Wettstreit zwischen Amaterasu und Susanoo

Aus Kamigraphie
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ThemengruppeErzählung (Mythos, Legende, Märchen, etc.)
Schlagworte Kojiki 古事記, Nihon shoki 日本書紀, Amaterasu, Susanoo
ProtagonistenAmaterasu 天照, Susanoo 須佐之男
Diese Seite entstand im Kontext des Seminars Kamigraphie:Glücksgötter.

Der Wettstreit zwischen Amaterasu 天照 und Susanoo 須佐之男 spielt sich zu Anfang der Mythen ab. Als Susanoo in die Unterwelt verbannt wird, möchte er zuvor noch seine Schwester besuchen, um sich zu verabschieden. Als diese an seinen reinen Absichten zweifelt, leistet er mit ihr gemeinsam einen Schwur, der zu seinen Gunsten ausfällt. So verschafft sich Susanoo Zugang in die himmlischen Gefilde, wo er schließlich seine Untaten begeht.

Diese Stelle wird in den Mythen je nach Version sehr unterschiedlich beschrieben. Gemein haben sie allerdings alle, dass Susanoo stets Recht behält und es so dazu kommt, dass er sein Unwesen in Amaterasus Reich treiben kann.

Varianten in den Mythen

Kojiki

Im Kojiki 古事記 macht sich Susanoo nach seiner Verbannung auf, um seine Schwester zu besuchen. Als er in den Himmel hinaufsteigt, bebt die Erde, und Berge und Flüsse werden in Bewegung gesetzt. Amaterasu bemerkt dies und geht davon aus, dass ihr Bruder nicht in guter Absicht zu ihr hinauf kommt, sondern ihr ihr Land entreißen möchte. Sie rüstet sich daher für den Kampf, mit zwei Köchern, einem Bogen und einem Schild. Außerdem bindet sie ihre Haare zu zwei Zöpfen und schnürt sich in diese und drei weitere Stellen jeweils fünfhundert Yasaka-Krummjuwelen. Sie wandelt ihr weibliches Aussehen also in ein männliches, und so tritt sie ihm auch wie an Mann stapfend gegenüber, sodass sie bis zu den Knien in der Erde versinkt. Als sie ihn daraufhin fragt, was er denn möchte, beteuert er seine Unschuld und möchte zum Beweis dafür einen Schwur leisten und Kinder zeugen (an dieser Stelle wird noch nicht gesagt, auf welche Weise seine aufrechte Intention damit bewiesen werden soll).

Amaterasu bricht Susanoos Schwert in drei Teile und wäscht sie im Yasu-kawa, dem Fluss des Himmels, wobei die Juwelen, die sie bei sich trägt, erklingen. Anschließend kaut sie jedes einzelne Stück und bläst den Staub in die Luft. Aus diesem entstehen drei weibliche Gottheiten.

Susanoo erhält die jeweils fünfhundert Juwelen aus Amaterasus Haaren. Auch er wäscht diese im Fluss, wobei sie erklingen. Er kaut sie und bläst sie anschließend hinaus. Aus den fünf mal fünfhundert Krummjuwelen entstehen auf diese Weise fünf männliche Gottheiten.

Amaterasu interpretiert anschließend das Ergebnis: Da die weiblichen Kinder aus Susanoos Schwert, also seinem Eigentum entstanden sind, sind es somit seine Kinder, während die männlichen Kinder, aus ihrem Eigentum entstanden, ihre Kinder sind. Susanoo erklärt danach, dass seine Unschuld bewiesen sei, da er reine Mädchen gezeugt habe. Daraufhin begeht Susanoo seine Untaten.

