Grundbegriffe/Weltbild: Unterschied zwischen den Versionen
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In seinem Buch ''Shintō und die Konzeption des japanischen Staats·wesens'' (1998) hat der deutsche Shintō-Spezialist Klaus Antoni ein grafischen Modell vorgelegt, das ich hier in leicht modi·fizier·ter Form über·nom·men habe: | In seinem Buch ''Shintō und die Konzeption des japanischen Staats·wesens'' (1998) hat der deutsche Shintō-Spezialist Klaus Antoni ein grafischen Modell vorgelegt, das ich hier in leicht modi·fizier·ter Form über·nom·men habe: |
Version vom 18. Juli 2015, 20:52 Uhr
Achtung: Sie sehen eine veraltete Version von https://religion-in-japan.univie.ac.at/Handbuch/Grundbegriffe/Weltbild.
Achtung: Sie sehen eine veraltete Version von https://religion-in-japan.univie.ac.at/Handbuch/Grundbegriffe/Weltbild.
Wie sieht nun das religiöse Weltbild Japans aus? Wie soll man sich das Neben·einander von Bud·dhis·mus und Shintō darin vorstellen? Und welche Rolle spielt der Konfuzianismus (jukyō [jukyō (jap.) 儒教 Konfuzianismus, Lehre des Konfuzius (Kong Zi oder Kong Fuzi); wtl. Lehre der Gelehrten]) dabei? Diese Fragen werden zwar auf ver·schiedenen Seiten dieser Web·site ange·schnitten, es liegt aber außerhalb meiner Möglich·keiten, sie befrie·di·gend zu erklä·ren. Als Orien·tier·ungs·hilfe und als Zusam·men·fas·sung dieses Ein·füh·rungs·kapi·tels möchte ich den·noch ver·suchen, einige Erklä·rungs·an·sätze modell·haft dar·zustellen.
In seinem Buch Shintō und die Konzeption des japanischen Staats·wesens (1998) hat der deutsche Shintō-Spezialist Klaus Antoni ein grafischen Modell vorgelegt, das ich hier in leicht modi·fizier·ter Form über·nom·men habe:
Dieses Modell veranschaulicht die Einflüsse der drei wichtigsten vormodernen Glaubens·systeme auf das tradi·tio·nelle japa·nische Welt·bild, wie es heute in Japan wirksam ist. Wenn man sich also heute auf tradi·tio·nelle mora·lische Werte besinnt, so wird man diese in bud·dhis·tischen und/ oder kon·fuzia·ni·schen Schriften suchen. Wenn man eine jen·sei·tige Macht um Hilfe und Unter·stüt·zung bittet, wird man zu Buddhas und/ oder zu den
Gottheit; im engeren Sinne einheimische oder lokale japanische Gottheit, Schreingottheit (s. jinja), Gottheit des Shintō
Der Begriff „kami“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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Zu·flucht nehmen. Und wenn man sich fragt, was es bedeu·tet Japaner zu sein und nach welchen Werten Staat und Gesell·schaft aus·ge·rich·tet sein sollen, werden Tradi·tiona·listen die mytho·logi·sche Chrono·logie des
jap. „Kaiser“-Titel, wtl. Herrscher des Himmels
Der Begriff „Tennō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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-Hauses heran·ziehen und/ oder das kon·fuzia·nische Ideal der Loya·lität gegen·über dem Herrscher her·vor·streichen.
Dieses Modell darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass das japanische Welt·bild immer schon so aus·gesehen hat. Es beschreibt vielmehr das „tradtionelle Japan“, wie es sich seit der Begeg·nung mit dem Westen im Unter·schied zur „Moderne“ heraus·differen·ziert hat. Die Bedeu·tung des Kon·fuzianis·mus ist bei·spiels·weise starken histo·rischen Schwan·kungen unter·worfen, die direkt oder indirekt mit dem Prestige Chinas zu·sam·men·hängen. Der Kon·fuzia·nis·mus ist daher an den fluk·tuie·renden Einfluss von Japans tradi·tio·neller Leit·kultur gekoppelt.
