Yamauba

Aus Kamigraphie
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Der Begriff yamauba oder yamanba 山姥/山母 , wtl. Berg-Alte (auch: yamahime 山姫 oder yama jōro 山女郎), wird gemeinhin als Berghexe übersetzt und als weiblicher Dämon (oni 鬼) klassifiziert; man findet jedoch auch Klassifikationen der Yamauba als Berggottheit (yama no kami 山の神) oder als Monster (yōkai 妖怪); eine eindeutige Zuordnung ist nicht gegeben. Es handelt sich bei der Yamauba um einen Geist, der für gewöhnlich die Gestalt einer alten Frau annimmt und sich abgeschottet vom Rest der Gesellschaft in Wäldern oder Bergen aufhält. Ursprünglich war die Gestalt negativ belegt, im Laufe der Jahrhunderte haben jedoch sowohl literarische als auch bildliche Darstellungen der Yamauba einen erheblichen Wandel durchlebt.

Erste Erwähnungen

Die Anfänge schriftlicher Erwähnungen von Yamauba sind nicht eindeutig festzuhalten. Erste Darstellungen von Yamanba-ähnlichen Oni finden sich bereits im Konjaku monogatari-shū 今昔物語 im 12. Jahrhundert; erste Erwähnungen des Begriffs hingegen erst in der Muromachi-Zeit (14./15. Jahrhundert).

Yamauba werden aber auch in der späteren Literatur nicht immer explizit als solche bezeichnet; so kommt es vor, dass man sie nur als weibliche Oni erwähnt findet (Foster 2015:147) und sie somit vielerlei Überlappungen/Ähnlichkeiten mit anderen weiblichen Geisterfiguren aufweisen. Äußerliche Charakteristika einer Yamauba umfassen meist ein stark fortgeschrittenes Alter und manchmal Hörner, wie man sie auch in Masken weiblicher Dämonen, den Hannya-Masken des Nō-Theaters, antrifft (Foster 2015:148). Außerdem werden sie oft, ähnlich den weiblichen Rachgeistern, als eifer- oder rachsüchtig beschrieben und stehen insofern mit Eifersucht und sexuellen Trieben in Verbindung (Naumann 1963:223). Auch in bildlichen Darstellungen findet sich dieser sexuelle Aspekt wieder, wenn Yamaubas mit Phallussen oder Schnecken an ihrer Seite dargestellt werden (Naumann 1963:224).

Die Yamauba im 12. Jahrhundert

Die Erwähnung einer Yamauba im Konjaku monogatari findet sich in der Geschichte „Sanseru onna minami Yamashina ni yuki, oni ni aite nigetaru koto“ („Wie eine Frau in den Süden von Yamashina ging um ein Kind zu gebären, einen Oni traf und ihm entkam“). Diese handelt von einer jungen, schwangeren Frau, die in den Wald ging, um ihr Kind zu gebären. Dort traf sie eine Yamauba, die sie in eine Hütte einlud um ihr zu helfen, das Kind auf die Welt zu bringen. Die wahre Absicht des Dämons bestand jedoch darin, das Neugeborene zu verspeisen. Die Frau bemerkte rechtzeitig, dass die alte Frau ein Oni war, der ihr Neugeborenes essen wollte, und floh. Ein charakteristisches Element ist dieser Aspekt des Kannibalismus. Es gibt zahlreiche frühe Geschichten, in denen die Dämonen Wanderer, Frauen oder Kinder in den Wald locken und verspeisen.

Die frühen Geschichten heben das hohe Alter der Yamauba hervor, etwa ihr weißes, zersaustes Haar, und setzen die Yamauba damit in deutlichen Gegensatz zu anderen weiblichen Geistern, die als junge Frauen mit schwarzem, fließendem Haar charakterisiert werden. In der Konjaku-Geschichte besitzt die Yamauba bloß die Gestalt der alten Frau ohne übernatürliche, paranormale Merkmale.

Die Yamauba im 14./15. Jahrhundert

Ein Hauptwerk der Yamauba-Erzählung aus dem späten Mittelalter ist das Nō-Stück Yamanba von Zeami Motokiyo 世阿弥 元清 (ca.1363–1443). Es handelt sich dabei um ein ein „Endstück“ (kiri 切り) oder „Dämonenstück“ (kichiku 鬼畜), also ein Stück, das von Geistern oder Gespenstern handelt und am Ende eines Zyklus von Nō-Darbietungen zur Aufführung kam. Das Stück behandelt die Geschichte einer Tänzerin aus Kyoto, Hyakuma Yama Uba 百魔山姥, die ihren Namen, wtl. Berg-Alte der hundert Dämonen, der Tatsache verdankt, dass sie in ihren Tänzen die Yamauba auf überzeugende Weise verkörpert. Hyakuma pilgert gemeinsam mit ihrer Tänzergruppe zum buddhistischen Tempel Zenkōji 善光寺 und verliert sich auf dem Weg dorthin im Wald am Kagerō no Yama 陽炎の山, wo ihnen eine echte Yamauba begegnet. Sie tut den Schauspielern jedoch nichts zuleide, außer dass sie sich darüber beschwert, dass man sich ein schlechtes Bild von ihr mache, ohne sie je selbst gesehen zu haben. Somit bittet sie die Truppe, einen ihrer Tänze nach Sonnenuntergang bei Mondlicht im Wald aufzuführen; dort offenbare sie dann ihre wahre Gestalt. Bei Nacht erscheint die Yamauba wie versprochen und die Tanztruppe tanzt. Der weibliche Geist ist von der Aufführung sichtlich gerührt und will, dass die Tänzer den Tanz und das Wort über sie in der Stadt verbreiten. Anschließend löst sie sich in Luft auf, um weiterhin endlose Runden in Bergwäldern zu gehen.