Nihon shoki

Hauptvariante

Als Susanoo, der von Anfang an eine heftige Natur gehabt haben soll, in die himmlischen Gefilde hinaufsteigen möchte, setzt er Meere, Berge und Hügel in Bewegung. Amaterasu kennt dies noch von früher und wechselt vor Schreck die Farbe, als sie bemerkt, dass ihr Bruder zu ihr hinauf kommen möchte. Sie geht davon aus, dass er ihr Land rauben möchte, und wundert sich darüber, warum er nicht sein eigenes bewacht, so wie Izanagi 伊邪那岐命 es verlangt hat. So rüstet sie sich zum Kampf mit zwei Köchern, Bogen und Schild, und ändert ihre äußerliche Erscheinung in eine männliche, indem sie ihre Frisur verändert und ihren Rock zu einer Hose zusammenschnürt. Außerdem schmückt sie Haare und Handgelenke mit fünfhundert Yasaka-Krummjuwelen. Sie umgreift ihr Schwert und stapft zu ihm hinaus, dass ihre Füße in der Erde stecken. Als sie ihm so gegenüber tritt und ihn fragt, was er denn bei ihr möchte, antwortet er, dass er sich nur von ihr verabschieden wolle und besteht auf seine Unschuld. Als Beweis möchte er einen Schwur leisten: wenn er dabei Mädchen erzeuge, dann seien seine Absichten unrein, bei Knaben allerdings rein.

Let us, I pray thee, make an oath together. While bound by this oath, we shall surely produce children. If the children which I produce are females, then it may be taken that I have an impure heart. But if the children are males, then it must be considered that my heart is pure. (Aston, I, S. 35)

Dafür werden die Ausdrücke „schwarzes Herz“ und „rotes Herz“ verwendet, die jeweils Metaphern für die Gesinnung Susanoos sind.

Amaterasu erhält daraufhin das Schwert von Susanoo, bricht es in drei Teile und wäscht es im Yasu-kawa. Daraufhin kaut sie es und bläst den Staub hinaus, woraus drei weibliche Gottheiten entstehen. Susanoo wäscht die Krummjuwelen von Amaterasu im Fluss, kaut sie und bläst sie hinaus, woraus fünf männliche Gottheiten hervorgehen. Amaterasu teilt danach die Kinder zu: Da die weiblichen aus Susanoos Eigentum entstanden sind, sind es auch seine Kinder, und umgekehrt sind die männlichen Kinder die ihren.

Nebenvarianten

In einer anderen Version heißt es, dass Amaterasu befürchtet, Susanoo komme um ihr Land zu rauben, sodass sie sich zum Kampf rüstet. In dieser Erzählung trägt sie allerdings drei Schwerter, als sie Susanoo gegenübertritt. Dieser beteuert wie üblich seine Unschuld, woraufhin Amaterasu den Schwur vorschlägt. Sie legt fest, dass wenn Susanoos Kinder Knaben werden, sie an seine reinen Absichten glauben möchte, und isst daraufhin ihre eigenen drei Schwerter. Aus diesen entstehen drei weibliche Gottheiten. Susanoo isst die eigenen fünfhundert Krummjuwelen, nachdem er diese im Fluss des Himmels gewaschen hat, und zeugt somit fünf männliche Gottheiten.

In einer weiteren Variante des Nihon shoki 日本書紀 trifft Susanoo, als er gerade im Begriff ist, in den Himmel hinauf zu gehen, die Priesterin Ha Akaru-tama und erhält von ihr Krummjuwelen, die er mit nach oben nimmt. Amaterasu ist ihm sehr misstrauisch gegenüber, doch Susanoo versucht, sie zu überzeugen, dass er sie nur treffen und ihr die Juwelen überreichen wolle. Als sie nach einem Beweis fragt, schlägt er den Schwur vor: wenn er Knaben zeuge, dann seien seine Absichten rein. Auch an dieser Stelle wird die Metapher des „schwarzen Herzens“ und des „roten Herzens“ verwendet.