Der Bud·dhis·mus besitzt ganz gegen das gängige Klischee sehr wohl Ver·bin·dun·gen zur japanischen Politik und damit auch zu Fragen der nationalen Identität, ja sogar des japa·nischen Nationa·lis·mus. Die so·ge·nannte „Partei der Öffent·lichen Sauber·keit“ (
„Partei der öffentlichen Sauberkeit“, buddhistisch orientierte politische Parlamentspartei
Der Begriff „Kōmeitō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
) ist bei·spiels·weise aus dem poli·tischen Arm der bud·dhis·tischen Laien·bewe·gung
wtl. in etwa „Organisation zum Studium vermehrter Werte“; neu-religiöse buddhistische Laienorganisation, gegr. 1930
Der Begriff „Sōka Gakkai“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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ent·standen. Die Tradition, sich von einem bud·dhis·tischen Stand·punkt aus in das politische Ge·sche·hen Japans ein·zubringen, lässt sich bereits beim mittel·alter·lichen Mönch
1222–1282; Begründer des Nichiren Buddhismus
Der Begriff „Nichiren“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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finden, auf den sich beide Orga·nisa·tionen berufen.
Der Shintō wiederum hat in den letzten Jahren einen mehrfachen Be·deu·tungs·wandel erfahren. Während er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs — zumindest von offizieller Seite — als reiner Staatskult ohne tiefere religiöse Dimension definiert wurde (s. Staatsshintō), gibt es in jüngerer Zeit Be·stre·bungen, aus dem Shintō eine be·son·dere öko·logische Sensi·bili·tät oder gar Moral abzu·leiten. Von dieser Seite wird also auch dem Shintō eine ethisch-mora·lische Kompe·tenz zuge·sprochen, die sich aus dem obi·gen Drei·eck nicht ergibt.
Geschichtliche Entwicklung von Buddhismus und Shintō
Dennoch lässt sich als generelle Tendenz festhalten, dass der Konfuzianismus inner·halb der traditionellen Wert·vor·stell·ungen eher im „welt·lichen“ oder poli·tisch-recht·lichen Bereich wirk·sam ist, während die „geist·lichen" oder „religi·ösen“ Aspekte vor allem von Bud·dhis·mus und Shintō ab·gedeckt werden. Doch haben diese beiden Reli·gio·nen, wie auf den vor·her·gehenden Seiten bereits erwähnt, nicht immer im gleichen Ver·hält·nis neben einan·der bestan·den wie heute. Ins·beson·dere was die Ent·wick·lung des Shintō betrifft, setzt sich unter Reli·gions·histori·kern mehr und mehr die Auf·fassung durch, dass Shintō eine relativ junge Erschei·nung ist, die ohne den Bud·dhis·mus nicht denkbar wäre (s. dazu den berühmten Artikel „Shinto in the History of Japanese Religion“ von
1923–1993; Historiker und Religionswissenschaftler
Der Begriff „Kuroda Toshio“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
, 1981). Dem·gegen·über findet man in älteren Werken zur japa·ni·schen Religions·ge·schichte die Ansicht, Shintō habe immer schon in Japan exis·tiert und sei nur zeit·weilig vom Bud·dhis·mus über·lagert worden. Dies hat in der älteren west·lichen Forschung dazu geführt, die „synkre·tis·tischen Glaubens·formen“ des japani·schen Mittel·alters weit·gehend zu igno·rieren, wäh·rend die heutige Forschung in dieser Zeit die Grund·vor·aus·set·zung für das immer noch be·stim·mende In·ein·ander·greifen von kami- und Buddha-Glauben sieht. Einer Anre·gung des Reli·gions·histori·kers William Bodiford (University of California, Los Angeles) folgend lassen sich das „alte“ und das „neue“ Ent·wick·lungs·modell fol·gender·maßen grafisch darstellen:
Das alte Ent·wick·lungs·mo·dell setzt also die Entstehung des Shintō vor dem Bud·dhis·mus an. Das neue Modell geht dagegen von einer in·homo·genen Mischung unter·schied·licher vor·bud·dhis·tischer Reli·gions·formen aus, die erst durch den Bud·dhis·mus zusam·men·gefasst wurden, dabei aber auch den japa·ni·schen Bud·dhis·mus mit geprägt haben. Aus einer oder meh·reren inner·halb des japanischen Bud·dhis·mus ent·stan·denen Glau·bens·rich·tungen, die beson·ders auf die ein·heim·ischen Gott·heiten aus·gerichtet waren, hat sich die heute gän·gige Vor·stellung des Shintō erst nach und nach vom Bud·dhis·mus abgelöst. Die einzelnen Schritte dieser Ent·wick·lung werden v.a. innerhalb des Kapitels „Religionsgeschichte“ ein·gehen·der besprochen.