Das Stück enthält, wie für Zeamis Werke charakteristisch, zahlreiche buddhistische Elemente: Yamauba ist einerseits im ewigen Zyklus der Wiedergeburten gefangen, verkündet andererseits aber auch buddhistische Weisheiten, etwa dass „Gutes und Böses nicht immer ein und dasselbe bleiben“ (Glopad 2006). Diese Darstellung der Yamauba bewirkte einen Imagewandel der Figur und verbreitete ein menschliches Bild des Geistes. In der Geschichte will interessiert sich der weibliche Geist, wie sie von Gesellschaft wahrgenommen wird und möchte ihr Ansehen innerhalb der Gesellschaft wiederherstellen. Außerdem weist sie menschliche Züge auf, wenn sie es genießt, die Blüten zu betrachten und in die Wälder zu gehen um den Mond sehen zu können (The Noh 2019). Menschen gegenüber ist sie freundlich eingestellt und hilft mitunter beim Tragen schwerer Lasten (The Noh 2019).

Im Gegensatz zu den frühen Darstellungen der Yamamba in ausschließlich menschlicher Gestalt, tritt sie im Nō als Verwandlungskünstlerin auf, die ihre Form der Situation anpassen kann. Nur für den menschlichen Blick wird sie zur alten Frau, während man ihr ansonsten nachsagt, sie hätte eine fließende, gleitende Form, ähnlich den Wolken (Glopad 2006). Erst aus menschlicher Sicht kommt das Geisterelement zum Tragen: Das weiße, zerzauste Haar, das rote Gesicht und die leuchtende Augen sind für die Tanztruppe ein „schrecklicher Anblick“, auch wenn sie meinen „sie sehe aus und spreche wie ein Mensch“ (The Noh 2019). Für normale Menschen ist sie gänzlich unsichtbar (Glopad 2006, The Noh 2019). Eine solche differenzierte Darstellung erzeugte eine Aufwertung der Yamauba, die für die positive Darstellung der Berghexe in folgenden Jahrhunderten prägend werden sollte.

Die Yamauba ab dem 17.Jahrhundert

Ab dem 17. Jahrhundert rückt ein gänzlich anderes Bild der Yamauba in den Mittelpunkt: Wieder erscheint sie in Menschengestalt, diesmal aber mit einem Kind, ihrem Sohn Kintarō 金太郎, manchmal auch Kaidōmaru 怪童丸. Kintarō wird auf Bildern als Junge mit roter Haut dargestellt, manchmal auch mit roten Flecken oder Wolkenmustern auf der Haut. Auch ist er meist ungewöhnlich groß und stark und mit übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet.

Kintarōs übernatürlichen Kräfte rühren sowohl vom Aufwachsen in der Natur als auch von seiner Abstammung als Kind eines Dämons/Geistes. Dies spiegelt sich in bildlichen Darstellungen, auf denen Kintarô im Kampf mit übernatürlich großen Tieren, Karpfen oder Bären als Sieger hervorgeht. Die Yamauba selber ist ihrem Sohn gegenüber positiv gesinnt, kümmert sich um ihn und hat einen ausgeprägten Mutterinstinkt. Jegliche Anspielungen auf Kannibalismus entfallen bei Erwähnungen der Yamauba ab dem 17. Jahrhundert. Kintarô wurde mit dem semi-historischen Helden Sakata no Kintoki 坂田公時 identifiziert, einer von Minamoto no Raikō’s 坂田公時 (948–1021) vier Vasallen, (Shitennō 四天王), welcher Dank seiner übermenschlichen Kräfte half, den mächtigen Oni Shuten Dōji zu eliminieren. Laut diesen Versionen der Yamauba Legende, übergab Yamauba ihren Sohn dem Minamoto no Raikô, als sich dieser in die Wälder des Berges Ashigara zurückzog. Andere Versionen berichten, dass Minamoto no Raikô den jungen Kintarō ausgesetzt im Wald fand und beschloss ihn großzuziehen (Reider 2010:62).

Kintarō wird außerdem die Abstammung von einem Donnergott zugeschrieben - ein möglicher Hinweis dafür wäre die Hautfarbe des Jungen, da rot die Farbe der Donnergötter ist. Auch die Axt, mit der Kintarō gerne dargestellt wird, ist ein Symbol der Donnergötter. Eine mögliche Hypothese zur seiner Zeugung besagt, dass eine Yamauba sich in der Nacht von einem Donner aus dem Schlaf gerissen fand, woraufhin sie schwanger wurde (Reider 2010:84).

Bunraku- und Kabuki-Stücke der Edozeit übernehmen das neue Bild einer jungen Yamauba als trostvolle und sorgende Mutter. Zu den bekanntesten Stücken zählt das Stück Komochi Yamauba 嫗山姥, welches 1712 von Chikamatsu Monzaemon 近松 門左衛門 (1653–1724) verfasst wurde. Es widmet sich in erster Linie der Geschichte von Yamaubas Sohn Kintarō. In Chikamatsus Version ist Kintarōs Vater, Sakata no Tokiyuki 坂田時行, gezwungen, Selbstmord zu begehen. Seine Frau Yaegiri 八重桐 zieht sich daraufhin von der Gesellschaft in die Wälder zurück und wird zu einer Yamauba. In den Wäldern zieht sie nun ihren gemeinsamen Sohn Kintarō groß, der später unter dem Namen Sakata no Kintoki und unter der Führung von Minamoto no Raikō seinen Vater rächt.