Die beiden graben daraufhin drei Brunnen und Amaterasu übergibt Susanoo ihr Schwert, während er ihr die Krummjuwelen überreicht. Sie lassen die Dinge im Brunnen schwimmen, und daraufhin zerbeist Amaterasu jeweils die Kopfenden, die Mittelteile und die Schwanzenden der Krummjuwelen, aus denen dann drei weibliche Gottheiten entstehen. Susanoo erzeugt aus dem Schwert wiederum fünf männliche Gottheiten.

In einer anderen Version wird beschrieben, wie Amaterasu und Susanoo sich, durch den himmlischen Fluss voneinander getrennt, gegenüberstehen. Amaterasu setzt fest, dass Knaben für Susanoos Unschuld stehen sollen und verspricht, diese großzuziehen und über den Himmel herrschen zu lassen. Sie isst daraufhin ihre drei Schwerter, aus denen drei weibliche Gottheiten entstehen. Susanoo nimmt seine eigenen Juwelen in den Mund, und legt sie zunächst auf die Handfläche, wo ein Knabe aus ihnen entsteht und er somit gewonnen hat. Anschließend erzeugt er noch fünf weitere Knaben, indem er die Juwelen in den Mund und dann auf die andere Hand, die Vorderarme und Füße legt.

Kogo shūi

Im Kogo shūi 古語拾遺 erhält Susanoo, als er in die himmlischen Gefilde hinaufsteigt, von der Priesterin Kushi Akarutama no Mikoto Krummjuwelen. Er gibt diese weiter an Amaterasu, woraufhin die beiden einen Schwur leisten. Amaterasu erzeugt unter Einfluss der Juwelen einen Knaben, den sie besonders liebt und an ihrem Busen trägt.

Schematischer Vergleich

Vorschlag ukehi Kinder Waffe (Tausch) Gender Resultat laut Text
Kojiki Vorschlag von S (Beweis unklar) A: 3w,
S: 5m
Schwert (S-->A): w
Yasaka (A-->S): m
A beansprucht m für sich, aber S erklärt sich zum Sieger
Nihon shoki, HV Vorschlag von S: m+, w- A: 3w,
S: 5m
Schwert (S-->A): w
Yasaka (A-->S): m
A beansprucht m für sich (S verliert)
Nihon shoki, NV 1 Vorschlag von A: m+, w- A: 3w,
S: 5m
Schwert (A): w
Yasaka (S): m
S hat reines Herz (S gewinnt)
Nihon shoki, NV 2 Vorschlag von S: m+, w- A: 3w,
S: 5m
Schwert (A-->S): m
Yasaka (S-->A): w
(unkommentiert)
Nihon shoki, NV 3 Vorschlag von A: m+, w- A: 3w,
S: 6m
Schwert (A): w
Yasaka (S): m
S hat reines Herz (S gewinnt), A adoptiert m
Nihon shoki, NV 4 Vorschlag von S: m+, w- S: 6m Yasaka (S): m S hat reines Herz (S gewinnt), A adoptiert m
Kogo shūi -- A: 1m Yasaka (A): m A produziert m

Interpretation

Die Beschwörung, die Amaterasu und Susanoo hier vollführen, nennt sich im japanischen Original ukehi. Es handelt sich dabei um eine Art Befragung, bei der ein vorher ausgemachtes Zeichen als positive oder negative Antwort auf die gestellte Frage gilt.[1] Obwohl die Interpretation des ukehi von Version zu Version verschieden ausfällt, enstehen die männlichen Gottheiten, die das Zeichen von Susanoos „reinem Herzen“ darstellen sollen, jeweils aus seinem Mund.

Durch Susanoos Kauen bzw. Blasen entstehen jeweils männliche Gottheiten, in den meisten Fällen aus Krummjuwelen, nur in einem Fall aus einem Schwert. In den Hauptvarianten argumentiert Amaterasu, dass es ihre Söhne seien, da sie aus ihren Waffen entstanden. In zwei anderen Fällen adoptiert Amaterasu Susanoos Söhne als eine Art Kompensation für sein Exil.