Primäre und sekundäre Religion
Das Zusammenspiel von Bud·dhis·mus und Shintō lässt sich meiner Meinung nach nur dann adäquat dar·stellen, wenn man die beiden Tradi·tionen nicht um jeden Preis der·selben Kate·gorie von Phäno·menen — in diesem Fall der Kate·gorie Religion — zuordnet. Das bedeu·tet natür·lich nicht, dass der er·wähnte Versuch, Shintō jeg·liche „religiöse Natur“ abzu·sprechen, zu recht·fer·tigen wäre. Vielmehr muss man den Bud·dhis·mus als den Sonder·fall begreifen, den ich mit Jan Assmann als „sekun·däre Religion“ klassi·fizie·ren möchte. Andere reli·giöse Sonder·fälle dieser Art wären etwa Chris·ten·tum oder Islam. Der·artige sekun·däre reli·giöse Tradi·tionen gehen im Grunde auf nicht mehr als zwei ver·schie·dene kultu·relle Wurzeln zurück, nämlich auf die Kulturen des alten Indien (Bud·dhis·mus, Jainis·mus) und des alten Ägypten (als Wiege der mono·theis·ti·schen Reli·gionen). Sekun·däre Reli·gionen werden auch als „Buch·religio·nen“ bezeichnet, besit·zen heilige Schrif·ten (einen „Kanon“), histo·rische Grün·der·figu·ren und eine klar defi·nierte Glaubens·lehre. Pri·märe Reli·gionen berufen sich dage·gen auf Tradi·tionen, die meist auf eine mytho·lo·gische Urzeit zu·rück·ge·führt werden. Diese Urzeit setzt ein Welt·gesche·hen in Gang, das sich von seiner Grün·dung an im wesent·lichen zyklisch wie·der·holt und daher kein teleo·logi·sches Ziel der Welt·ent·wick·lung kennt. Inso·ferne gibt es in diesen Religionen auch keine eschato·logischen, das heißt auf eine indivi·duelle oder kollektive „Erret·tung“ oder „Erleuchtung“ aus·gerich·teten Ziele.
Assmann's Unterscheidung lässt sich unschwer auch bei älteren Autoren finden, neu ist aller·dings, dass er die Ent·ste·hung einer sekun·dären Religion nicht auf irgend·welche men·talen Ent·wick·lungen (z.B. primitives Denken vs. rationales Denken) zurück·führt, sondern in erster Linie auf ein neues Medium der kultu·rellen Ver·mitt·lung: die Schrift. Sekun·däre Reli·gionen sind laut Ass·mann ohne Schrift nicht möglich. Erst die Schrift ermög·licht die Ent·stehung von reli·giösen Spezia·listen, die nicht selbst Medien der Ver·mitt·lung reli·giöser Inhalte — d.h. Ritua·listen — sind, sondern auch zu Inter·preten und damit zu Lehrern, Theo·logen und letzt·lich auch zu Ideo·logen reli·giöser Inhalte werden können. Diese Schrift·ge·lehr·ten ver·leihen Religion neue Dimen·sio·nen, z.B. einen uni·versa·listi·schen Anspruch und damit ein·her·ge·hend über·regio·nale Netz·werke in Form von Kirchen, Klöstern und ähn·liches mehr.
