, ist letztlich eine Frage der ideo·logischen Grund·haltung. Was aber von Kritikern und Befür·wortern des Staats·shinto gerne über·sehen wird, ist die Tat·sache, dass es sich dabei um ein Produkt der Mo·derne oder der „Ver·west·lichung“ Japans handelt. Märtyrer des Patrio·tis·mus, mit denen sich alle Klassen der Gesellschaft iden·tifi·zieren kön·nen und sollen, sind eine Be·gleit·erschei·nung des modernen National·staats. Spezifisch japa·nisch sind im Falle des Yasukuni Schreins ledig·lich die archi·tek·toni·schen und rituel·len Ele·mente. Selbst auf der Ebene der Sym·bole bedient sich der Schrein west·licher Codes, wenn man etwa an die Zucht von weißen „Friedens·tauben“ denkt.

Die Ironie der Geschichte liegt nun darin, dass ausgerechnet dieser westlichste aller Schreine zum Symbol·ort „echten Japaner·tums“ wurde, während sich seine Kriti·ker vor·werfen lassen müssen, keine wahren Patrioten zu sein.


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Gesamtanlage des Schreins im Zentrum der Metropole Tokyo
Yasukuni Schreinanlage aus der Vogelperspektive, von Norden aus gesehen. Der Park im Hintergrund zählt bereits zur weitläufigen Anlage des kaiserlichen Palastes in Tōkyō. Im Vordergrund links das Yūshū-kan, ein modernes Kriegsmuseum. Was heute kaum mehr auffällt, ist die Hügellage des Schreins, die einstmals einen grandiosen Blick auf Tōkyō bot.
Bernhard Scheid, flickr, 2012.

Anmerkungen

  1. Nelson 2003, S. 449.
  2. S. dazu Takahashi 2006.
  3. Breen 2007, S. 2.
  4. Siehe das Beispiel des Mimizuka, wo Ohren und Nasen von getöteten Koreanern im Korea Feldzug des
    Toyotomi Hideyoshi 豊臣秀吉 (jap.)

    1537–1598, Feldherr, militärischer Machthaber; bekannt als der zweite von drei Reichseinigern am Ende der „Zeit der kämpfenden Länder“ (Sengoku Jidai)

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    bestattet sind. Auch der Usa Hachiman Schrein in Kyushu kennt ein Seelen·besänftigungs·ritual, das ausschließlich an die getöteten Feinde gerichtet ist. 
    
  5. Erste Riten zur Ehrung von Märtyrern der Tenno-Loyalisten im Kampf gegen das Shogunat lassen sich bis 1853 zurück verfolgen. S. dazu Nelson 2003, S. 447–50.
  6. S. dazu ausführlich den Online-Aufsatz von John Breen, 2005.
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„Yasukuni: Der Schrein des ‚friedlichen Landes‘.“ In: Bernhard Scheid, Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, seit 2001