Während die Varianten des Nihon shoki bereits vor dem Schwur erklären, was das Zeichen für Susanoos Unschuld sein soll, offenbart das Kojiki dies erst später. In dieser Variante scheint es, als ob Amaterasu ihren Bruder überlistet, indem sie die männlichen Kinder für sich beansprucht, da sie aus ihren Waffen entstanden sind. Auch in den meisten anderen Varianten beansprucht sie die männlichen Kinder für sich. Susanoo erklärt sich zwar umgekehrt in den meisten Varianten zum „Sieger“ des Wettstreits, der Ausgang bleibt aber in den meisten Varianten der Erzählung ambivalent.

Das Schwert und die Krummjuwelen wurden in der Japanologie oft als mögliche Symbole für Geschlechtsorgane interpretiert. Demnach würde es zwischen dem Geschwisterpaar zu Inzest kommen, wie es laut dieser Theorie auch schon bei Izanami und Izanagi der Fall war. Diese Theorie wird vor allem dadurch gestützt, dass Amaterasu sich anschließend in die Felsenhöhle zurückzieht, was als eine Umschreibung für ihren Tod und ihre spätere Wiedergeburt verstanden wird – die drei Elemente Inzest, Tod und Wiedergeburt sind nämlich nach dieser These stets miteinander verbunden (mehr dazu unter Inzest und Wiedergeburt).[2] Allerdings funktioniert die Genderzuordnung bei genauerem Hinsehen nicht wie erwartet, denn aus den (phallischen) Schwertern entstehen üblicherweise Mädchen, aus den (vulvaartigen) Krummjuwelen Knaben.

Für Nelly Naumann steht hier allerdings im Vordergrund, dass die Gegenstände der Götter stets gekaut und hinausgeblasen werden. Sie werden also mit dem Atem und dem Speichel der Götter vermischt, was ihnen Leben einhaucht.[3]

Im Zuge des Zeugens von Kindern wird auch ein Vorfahre des Jinmu Tennō 神武天皇 gezeugt, der Ame no Oshi ho mimi, oder Akatsu no Mikoto, wie er im Kogo shūi genannt wird. Daher ist es auch von Bedeutung, dass Amaterasu die Knaben zu ihren eigenen Kindern macht. Interessant dabei ist vor allem, dass Susanoo demnach definitiv an der Erzeugung dieses Vorfahren beteiligt war und somit in der kaiserlichen Abstammung eine bedeutende Rolle spielt. Dennoch wird diese Bedeutung mehr oder weniger vertuscht, indem man ihm diese Kinder einfach nicht zuspricht. In einer Version des Nihon shoki heißt es sogar wörtlich, dass die Knaben zu Amaterasus Söhnen „gemacht werden.“[4] Naumann schließt daraus, dass die Einbindung der Götter von Izumo 出雲国 (vertreten durch Susanoo) in die kaiserliche Genealogie zwar auf der einen Seite gewollt war, dass der Hof aber auf der anderen Seite wiederum versuchte, diese zu überspielen und den Einfluss nicht zu sehr hervorzuheben.[5]

Verweise

Verwandte Themen

Literatur

  • Karl Florenz 1919
    Die historischen Quellen der Shinto-Religion. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1919. (Übersetzungen von Kojiki und Nihon shoki [in Auszügen] sowie Kogo shūi [ganz].)
  • Fuminobu Murakami 1988
    „Incest and rebirth in Kojiki.“ Monumenta Nipponica 43/4 (1988), S. 455-463. (Exzerpt.)
  • Nelly Naumann 1996
    Die Mythen des alten Japan. München: Beck 1996. (Exzerpt.)

Fußnoten

  1. Naumann 1996:98
  2. siehe auch: Murakami 1988
  3. Naumann 1996:99
  4. Naumann 1996:100
  5. Naumann 1996:100