Neben der Schrift sind aber noch andere Bedingungen für eine sekundäre Religion notwendig. Dazu zählt im beson·deren die Vor·stel·lung, dass die Welt letzt·lich einer Ordnung unter·liegt, welche auf gerech·ten Prinzi·pien beruht. Gerech·tig·keit ist nicht nur das her·vor·ste·chendste Attribut mono·theis·ti·scher Gottes·vorstel·lungen (vgl. „Jüngstes Gericht“), auch im Bud·dhis·mus stellt die Karma-Theorie so etwas wie das Ver·sprechen eines letzt·lich gerech·ten Aus·gleichs guter und böser Taten dar. Von diesen Ge·rech·tig·keits·vorstel·lungen leiten sekundäre Religionen ihr mora·lisches Regel·werk ab.
Primäre Religionen kennen dagegen prinzipiell nur mehr oder weniger mächtige Götter, die sich ähn·lich wie die Men·schen (oder die Natur) von weit·ge·hend un·kalkulier·baren, spontanen Regungen leiten lassen. Man kann diese Götter günstig stimmen oder ihren Zorn hervorrufen; es gibt auch Regeln, welches Verhalten welche Reaktion hervorruft; doch unterliegen diese Regeln letztlich keinem objekt·ivier·baren moralischen Code. Genau deshalb sind die Regeln primärer Religionen auch nicht hinter·frag·bar und mani·fest·ieren sich, unabhängig von den Inten·tionen der Handelnden, in Form von Tabus oder Erfolg ver·sprech·enden (magischen) rituellen Prozeduren.
Die Traditionen des Shintō lassen sich nun in den meisten Fällen auf primär-religiöse Formen der kami-Verehrung zurückführen. Zugleich gibt es in der japanischen Reli·gions·geschichte verschiedene Versuche, die Verehrung der kami analog dem Bud·dhis·mus in eine sekundäre „Buch·religion“ umzuformen (z.B.
mittelalterl. Shintō-Richtung, begründet von Yoshida Kanetomo
Der Begriff „Yoshida Shintō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
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). Doch letztlich ist es nicht gelungen, diesen Schritt konsequent bis zu Ende zu führen. Der Grund liegt wahrscheinlich in erster Linie darin, dass bislang keiner dieser Versuche ohne das Kaiserhaus ausgekommen ist. Das Kaiserhaus wiederum bedient sich seit alters her mythologischer Be·grün·dungen, keiner objekt·ivier·baren moralischen Prinzipien. Diese Form der Legi·timierung widerspricht einem uni·versa·listischen Ge·rechtig·keits·grund·satz, wie er für sekundäre Reli·gio·nen kennzeichnend ist. Shintō ist daher aus meiner Sicht am ehesten als eine „hybride“ Zwischen·form zwischen primärer und sekundärer Religion zu cha·rakter·isieren.
Zugleich kommt auch der japanische Bud·dhis·mus — wie im übrigen auch andere sekundär-religiöse Traditionen — nicht ganz ohne primär-religiöse, lokale, mythologisch begründete Vorstellungen aus. Zum einen ist die Präsenz zahlreicher aus Indien importierter Gott·heiten aus dieser Funktion zu erklären (s. Wächtergötter). Zum anderen können auch diverse Rich·tungen, die heute als Shintō klassi·fiziert werden (z.B.
Shintō-Interpretation des Mittelalters; wtl. „Shintō der beiden Teile“
Der Begriff „Ryōbu Shintō“ wird in diesem Handbuch auf folgenden Seiten erwähnt:
) als primär-religiöse Aspekte des japanischen Bud·dhis·mus interpretiert werden. Anders ausgedrückt, der japanische Bud·dhis·mus bediente sich der lokalen Götter, um primär-religiöse Bedürfnisse zu befriedigen und schuf damit das Modell für spätere „hybride“ Formen des Shintō. Im Gegensatz zur Auffassung des oben besprochenen „alten Modells“, ist Shintō daher nicht trotz, sondern wegen der Begegnung von kami und Buddhas bis heute erhalten geblieben.